Über Staatsbürgerschaft und Einbürgerung

Martin Heucke

Staatsbürgerschaft

Wie werden Leute für gewöhnlich zu Staatsbürgern eines demokratischen Rechtsstaats? Für die meisten von uns dürfte folgendes gelten: Wir erlangen unsere Staatsbürgerschaft mit der Geburt. Das mag uns zwar ganz natürlich vorkommen, doch soll hier daran erinnert sein, dass der Erwerb der Staatsbürgerschaft mit Nichten eine natürliche Folge des Geburtsvorgangs ist. Menschen erwerben ihre Staatsbürgerschaft bzw. ihre Nationalität als Resultat bestimmter erwählter Rechtsregeln, aufgrund einer politischen Praxis die sich im jeweiligen Staat etabliert hat.
    Ergibt dieses Prinzip Sinn? Durch die demokratische Brille betrachtet, erscheint es vor dem geschichtlichen Hintergrund, dass viele zeitgenössische Demokratien gegen soziale Ordnungen, die auf Erbschaftsfolge und Geburtsrecht gründeten, erkämpft wurden. Für gewöhnlich fallen denn auch andere Schlagworte, wenn die Frage beantwortet werden soll, wer Mitglied der Bürgerschaft sein kann und darf: Rechtskonformität, Langzeitaufenthalt (in Deutschland für gewöhnlich (und bisher) mindestens acht Jahre) im Bundesgebiet, Einbringen in die Zivilgesellschaft, Anerkennen der staatlichen Autoritäten (insb. des Grundgesetzes), Sprachkenntnisse. Dinge dieser Art werden relevant, wenn sich dieser Text der Frage nach der Einbürgerung erwachsener Zuwanderer zuwendet, aber für die Anwendung auf Neugeborene scheinen sie gänzlich ungeeignet. Neugeborene haben keine Vergangenheit außerhalb des Mutterleibes, womit man die Frage nach ihrer Nationalität nicht mit Rückgriff auf die genannten Items/Bedingungen nicht zu beantworten ist.
Der häufigste Fall, in dem die Frage nach der Nationalität bei der Geburt entschieden werden muss, ist jener, in dem die Eltern des Kindes beide die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und dauerhaft in Deutschland leben. Die Eltern des Kindes sind mit anderen Worten Residenz-Bürger. Diesen Kindern bei der Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft zu verleihen, ergibt als Praxis Sinn, da sie die Realitäten hinsichtlich der Verbindungen des Kindes zur Gesellschaft und seinen fundamentalen Interessen am Aufrechterhalten dieser Beziehungen anerkennt. In einem demokratischen Rahmen ist der Staat (moralisch) dazu verpflichtet, diese Interessen in seine Staatsbürgerschafts-Policy mit einzubeziehen. Einem Kind bei der Geburt die Staatsbürgerschaft zuzuerkennen, ist dabei nicht nur ein administrativer Akt im Eigeneinteresse des Staates. In einer Welt, in der vorgesehen ist, dass jedes Kind (irgend)eine Nationalität bzw. Staatsbürgerschaft haben sollte, ist es ein moralischer Imperativ. Ein anderes Handeln wäre schlicht ungerecht.
Neben dem statistischen Normalfall existieren weitere Gruppen, die in Betracht gezogen gehören. Eine von ihnen ist die der Emigranten, i.e. Personen, die ins Ausland gezogen sind, aber ihre Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslandes behalten haben. Welchen Anspruch sollten die Kinder von Emigranten auf die Staatsbürgerschaft im Herkunftsland der Eltern haben? Wenig überraschend kann festgestellt werden, dass zwischen den Kindern emigrierter Eltern und der Gesellschaft des Herkunftslandes der Eltern hinreichend starke Bande bestehen, die ein Zugriff auf diese Staatsbürgerschaft rechtfertigen. Ihnen dieses Anrecht rundheraus zu verweigern, wäre ungerecht. Andererseits sollte seitens des Staates darauf geachtet werden, dass sich diese Praxis nicht durch die komplette Nachfahrenschaft der ursprünglich Emigrierten fortsetzt. Wie die Nähe zu einem Vorfahren, der im Herkunftsland lebte abnimmt, so nimmt auch die Plausibilität der Rechtfertigbarkeit eines automatischen Erwerbs der Staatsbürgerschaft ab. Dieses Prinzip deckt sich mit der Praxis vieler demokratischer Staaten. So erwerben bspw. Kinder deutscher Staatsangehöriger, die im Ausland leben, die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt, sofern mindestens ein Elternteil deutsch ist. Für die Kinder deutscher Staatsangehörige, die (seit dem 01.01.2000) bereits im Ausland geboren wurden, gilt folgendes: Sie erwerben bei Geburt im Ausland die deutsche Staatsangehörigkeit nur dann, wenn die Eltern die Geburt des Kindes binnen eines Jahres bei der zuständigen deutschen Auslandsvertretung anzeigen.
    Bei der dritten zu betrachtenden Gruppe handelt es sich um die Kinder von Immigranten. Aus den vorangestellten Ausführungen ergeben sich für diese Gruppe folgende Konsequenzen: Kinder, die in einem demokratischen Staat, in dem sich ihre Eltern als reguläre Einwanderer niedergelassen haben, geboren werden, sollten die Staatsbürgerschaft durch Geburt erhalten, da sie sich als Neugeborene hinsichtlich der Verbindungen zur Gesellschaft und ihren fundamentalen Interessen am Aufrechterhalten dieser Beziehungen wie auch sonst nicht von den Kindern der sog. Residenz-Bürger unterscheiden. Die Bande, die sich durch das tatsächliche Leben in einem Land knüpfen bilden die mächtigste Basis für einen Anspruch auf Mitgliedschaft bzw. Zugehörigkeit. Zuhause ist dort, wo man lebt. Und wo man lebt, ist die entscheidende Variable für Interessen und Identität, sowohl empirisch als auch normativ. In Deutschland, wo seit dem 1. Januar 2000 ergänzend zum Abstammungsprinzip (Ius sanguinis) auch das Geburtsortprinzip (Ius soli) gilt, erkennt man diese Überlegungen an. Der Erwerb der (deutschen) Staatsbürgerschaft mit der Geburt ist die einzig vernünftige Weise, die Beziehung zwischen dem Neugeborenen migrantischer Eltern und der politischen Gemeinschaft, in der es mit seiner Familie leben und aufwachsen wird, anzuerkennen. Es wäre ungerecht, den Kindern von ansässigen Immigrant:innen die Staatsbürgerschaft durch Geburt vorzuenthalten, und zwar aus denselben Gründen, die es im Falle einer Verweigerung der Staatsbürgerschaft bei Geburt von Kindern sog. Residenz-Bürger zu einer Ungerechtigkeit verkommen ließe.

