Viertes Gesetz zur Änderung des Thüringer Kindergartengesetzes

Daniel Reinhardt

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/8644

 

Ich habe einen Traum. Thüringen, das Kindergartenland, wird das Land auf dieser Erde, wo wir die besten Bedingungen zum Aufwachsen und Großwerden unserer Kinder geschaffen haben. Frau Präsidentin, werte Kollegen Abgeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen Erzieher, liebe Eltern, all jene, die im System Kindergarten etwas zu sagen haben, mein persönlicher Traum als Erzieher, als Kindergartenleiter war es damals und ist es heute immer noch, dass wir mehr Qualität in unsere Kindergärten bringen, und zwar über das Kindergartengesetz. Der Traum ist bis zum heutigen Tage geblieben, für unsere Kinder, für meine Kolleginnen und Kollegen, für unser aller Zukunft diese Qualität einzuführen.

 

Heute als zweifacher Vater sehe ich diese Probleme und die Notwendigkeit noch immer und Herr Tischner, ich erwarte von Ihnen, von den Parlamentariern hier, dass Sie sich dieser Probleme in unseren Thüringer Kindergärten annehmen, und zwar konstruktiv.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Unser vorliegendes Änderungsgesetz zum Kindergartengesetz bringt nämlich genau diese Chance mit sich, die Betreuung und Bildung in unseren Thüringer Kindergärten zu verbessern, und zwar im Wesentlichen in drei Punkten.

 

Erstens: Wir wollen die Betreuungsqualität verbessern, aber so richtig. Zweitens: Wir wollen die Bildungsgerechtigkeit, die so dringend notwendig ist, in Thüringen verbessern, und zwar durch die Einführung eines weiteren beitragsfreien Jahres. Und wir wollen noch mehr Qualität reinbringen, und zwar durch das Zentrum für frühkindliche Bildung.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Aktuell haben wir einen Betreuungsschlüssel, der tatsächlich etwas kompliziert daherkommt. Ja, das ist so. Aber unter der damaligen CDU-Regierung war dieser Personalschlüssel noch so dermaßen katastrophal, das kann man sich gar nicht ausdenken. Ich musste unter Ihrer Regierung allein mit 21 Schulanfängern arbeiten. Das ist katastrophal und Rot-Rot-Grün hat das in den letzten Jahren schon verändert.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Wenn Sie heute zu mir in den Kindergarten kommen, übergebe ich Ihnen als Kindergartenleiter aktuell 12 Kinder im Alter von drei Jahren oder 14 Kinder, die vier sind, oder 16 Kinder bis Schuleintritt.

 

(Zwischenruf Abg. Prof. Dr. Voigt, CDU: Das KitaG haben wir …)

 

Das müssen Sie im Übrigen als ungelernte Kraft, Herr Voigt, also im Kindergarten, von 7.00 Uhr bis 16.00 Uhr schaffen. Im Krippenbereich ist es aus meiner Sicht noch ein bisschen prekärer. Da müssen Sie beispielsweise, Herr Voigt, aktuell mit sechs Kindern, die ein Jahr alt sind, allein klarkommen. Sie müssen also mit den sechs einjährigen Kindern essen, laufen, wickeln, spielen, schlafen, zu unterschiedlichen Zeiten im Übrigen, immer noch wickeln, freundlich sein, hochnehmen, trösten, rausgehen, schlafen, immer noch wickeln und Sie müssen immer noch den Eindruck vermitteln, dass Sie den Kindern heute einen tollen Tag serviert haben, dass Sie den Kindern heute etwas beigebracht haben.

 

Wenn die Kinder zwei bis drei Jahre alt sind, sind es eben acht Kinder. Ich kann nur, und ich glaube auch wir, den Erzieherinnen und Erziehern in unseren Kindergärten jeden Tag Respekt zollen für diese großartige Arbeit, die sie leisten.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Es gibt genügend Belege aus der Wissenschaft, von den Eltern, von gestressten Kolleginnen und Kollegen, die zeigen, dass wir etwas am Kindergartengesetz ändern müssen. Das haben wir gemacht, und zwar werden wir als rot-rot-grüne Fraktion den Personalschlüssel der Kinder von drei bis Schuleintritt verbessern, und zwar nicht nur irgendwie, sondern auf den Personalschlüssen von eins zu zwölf.

