Zwei Jahre Geschlossene Unterbringung in der Kinder- und Jugendhilfe in Thüringen
Im Mai 2020 nahm das „Haus Christophorus“ des Ökumenischen Hainich Klinikum in Mühlhausen den Betrieb auf und ist damit die erste neu errichtete Geschlossene Unterbringung in den neuen Bundesländern seit Schließung der Haasenburgheime in Brandenburg. „Doch die Frage stellt sich, ob geschlossene Heime und freiheitsentziehende Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe noch fachlich und zeitgemäße Lösungen darstellen“, gibt die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der linken Landtagsfraktion, Kati Engel, zu bedenken.
Bereits seit 15 Jahren sei eine solche Einrichtung im Gespräch gewesen, so der Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Hainich-Klinikum in einem Interview mit der Thüringer Allgemeinen. Denn keine landeseigene Einrichtung zu haben, erschwere die Arbeit mit den Familien. Zuvor hätte die Klinik im Nachgang eines stationären Aufenthalts auf Einrichtungen in den alten Bundesländern zurückgreifen müssen. „Doch das ist etwas, was zum einen gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der Klinik fällt und zum anderen zeigt, dass hier der Versuch unternommen wird, die Jugendhilfe hegemonial zu bestimmen“, kritisiert die Kinder- und Jugendpolitikerin. „Hinzukommt, dass sich der vermeintliche landeseigene Bedarf in den Belegungszahlen nicht abbildet. Von den Jugendlichen, die seit der Inbetriebnahme in die Einrichtung aufgenommen wurden, stammen nur ein Drittel aus Thüringen. Die angedachte Arbeit mit den Familien, die ja zur Begründung der Einrichtung herangezogen wurde, erschwert dies um einiges.“
Begrifflich wird versucht, sich von den skandalträchtigen Einrichtungen aus der jüngeren Vergangenheit zu distanzieren: Ein sicherer Ort soll es sein, der die Jugendlichen „aushält“ und tragfähige Beziehungen ermöglicht, so die Selbstbeschreibung der Einrichtung. Fixieren und Wegsperren seien keine Maßnahmen, die im Haus Christophorus Anwendung finden, geht aus einem Artikel hervor. „Fraglich bleibt, wie unter Zwang Beziehungsgestaltung aussieht, wie die daraus resultierenden Beziehungen Tragfähigkeit erlangen oder wie die Nutzung des sogenannten „Time-Out-Raums“ der Praxis von Wegsperren nicht widersprechen soll“, gibt die Abgeordnete Engel zu bedenken. Allein in den ersten sechs Monaten nach Eröffnung der Einrichtung haben 36 sogenannte Auszeiten stattgefunden. In diesen Auszeiten werden die Kinder und Jugendlichen – auch gegen ihren Willen – „zur Emotionsregulation“ in einem Raum isoliert, der einzig mit gepolsterten Wänden und einem gepolsterten Boden ausgestattet ist. Die Verweildauer beläuft sich in den ersten sechs Monaten nach Eröffnung auf 15 bis zu 145 Minuten; im Schnitt auf 20 bis 30 Minuten.
„Die öffentlich gewordenen Skandale – wie z. B. zur Haasenburg, aber auch von sogenannten intensivpädagogischen Einrichtungen wie das Projekt „Neustart“ in Lübben – zeigen deutlich, wie in Einrichtungen, die auf Geschlossenheit, Belohnungs- und Bestrafungssystemen und Zwang basieren, Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ignoriert werden, auch wenn dies vorgeblich zum Wohle des Kindes geschieht“, erläutert die Kinderpolitikerin. „Und hier liegt dann ganz klar eine Verletzung der Menschenrechte sowie ein Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention vor“, führt Kati Engel weiter aus. „Jedes Kind hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Dies schließt nach § 1631 des BGB auch explizit alle „entwürdigenden Maßnahmen mit ein“.
„Statt Ressourcen in die Finanzierung teurer GU-Plätze und die Errichtung von Spezialeinrichtungen zu investieren, lohnt es sich, bestehende Einrichtungen und engagierte Fachkräfte so zu unterstützen, dass sie fachlich gute Arbeit machen können und individuelle situationsbezogene Lösungen entwickeln können, wenn vorhandene Angebote nicht passen“, so das Resümee der Abgeordneten Engel. „Dass dies auch in Thüringen möglich ist und in Einzelfällen bereits passiert, bestätigen Einrichtungsleiter:innen und Jugendamtsmitarbeiter:innen gleichermaßen. Dass diese Einzelfalllösungen aufwendig sind, Geld, Zeit und Kraft kosten – und auch das Risiko des Scheiterns bergen, ist unbestritten.“ Damit diese Einzelfalllösungen zur Thüringer Norm werden, dafür möchten die Koalitionsfraktionen mit der kommenden Novelle des ThürKJHAG den Weg ebnen.