Es zeigt sich aber sofort, dass das in Deutschland noch nicht allzu lang zur Anwendung kommende Geburtsortprinzip einigen Restriktionen unterliegt. So müssen sich die Einwanderer:innen rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten und dies seit mindestens acht Jahren. Was ist aus normativer Perspektive davon zu halten? Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass Staaten in der Pflicht stehen, den Kindern ansässiger Immigrant:innen bei der Geburt die jeweilige Staatsangehörigkeit zuzuerkennen. Indem Staaten eine Ius-soli-Regelung zur Anwendung kommen lassen, anerkennen sie, dass die Nachkommen von Einwanderern prinzipiell ein Anrecht auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Geburt haben, sofern guten Grundes davon ausgegangen werden kann, dass der Staat, in dem sie geboren worden sind, derselbe ist, in dem sie aufwachsen werden. Im Gegensatz dazu würde ein Staat, der dies nicht anerkennt, basale demokratische Standards der Gerechtigkeit verfehlen.
    Was dieser Text nicht behauptet, ist, dass der Geburtsort allein ausreicht, um sich mit gutem Recht auf das Geburtsortprinzip berufen zu können. Es scheint nicht unvernünftig zu sein, davon auszugehen, dass ein Kind, welches geboren wird, während sich die Eltern gerade als Touristen in einem Land aufhalten, andernorts aufwachsen wird. Für sich genommen generiert der Ort der Geburt keinen Anspruch auf Mitgliedschaft bzw. Zugehörigkeit. Dieser entsteht erst, wenn zusätzlich aus gutem Grunde davon ausgegangen werden kann, dass man auch in dieser Gesellschaft leben wird.