 

Das ist einerseits ein Abbau von Bürokratie, weil wir diese unterschiedlichen Personalschlüssel nicht mehr brauchen, und es ist im Übrigen auch ein ganz schönes Pfund. Ich will Ihnen mal sagen, was das konkret heißt. 1.221 neue Erzieherinnen und Erzieher brauchen wir im Freistaat Thüringen, um das umzusetzen. Mal im Gesamtmaß der aktuellen Zahlen, Herr Tischner: Wir haben gerade im System Kindergarten 11.800 VbE an Erzieherinnen. Das sind ungefähr 12.000 Erzieherinnen und die müssen nach den aktuellen Planungszahlen 88.400 Kinder betreuen. 1.200 neue Erzieherinnen bei einem Gesamtstand von über 12.000: Das nenne ich mal ein ganz schönes Pfund. Das sind nämlich über 10 Prozent und das Ganze kostet natürlich aus etwas. Über 72 Millionen Euro müssen wir für diese einfachere Personalschlüsselverbesserung aufbringen. Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, leider werden wir im Krippenbereich aktuell keine Veränderungen vornehmen.

 

Wer aber die Bierdeckelberechnung der CDU als das Maß der Dinge nimmt, der irrt, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer. Denn wenn man den Vorschlag der CDU wirklich ernst nehmen würde, müsste man zu unserer Personalschlüsselung noch mal über 3.000 neue Erzieherinnen und Erzieher hinzurechnen, also über 4.200 neue Erzieherinnen. Das ist fast die Hälfte von denen, die gerade im Dienst sind. Wir haben jetzt schon die Träger und die Kindergärten, die darüber klagen, dass sie nicht genügend geeignete Erzieherinnen und Erzieher finden. Wie das dann umgesetzt werden soll, ist mir fraglich. Deshalb haben wir als Linke, um eine realistische und glaubwürdige Politik zu machen, erstens diesen Personalschlüssel gewählt und zweitens auch eine Übergangsfrist von zwei Jahren eingeführt.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

So viel vielleicht erst mal zum Betreuungsschlüssel.

 

Ich komme nun noch mal zum Thema „Bildungsgerechtigkeit“. Auch in diesem Politikfeld schlägt unser Gesetz mit einem ganz schönen Pfund auf. Und zwar schlagen wir vor, das dritte beitragsfreie Jahr einzuführen.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Da sind uns unsere Nachbarbundesländer im Übrigen schon ein bisschen weiter voraus – nur mal so als Einwand. Und jetzt zu der Argumentation, dass das kostenfreie Kindergartenjahr ungerecht wäre, weil die, die viel verdienen, jetzt auch 150 Euro im Monat sparen. Da kann ich nur sagen: Schalten Sie doch bitte mal Ihren Verstand ein! Die Kindergartengebühr ist doch nicht dafür da, einen steuerlichen Ausgleich zwischen Gut- und Schlechtverdienenden herzustellen. Die Kindergartengebühr ist dafür da, die Betriebskosten und sonstigen Kosten der Kindergartenträger zu bezahlen. Wenn wir in Deutschland eine Steuergerechtigkeit herstellen wollen, dann müssen wir an die Einkommenssteuer, an den Spitzensteuersatz ran, und wir müssen Großkonzerne ordentlich besteuern.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Wenn wir das gemacht haben, können wir die gesamte Republik kostenfrei stellen, aber doch nicht mit den Gebühren unserer Kindergärten. Und wer denkt, die erhobene Kindergartengebühr würde irgendeine Steuergerechtigkeit darstellen oder eine gerechte Verteilung von Lasten, der irrt. Denn neben dem Bildungsauftrag sind doch unsere Kindergärten die Institutionen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf herstellen sollen. Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Das heißt also, wenn wir dort rangehen – was wir machen wollen –, entlasten wir all jene, die ihre Kinder in den Kindergarten bringen müssen, weil sie für uns arbeiten müssen. Thüringen kann es sich nicht leisten, auch nur auf eine Arbeitnehmerin und einen Arbeitnehmer zu verzichten. Deswegen müssen wir hier ran.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Ich kann es auch niemandem mehr erklären, wie diese unfairen Lasten in der Gesellschaft anders verteilt werden können. Hier müssen wir ran, werte Kolleginnen und Kollegen, hier im Landtag.

