Staatsanwaltschaft fordert Freispruch für Hitlergruß - Güngör und König-Preuss kritisieren Umgang der Justiz mit Neonazis

Katharina König-Preuss, Lena Saniye Güngör

Am Rande einer Kundgebung des DGB am 16.10.2022 in Apolda wurde durch einen stadtbekannten Neonazi ein Hitlergruß in Richtung der Kundgebungsteilnehmer:innen gezeigt. Gestern fand vor dem Amtsgericht Apolda dazu die Gerichtsverhandlung statt. Die Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag, Lena Saniye Güngör, stellte sich als Zeugin zur Verfügung, da sie neben dem Einsatzleiter der Polizei die Geste zweifelsfrei als Hitlergruß erkannt hatte. Der Einsatzleiter hatte daraufhin Anzeige erstattet. Auch ein Bild der Situation wurde von ihr für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt. Der Angeklagte erschien heute mit Hitler-Bart und Militär-Look vor Gericht und hatte sich vorsorglich einige Tätowierungen abgeklebt. Sein Verteidiger Andreas Wölfel ist als Szeneanwalt der extremen Rechten bekannt, war selbst NPD-Aktivist und zählte unter anderem bereits Tommy Frenck oder Nikolai Nerling zu seinen Mandanten. Trotz mehrerer, auch polizeilicher Zeug:innen, einem vorliegenden Bild und der zweifelsfreien ideologischen Motivation des Angeklagten plädierte selbst die Staatsanwaltschaft im Prozess letztlich für einen Freispruch. Ohne Bewegtbilder sei nicht zweifelsfrei festzustellen, ob ein Hitlergruß auch wirklich ein Hitlergruß sei. Hierzu erklärt Güngör: „Es ist frustrierend und unverständlich, dass es für Neonazis auch heute noch so einfach ist, mit ihren Taten vor Gericht davon zu kommen. Für die Staatsanwaltschaft scheint das Zeigen eines Hitlergrußes ein Kavaliersdelikt zu sein - tatsächlich lässt sie es damit zu, dass Neonazis weiter ungestraft den Nationalsozialismus verherrlichen und einer demokratischen Gesellschaft auf der Nase herumtanzen können.“

Auch Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus und Antirassismus der Fraktion DIE LINKE, hat für die Entscheidung kein Verständnis: „Dass die Thüringer Justiz nicht einmal bei Vorliegen eines Bildbeleges, mehreren Zeug:innenaussagen und dem Wissen, dass ein bekannter Neonazi diesen tätigte, der in sozialen Netzwerken angibt, im Bereich der ‚Holocaust/Re-Education’ zu arbeiten, einen Hitlergruß auch als solchen erkennen will, ist ein erneuter Beleg für ein Justizproblem.

Neonazis erhalten in Thüringen zu häufig den Eindruck, einen Freifahrtsschein für ihre Taten zu haben. Durch ein solches Verhalten der Justiz fühlen sie sich mit ihrem Verhalten ins Recht gesetzt und werden motiviert, in der Zukunft weiter ungestört und ungehindert ihre nationalsozialistische Gesinnung in die Öffentlichkeit zu tragen. Wer sich gegen die extreme Rechte in Thüringen engagiert, bekommt so signalisiert, dass es keinen Sinn macht, auf ein konsequentes Vorgehen der Thüringer Justiz zu setzen. Bereits jetzt erstatten zahlreiche Menschen keine Anzeigen gegen Neonazis mehr, da einerseits Angst vor einer folgenden Bedrohungssituation besteht und es andererseits ‚sowieso nichts bringen würde‘. Beide Eindrücke haben mit der heutigen Entscheidung erneut eine Bestätigung erfahren."

Die ständigen Rufe von Verantwortungsträgern nach einer sich gegen rechts engagierenden Zivilgesellschaft werden durch solche Entscheidungen unterlaufen. „Wer gegen die Nazis kämpft, der kann sich auf den Staat überhaupt nicht verlassen!“ sagte die 2021 verstorbene Holocaustüberlebende Esther Bejarano. Dieses Zitat hat heute in Thüringen leider in Teilen eine weitere Bestätigung erfahren, so die beiden Abgeordneten abschließend.