Ein letzter in diesem Zusammenhang zu diskutierender Punkt stellt der Zugang zur doppelten Staatsbürgerschaft für Immigranten und ihre Nachkommenschaft dar. Das Argument, das häufig gegen die Vergabe der doppelten Staatsbürgerschaft an Einwandererkinder ins Feld geführt wird, besteht in dem Verweis darauf, dass diese Kinder bei ihrer Geburt eine andere Staatsbürgerschaft erwerben. Nämlich diejenige des Herkunftslandes ihrer Eltern. Aus drei miteinander zusammenhängenden Gründen liefert dieser Umstand einem demokratischen Staat allerdings keinen Grund, diesen Kindern die Staatsangehörigkeit des Landes, in dem sie zur Welt kommen, vorzuenthalten. Erstens stellt die Staatsangehörigkeit im Land der Eltern kein adäquates Substitut für die Staatsangehörigkeit desjenigen Landes dar, in dem man sein Leben verbringt. Zweitens stellt die doppelte Staatsbürgerschaft für sich genommen kein Problem dar. Eine strikte Vermeidung der doppelten Staatsbürgerschaft ergibt nur vor dem Hintergrund kriegerischer Auseinandersetzung Sinn. Wenn man nämlich vermeiden will, dass es zu Konflikten bei einer kriegerischen Auseinandersetzung der Länder, deren Staatsbürgerschaft jemand innehat, kommt, da eine Person nicht gleichzeitig für zwei Länder in den Krieg ziehen kann. Und schließlich ist der Erwerb der doppelten Staatsbürgerschaft weitverbreitet, unvermeidbar und für die Kinder eigener Staatsbürger anerkannt. Kinder von Einwanderern sollten diesbezüglich nicht anders (schlechter) behandelt werden.
    Schon allein deshalb, weil die Kinder Zugewanderter einen Anspruch darauf haben als vollwertige Mitglieder der politischen Gemeinschaft der Gesellschaft, in die sie hineingeborgen und in der sie aufwachsen werden, behandelt zu werden, haben sie ein Anrecht auf die Staatsangehörigkeit dieses Landes. Zwar ist es richtig, dass die Ansprüche auf Staatsangehörigkeit im Heimatland der Eltern auch bestehen, aber sie sind eben schwächer. Für einen Staat, in dem das Anrecht auf Staatsangehörigkeit am stärksten ausgeprägt ist, wäre es falsch, dieses nicht anzuerkennen. Der Umstand, dass ein anderer Staat das betroffene Kind als Mitglied anerkannt hat, liefert keinen Grund dafür, ihr die Zugehörigkeit zu jener Gemeinschaft, die effektiv ihre Heimat ist, zu verweigern.
    Die Praxis in Deutschland diesbezüglich kategorisiert in folgende Untergruppen: Erstens, in Deutschland geborene Kinder mit einem deutschen und einem ausländischen Elternteil. Diese Kinder erhalten im Regelfall beide Staatsangehörigkeiten über das Abstammungsprinzip (Ius sanguinis), sofern auch das Recht des anderen Staates dies vorsieht (d.h. die Staatsangehörigkeit bei Auslandsgeburten weitergegeben wird und kein Verbot von Mehrstaatigkeit besteht). Positiv hervorzuheben ist, dass eine Entscheidungspflicht zwischen den beiden Pässen für diese Personengruppe in Deutschland nie bestanden hat. Zweitens, die in diesem diskutierten Zusammenhang relevante Gruppe: Kinder zweier ausländischer Elternteile, erhalten mit ihrer Geburt in Deutschland zusätzlich zu derjenigen Staatsangehörigkeit der Eltern seit dem Jahr 2000 über das Geburtsortprinzip (Ius soli) auch die deutsche Staatsangehörigkeit, (§ 4 Abs. 3 StAG). Kritisch zu betrachten, da unnötig, ist in diesem Zusammenhang die Optionspflicht, die bis Ende 2014 Bestandteil einer temporären Übergangsregelung gewesen ist, nach der Kinder, die schon zwischen 1990 und 1999 geboren wurden, Deutsche werden konnten (§ 40b StAG) und sich mit dem Erreichen der Volljährigkeit für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden mussten. Seit der Gesetzesänderung müssen sie dies nur noch tun, wenn sie nicht in Deutschland aufgewachsen sind. Der Vollständigkeit halber sei drittens und abschließend der bereits erwähnte Fall von im Ausland geborener Kinder deutscher Eltern bzw. mindestens eines deutschen Elternteils genannt. Bei einer Rückkehr nach Deutschland sind diese Kinder ebenfalls zur Gruppe der Doppelstaatler:innen zu rechnen. Bei der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts zum 1. Januar 2000 führte der deutsche Gesetzgeber einen “Generationenschnitt“ ein, der bei Auslandsgeburten eine unbegrenzte Weitergabe der deutschen Staatsangehörigkeit unterbindet.

