Wann, wenn nicht jetzt: Energiekrisenbewältigung sozial gerecht, nachhaltig und friedensfördernd!

PresseSteffen Dittes

Wann, wenn nicht jetzt: Energiekrisenbewältigung sozial gerecht, nachhaltig und friedensfördernd!

Wortmeldung der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der Partei DIE LINKE: Martin Schirdewan, Fraktionsvorsitzender The Left, Martina Michels, Delegationsleiterin The Left, Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, Co-Vorsitzende der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Eva von Angern, Vorsitzende der Fraktionsvorsitzendenkonferenz:

In jedem Haushalt, auf dem Arbeitsweg, auf Wochen- und Weltmärkten sind die Folgen der Energiepreiskrise angekommen. Die Existenzsorgen derer, die schon seit Jahren jeden Cent umdrehen, als auch der Menschen, die gut verdienen, gehen nicht nur auf die Druckwellen zurück, die der russische Angriffskrieg in der Ukraine auf den Energie- und Lebensmittelmärkten weltweit auslöste. Viele KMU sind nach der Pandemie erneut mit gestörten Lieferketten und astronomischen Energiepreisen konfrontiert. Das Politikversagen der EU gegen den Klimawandel, gegen Energiearmut und Mietenexplosion begann lange vor dem 24. Februar 2022, verschärft durch die anhaltende neoliberale Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge in den Mitgliedstaaten. Dies führt zu einem Vertrauensverlust in die demokratischen Institutionen. Die Orientierung der Energiepreise an den teuersten statt an den nachhaltigsten Produzenten ist allein schon eine politische Fehlkonstruktion, die einen Teil der Energieunternehmen selbst in der jetzigen Krise reicher macht. Die EU-Kommission legte sich mit ihrem Green New Deal zu keinem Zeitpunkt wirklich ernsthaft mit Unternehmen und Politiken in den Mitgliedstaaten an, die den Klimawandel beschleunigen.

Angesichts der weltweiten Energiekrise und des voranschreitenden Klimawandels fordern wir jetzt einen auskömmlichen Europäischen Klimaenergiefonds, um eine angemessene und nachhaltige Krisenbewältigung und eine Dekarbonisierung der Wirtschaft auf Basis eines massiven Ausbaus der erneuerbaren Energie zu finanzieren.

Derzeit verschärft die Bundesregierung mit dem Festhalten am „Markt“ die sozialen Folgen der Energiepreiskrise und verspielt weiter das Vertrauen in die Politik, Ein Energiepreisdeckel für Verbraucher*innen und Unternehmen entfaltet nur nachhaltige Wirkung, wenn er sofort überschaubar umgesetzt und mit einer Vergesellschaftung der Energienetze und der Energieversorgung dauerhaft verknüpft wird.

Während Spanien und Portugal auch ohne EU-Vorgaben Übergewinnsteuern und Mietendeckel einführten oder staatliche Energieunternehmen in Frankreich Preisdeckel einhalten müssen, legt die Bundesregierung Entlastungspakete vor, die Kommunen und Länder zur Hälfte bezahlen werden, schweigt über Finanzhilfen für Unternehmen aus Brüssel und wartet auf europäische Maßnahmen, statt voranzugehen und einen Gaspreisdeckel aus Übergewinnen zu finanzieren. Bundesländer, in denen DIE LINKE (mit)regiert, haben auf die bisherigen wirkungsarmen Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung und der EU reagiert. Von Wirtschaftshilfen bis zu preiswerten Nahverkehrstickets, bis zu Fonds für Menschen, die von Stromsperren betroffen sein könnten, werden zumindest regionale Krisenausgleiche gestemmt. Die EU-Kommission hat weder den erhofften Gaspreisdeckel vorgeschlagen, noch sind eine befristete EU-weite Umsatzobergrenze von 180 Euro für die Megawattstunde und ein zeitweiliger „Solidaritätsbeitrag“ nachhaltige Instrumente zu einer wirksamen Entlastung der Menschen in der EU 27. Diese Vorschläge schöpfen keine Krisengewinne multinationaler Unternehmen ab und reichen nicht aus, damit regionale, kommunale und dezentrale Energieversorger ihrer Verantwortung für eine stabile Energieversorgung zu fairen Preisen nachkommen können.  Die „tiefgreifende und umfassende Reform des Energie- und Strommarktes“ blieb aus und ließ das Merit-Order-System unangetastet, das die Strompreise bei den extremen Gaspreisen unnötig nach oben treibt und gleichzeitig Kraftwerksbetreibern riesige Extraprofite ermöglicht.

