Überwachungsfantasien der CDU unredlich - Straftaten auf dem Anger rückläufig

Sascha Bilay

Zum erneuten Versuch der CDU, eine schwere Gewalttat auf dem Anger zum Anlass zu nehmen, alle Passanten auf dem Platz zu überwachen, erklärt der Innenpolitiker der LINKEN, Sascha Bilay: „Es ist dreist, wie die CDU ein Verbrechen instrumentalisiert, um ihren Wahlkampf zum Ausbau der Überwachung voranzutreiben. Mehr Videoüberwachung ist nicht nur völlig wirkungslos und schützt weder vor Straftaten, noch wird das Sicherheitsgefühl gestärkt.

Es ist auch absolut unnötig vor dem Hintergrund, dass der Tatverdächtige wenige Tage später auch ohne zusätzliche Kameras im Gewahrsam der Polizei landete. Wie in der gestrigen Innenausschuss-Sitzung deutlich wurde, ist die Behauptung, der Anger wäre besonders gefährlich, faktenbasiert nicht haltbar. 96 % aller Straftaten in Erfurt finden außerhalb des Angers statt. Seit drei Jahren sinken die Straftaten. Alleine letztes Jahr wurden 167 Diebstähle und 90 Körperverletzungen weniger erfasst. Fast die Hälfte aller Straftaten finden in videoüberwachten Bereichen statt, was insbesondere Ladendiebstähle und Schwarzfahren in der Straßenbahn umfasst.“

Bilay kritisiert, dass die CDU ein Sicherheitsversprechen suggeriere, dass es nicht gibt. „Alleine die Floskel ‚Videoschutz‘ entpuppt sich als völlige Nullnummer. Hinter den Kameras sitzen keine Menschen, die im Ernstfall eingreifen. Die Bänder werden später, nachdem die Taten geschehen sind, ausgewertet. Da ist die Straftat bereits geschehen und ohne Zeitreisemaschine zu 100 % unumkehrbar. Viel sinnvoller als flächendeckende Überwachungen sind echte Polizistinnen und Polizisten als Ansprechpartner sowie als Interventionsmöglichkeit bei konkreten Anlässen. Auch Streetworker oder Konfliktschlichter sowie eine ständig besetzte Anlaufstelle als Bürgerbüro der Polizei könnten tatsächlich einen positiven Beitrag leisten – so wie es DIE LINKE schon länger fordert“.

Wie sich inzwischen zeigte, sind die 850 Fälle, die dem Anger öffentlich zugeordnet werden, gar nicht zwangsläufig auf dem Anger geschehen: „Beim Anger wird ein Sammelsurium aus 10 verschiedenen Straßen und offenbar auch Straftaten in Gebäuden, wie häusliche Gewalt oder Hausfriedensbruch, erfasst“, so der Abgeordnete. Bilay zeigt sich irritiert vom Vorschlag der CDU, eine zusätzliche Studie zur Videoüberwachung aufzulegen: „Im Landtag führen wir gerade eine verlängerte Anhörung durch, wie sich – auch anhand der vielfältigen Studienlagen zum Thema - die Videoüberwachung auf das Sicherheitsgefühl und die faktische Sicherheit auswirkt. Wir werten also vor allem wissenschaftlich basiert genau diese Frage aus. Das Ergebnis ist für die CDU eine schallende Ohrfeige, weil gerade die Polizei und die Wissenschaft selbst der Union widersprechen. Statt sich ein gewünschtes Ergebnis zurechtzubiegen, wäre es hilfreich, diesen Menschen endlich mal zuzuhören.“

Andernfalls passiere das, was Prof. Dr. Manfred Bornewasser von der Uni Greifswald dem Innenausschuss des Landtages sagte, der ein Pilotprojekt der Videoüberwachung auf öffentlichen Straßen und Plätze im Land Brandenburg mit einer Studie wissenschaftlich begleitet hat: Bei der CDU-Fraktion verfließen Fakten und Meinungen zu einer wenig zu durchschauenden Perspektive, sie habe einen Antrag vorgelegt, ohne sich intensiver mit der Problematik der Videoüberwachung auseinandergesetzt zu haben, „das Konzept der Videoüberwachung habe sich bislang kaum als ein effektives und effizientes polizeiliches Einsatzmittel bewährt“. 

Der Abgeordnete ergänzt, dass auch die Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei, äußerte, dass Videoüberwachung im öffentlichen Raum regelmäßig keinen wesentlichen Beitrag zu einer dauerhaften Steigerung des subjektiven Sicherheitsempfindens leistet und das subjektive Sicherheitsempfinden kein geeigneter Indikator für die tatsächliche Kriminalitätslage sei, da die Kriminalitätsfurcht nicht mit der Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, korreliert.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ermahnte die CDU dazu, dass Aufzeichnungen von Tätern nicht zwangsläufig zur Identifizierung führen, weil diese mit Kapuzen oder Gesichtsmasken verdeckt seien und dass die Vermittlung eines Sicherheitsgefühls an die Bevölkerung kein rechtlich zulässiger Zweck einer Videoüberwachung sei. 

Auch andere Polizeihochschulen, wie jene aus NRW, stellten klar, dass die Überwachung gar nicht den erwünschten Effekt zur Senkung der Delikte haben kann, insbesondere bei Körperverletzungen. Datenschützer erklärten, dass die Videoüberwachung die Bereitschaft verringere, beobachtete Vergehen und Verbrechen zur Anzeige zu bringen. Auf sinke die Wahrscheinlichkeit, dass jemand aktiv einschreitet, weil die Anwesenden davon ausgehen, dass offizielle Stellen die Situation vermeintlich im Blick hätten. Sogar die Landespolizeidirektion Thüringen resümiert basierend auf der umfangreichen Studienlage, dass kein signifikanter Unterschied im Straftatenaufkommen öffentlicher Plätze mit und ohne Video festzustellen sei. Das „Sicherheitsempfinden als Erfolgsparameter ist nicht dazu geeignet, polizeiliche Maßnahmen wie beispielsweise eine Videoüberwachung gem. § 33 Abs. 3 Polizeiaufgabengesetz zu legitimieren.“ 

Der Abgeordnete empfiehlt den Mitgliedern der CDU-Fraktion, die Antwort des Innenministeriums auf ihre Kleine Anfrage in DS 7/1843 zur Auswertung der Studienlage zur Videoüberwachung zu lesen.