 

Einbürgerung

Im zweiten Abschnitt dieses Textes soll der Frage nachgegangen werden, welcher Anspruch auf Staatsbürgerschaft von nicht in Deutschland geborenen Immigranten, die über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügen, geltend gemacht werden können sollte.
Immigranten, die als junge Kinder im Bundesgebiet ankommen, ähneln sowohl aus soziologischer als auch aus moralischer Perspektive jenen Kindern, die als Nachkommen immigrierter Eltern in Deutschland geboren worden sind. Sie sind Teil der Gesellschaft und diese Zugehörigkeit sollte anerkannt werden, indem man ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkennt. All die Gründe, die im Falle von für die Anwendung des Geburtsortsprinzips (Ius soli) sprechen, sind Gründe, die im Falle von in jungen Jahren nach Deutschland eingereisten und angesiedelten Kindern dafürsprechen, diesen Kindern die deutsche Staatsangehörigkeit zuzuerkennen.
Das Zuerkennen der Staatsbürgerschaft sollte in diesem Fall analog zur Anwendung des Geburtsortprinzips für die in Deutschland geborenen Kinder zugewanderter Eltern automatisch erfolgen und nicht an Bedingungen geknüpft sein. Letzteres meint, dass die Immigranten, die als junge Kinder in Deutschland ankommen, keinerlei Test unterzogen werden sollten, die Wissen, Kultur, Werte oder sonstige Verhaltensstandards als Bedingung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft abfragen. Es wäre moralisch falsch, knüpfte man die Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder (unabhängig der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern) an Gelerntes oder an bestimmte Verhaltensweisen. Es wäre aus denselben Gründen moralisch genauso falsch würde man derartiges immigrierten Kindern aufbürden und den Erwerb der Staatsbürgerschaft davon abhängig machen, was sie wissen oder tun.
Dies muss im Übrigen auch in jenen Fällen gelten, in denen die zugewanderten Kinder im Laufe ihrer Entwicklung kriminelles Potential erkennen lassen. Viele Staaten – und Deutschland bildet hier keine Ausnahme (siehe: §10 StAG) – setzten für ein erfolgreiches Einbürgerungsverfahren Straflosigkeit der Antragsteller:innen voraus. Sofern man zugestehen möchte, dass diese Hürde im Falle von Immigranten, die als Erwachsene in Deutschland angekommen sind, ein gewisses Maß an Plausibilität für sich beanspruchen kann, muss man doch anerkennen, dass das Verhalten – sei es kriminell oder nicht – jener Immigranten, die in jungen bzw. sehr jungen Jahren in Deutschland angekommen sind, in der Frage des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit irrelevant sein sollte. Werden Kinder deutscher Staatsbüger:innen kriminell, verlieren sie nicht ihre Staatsbürgerschaft (selbst dann nicht, wenn sie neben der deutschen noch eine weiter Staatsbürgerschaft haben und durch den beschriebenen Verlust nicht staatenlos würden). Den fortdauernden Besitz der Staatsbürgerschaft von gutem Verhalten abhängig zu machen, würde unserem grundlegenden Verständnis davon, was Staatsbürgerschaft in gegenwärtigen Demokratien auszeichnet, zuwiderlaufen – unabhängig davon, wie populär derartige Ideen in manchem politischen Lager sein mögen. Und aus demselben Grund sollte der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft für Immigranten, die als junge Kinder hier angekommen sind, nicht davon abhängen, wie gut sie sich Verhalten (oder nicht).
    
