Warum Streiken gut ist

Nahezu täglich wird von neuen Streikaktionen in den Medien berichtet. Ob im ÖPNV, im Einzelhandel oder bei der Deutschen Bahn. Dabei gehen die öffentliche Wahrnehmung über die Anzahl der Streiks und das tatsächliche Streikaufkommen deutlich auseinander – ein Blick in die Statistiken verrät, dass im internationalen Vergleich in Deutschland wenig gestreikt wird.

Ein  Grund, warum die gefühlte Aufmerksamkeit gerade in Ostdeutschland zunimmt: Die Streikaktionen verteilen sich überproportional auf die ostdeutschen Bundesländer, in Thüringen wurden im Jahr 2022 13 Arbeitskämpfe gezählt, im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen dagegen nur 26. Damit liegt Thüringen auf dem fünften Platz bundesweit, die Ursachen für dieses erhöhte Streikaufkommen in Ostdeutschland liegen zum einen am weiterhin großen Lohngefälle zwischen West- und Ostdeutschland, zum anderen an dem allgemein niedrigeren Lohnniveau. Ostdeutschland (inklusive Berlin) ist mit etwa einem Drittel aller lokalen Auseinandersetzungen gemessen an seiner Größe in Bezug auf die Konflikthäufigkeit also weitaus häufiger vertreten.  Des Weiteren betreffen die Ausstände in der öffentlichen Infrastruktur viel direkter den Alltag: Sie sind spürbar für Menschen, die auf ÖPNV oder gar Flugzeuge angewiesen sind oder beim Gang in den Supermarkt bemerken, dass die Regale durch Streikaktionen in den Logistikzentren leer sind. Ein flächendeckender Ausfall aufgrund eines Streikes, wenn auch nur zwei Tage, kann damit zu einer Herausforderung für die Alltagsbewältigung werden.

Zukunft ohne Angst

Doch gerade diese spürbare Beeinträchtigung des Alltages vermittle eben auch die Bedeutung der Arbeit der streikenden Beschäftigten für unsere Gesellschaft, findet Lena Saniye Güngör, arbeitsmarkt- und gewerkschaftspolitische Sprecherin: „Die Arbeitsniederlegung der Kolleg:innen aus den unterschiedlichen systemrelevanten Bereichen geschieht nicht, weil die Beschäftigten ihren Mitmenschen das Leben schwer machen wollen. In den kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen den Unternehmen und den Beschäftigten geht es im Gegenteil um nichts weniger als eine sichere Zukunft ohne Angst vor Armut.“

Zum einen erleben die Beschäftigten durch die Inflation einen erheblichen Reallohnverlust von rund sieben Prozent, der in den letzten Tarifverhandlungen als Faktor noch keine Rolle spielte. Zum anderen haben in der Pandemie nicht wenige Branchen erhebliche Gewinne erzielt, welche nicht an die Belegschaften weitergegeben wurden. Die Abgeordnete nennt als Beispiel die Tarifauseinandersetzung mit der Kauflandgruppe im Thüringer Einzelhandel, hier wurde mittlerweile auch die sechste Verhandlungsrunde ohne Ergebnis abgeschlossen. Während die Kauflandgruppe im Jahr 2023 einen Umsatz von 31,8 Milliarden Euro erzielte, verdienen die Beschäftigten in Thüringen Niedriglöhne, die bisher durchschnittlich nicht einmal 14 Euro pro Stunde betragen. Seit Monaten gehen deshalb die Streikenden auf die Straße, während die Handelsunternehmen weiterhin erneute Gespräche blockieren: „Die Beschäftigten gehen kämpferischer für ihre Interessen auf die Straße, gerade weil das Bewusstsein für eine offensichtliche Schieflage der Verteilungslogik zwischen den Gewinnen der Unternehmen und der Beteiligung der Beschäftigten an diesen zunimmt. In Verbindung mit dem zunehmenden Arbeits- und Fachkräftebedarf, der den Arbeitnehmer:innenforderungen den Rücken stärkt, beobachten wir offensivere Tarifauseinandersetzungen für dringend benötigte gute Tarifabschlüsse und Tarifverträge. In den nächsten Jahren werden die Unternehmen bessere Löhne und Arbeitsbedingungen auf den Weg bringen müssen, wenn sie weiter nachhaltig Personal gewinnen wollen. Nicht die Beschäftigten, sondern die Unternehmen müssen sich bewegen“.

 

Zur gesamten Ausgabe