Bundesverfassungsgericht lässt Zulässigkeit von Paritätsgesetzen offen - Hennig-Wellsow fordert Reißverschlussprinzip wie in Frankreich

Susanne Hennig-Wellsow

Die LINKE-Fraktionschefin im Thüringer Landtag, Susanne Hennig-Wellsow, hält an der Forderung nach abwechselnder Besetzung der Wahllisten mit Frauen und Männern sowie von Wahlkreiskandidaturen fest. „Alle Bundesregierungen haben sich bisher bei dem Thema weggeduckt. Das muss nach der nächsten Bundestagswahl anders werden“, betont Susanne Hennig-Wellsow.

Das Bundesverfassungsgericht hat heute eine Wahlprüfungsbeschwerde aufgrund nicht paritätisch besetzter Wahlvorschläge zur Bundestagswahl 2017 verworfen. „Das Gericht hat ausdrücklich nicht darüber geurteilt, ob eine gesetzliche Regelung zur paritätischen Ausgestaltung der Landeslisten und Wahlkreiskandidaturen mit dem Grundgesetz vereinbar wäre“, so Hennig-Wellsow. „Es bleibt eine politische Entscheidung, geschlechterparitätische Regelungen im Wahlrecht vorzusehen. Parität bedeutet nicht eine Einschränkung von Demokratie, sondern ihre Verwirklichung“, betont die LINKE-Politikerin.

Hennig-Wellsow verwies auf Frankreich, wo schon Anfang der 1980er ein Parité-Gesetz eingeführt wurde. Dort sei das Reißverschlussprinzip inzwischen völlig normal. Parteien, die sich nicht daran halten, werden nicht zur Wahl zugelassen und erhalten weniger staatliche Förderung. „Ich bleibe dabei: Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Frauen auch in der Politik gleichberechtigt vertreten sind“, erklärte Hennig-Wellsow.

 


 

Das Thüringer Paritätsgesetz wurde im vergangenen Jahr vom Verfassungsgericht des Landes für ungültig erklärt, weil es Gesetz das Recht auf Freiheit und Gleichheit der Wahl sowie das Recht der politischen Parteien auf Betätigungsfreiheit, Programmfreiheit und Chancengleichheit beeinträchtige. Allerdings fiel die Entscheidung nicht einstimmig aus. In Sondervoten legten Verfassungsrichter*innen dar, warum das Paritätsgesetz für Thüringen ihrer Ansicht nach nicht verfassungswidrig sei. 

Aus dem Gleichstellungsgebot ergebe sich für den Landesgesetzgeber sogar die Pflicht, mit Paritätsregelungen die Unterrepräsentanz von Frauen in Parlamenten zu beseitigen, so Richterin Heßelman in ihrem Votum.

Sie weist darauf hin, dass das Gleichstellungsgebot sehr wohl Teil des Demokratieprinzips sei, da es auch das „Prinzip der integrativen und angemessenen Repräsentanz“ beinhaltet – hier von Frauen als gesellschaftlicher Gruppe. Der Verwirklichung dieser Repräsentanz dienen Wahlen und die Zusammensetzung von Parlamenten.

Die Sondervoten widersprechen auch der Behauptung der Mehrheitsmeinung, das Gleichstellungsgebot sei „nur“ ein Staatsziel. Die drei Richter*innen verweisen dazu auf die langjährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs. Der Grundsatzentscheidung des Letzteren sind das Gleichstellungsgebot in der Thüringer Verfassung und die inhaltlich vergleichbare Regelung im Grundgesetz nachgebildet. Beide Gerichte definieren die Pflicht zu aktiven Gleichstellungsmaßnahmen des Staates als Teil des Gleichheitsgrundrechts. Deshalb muss diese Pflicht auch im Rahmen der praktischen Ausgestaltung des Demokratieprinzips und bei Wahlen beachtet werden.