Die Thüringer Verfassung - zum Jubiläum im besonderen Fokus

Geschichte der Thüringer Verfassung

Am 25. Oktober 2023 feiert die Thüringer Verfassung „Geburtstag“: An diesem Tag vor 30 Jahren wurde sie auf der Wartburg im Rahmen einer Zusammenkunft des Thüringer Landtags beschlossen und unterschrieben, am 30. Oktober 1993 trat sie (vorläufig) in Kraft. In einer Volksabstimmung, die parallel zur Landtagswahl am 16. Oktober 1994 stattfand, haben die Abstimmenden die Verfassung mehrheitlich bestätigt. Während CDU, SPD und FDP auf der Wartburg der Verfassung zustimmten, lehnten die Fraktionen Linke-Liste / PDS und Neues Forum / Grüne / Demokratie jetzt den Verfassungsentwurf ab. Beide Fraktionen hatten in den Landtag eigene Verfassungsentwürfe eingebracht. Die LL /PDS begründete ihre Ablehnung vor allem mit Defiziten bei den Regelungen zur direkten Demokratie und Bürgerbeteiligung sowie bei der Ausgestaltung der sozialen (Grund-)Rechte.
Für eine deutliche Verbesserung der direkten Demokratie in der Thüringer Verfassung sorgte das „Bündnis für Mehr Demokratie in Thüringen“ mit mehr als 20 Mitgliedsorganisationen (darunter auch die PDS) mit einem Volksbegehren, das rund 323.000 gültige Unterschriften erbrachte – die erfolgreichste freie Sammlung von Unterschriften in der Geschichte der Bundesrepublik. Der gesellschaftspolitische „Schub“ dieses erfolgreichen Volksbegehrens brachte schließlich auch die CDU-Fraktion dazu, im November 2003 den entsprechenden Änderungen der Verfassung zuzustimmen. Nach dieser erfolgreichen Reform blieb aber als wichtiger Baustein noch die Abschaffung des sogenannten Finanzvorbehalts. Das heißt in Zukunft sollen die Menschen in Thüringen auch über Gesetze mitbestimmen können, die Geld kosten. Denn es sind auch deren Steuergelder, die das Land für die Umsetzung der Gesetze ausgibt. Deshalb überrascht nicht, dass die Weiterentwicklung der direkten Demokratie eine der wichtigen Teilthemen im Verfassungsausschuss ist, den der Thüringer Landtag in dieser laufenden 7. Wahlperiode eingerichtet hat.
Die Regierungsfraktionen haben nun  nicht nur die Abschaffung des Finanzvorbehalts in ihrem Gesetzentwurf eingereicht, sondern auch die Senkung des Wahlalters auf Landesebene auf 16 Jahre (in Bundesländern wie Brandenburg oder Baden-Württemberg schon umgesetzt) und die Einführung eines Einwohnerantrags ab 14 Jahren und unabhängig von der Staatsbürgerschaft auch auf Landesebene (auf kommunaler Ebene ist dies bereits umgesetzt). Im Verfassungsausschuss hat die CDU auch das in Deutschland neue Instrument des „fakultativen Referendums“ zur Debatte gestellt, welches aus der Schweiz stammt und beinhaltet, dass Bürger und Bürgerinnen zu beschlossenen Gesetzen des Landtags mit einer bestimmten Anzahl von Unterschriften einen Volksentscheid beantragen können. Die Fraktion DIE LINKE ist dem Instrument Referendum grundsätzlich offen gegenüber, besteht aber darauf, dass auch ein solches Instrument der Überprüfung unterliegen muss, wie alle anderen direkt-demokratischen Instrumente auch.
Die Verfassung muss sich weiterentwickeln, so wie unsere gesellschaftlichen Anforderungen wachsen. Dafür setzt sich die Fraktion DIE LINKE unter anderem im Verfassungsausschuss des Thüringer Landtages ein.