 

Dann noch mal zu den Fakten: Es gibt doch nicht Zehntausende Menschen in Thüringen, die sagen, ja, Mensch, mit den 150 Euro habe ich jetzt so viel Geld, da kaufe ich mir morgen ein neues Boot oder einen neuen Porsche. Ganz im Gegenteil, werte Kolleginnen und Kollegen.

 

(Zwischenruf Abg. Lukasch, DIE LINKE: Ein Haus!)

 

Es gibt 3.500 Millionäre. Ob die ihre Kinder in Thüringen in den Kindergarten gebracht haben, das weiß ich nicht. Aber die Zahl, die wesentlich dramatischer ist, das sind die Menschen, die von Armut bedroht sind. Das sind die 81.000 alleinerziehenden Eltern, überwiegend Mütter. Für diese alleinerziehenden Eltern sind 150 Euro im Monat ein ganz schönes Pfund.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Die können dann nämlich auf einmal erklären, wie sie wieder einkaufen gehen können, wie sie wieder Klamotten für ihre Kinder kaufen können. Das wäre eine gerechte Verteilung der Lasten, und nicht für die Eltern, die es sich sowieso schon leisten können, für eine halbe Million Euro ein Haus zu kaufen.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Wir als Linke wollen den gesamten Kindergarten und die Kinderkrippe kostenfrei stellen. Das ist für uns eine gesamtdeutsche Verantwortung, nicht nur im Freistaat. Der Freistaat geht mit diesen drei gebührenfreien Jahren quasi in eine Art Vorleistung für die Familienförderung. Das ist richtig so, das ist gut so. So ein Gesetz braucht es, auch um Bildungsgerechtigkeit hier im Freistaat Thüringen herzustellen.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Herr Tischner, Sie haben unser Gesetz offensichtlich noch nicht gelesen. Sie hatten ja auch Ihren wirklich unsittlichen Brief,

 

(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Sehr gut!)

 

ohne Stil – die Pressemitteilung war noch schlimmer –, vor unserer Pressekonferenz und bevor das Gesetz eingebracht worden ist abgesandt. Ich erzähle Ihnen mal zwei/drei Dinge, die noch in unserem Klassekindergartengesetz drinstehen: Und zwar werden wir zukünftig für unsere Heilerziehungspflegerinnen und Heilerziehungspfleger – die haben ja eine Petition gestartet, dass sie im letzten Ausbildungsjahr kein Geld mehr bekommen – eine Lösung anbieten, und zwar, weil wir sagen: Ausbildung und Studentenpraktika werden zukünftig auch als mögliche Kosten über die Betriebskosten abrechenbar sein. Da schaffen wir in Thüringen einen Paradigmenwechsel.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Wir werden es schaffen, dass Menschen, die in der Ausbildung oder im Studium sind und das im Kindergarten absolvieren wollen, Geld für ihre Praktika erhalten. Das ist ein Paradigmenwechsel. Da gibt es auch eine negative Nuance, da bin ich ganz ehrlich und da bin ich gespannt auf die Anhörung, was uns die Praxis sagt. Aber das ist ein wirklich wesentlicher Fortschritt.

 

Zweitens – das haben Sie offensichtlich auch nicht gelesen, Herr Tischner –: Wir werden die Rechte unserer Eltern, insbesondere der Elternbeiräte, stärken, indem wir ihnen mehr sachliche Mittel an die Hand geben und indem wir eine transparentere Gestaltung für die Gemeinden, Kommunen und die Städte bei der Berechnung der Essensversorgung, der Essenspauschale und der Verpflegung fordern. Da gibt es nämlich einiges noch zu tun. Auch da geht unser Gesetz ran.

 

Abschließend werden wir auch die Rechte von Menschen mit Behinderung oder von Eltern, deren Kinder von Behinderung bedroht sind, stärken. Das steht zumindest in unserem Gesetz so drin und das ist eine ziemlich gute Sache, muss ich mal sagen.

Alles in allem ist unser Gesetz ein Stück, um dem Traum des Spitzenbildungslandes Thüringen näherzukommen, ein guter Weg. Alles, was Sie heute tun müssen, ist, unser Gesetz erstmal an den Bildungsausschuss zu überweisen und dann sind wir dieser Sache ein ganzes Stück näher. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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