Berichte zu den bisherigen Sitzungen des Untersuchungsausschusses 7/3
Für alle bisherigen Sitzungen hat DIE LINKE Berichte verfasst, die auf dieser Seite zu finden sind.
Auch die Entwürfe der Anträge, die von den Koalitionsfraktionen im Ausschuss eingebracht wurden, sind weiter unten dokumentiert.
„Reichsbürger“ sind Bedrohung - Untersuchungsausschuss beschäftigt sich mit Delikten
Der Untersuchungsausschuss 7/3 („Politisch motivierte Gewaltkriminalität“) beschäftigte sich in der Juni-Sitzung mit „Reichsbürgern“ in Thüringen. Erst im Dezember 2022 fanden auch in Thüringen umfangreiche Durchsuchungen bei „Reichsbürgern“ statt, die einen gewaltsamen Umsturz geplant haben sollen und dafür bereits einen Waffenvorrat angelegt hatten. Durchsucht wurde auch das Jagdschloss von Heinrich XIII. Reuß in Bad Lobenstein. Nicht erst diese Durchsuchungen zeigen: In Thüringen existieren verschiedene Zusammenschlüsse und Netzwerke so genannter „Reichsbürger“. Von staatlicher Seite wurde diese Bewegung allerdings lange Zeit verharmlost. Erst als 2016 in Bayern ein Polizist erschossen wurde setzte ein Umdenken ein. Allerdings werden z. B. auch heute noch Straftaten aus dem politisch klar rechten Spektrum der „Reichsbürger“ in der Statistik zu politisch motivierter Kriminalität fast ausschließlich als politisch „nicht zuzuordnen“ erfasst.
„Reichsbürger“ und extrem Rechte
In der Sitzung des Untersuchungsausschusses betonte der Politikwissenschaftler Jan Rathje eingangs die enge historische Verknüpfung zwischen der „Reichsbürger“-Ideologie und der extremen Rechten. Er zeigte auf, dass diese Ideologie die Basis für die wichtigsten politischen Kampagnen der westdeutschen extremen Rechten bis in die 1980er Jahre darstellte und auch heute ein relevanter Teil der gesamten „Reichsbürger“-Szene in dieser Tradition der organisierten extremen Rechten steht. Weitere Akteure, Vernetzungen und Teilszenen, die sich auf „Reichsbürger“-Vorstellungen beziehen, entstanden in den 1980er Jahren. Erwähnenswert ist etwa Wolfgang Ebel, der mit seiner „Kommissarischen Reichsregierung“ eine eigene reichsideologische Traditionslinie gründete, auf die sich heute verschiedene „Reichsbürger-Regierungen“ beziehen. In Thüringen war für die „Kommissarische Reichsregierung“ insbesondere der aus Ronneburg stammende Holocaustleugner Christian Bärthel aktiv, der sich heute für „Freies Thüringen“, die Geraer Montagsdemonstrationen und die AfD engagiert. In den letzten Jahren verbinden sich Elemente der „Reichsbürger“-Ideologie zunehmend mit Elementen anderer Verschwörungsideologien, insbesondere rund um die Corona-Pandemie und den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Eine genaue Zahl von Anhängern der „Reichsbürger“-Bewegung ist schwer zu schätzen. 2021 zählte das Thüringer Amt für Verfassungsschutz 770 „Reichsbürger“ in Thüringen. Allerdings hatte allein der massiv durch „Reichsbürger“ beeinflusste Telegramm-Kanal von „Freies Thüringen“ schon mehr als 18.000 Abonnent:innen. In Thüringen sind und waren darüber hinaus eine Vielzahl von Akteur:innen aus dem „Reichsbürger“-Spektrum aktiv, wie nicht zuletzt die beiden Kongresse der Szene 2022 in Pfiffelbach und 2023 in Worbis zeigen, an denen jeweils mehrere Hundert Personen teilnahmen. Die Verbindungen von „Reichsbürger“-Vernetzungen wie etwa „Freies Thüringen“ und „Patriotische Union“ zu extrem rechten Organisationen wie der „Europäischen Aktion“ müssten ebenfalls vertieft untersucht werden. Auffällig ist, dass sich die AfD auch als Wahloption für die „Reichsbürger“-Szene anbietet und Frank Haußner, führender Akteur von „Freies Thüringen“ gemeinsam mit der AfD auftritt. Behauptungen und Elemente der „Reichsbürger“-Ideologie finden sich ebenso im Wahlprogramm der Partei zur Bundestagswahl 2017 oder auch in Reden von Björn Höcke, wie der Sachverständige im Ausschuss nachweisen konnte. Die AfD agiert letztlich als eine parlamentarische Partnerin dieser Bewegung.
