Vom Wert der sozialen Frage

Karola Stange zum Tag der Deutschen Einheit


Alljährlich wird der Tag der Deutschen Einheit dazu genutzt, die bleibenden Unterschiede und wachsenden Gemeinsamkeiten zwischen West und Ost wechselseitig zu beklagen und zu begrüßen. Auch in diesem Jahr sind weiterhin Unterschiede zu prognostizieren, noch einmal verstärkt durch die multiple Krise.

 

  • Deutlich geringere Einkommen und damit auch deutlich geringere Sparvermögen führen dazu, dass Preissteigerungen für Lebensmittel, Energie und Wärme die Menschen in den neuen Bundesländern stärker bedrohen. Die geringere Tarifbindung, als eine der Hauptgründe, ist verantwortlich dafür, dass Menschen in den neuen Bundesländern rund 20 Prozent weniger als in den alten Bundesländern verdienen - ein Unterschied, der sich im Jahr durchschnittlich auf über 10.000 Euro summiert. So sind die Einkommen im öffentlichen Dienst vergleichbar, die anderen Branchen mit geringerer Tarifbindung dagegen weit im Hintertreffen.
  • Aktuell arbeiten rund 1 Million Rentnerinnen und Rentner noch über das Renteneintrittsalter hinaus, 56.105 Seniorinnen und Senioren mehr als im letzten Jahr. Leider kein Wunder, schauen wir uns die Höhe der Renten besonders hier im Osten an. Deshalb braucht es jetzt eine außerordentliche Rentenerhöhung von zehn Prozent, mindestens aber 200 Euro im Monat. Damit auch das Rentenniveau endlich wieder steigt. Hier müssen wir weg von den 48 Prozent, hin zu 53 Prozent!
  • Geringe Löhne führen nicht nur zu niedrigen Renten, sondern auch zu niedrigeren Steuereinnahmen in den Ost-Bundesländern und Kommunen hier. Die Folge? Eine große Abhängigkeit von Bundesmitteln und den Ausgleichszahlungen aus dem Länderfinanzausgleich. Das Problem? Die Bundesregierung streicht den Bundeshaushalt aus Ehrfurcht vor der „Schwarzen Null“ zusammen und die Bayern lassen sich auch vom Oktoberfest nicht ablenken und klagen gegen den Länderfinanzausgleich.
  • Damit stehen viele Projektträger bundesweit und besonders eben im Osten der Republik vor der Frage, wie in Zukunft finanziert und gestaltet werden soll. Demokratie- und Integrationsprojekte bereichern und erfüllen gerade auch im ländlichen Raum wichtige Schutzfunktionen. Denn gerade im ländlichen Raum ist die Arbeitskräftesituation regional sehr angespannt, und die Unternehmen und Institutionen freuen sich über jede einzelne Person. Hier bräuchte es mehr statt weniger und den Mut zu gestalten statt zu verwalten.

 

Die Frage nach den gleichwertigen Lebensverhältnissen in Ost und West ist mehr als eine Frage für die Reden am dritten Oktober. Die Bundesregierung in Berlin muss jeden Tag die Frage beantworten, wie sie das gesellschaftliche Leben gestalten möchte und was ihr das wert ist.