Nr. 20/2010: Für ein Landesumbaukonzept, eingebettet in eine Sozialraumplanung

Die soziale Sicherung des Wohnens vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und einem weiteren Druck auf die Wohnkosten vor allem für Hartz-IV-Empfänger war Thema einer Konferenz, zu der die Landtagsfraktion der LINKEN am 25. September in den KuBus (Multifunktionales Zentrum) nach Jena eingeladen hatte. Mit mehr als 50 Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern, Vertretern des Thüringer Bauministeriums, von kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen sowie Experten aus Wissenschaft und Praxis wurden Anforderungen an Bundes- und Landespolitik formuliert. Die von der Bundesregierung geplante Halbierung der Städtebauförderung müsse als Schlag gegen die soziale Wohnungsbauentwicklung unbedingt verhindert werden ebenso wie der Wegfall des Heizkostenzuschlags im Wohngeld. Vertreter der Wohnungsunternehmen forderten insbesondere die Streichung der willkürlichen wohnungswirtschaftlichen Altschulden sowie die Wiedereinführung der Investitionspauschale.


An die Landesregierung gerichtet, kritisierte der Faktionsvorsitzende der LINKEN, Bodo Ramelow, dass diese dabei sei, „das Thüringer Wohnungsbauvermögen im großen Schuldenloch verschwinden zu lassen“. Er bezeichnete dies als einen „unglaublichen Vorgang“. Damit werde auch das neue Thüringer Wohnraumfördergesetz nicht viel mehr als eine leere Hülle. Angesichts der dramatischen soziodemographischen Entwicklungen in Thüringen sei ein umfassendes Landesumbaukonzept notwendig, eingebettet in eine Sozialraumplanung, die auch den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft gerecht wird.


Heidrun Sedlacik, wohnungspolitische Sprecherin, betonte vor dem Hintergrund der Neugestaltung der Hartz-IV-Regelungen „das Wohnen als soziales Grundrecht, das für alle bezahlbar sein muss“. Sie warnte mit Blick auf die geplante Pauschalierung der Kosten der Unterkunft und ihrer Übertragung auf die Kommunen vor einer „Notversorgung für ausgegrenzte Haushalte“ und einer „weiteren Kommunalisierung einer gescheiterten Sozialpolitik“.
Heidrun Bluhm, wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, betonte: „Wohnen weiter zu privatisieren, tragen wir ebenso wenig mit, wie ökologische Erfordernisse auf Wohnungseigentümer und damit auf die Mieter abzuschieben.“ DIE LINKE will familien-, altersgerechtes und barrierefreies Wohnen als verbindliche Vorgaben formulieren, aber auch Wege der Umsetzung aufzuzeigen.
Nach dem Gesamtüberblick am Vormittag sprach Andrej Holm, Institut für Sozialwissenschaften der Universität Oldenburg, über  „Hartz IV – Folgen und Risiken für das Wohnen einkommensschwacher und sozial ausgegrenzter Bürger“. Er nannte die Regelung im SGB II zur Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung vernünftig. Der Haken sei aber der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit. Was angemessen bedeutet, definieren die Kommunen, die aufgrund ihrer angespannten finanziellen Lage die eingeräumten Ausgestaltungsspielräume nicht im Sinne der Betroffenen nutzen.


Dass die Angemessenheitsgrenzen zunehmend nicht zur örtlichen Wohnungsmarktrealität passen und angemessener Wohnraum trotz Leerstand beispielsweise in Greiz nicht zu finden ist, bestätigten auch die an der Konferenz teilnehmenden Fachanwälte. Die gesetzlichen Unzulänglichkeiten werden auf den Rücken der Betroffenen ausgetragen. Daher sieht Rechtsanwältin Gabriele Senff aus Pößneck ihre Hauptaufgabe darin, Hartz IV aus Sicht der Betroffenen zu korrigieren. In ihrem Referat gab sie Aus- und Einblicke in die Gesetzeslage und Rechtsprechung und forderte Einzelfallregelungen, die es Betroffenen erlauben, in ihrem sozialen Umfeld zu bleiben, sowie eine Gleichstellung von Eigenheimbesitzern und Mietern, um die Wohn- und Lebenssituation für Menschen im Sozialleistungsbezug menschenwürdig zu gestalten.
Die referierenden Praktiker Thomas Kreiter, Aufsichtsrat GWG Weimar e.G, und Wolfgang Flögel, WGS Wohnungsgesellschaft Sömmerda mbH, stellten fest, dass „mit steigender Sanierung immer mehr preisgünstige Wohnungen verschwinden“.  Daher trägt die Wohnungsgenossenschaft Weimar mit Teilsanierung dem sozialen Anliegen Rechnung. Zudem sei die Förderung des altersgerechten Umbaus von Wohnungen notwendig, um die Bezahlbarkeit der Miete zu sichern, sagte Herr Kreiter. 2009 erhielt die Genossenschaft den Weimarer Wirtschaftspreis in der Kategorie „Familienfreundlichstes Unternehmen“. Seit April gibt es eine Seniorenberatungsstelle, um den immer älter werdenden Bewohnern den Wunsch, in den eigenen vier Wänden alt zu werden, zu ermöglichen.
Auf die Vielschichtigkeit des Themas verwies auch Wolfgang Flögel (LINKER Sömmerdaer Bürgermeister), der die soziale Verantwortung einer städtischen Wohnungsgesellschaft deutlich machte. Er untermauerte die Bedeutung des Städtebauförderprogramms „Soziale Stadt“. Hier kooperiere man mit sozialen Projektträgern vor allem im Bereich der Senioren- und Jugendarbeit. Ohne diese Netzwerke würden die sozialen Probleme weitaus größer sein. Zudem sei es gemeinsamer Standpunkt in der Stadt Sömmerda: Kein Verkauf des kommunalen Wohnungsunternehmens.


Dass die kommunalen Wohnungsunternehmen und die Wohnungsgenossenschaften wichtigste Partner und Akteure vor Ort sind, davon konnten sich die Wohnungspolitischen Sprecher der Linksfraktionen in den Landtagen und im Bundestag beim Stadtrundgang in Lobeda am Vortag der Konferenz überzeugen. Lobeda, einst typische Plattenbausiedlung, hat seit der Wende ein Drittel seiner Einwohner verloren, ist heute mit 22.000 Einwohnern der größte Stadtteil Jenas, allerdings auch mit den schlechtesten Sozialdaten der Stadt, wie Bettina Kynast vom Dezernat Stadtentwicklung erläuterte. Im Rahmen der EXPO 2000 wurden in Lobeda Naturräume erschlossen, öffentliche Räume umgestaltet und neue Stadträume geschaffen. Zudem wurde Lobeda 1999 in das Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen.