Modernes Wahlrecht Nr. 5 - Petition zur Steigerung der Wahlbeteiligung

Parlamentsreport

In den Jahren 2020 und 2021 lag die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen in Thüringen bei nur 48,03 Prozent. Dies ist Grund genug, um sich auch mit wahlorganisatorischen Fragen zu beschäftigen. In unserer Reihe zum Thüringer Kommunalwahlgesetz gehen wir auf verschiedene Vorschläge zur Erhöhung der Wahlbeteiligung ein und beleuchten auch einige Pro- und Contra-Argumente. Grundlage bildet dafür eine Petition des Vereins „Mehr Demokratie e.V. Thüringen“. Darin schlägt er vor, eine Experimentierklausel und sieben Instrumente in das Kommunalwahlrecht einzubauen, um Kommunalwahlen attraktiver zu gestalten und damit die Wahlbeteiligung zu erhöhen. In dieser Ausgabe geht es um die obligatorische Zustellung von Briefwahlunterlagen.

Vorschlag Nr. 5: Obligatorische Zustellung von Briefwahlunterlagen

Bei Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen in Deutschland gibt es die Möglichkeit, seine Stimme auch per Brief abzugeben, wenn man am Wahltag verhindert ist, persönlich zur Stimmabgabe in das Wahllokal zu gehen. Für diese Stimmabgabe per Brief muss man aber zunächst die Briefwahlunterlagen beantragen. Der Verein „Mehr Demokratie e.V.“ schlägt nun vor, dass die Briefwahlunterlagen obligatorisch, das heißt ohne extra Antrag, zusammen mit der Wahlbenachrichtigung verschickt werden. Gleichzeitig stellt der Verein klar, dass damit die herkömmliche Urnenwahl im Wahlraum weiterhin bestehen bleibt. Man ist somit nicht gezwungen, seine Stimme per Briefwahl abzugeben, man kann auch weiterhin wie gewohnt zur Stimmabgabe ins Wahllokal gehen.

PRO:
Im Zuge der Coronapandemie wurde öffentlich diskutiert, wie man mit den anstehenden Wahlen im Hinblick auf Fragen des Infektionsschutzes umgehen kann. Zur Minimierung des Infektionsrisikos wurde vorgeschlagen, die Wahlunterlagen allen Bürgerinnen und Bürgern per Post zuzustellen. Die Stadt Konstanz am Bodensee ging diesen Weg. Sie kann als positives Beispiel für die Einführung der obligatorischen Zusendung der Briefwahlunterlagen angesehen werden. Hier lag die Wahlbeteiligung im Jahr 2012 bei 42 Prozent. Im Jahr 2020 wurden die Briefwahlunterlagen an alle Wahlberechtigten verschickt. Daraufhin ist die Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang auf 55,7 Prozent gestiegen.
Bei den Kommunalwahlen in Bayern im Jahr 2021 haben ebenfalls alle Wahlbeteiligten bei Stichwahlen von Bürgermeister:innenwahlen in kreisfreien Städten die Briefwahlunterlagen automatisch zugestellt bekommen. Die Wahlbeteiligung hat in Bayern durchschnittlich bei 56 Prozent gelegen, während sie in Nordrhein-Westfalen ohne dieses Instrument lediglich bei 39 Prozent lag. Auch in der Schweiz werden seit vielen Jahren die Briefwahlunterlagen obligatorisch zugestellt, ohne dass sich dabei Probleme zeigen.


CONTRA:
Die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit, Geheimhaltung und Öffentlichkeit der Wahl können der Zusendung von Briefwahlunterlagen entgegenstehen. Andererseits eröffnet die Briefwahl auch den Wahlberechtigten, die sonst aus gesundheitlichen oder anderen wichtigen Gründen ihre Stimme nicht im Wahllokal abgeben können, die Teilnahme an der Wahl. Die Zulassung der Briefwahl auf Antrag dient daher dem Ziel, eine umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung zu tragen.
Aufgrund der Antragsbindung der Briefwahl bleibt der Charakter der Urnenwahl als Leitbild aber erhalten. Zudem kann unter den Bedingungen einer pandemischen Notlage aufgrund der staatlichen Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit auch auf die Antragspflicht verzichtet werden. Die Einführung der obligatorischen Zusendung von Briefwahlunterlagen außerhalb von Pandemiezeiten ist im Spannungsverhältnis zum Grundsatz der Wahlfreiheit und des Wahlgeheimnisses verfassungsrechtlich jedoch problematisch.

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