Der Ausverkauf der Kali-Industrie

Parlamentsreport

Das Kaliwerk Bischofferode in Thüringen förderte und verarbeitete seit 1909 Kalisalze. Am Weihnachtstag des 24. Dezember 1992 wurde den Arbeiter:innenn die Schließung mitgeteilt. Daraufhin traten die Kumpel des Kalibergwerks in einen Hungerstreik, um die Schließung zu verhindern, was das Werk bundesweit bekannt machte. Während die Kumpel hungerten, war das Ende der DDR-Kaliindustrie jedoch bereits auf höchster politischer Ebene besiegelt. Die sogenannte „kalte Fusion“ wirft noch immer einen langen Schatten. Im Rahmen des von Thüringen ausgerichteten Tages der Deutschen Einheit lud die Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag Zeitzeugen ein, um die Vorgänge zu beleuchten, die noch heute u. a. den Untersuchungsausschuss 7/2 im Thüringer Landtag beschäftigen.
Bei der gut besuchten Veranstaltung „Die Rolle der Treuhand beim Ausverkauf der ostdeutschen Stahlindustrie“ begrüßte Dr. Marit Wagler, Sprecherin für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und technischen Umweltschutz, das Publikum und stellte die anwesenden Gäste vor. Der Einladung gefolgt sind Gerhard Jüttemann, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Thomas-Müntzer-Kalivereins Bischofferode, der vielen als „Gesicht des Hungerstreiks von Bischofferode“ bekannt war, Hermann Vinke, Journalist und Autor von »Ein Volk steht auf und geht zum Arbeitsamt« (VSA-Verlag, 2021), Johannes Peine, Unternehmer der das Bergwerk Bischofferode übernehmen wollte, Tilo Kummer, MdL a.D., Umwelt- und Landwirtschaftspolitiker der DIE LINKE und heutiger Bürgermeister von Hildburghausen sowie Dietmar Grosser, ehemaliger Wirtschaftsredakteur der Thüringer Allgemeine, der als Moderator durch den Abend führte.


In der Vorstellung seines Buches erklärte Hermann Vinke, dass in der inhaltlichen Aufarbeitung der Thematik seines Erachtens die wichtigste Perspektive zu kurz kam: die der betroffenen Menschen. Es überrasche daher nicht, dass ihr Aufbegehren, ihr Protest und ihr Widerstand gegen die Schließung von Tausenden von Unternehmen kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist. „Ein historisch einmaliger Vorgang, die Abwicklung einer kompletten Volkswirtschaft, geriet zu einem nationalen Desaster, das umso unversöhnlicher zwischen Deutschland-Ost und Deutschland-West steht, je länger dieser Vorgang zurückliegt“, zitierte er die einleitenden Worte seines Buches. Die Treuhand-Anstalt, von der Volkskammer der DDR als Hüterin der Interessen der Bevölkerung gedacht, agierte gegen die Menschen, so Vinke. Von Beginn an habe sie sich als eine Fehlkonstruktion erwiesen.
Die Kumpel im Thüringischen Bischofferode hätten versucht das Unternehmen damals in ein marktwirtschaftliches System zu bringen, was bereits hieß, die Belegschaft herunterzufahren. Dies sei ein sehr schmerzhafter Prozess gewesen, den sie als Betriebsrat mitmachen mussten, berichtete Gerhard Jüttemann. „Wir haben damals mit dem Kolleginnen und Kollegen geredet und erklärt, dass wir uns einschränken müssen, damit wir für den Markt stabil sind. Fakt ist, Bischofferode hatte eigentlich die besten Voraussetzungen, um in dieser Marktwirtschaft anzukommen.“ Trotz der Bemühungen wurde sich gegen die Industrie entschieden. Dieses brutale „Nein“ habe die Belegschaft in den Hungerstreik getrieben, ergänzt Vinke.
Dr. Marit Wagler faste den Kern der Veranstaltung abschließend treffend zusammen:  „Das, was war bestimmt das, was ist und das, was sein wird. Was bleibt ist abbaubares Kalisalz - feinste Qualität für Jahrzehnte. Hunderte, ja Tausende hoch qualifizierter Fachkräfte und Kalikumpeln eigentlich in ganz Ostdeutschland sind aus der Industrie hervorgegangen, die platt gemacht wurde, damit der Osten keine Konkurrenz mehr darstellt. Es bleiben Umwelt-Altlasten in Thüringen in Millionenhöhe, versalzene Trinkwasserbrunnen und immer noch ein Abwasserentsorgungsproblem. Wie es sich weiterentwickelt, das kann man heute noch nicht genau sagen. Aber ich glaube, klar ist aus dieser Veranstaltung geworden, dass eine gute Aufarbeitung unter anderem im Treuhand-Untersuchungsausschuss stattfinden muss, die aufzeigt, dass die Treuhand immer noch ihre Schatten wirft. Unser Ziel in Thüringen muss ein nachhaltiger Kalisalz-Abbau sein, der keine Schäden an der Umwelt und an Bergbau-Ressourcen von Millionenhöhe reißt. Ebenso muss es einen Bergbau geben, der seinen Beschäftigten wieder faire Arbeitsbedingungen liefert.
Wir danken allen Beteiligten und Gästen für die gelungene Veranstaltung.

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