Umgang der Kommunen
Im Anschluss stellte die Sachverständige Dr. Uda Bastians vom Deutschen Städtetag den Umgang der Kommunen mit „Reichsbürgern“ vor und machte die großen Belastungen infolge von Drohungen und Beleidigungen gegen Kommunalbeschäftigte deutlich. Die Kommunalverwaltungen versuchen, den Schutz der Beschäftigten zu erhöhen; etwa durch bauliche Maßnahmen. Die Möglichkeiten schon vor einem Termin zu wissen, ob es sich um einen Anhänger der „Reichsbürger“-Ideologie handelt, seien aber noch ausbaufähig. Der folgende Sachverständige Ulf Walther, der als Oberstaatsanwalt in Mühlhausen auch für „Reichsbürger“ zuständig ist, beschrieb, wie versucht wird, das Justizsystem durch Anrufe, Schreiben, Anzeigen usw. faktisch zu lähmen und wie die Instrumente des Rechtsstaats von „Reichsbürgern“ zur Unterminierung und Störung des Rechtsstaats missbraucht werden. Nachdem die Staatsanwaltschaft anfing, der „Reichsbürger“-Szene in Nordthüringen konsequenter zu begegnen, seien dort allein im Jahr 2023 über 600 Strafverfahren eröffnet worden. Die Situation wird durch den Personalmangel im Justizsystem noch weiter erschwert, so dass mehr finanzielle Ressourcen und eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft für rechte Straftaten sinnvolle Maßnahmen wären, um den Problemen besser zu begegnen.
Gerichtsvollzieher:innen brauchen Unterstützung
Im Anschluss stellte der Gerichtsvollzieher Stefan Blecks anhand seiner konkreten Erfahrungen dar, wie belastend und zum Teil gefährlich der Umgang mit „Reichsbürger“ ist. Gerichtsvollzieher:innen werden mit Klagen überzogen und im Internet diffamiert. Der Sachverständige formulierte auch den Bedarf nach einer besseren Unterstützung und Verbesserungen in der Ausrüstung und Ausbildung für Gerichtsvollzieher:innen, wie bspw. ordentliche Dienstausweise. Die geforderten Maßnahmen haben wir dem Justizministerium weitergereicht, so dass es zeitnah zu einer Umsetzung kommen kann.
Hinweis: In diesem Text wird der Begriff „Reichsbürger“ in Anführungsstrichen gesetzt und nicht gegendert. Grund dafür ist, dass die Personen der Redaktion nach keine tatsächlichen Bürger des deutschen Reichs sind, da dieses nicht mehr existiert, sondern die Bezeichnung eine Selbstzuschreibung ist. In dem Sinne ordnet die Redaktion den Begriff „Reichsbürger“ als Eigenname ein.
Themen: Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität (PMK) im Zusammenhang mit verschwörungsideologischen Strukturen und der Szene der Pandemieleugner:innen, Vernetzung zwischen unterschiedlichen Gruppierungen und Strukturen, Personen- und Gefahrenpotenzial, Ermittlungen in dem Phänomenbereich, Bedeutung sozialer Medien und Immobilien und Verbindungen zu anderen extrem rechten Szenen. Sachverständige: Heike Kleffner, Matthias Meisner
In der 9. Sitzung des Untersuchungsausschuss 7/3 am 23. März 2023 wurde die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität mit Fokus auf die Szenen der Verschwörungsideolog:innen und der Pandemieleugner:innen betrachtet. Die Sachverständige Heike Kleffner betonte eingangs, dass die Bedrohung und die Gewalt, die von Coronaleugner:innen ausgeht, vielfach unterschätzt wurde. Die Coronakrise hat sich in einer gesellschaftlichen Situation, die von tagtäglichen rechten Übergriffen und einer Akzeptanz in relevanten Teilen der Gesellschaft für Rassismus geprägt ist, vollzogen. Seit 2015 werden täglich zwei bis 3 rechte Angriffe registriert und Umfragen wie etwa von Nicole Dancygier zeigen, dass knapp 20 Prozent der deutschen Bevölkerung Hasskriminalität gegen Geflüchtete befürwortet. In dieser Konstellation konnte die rechtsoffene Coronaleugner:innen-Bewegung, die auch auf antisemitische und antiasiatisch-rassistische Narrative zurückgegriffen hat, für sich mobilisieren. Die Netzwerke der Coronaleugner:innen und anderer Verschwörungsideolog:innen, die in dieser Zeit entstanden und gewachsen sind, werden für die Verbreitung von antisemitischen und rassistischen Verschwörungserzählungen genutzt und bilden einen Ausgangspunkt für die Vorbereitung und Durchführung von Gewalttaten und weitergehender Umsturzpläne – wie etwa jüngst durch Reichsbürger:innen.