Die einzige nachhaltige Antwort auf die Energiekrise ist die Vergesellschaftung der Netze und der Energieversorgung. Eine funktionierende öffentliche Daseinsvorsorge ist das Rückgrat der Demokratie und braucht die Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger.

Die EU-Energieministerkonferenz am heutigen 30. September 2022 hätte Sofortmaßnahmen wie einen EU-weiten Strom- und Gaspreisdeckel auf Vorkrisenniveau und eine wirksame Übergewinnsteuer anpacken müssen. Wer mit einem sozialen Ausgleich, kostengünstigen Strom- und Gaskontingenten, der Verhinderung von Spekulation und Preisdeckeln bei Strom, Gas und Fernwärme Energiepreisschocks verhindert, sichert den sozialen und gesellschaftlichen Frieden. Zusammen mit Investitionen in eine erneuerbare Energiewirtschaft leistet man damit auch einen friedenspolitischen Beitrag und stärkt durch eine wachsende Unabhängigkeit von fossiler Energie die Verhandlungsposition der EU und ihrer Mitgliedsstaaten gegenüber Putin, um ein Ende seines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges durchzusetzen.

Nur eine gemeinschaftliche EU-Energie- und Umweltunion ist in der Lage weiteren Herausforderung konstruktiv zu begegnen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre brauchen wir wirksame Lösungen zur Abwendung katastrophaler Folgen des auftauenden Permafrostbodens und des Abschmelzens der Arktis.   

 

Weiterführende politische Projekte mit europapolitischer Dimension

Die Energiepreiskrise wie die Corona-Pandemie offenbarten einmal mehr, dass linke Politik für den sozial-ökologischen Umbau, gegen Energiearmut, für bezahlbare Mieten, regionale Wirtschaftshilfen, für einen steigenden Vergabe-Mindestlohn, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen mit Tarif-Löhnen und sozialer Sicherung, umfassende Gesundheitspolitik, bessere Bildungschancen, eine humane Migrationspolitik, Kulturaustausch und demokratische Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft sowie unsere friedenspolitische Wirksamkeit ohne europapolitische Dimension nicht nachhaltig entwickelt werden kann.

In der EU-Zukunftskonferenz haben Bürgerinnen und Bürger Maßnahmen für eine demokratische, soziale und friedliche EU vorgelegt, die LINKE in einem Konvent qualifizieren müssen, damit europäische Politik demokratischer, transparenter und inklusiver wird und der Europäische Rat seine Machtstellung nicht weiter ausbauen kann.   

Demokratie- und europafeindliche Nationalist*innen haben ihre Kulturkämpfe oft im Europaparlament begonnen, ehe sie sich Straßen und Kommunen eroberten. Sie stellen grenzüberschreitende Solidarität und gemeinschaftliche Lösungsansätze, evidenzbasierte Wissenschaft, errungene Standards und vereinbarte Werte offen in Frage. Eine Instrumentalisierung von Ressentiments stützt den Klassenkampf von oben. Rassismus und Diskriminierung haben inzwischen rechtsstaatliche Standards in mehreren EU-Mitgliedstaaten ins Wanken gebracht. Medienfreiheit ist bedroht, und Whistleblower von Korruption, Überwachung, Wirtschafts- und Umweltverbrechen genießen noch immer keinen europäischen Schutz.

Der Kampf gegen Ausgrenzung und Rechtsextremismus verlangt ein kommunalpolitisches, landes-, bundes- und europapolitisches Zusammenspiel. Linke sollten Menschen ermutigen, sich für ein solidarisches und weltoffenes Europa einzusetzen.