Dass Immigrant:innen, die als junge Kinder hier angekommen sind, die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch erhalten sollen, meint, dass es nicht hinreicht, ihnen lediglich ein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft einzuräumen und es ihnen frei zu stellen, ob sie von diesem Recht Gebrauch machen oder nicht. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft für Kinder von Residenz-Bürgern ist nicht optional, er erfolgt automatisch und es wäre falsch, würde der Staat es anders regeln. Diese Kinder erhalten ihre Staatsbürgerschaft bei ihrer Geburt, womit die Realitäten hinsichtlich der Verbindungen der Kinder zur Gesellschaft und ihren fundamentalen Interessen am Aufrechterhalten dieser Beziehungen anerkannt werden. Es wurde bereits dafür argumentiert, dass dasselbe Prinzip auf in Deutschland geborene Kinder sich rechtmäßig und dauerhaft im Bundegebiet aufhaltender Immigrant:innen anwendbar ist. Aus demselben Grund sollte der Staat Immigrant:innen, die als junge Kinder in Deutschland ankommen und aufwachsen werden, die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch verleihen.
    Zu welchem Zeitpunkt sollte der Staat Kindern, die in jungem Alter nach Deutschland immigrieren, die Staatsbürgerschaft verleihen? Auf der einen Seite ließe sich aus Gründen der Kohärenz dafür plädieren, dass dies geschieht, sobald die Niederlassung, die es dem Kind gestattet, sich dauerhaft im Bundegebiet aufzuhalten (selbst wenn die entsprechende Erlaubnis – im Gegensatz zu einer Erlaubnis, die den unbefristeten Aufenthalt gestattet – dafür in regelmäßigen Abständen erneuert werden muss) erfolgt ist. Da dies der Logik des zu Erwartenden, welche den Regelungen, die bei der Geburt greifen, zugrundliegt, entspricht. Auf der anderen Seite könnte argumentiert werden, unmittelbare Anerkennung sei weniger dringend und zwingend, sobald der Zeitpunkt der Geburt verstrichen ist, was es dem Staat gestatten würde, abzuwarten, bis das Kind tatsächlich in der Gesellschaft verwurzelt ist, bevor er an das Verleihen der Staatsbürgerschaft denkt. Für welche Variante man am Ende auch votieren möge, entscheidend ist die Akzeptanz jenes Prinzips, wonach ein Kind, welches im Bundesgebiet aufwächst, aufgrund dieses Umstandes dazu berechtigt ist, die deutsche Staatsbürgerschaft automatisch und ohne, dass sie an besondere Bedingungen geknüpft wäre, zu erhalten.
    Da bisher in einer undifferenzierten Art von Kindern oder Immigrant:innen, die in jungen Jahren angekommen sind, die Rede gewesen ist, sei zum Zwecke der Präzisierung folgendes angemerkt: Offenkundig ist es so, dass die Ähnlichkeit zwischen Kindern, die innerhalb des Bundesgebiets geboren worden sind, und jenen, die als Neugeborene hier mit ihren Eltern ankommen und ihre gesamte soziale Formation innerhalb der Bundesrepublik durchleben. Es ließe sich also behaupten, dass der Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft umso größer ist, je früher man ankommt. Jedoch entspringt der stärkste Anspruch auf die Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft dem Umstand, dass die eigene soziale Formung bzw. Bildung innerhalb der in Rede stehenden Gemeinschaft durchlaufen worden ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Zeitspanne zwischen dem sechsten und achtzehnten Lebensjahr, der Zeitraum in dem Kinder für gewöhnlich die Schule besuchen, sicherlich besonders zu gewichten und zu berücksichtigen.