Allerdings werden rechte und extrem rechte Gewaltakte und weitere Straftaten durch die staatlichen Ermittlungsbehörden nach wie vor nicht adäquat erfasst. Beispielhaft hierfür ist der Mord am 18. September 2021 an Alexander W. in Idar-Oberstein. Bei der Gerichtsverhandlung zeigte sich, dass der Mörder bereits seit vielen Jahren einer gefestigten rechten Weltanschauung anhing, in rechten Chats gegen Geflüchtete und die Klimaschutzbewegung hetzte und dabei auch antisemitische und rassistische Verschwörungserzählungen verbreitete. Der Täter verübte den Mord an Alexander W. stellvertretend für Politiker:innen, die er nicht ermorden konnte. Aber obwohl der Mord Kennzeichen einer extrem rechten Tat besitzt, wurde der Fall durch den Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz in die Kategorie PMK nicht zuzuordnen eingeordnet. Zu der Untererfassung politisch motivierter Kriminalität (PMK) rechts trägt auch dabei, dass in einigen Fällen (wie etwa bei einem mutmaßlich rassistischen Angriff auf die Schülerin Dilan S. im Februar 2022 in Berlin) die politische Motivation der Täter durch die Polizei nicht adäquat erfasst wurde. In anderen Fällen verzichten Opfer und Betroffene auf Strafanzeigen, weil sie zu wenig Vertrauen in die staatlichen Ermittlungsbehörden haben. So geben 70 Prozent der Opfer von rassistischen Taten an, diese Taten nicht angezeigt zu haben. Auch 25 Prozent der Amts- und Mandatsträger:innen, die Opfer von Angriffen wurden, sagen, dass sie keine Anzeige diesbezüglich gestellt haben.
Nach der umfassenden Darstellung der politisch motivierten Kriminalität (PMK) der Verschwörungsideolog:innen und Coronaleugner:innen durch die Sachverständige Heike Kleffner betrachtete der Sachverständige Matthias Meisner die Gefahren, die von der Verharmlosung und Normalisierung der Coronaleugner:innen ausgehen. Insbesondere durch die starken Kontroversen in der Öffentlichkeit über die Richtigkeit der Coronaschutzmaßnahmen und das bürgerliche Auftreten von Teilen der Coronaleugner:innen-Szene herrschte recht lange eine solche Verharmlosung vor. Dabei zeigt sich, dass die Coronaproteste in einer Reihe stehen mit anderen rechtsoffenen Mobilisierungen wie etwa den sogenannten Mahnwachen für Frieden 2014 und extrem rechten Bewegungen wie etwa Pegida. Ebenso war bereits früh sichtbar, dass bei den Coronaprotesten antiasiatischer Rassismus propagiert wurde. Trotz dessen beteiligten sich immer wieder Prominente und auch Politiker:innen demokratischer Parteien an den Aktionen der Coronaleugner:innen. So nahm etwa Thomas Kemmerich, Landesvorsitzender der FDP Thüringen, an einer Demonstration im Mai 2020 in Gera teil, zu der die dortige extreme Rechte mobilisiert hatte und an der zahlreiche extreme Rechte teilnahmen. Solche Fälle zeigen, dass im Verlauf der Coronakrise die Grenzziehungen zu Verschwörungsideolog:innen und der extremen Rechten aufgeweicht und so antisemitische und rassistische Verschwörungserzählungen normalisiert wurden.
