Keine Klarnamenpflicht - auch nicht durch die Hintertür

„Die Forderung einiger Innenminister, unter dem Vorwand einer ‚Extremismus‘-Bekämpfung soziale Medien zu verpflichten, noch mehr persönliche Daten als bisher über ihre Nutzer zu sammeln bzw. diese künftig auch zwangsweise per Gesetz herauszugeben, schränkt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aller Nutzer ein. Die Entscheidung, Prepaid-Karten an einen Ausweiszwang zu koppeln, war bereits unnötig und zwecklos. Ein solches Modell nun identisch oder in ähnlicher Form auf soziale Medien und Gaming-Plattformen zu übertragen, wäre nicht nur unsinnig und wirkungslos, sondern birgt auch erhebliche Gefahren sowohl für die Freiheitsrechte der Nutzer als auch für den Schutz ihrer persönlichen Daten. Angesichts von Sicherheitslücken und Hackerangriffen mit millionenfachen Datenabflüssen in den letzten Jahren wäre es fahrlässig, staatlicherseits die Anbieter zu zwingen, noch mehr personenbezogene Daten zu sammeln“, so der Abgeordnete Philipp Weltzien, Sprecher für Netzpolitik der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag.

Sowohl die „Klarnamenpflicht“, bei der Nutzer öffentlich mit ihrem Klarnamen auftreten, als auch das „Blankziehen“ aller Nutzer mit ihren persönlichen Daten gegenüber den Anbietern seien kein geeigneter Ansatz, um Straftaten im Einklang mit den Grund- und Freiheitsrechten zu bekämpfen. Der Abgeordnete Weltzien erklärt weiter: „Wir unterstützen Bestrebungen, auch Strafverfolgung im modernen Zeitalter fortzuentwickeln und gerade Hatespeech bzw. ‚Hasskriminalität‘ im Netz einzudämmen. Aber der Preis, dafür alle Nutzer einzuschränken, wäre nicht verhältnismäßig und auch nicht zielführend. Anonymität im Netz ist im Grundsatz nichts Verwerfliches, sondern für viele Menschen ein Schutzschild. Wer Anonymität im Netz beschränkt, beschädigt diesen Schutz und schadet dabei auch der Vielfalt und Meinungsfreiheit im Netz.“ Er bekräftigt zudem die Kritik des Bundesdatenschützers Ulrich Kelber an den Bestandsdatenregelungen im derzeit diskutierten Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJV) zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität.

Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion, mahnt, die Diskussion mit offenem Visier zu führen und nicht vermeintliche „Extremisten“ oder „Radikale“ als Begründung anzuführen. Schließlich würden die Einschränkungen und damit auch Möglichkeiten der anlasslosen Überwachung letztlich ohnehin alle Nutzer treffen. Sie verweist auf eine weitere Stellungnahme des Republikanischen Anwaltvereins zum Gesetzentwurf des BMJV, in der es u.a. heißt: „Allerdings dient eine Vielzahl der Vorschläge unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Rechtsextremismus der abzulehnenden Ausweitung des Strafrechts sowie der abzulehnenden Erweiterung von Zugriffsrechten für die Ermittlungsbehörden. Sie räumen den Sicherheitsorganen, die insbesondere im Rahmen der Aufklärung von rechten Gewalttaten und Terrors immer wieder in der Kritik standen, noch mehr Befugnisse ein, statt wirksame Instrumente für Betroffenengruppen (…) zu installieren. Diesseits wird - insgesamt betrachtet - weniger ein Regelungs- als ein Vollzugsdefizit gesehen.“

König-Preuss erklärt abschließend: „Es ist im Übrigen ein Trugschluss zu glauben, dass gerade im Bereich Hatespeech Anonymität das Kernproblem sei, wo der Rechtsruck der letzten Jahre dazu führte, dass schon lange eine Vielzahl an Nutzern vollkommen ungeniert unter ihren Klarnamen hetzt und Straftaten begeht, während diese oft nicht strafrechtlich verfolgt werden oder Täter für ihr Handeln keine Konsequenzen spüren: Statt neue Silos mit sensiblen Daten zu fordern, sollte man hier ansetzen und die Chancen nutzen, die zu Tausenden auf dem Tisch liegen, und mit den bestehenden rechtlichen Möglichkeiten auch dagegen vorgehen. Hilfreich bei der Bekämpfung entsprechender Straftaten wäre es auch, die Hemmschwellen für Nutzer im digitalen Raum zu senken, selbst auf die Behörden zuzugehen und Straftaten online zu melden. Dass Thüringen bundesweit das einzige Land ist, das seit Jahren nicht in der Lage ist, eine Online-Wache oder eine alternative Form der Online-Anzeigenaufgabe einzurichten, ist einfach nur peinlich. Wir werden weiter dafür eintreten, dass sich dieser Zustand hoffentlich noch in diesem Jahr ändern wird.“