„Keine Angst, die machen nix!“

Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich von einer Videokamera im öffentlichen Raum nicht zu fürchten – zumindest ist das eine vielfach anzutreffende Haltung, die zu Recht kritikwürdig ist. Der Innenausschuss hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, ob und inwieweit die Videoüberwachung im öffentlichen Raum auszuweiten und politisch zu unterstützen ist. Im Ergebnis der Beratungen hat eine Landtagsmehrheit die Auffassung vertreten, dass dieses Ansinnen abzulehnen ist. Hierfür sprachen und sprechen gute Gründe.

Kameras erhöhen die Sicherheit?

Wer erklärt, dass Kameras in der Öffentlichkeit die Sicherheit der Menschen erhöhen, ist erstens in seiner Wortwahl mehrdeutig, und zweitens beruhen diese Angaben nicht auf seriösen Erkenntnissen. Genauer wird nämlich gesagt, dass das Sicherheitsgefühl erhöht sei. Hier kommt es allerdings auf das subjektive Empfinden an, ob sich jemand eher sicher oder eher unsicher fühlt. Thüringen gehört zu den sichersten Bundesländern der Republik. Gemessen am Anteil der Bevölkerung ist es sehr unwahrscheinlich, in Thüringen Opfer einer Straftat zu werden. Gleichzeitig kann Thüringen auf eine recht hohe Aufklärungsquote verweisen, sollte es dennoch zu einer Straftat kommen. Klar, jede und jeder kann prinzipiell zum Opfer werden. Insofern kann ich den Menschen einreden, dass das Leben gefährlich ist. Ich kann aber auch darauf verweisen, dass es vergleichsweise unwahrscheinlich ist, Opfer einer Straftat zu werden.

Stigmatisierung des öffentlichen Raums

Andererseits gibt es wissenschaftliche Studien, dass Menschen im öffentlichen Raum eher davor zurückschrecken, bestimmte Orte zu betreten, wenn sie wissen, dass dort Kameras sämtliche Bewegungen filmen, weil sie vermeiden wollen, dass ihre Daten elektronisch erfasst werden. Jedes Hinweisschild, welches mit Blick auf angebliche Kriminalitätsprävention auf eine Überwachung hinweist, kann auch so gedeutet werden, dass dort ein Kriminalitätshotspot existieren würde, der die einzelne Person zum potenziellen Opfer erklärt. Das führt nicht nur dazu, dass Menschen den betreffenden öffentlichen Raum (Straßen, Plätze, sogar ganze Stadtteile) meiden. Das führt auch dazu, dass alle Menschen, die sich dort aufhalten, weil sie im Quartier wohnen, potenziell als Kriminelle abgestempelt werden können. Wer mit Wohnanschrift deutlich macht, in einem solchen Gebiet zu leben, riskiert Nachteile. Wir wissen, dass dann beispielsweise die Konditionen bei Banken schlechter sind, wenn nach einem Kredit gefragt wird. Auch bei Polizeikontrollen könnte kritischer nachgefragt werden, warum man sich gerade zum aktuellen Zeitpunkt an dem betreffenden Ort aufhalte. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Videoüberwachung verhindert keine Straftaten

Völlig falsch ist der erweckte Eindruck, dass Kameras die Verübung von (schweren) Straftaten verhindern würden. Die Begründung der Stadt Erfurt, dass auf dem Anger besonders viele Straftaten verübt werden, erfordert einen genaueren Blick. Die häufigsten Delikte auf dem Anger sind schließlich Fahren ohne Fahrschein mit der Straßenbahn und Diebstähle in Ladengeschäften, die nun mal typisch für eine Shoppingzone sind. Beide Delikte werden übrigens schon jetzt in stark videoüberwachten Räumen begangen. Und ja, wer sich auf dem Anger aufhält, kann sich von Personen belästigt fühlen, die Alkohol trinken, pöbeln und urinieren. Diesen Störungen begegnet die Gesellschaft aber besser mit Angeboten der Sozialarbeit als mit dem Ordnungsrecht. Jeder Euro, der in Sozialarbeit investiert wird, ist besser angelegt als Geld für Technik auszugeben, die falsche Sicherheit suggeriert.
Wer vorbeugend tätig werden und Straftaten verhindern will, sollte die Erfahrungen anderer Bundesländer ernst nehmen. NRW hat beispielsweise gute Erfahrungen damit gemacht, die Polizeipräsenz durch Streifentätigkeiten zu erhöhen. Diese decken nämlich erstens einen größeren Bereich ab, als mit Videokameras zu erfassen möglich ist. Zudem können Streifendienste flexibel eingesetzt werden. Damit kann auch viel konkreter auf Bereiche reagiert werden, in die sich Straftaten räumlich verlagern. Denn Kameras haben den Nachteil, dass der erfasste Bereich nicht beliebig ausgedehnt werden kann. Wer eine Straftat verüben will, weicht also in diese Bereiche im Umfeld aus.

Videoüberwachung kann gefährlich sein

Videoüberwachung kann aber auch gefährlich sein und im Zweifelsfall tödlich enden. Oftmals existiert die Auffassung, dass jede Aufzeichnung live in einem Sicherheitsraum mitverfolgt wird. Wenn etwas geschehe, könnten Sicherheitskräfte jederzeit einschreiten und eine Polizeistreife oder einen Rettungswagen entsenden. Dem ist mitnichten so! Die Aufzeichnungen dienen lediglich der Beweissicherung, sollte ein Vorfall im Nachgang aufgeklärt werden müssen, bei dem die Sichtung der Daten unbedingt notwendig ist. Passanten meinen aber, sie müssten im Notfall nicht einschreiten, wenn sie beispielsweise eine lebensbedrohliche Situation beobachten, weil ja gleich jemand komme. Dies kann dazu führen, dass Polizei oder Rettungskräfte nicht verständigt werden und erhebliche Schäden für Sachen, Gesundheit und Leben die Folge sind. Videoüberwachung kann also auch gefährlich mit dem Leben spielen.


Städtebau als Prävention

Wollen Kommunen tatsächlich etwas gegen das sinkende Sicherheitsempfinden der Bevölkerung unternehmen, müssen sie auch in einen modernen Städtebau investieren. Dazu gehört, im öffentlichen Raum für eine bessere Aufenthaltsqualität zu sorgen. Es war eine falsche Entwicklung in den letzten Jahrzehnten, Zonen zum Verweilen und Ruhen in den Innenstädten zurückzubauen, nicht zu unterhalten und nicht zu pflegen. Wenn die Kommunen wieder dafür Sorge tragen, dass ihre Einwohner:innen gerne die öffentlichen Plätze und Parks beleben, entstehen neue Kommunikationsräume, die von allen positiv belebt werden. Locken wir also die Menschen in die Öffentlichkeit! Lassen wir sie laut und auffällig sein! Ebenso müssen Wegebeziehungen baulich so gestaltet werden, dass Sichtachsen entstehen und sie nachts beleuchtet sind. Das nimmt potenziellen Kriminellen den Schutzraum, in dem sie ihre Taten verüben können! Sascha Bilay, MdL

 

Zur gesamten Ausgabe