Themen: Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität (PMK) in Thüringen und Maßnahmen zu ihrer Eindämmung im Vergleich zu der Situation in den übrigen Ländern sowie Bewertung der Lage aus Sicht des Bundeskriminalamts. Sachverständiger: Oliver Krambrich
In der 8. Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 am 23. Februar 2023 wurde Oliver Krambrich, Leiter der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes, eingeladen, um die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität in Thüringen und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung im Vergleich zu der Situation in den übrigen Ländern mit einer Bewertung der Lage aus Sicht des Bundeskriminalamts zu beschreiben. Der Sachverständige nannte eingangs die Entwicklung der politisch motivierten Gewaltkriminalität über die Jahre anhand der Gesamtsummen: Die Summe der politisch motivierten Gewaltdelikte betrug im Jahr 2012 2.464 Straftaten, im Jahr 2021 wurden bundesweit 3.889 Straftaten erfasst. Die Höchstzahl wurde im Jahr 2015 mit 4.402 Gewaltdelikten verzeichnet, wobei dieser Anstieg unter anderem auf Angriffe (so etwa Brandstiftungen) auf Unterkünfte von Geflüchteten zurückgeht. Die Gesamtzahl der politisch motivierten Kriminalität (PMK) betrug 2012 27.440 Straftaten und stieg 2021 auf 55.048 Straftaten. Dabei lässt sich über den gesamten Zeitraum von 2012 bis 2021 der größte Anteil der politisch motivierten Straftaten immer dem Bereich PMK rechts zuzuordnen. Dabei betonte der Sachverständige, dass rechte Straftaten auf einer Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen basieren und entsprechend antisemitische und rassistische Straftaten und andere Formen der Hasskriminalität hier häufig zu beobachten sind. Dazu gehören insbesondere Tötungsdelikte. Nach diesen Ausführungen zu der bundesweiten Gesamtentwicklung wurde der Sachverständige zu der spezifischen Situation in Thüringen und zu konkreten Fällen befragt. Dabei entzog sich der BKA-Beamte konkreten Ausführungen mit Verweisen darauf, dass er keine Informationen dazu habe, keine Angaben machen könne, dass er dazu nicht aussagefähig wäre oder dass er keine entsprechende Aussagegenehmigung hätte. Der Untersuchungsausschuss forderte das BKA dazu auf, entsprechende Informationen nachzuliefern und geeignete Sachverständige vorzuschlagen, damit die noch offenen Fragen geklärt werden können.
Themen:
(1) Parteien, Organisationen und Netzwerke der extremen Rechten, Verbreitung und Propagierung extrem rechter, rassistischer und antisemitischer Narrative durch diese Akteure, Relevanz von extrem rechten Ideologien, Zustandekommen und Rechtfertigung der politisch motivieren Kriminalität (PMK) rechts. Sachverständige: Sebastian Friedrich, Dr. Gerd Wiegel
(2) Verbreitung extrem rechter Strukturen, Vernetzung zwischen unterschiedlichen Gruppierungen und Strukturen, Personen- und Gefahrenpotenzial, Ermittlungen in dem Phänomenbereich, die Bedeutung von Kampfsport für die rechte Szene und die Entwicklung und Aktivitäten der rechten Szene in Thüringen im Kontext der politisch motivierten Kriminalität (PMK) rechts. Sachverständiger: Robert Claus
In der 7. Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 am 13. Januar 2023 wurden zwei Themenbereiche behandelt. Zuerst wurde die Rolle der Parteien und Organisationen der extremen Rechten bei der Verbreitung und Propagierung extrem rechter, rassistischer und antisemitischer Narrative und die Relevanz von extrem rechten Ideologien zum Zustandekommen und der Rechtfertigung der politisch motivieren Kriminalität (PMK) rechts in Thüringen beleuchtet. Die Sachverständigen Sebastian Friedrich und Gerd Wiegel betonten dabei, dass die AfD in diesem Kontext eine zentrale Rolle spielt. Darüber hinaus besteht die historische Bedeutung der AfD darin, die erste ernst