Auch angesichts des Reformbedarfs der LINKEN wollen wir unsere parlamentarischen Erfahrungen nutzen, setzen auf die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Verbänden und Initiativen auf allen Ebenen, indem wir deren Kritik, Rat und den beständigen Dialog in fach- wie in gesellschaftspolitischen Fragen suchen. Dafür müssen wir anschlussfähige politische Projekte und politische Ergebnisse liefern sowie unsere Erfahrungen beim Kampf für eine gerechte Gesellschaft in all ihren Widersprüchen öffentlich machen. In der Fraktionsvorsitzendenkonferenz in Brüssel haben wir uns daher zu folgenden Schwerpunkten verständigt, die wir in den politischen Auseinandersetzungen auf der Straße und in Parlamenten wie auch in den kommenden Wahlkämpfen stark machen werden:

 

1. Energiepreisdeckel und Übergewinnsteuer sofort. Stromnetze und Energieversorgung gehören in die öffentliche Hand für eine bezahlbare, sichere und ökologische Energieversorgung; Stromsperren verhindern und Ausgleichszahlungen gegen Energiearmut sichern.

2. Stärkung von Umwelt- und Klimapolitik jenseits nationaler Wettbewerbsinteressen. Ausrichtung von Wirtschafts- und Industriepolitik auf die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Qualifizierungs- und Weiterbildungsprogramme zur sozialen Flankierung des Strukturwandels.

3. Weg mit der Schuldenbremse! Statt des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes brauchen wir Investitionen in solidarische Wirtschafts- und Lebensweisen für Klimaneutralität, sozialen Ausgleich und eine demokratische Digitalisierung sowie den massiven Ausbau erneuerbarer Energien.

4. Europäischen Mindestlohn in den Ländern durchsetzen! Schutz für Plattformarbeiter*innen und Selbstständige auf den Weg bringen! Maßnahmen gegen Verarmung der Menschen – auch angesichts der aktuellen Inflation – ergreifen. Europaweit Reichtum von oben nach unten verteilen.

5. Europäische Regionalpolitik intensivieren! Von der Feuerwehr zum flexiblen und transparenten Basispaket eines sozial verträglichen Strukturwandels vor Ort.

6. Reformierung des Wettbewerbs- und Beihilferechts. Regionale Handlungsmöglichkeiten müssen gestärkt werden gegenüber der Förderung eines liberalen und am Ende destruktiven Wettbewerbs.

7. Der Europäische Bildungsraum von der Kita bis zur Hochschule, Infrastrukturförderung von Kultur und Wissenschaften brauchen Mindeststandards für die Gewähr demokratischer Dialogfähigkeit.

8. Stabile Finanzierung von Medienfreiheit und öffentlichen Sendeangeboten, Geschichtspolitik und Kampf gegen Rechtsextremismus.

9. Das geltende Dublin-System muss durch eine humane Asyl- und faire Einwanderungspolitik ersetzt werden. Wir fordern die sofortige Beendigung aller Rechtsbrüche an den EU-Außengrenzen.

10. Europäische Gesundheitsvorsorge und Pflege ausbauen!

11. Europäische Verantwortung als Friedensmacht im Dialog mit dem globalen Süden für friedliche Konfliktlösung und Kooperation statt Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen übernehmen. Sicherung des Völkerrechts sowie einen gerechten internationalen Handel gewährleisten!

12. Wir fordern einen Konvent für die nötigen Vertragsveränderungen hin zu einer sozialen, demokratischen und friedlichen EU als Schlussfolgerungen aus der EU-Zukunftskonferenz.

13. Im Rahmen der Europäischen Nachbarschaftspolitik müssen wir Verantwortung gegenüber dem Westbalkan und osteuropäischen Staaten übernehmen.

14. Wir stehen an der Seite progressiver, europäischer Kräfte, gegen zunehmende nationale, chauvinistische und antidemokratische Kräfte.

 

Brüssel, 30. September 2022 

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