Richtet man den Blick auf erwachsene Imigrant:innen, wird deutlich, dass ihre Ansprüche auf Staatsbürgerschaft im Wesentlichen auf zwei distinkten aber zusammengehörenden Grundfesten basieren: Soziale Zugehörigkeit und demokratische Legitimität. Zuerst einige Bemerkungen zu den Ansprüchen die durch soziale Zugehörigkeit generiert werden. Es liegt auf der Hand, dass Immigrant:innen, die erst im Erwachsenenalter nach Deutschland kommen, ihre soziale Formation andernorts durchlaufen haben. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich von ihren Kindern, die in Deutschland aufwachen oder sogar hier zur Welt gekommen sind, was ihre Ansprüche auf Zugehörigkeit, die sich daraus ergeben, betrifft. Allerdings stellt das Durchlaufen der eigenen sozialen Formation innerhalb einer bestimmten Gesellschaft nicht den einzigen Weg dar, der eine:n Teil dieser Gesellschaft werden lässt. Personen werden auch Teil einer Gesellschaft, indem sie in dieser Gesellschaft leben. Indem sich erwachsene Immigrant:innen in ihrer neuen Heimat niederlassen, werden sie Teil eines Netzwerks verschiedenster Beziehungen, die sich im Laufe der Zeit vervielfachen, verstärken und verfestigen. Sie erwerben Interessen und Identitäten, die an anderen Mitgliedern der Gesellschaft geknüpft sind. Ihre Entscheidungen und Chancen sind beeinflusst durch die Gesetze und politisch-inhaltlichen Auseinandersetzungen des Staates. Je länger sie hier leben, desto stärker werden ihre Ansprüche auf soziale Zugehörigkeit. Bis zu einem Punkt, an dem ein bestimmte Grenz- bzw. Schwellenwert überschritten ist (in Deutschland liegt dieser in der Regel bei acht Jahren). Dann sind sie so lange anwesend, dass sie einfach zur Gesellschaft dazugehören, und zwar mit einem starken Anspruch darauf, dass dies entsprechend durch den Staat offiziell anerkannt werden sollte, indem man ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkennt, oder ihnen mindestens das Recht auf die Staatsbürgerschaft, sofern sie sie denn wollen, einräumt.
    Zweitens, zu den Ansprüchen, die sich aus dem Prinzip demokratischer Legitimität ergeben. Es ist ein fundamentales demokratisches Prinzip, dass es jeder Person möglich sein soll, an der Gestaltung der Gesetzte, die den Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten aufspannen bzw. einen nicht geringen Teil ihres Lebens regeln, zu partizipieren, und die Reprästentant:innen, die die letztlich Gesetze machen, zu wählen, sobald sie ein gewisses Alter erreicht hat, ab dem sie dafür als handlungsfähig gilt. Das volle Wahlrecht sowie das Recht öffentliche Ämter zu bekleiden, sind Deutschenrechte, d.h. sie kommen nur deutschen Staatsbürger:innen zu. Folglich sollten alle Personen, die alt genug sind und auf Dauer in unserer demokratischen, politischen Gesellschaft leben, Staatsbürgerinnen sein, um den Anforderungen des Prinzips demokratischer Legitimität Rechnung zu tragen. Zumindest aber sollte ihnen das Recht auf die Staatsbürgerschaft eingeräumt werden, um von diesen Rechten Gebrauch zu machen, sofern sie denn wollen.
    Wo liegen die Grenzen dessen, was der Staat jenen Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung stellen, abverlangen darf? In Deutschland zählt zu den Einbürgerungsvoraussetzungen bspw. ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Nimmt man das Grundgesetz allerdings ernst, ist es dem Staat nicht gestattet, den Zugang zur deutschen Staatsbürgerschaft von den Überzeugungen und Glaubenssätzen einer Person abhängig zu machen. Zu den grundlegenden Freiheiten unserer demokratischen Gesellschaft zählen die durch Artikel 4 GG verbürgte Freiheit von Religion, Gewissen und Weltanschauung, die durch Artikel 5 GG garantierte Freiheit, Meinungen frei zu äußern und zu verbreiten sowie das durch Artikel 2 GG garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Leben, auf körperliche Unversehrtheit und den Schutz der Freiheit der Person. Diese, für jedermann geltende Grundrechte schränken den Staat, in dem, was er den unter seine Jurisdiktion fallenden Subjekten abverlangen darf, empfindlich ein; und zwar unabhängig von den Zielen, die der Staat verfolgen möge. Ein demokratischer Rechtsstaat darf allein aufgrund dessen, was eine Person in ihrem Herzen oder in ihrem Geist trägt, keine Zwangsgewalt gegen sie anwenden. Das gilt selbst dann, wenn das, was sie in ihrem Herzen oder ihrem Geist trägt, demokratiefeindlich sein sollte. Folglich steht es dem Staat beispielsweise nicht frei, jemandem die Staatsbürgerschaft zu entziehen, der sich nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, der sich möglicherweise sogar zu demokratiefeindlichen Ideen bekennt (selbst dann nicht, wenn diese Person Träger einer zweiten Staatsbürgerschaft wäre und infolge des Entzugs der deutschen Staatsbürgerschaft nicht staatenlos würde).