zu nehmende Partei in Deutschland zu sein, der es gelingen könnte, die deutsche extreme Rechte zu einigen. Dabei hat die völkisch-nationalistische Strömung innerhalb der AfD die Führung übernommen, sodass inzwischen die AfD insgesamt als extrem rechts einzuordnen ist. Dies lässt sich etwa bzgl. Rassismus nachzeichnen. So wird seitens der AfD einerseits versucht, deutlicher und offener in Richtung eines klassischen, genetischen Rassismus zu argumentieren, wie er etwa zur Zeit des Nationalsozialismus vorherrschend war. Björn Höcke hat beispielsweise im Herbst 2015 bei einer Rede auf einem Kongress des Instituts für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda in Sachsen-Anhalt zwischen einer afrikanischen und einer europäischen Reproduktionsstrategie unterschieden: Die afrikanische Strategie ziele auf eine möglichst hohe Wachstumsrate, in Europa überwiege hingegen die Strategie, die Kapazitäten des Lebensraums optimal zu nutzen. Höcke beruft sich auf ein Theorem, das Reproduktionsverhalten in der Tierwelt auf Menschen überträgt. Andererseits versuchen Akteure der extremen Rechten einen modernisierten Rassismus durchzusetzen, bei dem keine rein biologistische Begründung vorherrscht, sondern mit vermeintlich anthropologischen, ethnologischen und psychologischen Narrativen eine Ungleichheit verschiedener „Völker“ deklariert wird. Auch in anderen Fällen sind rassistische Denkmuster im Sinne einer völkisch-nationalistischen Vorstellung von Volk zu beobachten. So etwa wenn Alexander Gauland mit Blick auf die deutsche Nationalmannschaft davon spricht, dass diese nicht mehr „im klassischen Sinne“ deutsch sei. Hier findet sich die übliche rechtsextreme Trennung von „Passdeutschen“ und richtigen Deutschen, wie sie auch schon von AfD-Politikern getätigt wurde. Der Sachverständige Sebastian Friedrich beschrieb, dass die AfD ebenfalls als Wegbereiter für Gewalt anzusehen ist, indem sie im Sinne des völkischen Nationalismus Hass gegen Minderheiten verbreitet, Menschen entmenschlicht und damit dazu ermutigt, aus rassistischen Äußerungen rassistische Taten werden zu lassen.
Der Sachverständige Dr. Gerd Wiegel verwies darauf, dass die vom Thüringer Landesverband der AfD ausgehende deutliche Rechtsradikalisierung der Partei die AfD insgesamt zum zentralen Akteur der extremen Rechten in Deutschland gemacht hat. Dabei steht die AfD in der Tradition zentraler Ideologieelemente der extremen Rechten. Ethnopluralismus, ein auf kultureller Homogenität und Ausschließung alles „Fremden“ basierendes Verständnis der Nation, die Verachtung für die parlamentarische Demokratie und die Kriminalisierung politischer Gegner sind wichtige Elemente dieser Ausrichtung. Strategisch zielt die Thüringer AfD auf einen vollständigen Bruch mit dem politischen System der Bundesrepublik. Bündnisse mit „Altparteien“ sind maximal taktischer Natur, um den herbeigesehnten totalen Umsturz zu beschleunigen. Die in diesen Teilen gepflegten Vorstellungen eines „Tag X“-Szenarios schüren die Vorstellungen einer unmittelbar bevorstehenden grundsätzlichen politischen Veränderung. Damit schürt die AfD Vorstellungen, einen solchen Zusammenbruch des Systems selbst durch aktives Handeln zu beschleunigen. Dass sich rechtsterroristische Täter wie Stephan Ernst, der Mörder Walter Lübckes, positiv auf die AfD beziehen, ist kein Wunder. Und auch, dass sich einzelne Personen und auch hohe Funktionsträgerinnen der Partei, wie die ehemalige Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, einem verschwörungsaffinen und gewaltbereiten Reichsbürgerspektrum angenähert haben, ist nicht grundsätzlich verwunderlich. Genau so fällt die Welle der massenhaften Anschläge auf Geflüchtete und ihre Unterkünfte in den Jahren 2015-2017 nicht zufällig in die erste Phase des Rechtsradikalisierungsschubs der AfD.
