Gegen jede Normalisierung - Aufklärung über extrem rechte Land- und Einflussnahme

Vom 9. bis 16. August 2023 fand die, von der Fraktion DIE LINKE organisierte Veranstaltungstour „Gegen jede Normalisierung“ in Thüringen statt. Ziel war es, über Hintergründe rechter, antisemitischer und rassistischer Netzwerke, deren Instrumente und Strukturen aufzuklären und mit Menschen ins Gespräch zu kommen.

Rechte Mobilisierung

In der Galerie „Mieze Südlich“ in Gera führte zum Auftakt Theresa Lehmann, Expertin der Amadeu Antonio Stiftung in das Schwerpunktthema „Extrem rechte Mobilisierung auf TikTok durch Neonazis, AfD und andere Hatefluencer:innen“ ein. Sie erklärte dem Publikum zunächst grundlegende Funktionsweisen der Plattform TikTok, die in Deutschland bereits drei Millionen Nutzende verzeichnet bevor sie anschließend die inzwischen verbreitete Nutzung des Dienstes im rechten Spektrum ausführlich darstellte. Ob zur Mobilisierung für Demos, zur Multiplikation antisemitischer Ideologie oder dem Verkauf von NS-Mode und Rechtsrock, die App wird hier bereits rege genutzt, u. a. zur schnellen Verbreitung rechter Inhalte. Vorgestellt wurden neben Besonderheiten der Plattform (wie bspw. TikTok Coins), typische Verschwörungsmythen auch zahlreiche Fallbeispiele aus der Thüringer Neonazi-Szene und der AfD, die die App bespielen, auch aus Gera. Gemeinsam mit Lehmann wurden Gegenstrategien für den digitalen Raum beraten.

Die Tour wurde insgesamt moderiert von Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag und führte weiter nach Sonneberg, wo die LINKE Geschäftsstelle bereits mit Besucher:innen gut gefüllt war. Dort wurde Andrea Röpke empfangen, die seit 30 Jahren zur extremen Rechten recherchiert. Ihre Recherchen flossen längst auch ins Handeln von Sicherheitsbehörden ein, darunter das Verbot der „Heimattreuen deutschen Jugend“ (HDJ). Andrea Röpke erklärte verständlich Motivationen und Hintergründe der völkisch-nationalistischen Ideologie, die als Bindeglied alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos, organisierte Neonazis und die AfD unter AfD Parteivorsitzenden Björn Höcke miteinander vereint. Am Beispiel von Höckes Reden und Buchtexten machte sie die Gefahren in diesem Denken deutlich, dass laut Höcke nicht ohne „wohltemperierte Grausamkeiten“ vonstattengehen werde.  Sie erklärte anschaulich, wie extreme Rechte versuchen in das Gemeindeleben einzusickern, belegte Verbindungen zwischen AfD und Neonazi-Szene und machte auf die Immobilienkäufe als Teil extrem rechter Siedlungskonzepte aufmerksam, die insbesondere in Sonneberger Ortsteil Haselbach von der Theorie in die Praxis umgesetzt wurden.

Verschwörungsideologische Mischszene

Die Wahl eines AfD-Landrates in Sonneberg lag am Veranstaltungstermin erst wenige Tage zurück, umso reger war die Beteiligung der Gäste im Publikum. In Eisenberg fand der nächste Vortrag zum Themenverschwerpunkt verschwörungsideologischen Mischszene und Facetten extrem rechter Graswurzelarbeit statt. In der Stadtbibliothek, wenige Meter neben dem relativ neu eröffneten Tattoo-Geschäft des ehemaligen NPD-Landesorganisationsleiters und früheren Anführers von „Thügida“, reflektierte Andrea Röpke die Entstehung teils neuer radikalisierter Strukturen seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Diese hätten sich insbesondere über Telegram vernetzt, darunter auch Gruppierungen aus dem Saale-Holzland-Kreis, beispielsweise die Organisatoren des „Hermdsdorfer Montagspaziergang“ die auch gemeinsam mit den extrem rechten „Freien Sachsen“ und „Freies Thüringen“ sowie der Neonazi-Szene agierten. Röpke informierte über aktuelle sozialwissenschaftliche Erkenntnisse aus der Corona - Protestforschung, die in weiten Teilen auch auf die jüngsten Proteste unter angepasstem Label (Energiepreiskrise, Russlands Krieg in der Ukraine) Anwendung finden. Mehrere Gäste waren besorgt über das neuansässige Tattoo-Studio. Katharina König-Preuss warnte davor, dass, wenn Sicherheitsbehörden solche Einrichtungen als „ausschließlich zu beruflichen Erwerbszwecken“ vermerkten, diese jedoch mitunter extrem rechte Zwecke verfolgen würden. Dies sei eine fatale Fehleinschätzung, da sie grade in kleineren Städten und im ländlichen Raum für Jugendliche und junge Erwachsene ein Einstieg in die Ideologie sein können, in der Anpolitisierung und Festigung stattfinde. In Zeulenroda-Triebes fänden inzwischen gar regelmäßig größere Szene-Treffen in vergleichbaren Geschäften statt.

Reichsbürgerstrukturen

Nachdem in diesem Sommer 170 Reichsbürger ins Eichsfeld kamen, wurde dies zum Anlass genommen, einen weiteren Halt der Tour in Heiligenstadt vorzunehmen. Röpke informierte in der Geschäftsstelle der Partei DIE LINKE vor 30 Zuschauer:innen über die Gefahren der Reichsbürger-Ideologie, die bis zum Mord an einem Polizisten in Georgensmünd 2016 weitgehend kleingeredet wurden. Sie stellte die Konzepte und das Wirken der russischen „Anastasia“-Bewegung und ihrer Idee der Gründung von Familienlandsitzen vor, die auch in Thüringen bereits eingesickert ist. Ebenso besprach sie die rechte Esoterik der Schetinin-Pädagogik, illegale Schulen und rechte Kindererziehung, sowie die „Artgemeinschaft“ - ein eingetragener antisemitischer Verein, der sich im Norden Thüringens, weitgehend unbehelligt, regelmäßig trifft.


Während der Tour ist deutlich geworden, welche erhebliche Gefahr von der extremen Rechten für die demokratische Kultur aber auch die öffentliche Sicherheit in Thüringen ausgeht und dass noch viel Handlungsspielraum bei der Strategie der Nadelstiche auch auf Behördenebene ist. Die Resonanz auf die Veranstaltungen war enorm hoch, was sich bei allen insbesondere durch die Fragen im Anschluss und die Gespräche zeigte. „Festzuhalten bleibt, dass es in jeder noch so kleinen Stadt in Thüringen Menschen gibt, die sich engagieren, dem Rechtsruck in unterschiedlicher Form etwas entgegensetzen und für die die Veranstaltungen teils auch eine Art Vernetzung mit anderen Engagierten war“, so die Abgeordnete König-Preuss. Ebenso gab es viel Dankbarkeit für die Möglichkeit, sich miteinander auszutauschen.

 

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