Thüringen: Hotspot der extrem rechten Szene

Parlamentsreport

Thüringen ist eines der Bundesländer, in denen es Neonazis und dazugehörigen Strukturen gelungen ist, sich fest zu verankern. Über das ganze Bundesland verteilt sind rechte Immobilien, Versände, Rechtsrock-Bands und Rechtsrock-Konzertorte, extrem rechte Parteien, Kampfsportstrukturen und Organisationen aufzufinden. Thüringen bietet alles, was das Neonazi-Herz begehrt.

Teils sind die dazugehörigen Neonazis bereits seit Jahrzehnten aktiv, entstammen gar dem Umfeld der rechtsterroristischen Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“, teils ist es bereits der Nachwuchs militanter Neonazis der 90er Jahre und/ oder neu entstandene Strukturen wie bspw. Knockout 51 aus Eisenach. „Arische Bruderschaft“, „Anastasia“, „Atomwaffendivision“, „Blood & Honour“, „Combat 18“, „Europäische Aktion“, „Gedächtnisstätte e.V.“, „Hammerskins“, „Identitäre Bewegung“, „Junge Revolution“, „Jungsturm“, „Kampf der Nibelungen“, „Kommando 075“, „Schlesische Jugend“, „Neue Hitlerjugend“, „Nordadler“, „Patriotische Gruppe Thüringen“, „Reichsbürger“, „Turonen/ Garde 20“, „Vereinte Patrioten/ Veteranen-Pool“, „Wardon 21“ sind einige der im Freistaat in den vergangenen Jahren und/ oder aktuell relevanten rechten Strukturen. Hinzu kommen die AfD und ihre Jugendorganisation, dass im Zuge der Corona-Pandemie entstandene extrem rechte „Freies Thüringen“ sowie diverse weitere Initiativen, Gruppierungen und Vereine. Thüringen ist übersät von rechten Strukturen und Personen, die untereinander teils enge Vernetzungen pflegen. Sie alle eint ihre enorme Gefährlichkeit. Dass in Thüringen allein im Jahr 2022 vier Großrazzien in der rechten Szene stattfanden, ist nur ein Beleg dafür.

„Arische Bruderschaft“

Kaum thematisiert, selten öffentlich erwähnt und doch seit Jahren in Thüringen aktiv ist die sich um den bundesweit aktiven Neonazi Thorsten Heise aus Fretterode organisierende „Arische Bruderschaft“. Sie ist ein elitärer Zusammenschluss von Neonazis, mit bundesweiten Strukturen, deren Kopf und relevante Führungsperson Thorsten Heise ist. Ihre Mitglieder kennzeichnet eine hohe Gewaltbereitschaft, welche u.a. beim lebensgefährlichen Angriff auf Journalisten in Fretterode im Jahr 2018 oder auch bei einem Rechtsrock-Konzert in Neumünster, bei dem sie Polizeibeamt:innen angriffen, offensichtlich wurde. Sie beziehen sich positiv auf die NS-Ideologie und übernehmen sogenannte Sicherheitsaufgaben bei Veranstaltungen der rechten Szene.

Turonen/ Garde 20

Bundesweit bekannt wurden die „Turonen“ und ihre „Supporter-Struktur“ „Garde 20“ im Jahr 2017, als in Themar das bis dahin größte Neonazi-Rechtsrock-Festival in Deutschland mit knapp 6000 Neonazis stattfand, welches durch die Turonen organisiert wurde. Erneute Aufmerksamkeit gab es, als im Jahr 2021 im Zuge einer großangelegten Durchsuchungsmaßnahme bekannt wurde, dass sie im Bereich der Organisierten Kriminalität tätig waren und ihr Geld mit Drogenhandel und Prostitution verdienten. Über Jahre hinweg konnten die v.a. in den Landkreisen Gotha und Saalfeld/ Rudolstadt ansässigen Mitglieder der „Turonen/ Garde 20“ ihre rechte Militanz weitgehend ungestört ausüben, sei es in schweren Übergriffen wie auf die Kirmesgesellschaft in Ballstädt oder auch auf engagierte Antifaschist:innen. Weder die Angriffe noch die von den Turonen organisierten Rechtsrock-Konzerte, auf denen antisemitische Hetze verbreitet wurde, zahlreiche Straftaten oder auch die Vernetzung der „Turonen“ mit dem extrem rechten österreichischen Netzwerk „Objekt 21“ führten zu einem nachhaltigen Eingreifen der Sicherheitsbehörden. Erst die Vermischung mit dem Bereich der Organisierten Kriminalität ließ ein konsequentes Vorgehen erkennen. Mehrere Führungspersonen sitzen aktuell in Haft, die „Turonen/Garde 20“ sind momentan nicht handlungsfähig.