Nach der Debatte über die Rolle der Parteien und Organisationen der extremen Rechten bei der Verbreitung und Propagierung extrem rechter, rassistischer und antisemitischer Narrative und die Relevanz von extrem rechten Ideologien zum Zustandekommen und der Rechtfertigung der politisch motivieren Kriminalität (PMK) rechts gab der Sachverständige Robert Claus einen Überblick über die Relevanz von Kampfsport für die rechte Szene und die Aktivitäten der rechten Kampfsport-Szene in Thüringen im Kontext der politisch motivierter Kriminalität (PMK) rechts. Dabei wurde sichtbar, dass militante Neonazis einen Kampfsport-Netzwerk mit Verbindungen zu rechtsterroristischen Strukturen und Akteuren aufgebaut haben. Die ideologischen Bezüge dieser rechten Kampfsport-Szene lassen sich auf nationalsozialistische Vorstellungen von Männlichkeit und Wehrhaftigkeit zurückführen, in denen ein sozialdarwinistischer und rassistischer Kampf propagiert wird. Das rechte Kampfsport-Netzwerk wird ergänzt durch weitere Bereiche, in denen die rechten Akteure tätig sind. So dient der Fußball-Hooliganismus als Rekrutierungsfeld für die Kampfsport-Szene, während die Security-Branche gewissermaßen als Arbeitsmarkt für die Personen aus der Kampfsport-Szene fungiert. Aber auch Rechtsrock-Veranstalter, die das Eventmanagement beherrschen als auch Besitzer von extrem rechten Immobilien, die Räume für Veranstaltungen der rechten Kampsport-Szene zur Verfügung stellen, sind für das rechte Kampfsport-Netzwerk relevant. Insgesamt zielen die Aktivitäten der extremen Rechten im Kontext von Kampfsport darauf, gewalttätige und kampfbereite Personen zu rekrutieren, ihre Gewaltkompetenz weiter auszubauen, sie auch ideologisch zu radikalisieren und in Strukturen und Netzwerke der extremen Rechten zu organisieren. Diese Entwicklung lässt sich beispielsweise an der Gruppe „Knockout 51“ illustrieren. Die Gruppe etablierte ein sichtbar militantes Auftreten durch Symbole, Logos und gemeinsame Gruppenkleidung und proklamierte, einen „Nazikiez“ in Eisenach etablieren zu wollen – auch durch den Einsatz von Gewalt, wofür die Mitglieder von „Knockout 51“ dazu aufgerufen wurden sich zu bewaffnen. Dabei lässt sich der Begriff „Nazikiez“ verstehen als einen rechtsfreien Raum, in dem diese Gruppe die Regeln setzt und mit der eigenen neonazistischen Gewalt dominiert.
Themen: Verbreitung extrem rechter Strukturen, Vernetzung zwischen unterschiedlichen Gruppierungen und Strukturen, Personen- und Gefahrenpotenzial, Ermittlungen in dem Phänomenbereich, die Bedeutung von Rechtsrock für die rechte Szene, völkische Landnahme, Parteien der extremen Rechten, Rechtsterrorismus mit Bezug zu Thüringen und die Entwicklung und Aktivitäten der rechten Szene in Thüringen im Kontext der politisch motivierten Kriminalität (PMK). Sachverständige: Andrea Röpke, Andreas Speit, Dr. Thorsten Hindrichs
In der 6. Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 am 6. Dezember 2022 wurden zwei Themenbereiche behandelt. Zuerst wurden die extrem rechten Strukturen, Organisationen und Parteien und die extrem rechten und rechtsterroristischen Taten dargestellt und analysiert. Die Sachverständigen Andreas Speit und Andrea Röpke machten dabei deutlich, dass die verschiedenen extrem rechten Akteure inzwischen organisatorisch und ideologisch eng kooperieren. Zentral ist dabei der völkische Nationalismus, der sowohl von außerparlamentarischen als auch parlamentarischen Kräften (wie etwa der AfD) propagiert wird. Diese Ideologie, die auch verschwörungstheoretische Elemente wie das Narrativ über den „Großen Austausch“ beinhaltet, richtet sich sowohl gegen konkrete Bevölkerungsgruppen als auch gegen demokratische und pluralistische Gesellschaften insgesamt. Ebenso legitimieren extrem rechte Täter ihre Handlungen mit Verweis auf den völkischen Nationalismus und die darin enthaltenen Narrative. Durch diese enge Kooperationen spielen idealtypische Abgrenzungen zwischen Rechtspopulisten, der Neuen Rechten und der traditionellen extremen Rechten keine große Rolle mehr. Der Sachverständige Andreas Speit verwies diesbezüglich beispielhaft auf eine Kundgebung, bei der neben Martin Kohlmann von den „Freien Sachsen“ auch Jürgen Elsässer vom Compact-Magazin, Lutz Bachmann von PEGIDA und Björn Höcke von der AfD als Redner aufgetreten sind.