Die Thüringer Verfassung bildet - genauso wie das Grundgesetz - die gesellschaftspolitische und rechtliche Grundlage des Zusammenlebens in Thüringen, aus der sich die anderen rechtlichen Regelungen des Landes ableiten. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet in seinen Urteilen das Grundgesetz und die Landesverfassungen als „positive Werteordnungen“, deren Inhalte die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure verteidigen müssen und vor allem aktiv in ihrem alltäglichen Handeln umsetzen sollen.
In der Thüringer Verfassung bildet die Garantie der Menschenwürde den Ausgangspunkt der Verfassung. Diese Garantie beinhaltet zum Beispiel die Gleichheit aller Menschen und somit das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in und an der Gesellschaft. Anja Müller, Sprecherin für Verfassung, Demokratie und Petition der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag, erklärt, dass aus dieser Garantie auch die Verpflichtung erwächst, sich aktiv für die Bekämpfung von Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus einzusetzen. „Diese Verhaltensweisen stehen im vollkommenen Gegensatz zur Garantie der Menschenwürde und den Grund- und Menschenrechten der Verfassung. Deshalb fordern wir seit Jahren die Aufnahme einer ‚Antirassismus/Antifaschismus-Klausel‘ in der Verfassung“, so die Abgeordnete Müller.

Einbindung der Akteure

In einer Anhörung des Petitionsausschusses im Landtag erhielt der Vorschlag der Koalitionsfraktionen von außerparlamentarischen Akteuren breite Zustimmung. Die Verfassungsänderungen werden jedoch im Alltag der Menschen noch wirksamer sein, wenn weitere praktische Schritte zur Umsetzung erfolgen. Zum Beispiel durch die Förderung des Ehrenamts sowie ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit durch weitere Landesfördergesetze (einschließlich finanzieller Absicherung) und konkrete Aktionspläne.

Änderung der Verfassung

Bestimmte Diskussionsinhalte und Anregungen der Anzuhörenden im Verfassungsausschuss wurden von den Fraktionen DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und CDU aufgegriffen und in einem gemeinsamen Änderungsantrag der vier Fraktionen zu den Gesetzentwürfen in den Verfassungsausschuss eingebracht.
Dieser Änderungsantrag wurde vom Ausschuss noch nicht beschlossen, der endgültige Beschluss des Landtags steht noch aus. Zahlreiche Anzuhörende, wie der Verein „Mehr Demokratie“, der Landessportbund, der Thüringer Feuerwehrverband oder die Ehrenamtsstiftung, haben sich jedoch bereits mehrfach an die Fraktionen gewandt und den Wunsch nach einem erfolgreichen Beschluss dieser und weiterer Änderungen geäußert.  Anja Müller hofft sehr, dass die notwendige Mehrheit für den Beschluss der Verfassungsänderungen durch die Beteiligung der CDU-Fraktion erreicht wird.

Bestimmte Diskussionsinhalte und Anregungen der Anzuhörenden im Verfassungsausschuss wurden von den Fraktionen DIE LINKE, der SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und der CDU aufgegriffen und in einem gemeinsamen Änderungsantrag der vier Fraktionen zu den Gesetzentwürfen in den Verfassungsausschuss eingebracht. Dieser Änderungsantrag ist vom Ausschuss noch nicht beschlossen, der endgültige Beschluss des Landtags steht noch aus. Aber zahlreiche Anzuhörende, darunter die Vereine „Mehr Demokratie“, „Zukunftsfähiges Thüringen“, der Landessportbund oder der Thüringer Feuerwehrverband, haben sich mit dem Wunsch nach einem erfolgreichen Beschluss dieser und weiterer Änderungen schon wiederholt an die Fraktionen gewandt. Die Fraktion DIE LINKE hofft sehr, dass durch Beteiligung der CDU-Fraktion die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit zum Beschluss der Verfassungsänderungen zustande kommt.

Um welche Themen bzw. Änderungen geht es?