„Knockout 51“

Die am 6. April 2022 großangelegten Durchsuchungsmaßnahmen, u.a. gegen „Knockout 51“ in Eisenach und dazugehörige Verhaftungen, kennzeichnen das vorläufige Ende einer jahrelang aktiven, hoch militanten Neonazi-Gruppierung, deren Mitglieder mit einer hohen Anzahl von Straftaten seit 2016 aufgetreten waren. Mit zahlreichen Bedrohungen, Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, mehreren Verstößen gegen das Waffengesetz, aber auch Schießübungen war „Knockout 51“ bzw. deren Vorläuferorganisationen (Antikapitalistisches Kollektiv und Nationaler Aufbau Eisenach) eine der gefährlichsten Neonazi-Gruppierungen in Thüringen. Der Name „Knockout“ war Programm. Enge Verbindungen zur NPD, Kameradschaft zu Akteuren der „Hammerskins“ oder „Combat 18“ sowie zu militanten Kampfsportstrukturen wie „Kampf der Nibelungen“, befeuerten nicht nur die hasserfüllte Ideologie, sondern motivierten die Taten. Ziel von „Knockout 51“ war es, in Eisenach eine „National befreite Zone“ zu errichten. Mit entsprechenden Einschüchterungen - von teils flächendeckenden Graffiti über gewaltsame Angriffe - sollten politische Gegner:innen bekämpft werden. Körperliche Verletzung und Misshandlung gehörte ebenso dazu, wie Übernahme von Teilen nationalsozialistischer Ideologie.
Über mehrere Jahre hinweg konnte „Knockout 51“ faktisch machen, was sie wollten. Antifaschist:innen, die immer wieder auf die Gefährlichkeit von „Knockout 51“ und deren Aktivitäten aufmerksam machten, wurden weitgehend ignoriert. Eine antifaschistische Demonstration im Jahr 2019 in Eisenach führte – im Gegensatz zu all den Straftaten der militanten Neonazi-Gruppierung –zu Abwehr und lauter Empörung in Teilen der Eisenacher Bevölkerung und der CDU, der Innenminister rief die Antifaschist:innen, die aufgrund jahrelanger, massiver rechter Gewalt in Eisenach gegen rechts demonstrierten, zur Gewaltfreiheit auf.
Wie Recht die Antifaschist:innen haben sollten, bewies sich Jahre später, als mehrere Führungspersonen von „Knockout 51“ am 6. April 2022 durchsucht und verhaftet wurden.  Das Verfahren gegen „Knockout 51“ hätte bereits Jahre vorher stattfinden können, ihren rechtsmilitanten Aktivitäten hätte Einhalt geboten werden müssen.  Dass bei den Durchsuchungen und Festnahmen im April 2022 Thüringer Behörden größtenteils nicht beteiligt waren, spricht, so der Sachverständige Robert Claus im Untersuchungsausschuss 7/3, „nicht für ein adäquates Agieren thüringischer Behörden gegenüber dieser Gruppe.“