Dasselbe Prinzip gilt auch für Einbürgerungen. In Fällen, in denen der Staat jemandem die deutsche Staatsbürgerschaft verweigert, übt er staatliche Gewalt aus. Das Ausüben staatlicher Gewalt lässt sich sicherlich nur in Fällen, in denen Antragsteller:innen keinen oder nur einen geringen Anspruch hatten, rechtfertigen. Ansonsten muss auch im Falle von Einbürgerungen gelten, was für Staatsbürger:innen gilt. Wenn der Staat letztgenannten die Staatsbürgerschaft nicht entziehen kann, dann sollte er auch den Antragsteller:innen, sofern sie einen Anspruch darauf gelten machen können, die Staatsbürgerschaft nicht vorenthalten und zwar unabhängig davon, was sie denken oder fühlen mögen.
    Neben dem Erfordernis des unbefristeten oder auf Dauer ausgelegten Aufenthaltsrechts existieren in Deutschland folgende weitere Bedingungen, die von Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung stellen, für gewöhnlich erfüllt werden müssen: Die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft, der Nachweis guten Verhaltens (Straffreiheit), Nachweisen der eigenständigen Sicherung des Lebensunterhalts, der Nachweis über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland (Einbürgerungstest), sowie der Nachweis über mündliche und schriftliche deutsche Sprachkenntnisse. Diese werden im Folgenden der Reihe nach betrachtet.
    Warum sollte der Staat Personen zwingen können, sich zwischen ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft und der deutschen Staatsbürgerschaft zu entscheiden? Gibt es staatliche Interessen, die eine solche Praxis rechtfertigen könnten? Sicherlich möchte der Staat keine Interessenskonflikte, die sich aus einer doppelten Staatsbürgerschaft, ergeben könnten; er will nicht, dass sich die Loyalität, die er von seinen Bürger:innen verlangt, aufspaltet. Das würde aber voraussetzen, dass man sich nicht gegenüber zwei Staaten loyal verhalten könne. Was nicht stimmt. Immerhin kann man auch gegenüber zweier Elternteile loyal sein. Fast alle Argumente, die im vorangegangen Abschnitt dafür vorgebracht wurden, die duale Staatsbürgerschaft bei der Geburt von Kindern immigrierter Eltern zu gestatten, sind ebenso Argumente dafür, es Antragssteller:innen zu gestatten, ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft bei der Einbürgerung zu behalten. Die Tatsache, dass fast alle demokratischen Staaten die doppelte Staatsbürgerschaft für die Kinder ihrer Bürger:innen gestatten, sofern sie beide bei der Geburt erhalten, zeigt, dass staatsseitig keine Interessen auf dem Spiel stünden, gestattete man den Antragsteller:innen bei der Einbürgerung ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft zu behalten. Auf der anderen Seite stehen für viele Immigrant:innen tatsächlich vitale Interessen auf dem Spiel. Ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft ist oftmals die einzige Möglichkeit, zu einem zukünftigen Zeitpunkt in ihr Herkunftsland zurückzukehren und dort zu leben. Möglicherweise möchten sie im Laufe ihrer Kariere ökonomische Gelegenheiten nutzen, die sich im Heimatland ergeben haben. Oder sie möchten in der Lage sein, zurückzukehren, um für pflegebedürftige Angehörige da sein zu können. Vielleicht wollen sie ihren Ruhestand dort verbringen. Manchmal stellt das Behalten der Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes die einzige Möglichkeit dar, gewisse ökonomische Interessen zu schützen oder einen Betrieb zu führen. Andere fühlen sich ihrem Ursprungsland einfach stark verbunden und identifizieren sich (zu einem Teil) als Bürger:in jenes Landes und sind aus diesen Gründen nicht willens diese Staatsbürgerschaft aufzugeben. Es sei daran erinnert, dass es sich zum einen bei den in Rede stehenden Antragsteller:innen um Personen geht, die sich langzeitlich legal im Bundesgebiet aufhalten, die aufgrund ihrer Gesellschaftszugehörigkeit, die sich aus ihrem auf Dauer angelegten Aufenthalt ergeben hat, zum einen einen starken Anspruch auf Einbürgerung geltend machen können und denen zum anderen das Recht auf demokratische Mitbestimmung zusteht. Unter diesen Umständen ist es ungerecht, im Zuge der Einbürgerung von Antragsteller:innen zu verlangen, dass ursprüngliche Staatsbürgerschaften aufgegeben werden müssen.

Wie viele andere Staaten auch verlangt die Bunderepublik Deutschland von Personen, die eingebürgert werden wollen, dass sie nicht wegen einer Straftat verurteilt wurden, d.h. dass sie straffrei sind. Gegeben der Hintergrundannahme, dass Staaten moralisch dazu berechtigt sind, zu kontrollieren, wen sie aufnehmen, scheint es vernünftig zu sagen, dass sie in der Lage sein sollten, jenen mit schwerem Vorstrafenregister die Aufnahme zu verweigern und kürzlich eingereisten Immigrant:innen wieder auszuweisen, wenn sie wegen schwerwiegenden Straftaten verurteilt worden sind. Sofern die Einträge im Vorstrafenregister in dem einen Fall keine Ausweisung rechtfertigen, sollten sie nicht als Begründung dafür herangezogen werden können, um im anderen Fall die Einbürgerung zu verweigern. Rechtfertigen ließe sich vielleicht eine zeitlich begrenzte, aber keine absolute Sperre.
Von den Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung stellen zu verlangen, dass sie nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt, sondern auch den unterhaltsberechtigter Angehöriger eigenständig sichern, ist als Diskriminierung aufgrund von Armut zu werten. Falls Personen Anspruch auf Sozialleistungen haben, sollten sie dafür nicht (politisch) bestraft werden, wenn sie sie in Anspruch nehmen. Staatsbürgerschaft darf keine Frage des Geldes sein.
Als Teil des Einbürgerungsprozesses verlangt Deutschland (ohne dass es die Ausnahme wäre) von den antragstellenden Immigrant:innen, neben dem Nachweis über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland (i.e. ein bestandener Einbürgerungstest) ferner einen Nachweis über mündliche und schriftliche deutsche Sprachkenntnisse. Viele halten solche Tests ziviler Kompetenzen für völlig legitim und vernünftig.