Die Staatsziele zur Förderung des ehrenamtlichen Engagements, zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land in Thüringen und zur Verwirklichung der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit sollen Teil der Verfassung werden. Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimagesetz des Bundes ist der Öffentlichkeit bekannt, welch starke praktische Gestaltungs- und Verpflichtungswirkung solche Staatsziele entfalten. Das Recht auf Inklusion von Menschen mit Behinderungen soll entsprechend der UN-Behindertenrechtskonvention gestärkt werden, die ausdrückliche Verpflichtung zur umfassenden Umsetzung der UN-Menschenrechtspakte in Thüringen – z.B. der UN-Kinderrechtskonvention – soll festgeschrieben werden, ebenso die ausdrückliche Verpflichtung zum Schutz gegen Diskriminierung wegen des Alters und zukünftig soll auch die elektronische Verkündung von Gesetzen möglich sein. Linke fordert: Soziale Funktion und Inhalte der Verfassung weiter stärken. Obwohl über die Verpflichtung der umfassenden Umsetzung der Menschenrechtsabkommen die UN-Kinderrechtskonvention miterfasst ist, möchte die Fraktion DIE LINKE die Kinderrechte in der Verfassung noch weiter und im Detail stärken. Die derzeitige gesellschaftliche Entwicklung zeigt, dass dies sinnvoll und notwendig ist. Und in den Anhörungen haben Anzuhörende wie der Deutsche Kinderschutzbund und das Kinderhilfswerk diese Vorschläge deutlich unterstützt. Dieser LINKE- Vorschlag ist Teil eines Gesetzentwurfs der Koalitionsfraktionen im Ausschuss, hat es jedoch leider nicht in den Vier-Fraktionen-Antrag geschafft. Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen machen deutlich, dass noch weitere Regelungen zur Stärkung der sozialen Funktion Teil der Weiterentwicklung werden müssen. Zum Beispiel die Stärkung des Rechts auf bezahlbares menschenwürdiges Wohnen (z. B. kontinuierlicher öffentlicher sozialer Wohnungsbau als konkrete Verpflichtung), das Recht auf gleiche menschenwürdige Teilhabe für alle an den Leistungen der Daseinsvorsorge (Energie, Lebensmittelversorgung, Gesundheitsvorsorge, Pflegeleistungen, Mobilität usw.), Ausbau der sozialen Rechte im Bereich der Bildung (z. B. weitegehende – auch digitalen – Lernmittelfreiheit). Eine weitere Forderung der Fraktion DIE LINKE ist die generelle Öffentlichkeit der Sitzungen von Landtagsausschüssen.

Wie es weitergehen soll

Die Linksfraktion wird alles dafür tun, dass zumindest die im „Vier-Fraktionen-Änderungsantrag“ eingebrachten Inhalte noch in dieser Wahlperiode in Kraft treten. Sehr zu wünschen wäre auch, dass das zweite Reformpaket für die direkte Demokratie auf Landebene eine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommt – so wie auch die o.g. „Antifa-Antira-Klausel“ zumal eine ähnliche Vorschrift wie für Thüringen vorgeschlagen im Nachbarland Sachsen-Anhalt schon in Kraft ist – und dort auch die Zustimmung der CDU für die notwendige Zweidrittel-Mehrheit gefunden hatte. Die Fraktion DIE LINKE hat sich schon jetzt fest vorgenommen, dass die Vorschläge für Verfassungsänderungen, die in der laufenden Wahlperiode nicht umgesetzt werden, in der kommenden Wahlperiode wieder in den Landtag eingebracht werden sollen.

 

Veranstaltungshinweis:
„Wie wir gemeinsam leben wollen - Schutz von Demokratie und Verfassung durch die Gesellschaft“
Dienstag, 24. Oktober, ab 16 Uhr
Mit Impulsbeiträgen von Gabi Zimmer, frühere PDS-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag und Fraktionsvorsitzende der Europäischen LINKE; Dr. Axel Salheiser, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena und Vertreter: innen der Initiative „Omas gegen Rechts“.

 

Zur gesamten Ausgabe