Keine Beruhigung

Mit dem gegen „Knockout 51“ eingeleiteten Verfahren und dazugehörigen Verhaftungen war in Eisenach jedoch nur kurzzeitig eine Beruhigung eingetreten. Das „Flieder Volkshaus“, die Zentrale der NPD, bietet rechtskonservativen bis rechtsmilitanten Strukturen seit Jahren den benötigten Rückzugs-, Organisations- und Erlebnisort. Seien es Vernetzungs- und Kampfsporttreffen der rechten Szene, Rechtsrock-Konzerte, mit denen auch Spenden für inhaftierte militante Neonazis gesammelt werden, oder auch eine Vortragsveranstaltung zur „Krisenvorsorge“, alias Vorbereitungen für den von Neonazis herbeigesehnten „Tag X“ – das „Flieder Volkshaus“ bietet nicht nur für die NPD, sondern ebenso für Akteure verbotener rechter Strukturen einen Raum.
Hinzu kommt eine neue rechte Gruppierung in Eisenach, die seit einigen Monaten in ähnlichem Stil wie „Knockout 51“ agiert: Bedrohungen bis hin zu Morddrohungen gegen Antifaschist:innen, Übergriffe und Körperverletzungen gegen vermeintlich politische Gegner und – ebenso wie „Knockout 51“ durchgeführte „Kiez-Gänge“ führen erneut zu einer hohen Bedrohungssituation für engagierte Menschen.
Ähnliche Gruppierungen bestehen auch in anderen Thüringer Städten: sei es eine seit Herbst 2022 unter dem Namen „Kommando 075“ in Erscheinung tretende Gruppierung aus Gera, denen zuzurechnende Mitglieder mit Hakenkreuzen und SS-Symbolik in Gera posieren oder auch eine neue Kampfsportstruktur der rechten Szene im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, die aktuell Gelder sammelt, um einen Trainingsraum ausstatten zu können: Neonazis, völkische und rechte Strukturen breiten sich in Thüringen aus, rassistische sowie antisemitische Positionen und Verschwörungserzählungen haben im Laufe der Corona-Pandemie und durch den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine massive Steigerung erfahren. Neonazis werben dafür, in ostdeutsche Bundesländer zu ziehen, da in Mitteldeutschland „die Verteidigung der Heimat (…) auf Hochtouren“ laufen würde, so die neonazistische Initiative „Zusammenrücken“ im März 2023. Nicht nur in Nordthüringen haben sich völkische Strukturen angesiedelt, auch in der Nähe von Sonneberg sind Ansiedlungen zu beobachten. Immobilien wie das Rittergut in Guthmannshausen und das Hufhaus in Ilfeld tragen mit entsprechenden Veranstaltungen zur Etablierung völkisch-antisemitischer Strukturen bei. Dass in Guthmannshausen seit 2011 ungestört Treffen von Holocaust-Leugnern, Geschichtsrevisionisten und Nationalsozialisten stattfinden können, ist der CDU zu verdanken. Das Thüringer Liegenschaftsmanagement unter Verantwortung des CDU-geführten Finanzministeriums verkaufte die ehemals in Landesbesitz befindliche Immobilie und behauptete im Nachgang, keine Erkenntnisse über den Hintergrund der Käuferin gehabt zu haben.

Die Folgen

All das bleibt nicht ohne Folgen. Die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt „ezra“ verzeichnete für das Jahr 2022 einen Höchststand an Gewalttaten mit 374 betroffenen Menschen, darunter 103 Kinder und Jugendliche. Neben den drei – exemplarisch herausgehobenen Neonazi-Gruppierungen – haben sich im Kontext der Corona-Pandemie neue rechte Strukturen, wie bspw. „Freies Thüringen“ herausgebildet. Ihre antisemitischen, verschwörungsideologischen Positionen sind nicht neu, sondern docken an bestehende Einstellungen nicht nur in rechten Strukturen an. Hilfreich und mutmachend ist eine engagierte, antifaschistische Zivilgesellschaft. Sie ist der Schlüssel, um nicht nur die extreme Rechte, sondern antisemitische und rassistische Positionen, die quer durch die Gesellschaft verbreitet sind, zurückzudrängen.
Diese zu stärken und zu stützen, anstelle Repression auszusetzen, sollte Maßstab und Ziel einer rot-rot-grünen Landesregierung sein.

Katharina König-Preuss

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