Europas führende Organisationen

Zu den vielfältigen Aufgaben des Ausschusses für Europa, Kultur und Medien im Thüringer Landtag gehört unter anderem die Prüfung von Vorschlägen des Europäischen Parlaments und Rates auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips (die juristische Vereinbarkeit mit der nationalen Gesetzgebung). Aber auch die allgemeine Überprüfung der Aktivitäten Europäischer Institutionen und Initiativen und deren direkter oder indirekter Einflüsse auf den Freistaat Thüringen. Jährlich erfolgt deshalb eine Ausschussreise zum Sitz wichtiger europäischer Institutionen, um sich vor Ort mit Akteuren und Gruppen auszutauschen und Eindrücke von den aktuellen Prozessen und Themen zu bekommen. Aus diesem Grund fuhren die Vertreter des Ausschusses vom 6. – 7. November nach Straßburg.
Von der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag waren neben dem europapolitischen Sprecher Markus Gleichmann, dem medienpolitischen Sprecher André Blechschmidt und der Ausschussabgeordneten Cordula Eger, zusätzlich der wirtschaftspolitische Sprecher Andreas Schubert. „Viele wirtschaftspolitische Entscheidungen EU-Ebene haben eine direkte Auswirkungen auf Thüringen, deshalb freue ich mich dabei zu sein“, erklärte Schubert bei der Reise.

Der Europarat in Straßburg

Die erste Institution, die wir im Zuge des Besuchs näher kennen lernen durften, war der Europarat, der seit seiner Gründung 1949 als Europas führende Organisation für Menschenrechte agiert. Der Europarat hat aktuell – nach dem Ausstritt der Russischen Föderation am 16. März 2022 - 46 Mitgliedsstaaten, darunter die 27 Mitglieder der EU und setzt sich damit für die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit von 700 Millionen Menschen ein. Dafür entwickelt er Normen und Konventionen, deren Einhaltung er mit verschiedenen Organen überwacht. Die Mitgliedsländer stimmen dem Abkommen freiwillig (Ratifizierung) und mit der Absicht der Verbesserung ihrer Länder zu. Die wichtigsten Erfolge sind im Schaukasten aufgelistet.
Den Ausschussmitgliedern wurde bei ihrem Besuch berichtet, dass alle Mitgliedsländer üblicherweise in einem Fünfjahresturnus von Vertreter:innen des Rates besucht und auf deren Rechtsstaatlichkeit geprüft werden. Bei Bedarf werde das Monitoring allerdings engmaschiger und die Kontrollbesuche häufiger. „Es ist sehr wichtig, dass der Rat auch innerhalb seiner Mitglieder wachsam bei der Verteidigung der Menschenrechte bleibt“, so Gleichmann. Auch bei Wahlen kann der Europarat, allerdings nur auf Einladung, überwachend tätig werden oder sich für deren Durchführung einsetzen – aktuell z.B. in der Ukraine, wo die Wahlen kriegsbedingt bisher verschoben wurden. Hannsgeorg Beine, Beigeordneter und ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Europarat, berichtete den Ausschussmitgliedern sehr nah und direkt von seiner Arbeit und seinen Erfahrungen, die auch emotional immer wieder fordernd sei. So auch, wenn man sich mit Schicksalen von Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen auseinandersetze, oder mit Ländern, die sich gegen die Einhaltung bestimmter Konventionen wehrten. Beine warnte mit klaren Worten davor, dass das Erstarken konservativer Kräfte zu einer klaren Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit in Europa führe und dass das infolgedessen Ignorieren von Urteilen des Europarates eine gefährliche Dynamik darstelle, die sich negativ auf die Lebensqualität der europäischen Länder und des Miteinanders auswirken wird. Beispiele wie die Verschlechterung der Situation der Frauen in Polen oder Pressefreiheit einiger Länder führten nochmal klar vor Augen, wie wichtig die Verteidigung demokratisch-freiheitlicher Grundrechte gegen konservative Kräfte auch in den Regionen wie Thüringen, am Ende eine wichtige Auswirkung für viele Menschen hat.
Wie die Regionen direkt im Europarat wirken, erklärten Vertreter des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarates (KGRE). Er dient als institutionelle Vertretung der über 200.000 regionalen und lokalen Gebietskörperschaften der 46 Mitgliedsstaaten. Er vertritt die Interessen der Regionen vor Ort und erarbeitet Berichte, Empfehlungen und Entschließungen zu Fragen der Kommunal- und Regionalpolitik für das Ministerkomitee, dem wichtigsten Entscheidungsorgan des Europarates. Der KGRE ist eines der europäischen Gremien, bei denen Markus Gleichmann für Thüringen als direkter Vertreter zur Interessenvertretung entsendet wird. Es war spannend, direkt zu erfahren, wie der KGRE arbeitet und wie auch Thüringen seine Interessen vertreten kann.

Euopäischer Gerichtshof

Als Kontrollorgan für die Einhaltung der vom Europarat vereinbarten Chartas ist der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) tätig, in den der Ausschuss dank Axel Müller-Elschner tiefere Einblicke gewinnen konnte. Jeder Mensch in einem Europarat-Mitgliedsstaat – egal welcher Nationalität – kann sich nach Ausschöpfung der nationalen Rechtsmittel an den Gerichtshof wenden, wenn er der Meinung ist, seine Menschenrechte seien vom Staat verletzt worden. Oft gehe es z.B. um menschenunwürdige Haftbedingungen, überlange Verfahrensdauer oder unrechtmäßige Verhaftung. Als Urteile werden Entschädigungszahlungen oder die Umsetzung bestimmter Forderungen (bspw. Haftentlassung) verhängt. Eine Arbeit, bei der man sich mit viel menschlichem Unrecht auseinandersetzen, aber eben auch für dessen Verbesserung kämpfen könne, so Müller-Elschner.  

Fehlende Sanktionen
Gleichzeitig zeigte er aber erneut die Problematik auf, die sich schon in den anderen Gremien gezeigt hatte: die fehlenden Sanktionsmöglichkeiten. Denn weder der Bruch ratifizierten Chartas noch der Urteile des Gerichtshofes hat am Ende konkrete Folgen. Der Europarat sieht sich als diplomatisches Bündnis, in dem die Mitgliedsstaaten am Ende freiwillig entscheiden, ob sie den Verhandlungen und diplomatischen Druck zugunsten ihrer Einwohner folgen oder nicht. Einziges Sanktionsinstrument sei der Ausschluss, wie er nach 26 Jahren Mitgliedschaft der Russischen Föderation gedroht hatte, und dem sie selbst durch einen Austritt zuvorgekommen war. Lange hatte man dies mit Verhandlungen verhindern wollen, da damit auch die Bindung an die Europäische Menschenrechtskonvention aufgekündigt sind, womit das Land – und vor allem seine Menschen – keinen Zugang mehr zur Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte haben. Ein bitteres Beispiel dafür, das eine europafeindliche Politik am Ende vor allem den Menschen der Länder schadet, die sie betreiben.
Ein Bericht von Referentin der Fraktion DIE LINKE, Pauline Lörzer.

Mehr zum Arbeitsbesuch des Ausschusses für Europa Kultur und Medien in Straßburg gibt es im kommenden Parlamentsreport.

 

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