    Der zentrale Punkt dieses Abschnitts besteht darin, dass die deutsche Staatsbürgerschaft jenen, die sie nach einigen Jahren des Aufenthalts in Deutschland anstreben und deren weiter Aufenthalt in Deutschland auf Dauer ausgelegt ist, einfach zugänglich sein sollte. Sofern die Anforderungen für das Bestehen Tests ziviler Kompetenz so moderat sind, dass die Mehrzahl der Immigrant:innen sie ohne große Schwierigkeiten zu meistern vermag, ist diese Einbürgerungsvoraussetzung mit der hier vorgetragenen Position kompatibel. Angemessene Tests zivilere Kompetenz stellen für die meisten Personen keine substantielle Hürde auf dem Weg des Einbürgerungsprozesses dar.
Dennoch sind diese Tests aus prinzipiellen Gründen infrage zu stellen. Im Folgenden soll erläutert werden, warum dem so ist. Zunächst ist festzustellen, dass es sich bei den in Rede stehenden Test um Einbürgerungsvoraussetzungen handelt. Die Frage ist also nicht, ob es für Immigrant:innen wünschenswert ist, sowohl hinreichendes Wissen über die deutsche Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der hiesigen Lebensverhältnisse, als auch über hinreichend gute Sprachkenntnisse zu verfügen. Natürlich ist das wünschenswert. Die Frage ist, ob es moralisch erlaubt ist, diese wünschenswerten Zwecke zu verfolgen, indem man als Einbürgerungsvoraussetzung von den Antragsteller:innen verlangt, eine entsprechende Prüfung abzulegen.
Selbst ein wertiger und legitimer Zweck sorgt nicht dafür, dass die gewählten Mittel akzeptabel sind. Daraus, etwas als formale Voraussetzung für Einbürgerungen festzuschreiben, folgt logisch, dass all jene, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, keine Staatsbürger:innen werden (können). Tests ziviler Kompetenz sind nicht zu rechtfertigen, da sie zwangsläufig Personen ausschließen, die eine (moralischen) Anspruch auf Einbürgerung haben. Es ist mit anderen Worten ungerecht, Staatsbürgerschaft davon abhängig zu machen, ob jemand einen Test besteht oder nicht. Eine Staatsbürgerschaft ist nicht etwas, das man sich normalerweise verdient, oder das man sich verdienen können sollte. Personen erwerben ein (moralsiches) Anrecht auf Staatsbürgerschaft aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft und dem Umstand, dass sie den hiesigen Gesetzen unterworfen sind.
Erschwerend kommt hinzu, dass Einbürgerungstests nicht bei der Einbürgerung helfen. Test, die Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung sowie der Lebensverhältnisse in Deutschland abfragen, sagen nichts über das Bürger:innenpotential einer Person aus. Bürger:innen müssen politische Urteile fällen. Das Wissen, das es für weise politische Urteil braucht, ist komplex, vielseitig und oftmals intuitiver Natur. Es ist nichts, das sich mittels eines Tests einfangen lässt. Wenn man realistisch darüber nachdenkt, welche Fragen sich Wähler:innen über Parteien und Kandidaten stellen, bspw. ob man dieselben Wertvorstellungen teilt, ob man ihnen zutraut, das Land in die richtige Richtung zu führen und dergleichen mehr, erkennt man, dass es für die Beantwortung dieser wesentlichen Fragen irrelevant ist, ob man weiß, von welchen Farben die Thüringische Landesflagge geziert wird.

Martin Heucke, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag
*Bildquelle: webandi/pixabay.de

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