Erkenntnisse aus Bodycam-Auswertung zeigen anderes Bild als bisher angenommen

Steffen Dittes

Zur Befassung des Landtags mit dem Thema Bodycams bei der Polizei erklärt Steffen Dittes, innenpolitischer Sprecher der LINKEN im Thüringer Landtag: „Es ist wichtig, dass der zuständige Innenausschuss derzeit den Bodycam Pilot II in Thüringen intensiv auswertet und bei diesen grundrechtssensiblen Eingriffen keine vorschnellen, auf tradierten Meinungen basierenden Entscheidungen getroffen werden. Nach bisherigen Erkenntnissen aus der wissenschaftlichen Begleitung des Pilotversuchs ist die Wirksamkeit zum Schutz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nicht nur fraglich, es gab sogar gegenteilige Effekte.“

 

Nach dem Evaluationsbericht der FSU Jena waren Bürger bei Nutzung der Bodycam teilweise weniger kooperativ, teilweise auch aggressiver. Bei der Landespolizei Jena stiegen sogar die Attacken auf die eingesetzten Polizisten, die die Kamera trugen. Auch von teils erhöhten aggressiven Handlungen gegenüber Frauen bei der Polizei ist die Rede. „Das sind alles Erkenntnisse, die man ernst nehmen und ebenso ernsthaft diskutieren muss“, so Dittes.

 

Der Abgeordnete weiter: „Besondere Bedeutung haben die gewonnenen Erkenntnisse über die fehlende Wirksamkeit bei der Gruppe der alkoholisierten Tatverdächtigen. Hier wurde bei der Erprobung der Bodycam in Thüringen festgestellt, dass alkoholisierte Menschen bei Polizisten ohne befestigte Kameras signifikant weniger aggressiv waren. Wir wissen, dass bei Widerstandshandlungen, Raub, Bedrohungen und Körperverletzungen gegen Polizistinnen und Polizisten in Thüringen 60-65% der Täter alkoholisiert sind, beim tätlichen Angriff sind es zwei von drei Tatverdächtigen. Das heißt, in der Mehrzahl der Tatfälle, in denen Polizisten angegriffen werden, wirkt die Bodycam sogar aggressionsfördernd.“

 

Dittes zeigte sich von diesem Ergebnis wenig überrascht. Schon bei der Auswertung des Bodycam-Versuchs in Sachsen-Anhalt wurde deutlich, dass es in Arealen, wo die Kamera nicht eingesetzt wurde, zu weniger Übergriffen kam. Bereits vor fünf Jahren registrierten europäische Studien Anstiege um bis zu 15% von Straftaten gegen Polizeibeamte mit Bodycam.

Der Abgeordnete bemängelt, dass Pilotversuche insgesamt oftmals nicht ergebnisoffen und ernsthaft nüchtern mit dem Ziel durchgeführt und betrachtet würden, alle Für und Wider im Kontext neuer Technologien zu erfragen, sondern diese immer wieder auf die flächendeckende Umsetzung der neuen Technik ausgerichtet sind. Gerade angesichts des Thüringer Pilotversuchs II bestünden jedoch eine Vielzahl von Fragen.

 

Die Wissenschaftler, die den Pilot begleiten sollten, konnten nur 4 Monate von 2 Jahren Erprobungszeitraum verfolgen, da sie zu spät angebunden wurden, obwohl DIE LINKE seit Jahren auf frühzeitige Begleitung drängte. „Nach bisherigem Kenntnisstand der Unterlagen, die wir einsehen konnten, gibt es weder Darstellungen, wie sich die Fallzahlen der tätlichen Übergriffe auf Polizisten mit und ohne Bodycam vor und nach dem Test und in vergleichbaren Dienststellen entwickelt haben. Wir finden auch keine Hinweise darauf, dass die Wissenschaftler, die den Pilotversuch begleiten konnten, Einblick in die Kameraaufnahmen erhalten haben, um diese objektiv auszuwerten, wie das bei der wissenschaftlichen Auswertung in Nordrhein-Westfalen der Fall war, wo umfangreiche Videoauswertungen stattfanden. Das heißt, nahezu alle Erkenntnisse für Thüringen basieren fast ausschließlich auf den subjektiven Einschätzungen der Polizeibeamten, die sich überwiegend freiwillig an einer Befragung beteiligt haben“.

 

Dittes bedauert, dass die Rücklaufquote von Befragungsbögen teilweise nur bei 50% gelegen habe. Ärgerlich sei jedoch, dass laut dem Abschlussbericht mit Beginn der Datenerhebung die Dienststellen der Polizei mit Erhebungsbögen ausgestattet wurden, die Beamtinnen und Beamten der Einsatzunterstützungseinheiten (ESU) daran jedoch gar nicht teilnahmen, obwohl diese gleichfalls zum Tragen der Bodycam verpflichtet wurden. Der Abgeordnete rechnet vor, dass bei sieben Landespolizeiinspektionen mit jeweils 24-30 Beamt*innen pro ESU die Sichtweisen von mindestens 160 Polizisten dabei offenbar nicht berücksichtigt wurden und zeigt sich skeptisch ob dieser Methodik. Beachtlich sei jedoch die freiwillige Abschlussbefragung, an der 174 Thüringer Polizist*innen der teilnehmenden Schichten am Bodycam Pilot II durch Fragebögen mitgemacht haben. „Dass sich nur 38,5% die Bodycam tatsächlich wünschen und 61,50% die Kamera offenbar egal ist oder sie darauf verzichten wollen ist genauso relevant wie der Umstand, dass lediglich 13% aller Teilnehmer die Auffassung vertraten, dass sich ihr Sicherheitsgefühl leicht oder stark durch das Tragen der Bodycam erhöhen würde“.

 

Dittes abschließend: „Auch diese Erkenntnisse stehen im diametralen Widerspruch zu manch öffentlichen unkritischen Wortmeldungen der vergangenen Tage.  Wir haben in den letzten Jahren über 25 Millionen Euro in die bestmögliche Schutzausrüstung für Thüringer Polizistinnen und Polizisten investiert, doch gerade bei Grundrechtseingriffen braucht es sorgfältige, faktenbasierte Abwägungen, darum ist es richtig, dass der Innenausschuss sich weiter mir der Auswertung befasst und nach Abschluss auf dieser Grundlage Entscheidungen im Innenministerium getroffen werden.“