Die Sachverständige Andrea Röpke machte darauf aufmerksam, dass Thüringen durch eine auffällig große Anzahl von rechtsextremen Immobilienstandorten, („Homebases“) gekennzeichnet ist. Dabei ist eine Vernetzung dieser Strukturen zu beobachten, die so eine große Akzeptanz für die extreme Rechte in Thüringen erlangen konnten. Auch die extremsten und radikalsten Akteure würden sich in Thüringen offen niederlassen können, was in anderen Bundesländern in dieser Schärfe nicht zu beobachten sei. Diese Akzeptanz gegenüber der extremen Rechten führe dann dazu, dass in vielen Thüringer Regionen extrem rechte Kräfte recht ungehindert agieren können. Die Sachverständige illustrierte dies anhand von konkreten Orten. In Ballstädt hat eine extrem rechte Szene, die trotz krimineller Aktivitäten, keine nennenswerten strafrechtliche Konsequenzen befürchten müssen. Dies ermutigte die dortigen Strukturen dazu, 2014 einen gewaltsamen Übergriff auszuüben, bei der zahlreiche Menschen verletzt wurden. Auch die folgende staatliche Reaktion, die in milden Bewährungsstrafen für die extrem rechten Gewalttäter mündete, führt zu einer weiteren Ermutigung der extremen Rechten. In Eisenach ist es der NPD gelungen mit dem „Flieder Volkshaus“ einen der wichtigsten Stützpunkte der extremen Rechten zu etablieren. Dabei verfestigten sich in Eisenach einer Vielzahl von extrem rechten Strukturen; von der NPD und gewalttätigen Gruppierungen wie etwa „Knockout 51“ bis hin zur rechtsterroristischen „Atomwaffen Division“. In Fretterode hat der bekannte extrem Rechter Thorsten Heise mit seinem „Rittergut Hanstein“ gewissermaßen das „Hauptquartier der rechtsextremen Szene in Thüringen“ (Zitat: Andrea Röpke) etabliert. In Fretterode finden extrem rechte Veranstaltungen statt, von hier wird auch der sogenannte „Eichsfeldtag“ organisiert, an dem auch rechtsterroristische Akteure teilnehmen, die ebenfalls so hoffähig gemacht und normalisiert werden.
Unter den zahlreichen extrem rechten Akteuren, die von den Sachverständigen detailliert beschrieben wurden, soll an dieser Stelle beispielhaft eine Organisation fokussiert werden. Die „Artgemeinschaft: Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" als die größte rassistische, antisemitische Pseudoreligionsgemeinschaft der extremen Rechten hält regelmäßig Treffen in Ilfeld (Thüringen) ab. Bei diesen Treffen sind auch regelmäßig Mitglieder von verbotenen extrem rechten Organisationen anwesend. Die Artgemeinschaft hat Verbindungen und Verflechtungen zu „Blood and Honour“, zum „Thüringer Heimatschutz“ und hatte auch Verbindungen zum NSU. So hat der NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben nach der Entlassung aus der Haft bei einem Mitglied der Artgemeinschaft Obhut gefunden. Auch andere Personen im Umfeld des NSU tauchen im Kontext der Artgemeinschaft auf, wie etwa Andre Eminger. Auch Stephan Ernst, der Mörder von Walter Lübcke, war Mitglied bei der Artgemeinschaft in Thüringen und wurde wahrscheinlich dort weiter radikalisiert.
Nach der Debatte über die extrem rechten Strukturen, Organisationen und Parteien und die extrem rechten und rechtsterroristischen Taten mit den Sachverständigen Andreas Speit und Andrea Röpke gab Dr. Thorsten Hindrichs einen Überblick über die Entwicklung der Rechtsrock-Szene und machte die Bedeutung von Rechtsrock für die rechte Szene insgesamt deutlich. Dabei werden von den extremen Rechten die Produktion und der Verkauf von Tonträgern und Merchandising und die Organisation von Konzerten als Teile des politischen Kampfes verstanden. In beiden Bereichen spielt Thüringen als Handlungsort eine zentrale Rolle sowohl bezüglich des gesamten Bundesrepublik Deutschlands als auch teilweise international. So sei die Bezeichnung Thüringen als „Rechtsrockland“ nicht ganz unzutreffend. In keinem anderen Bundesland finden so regelmäßig Rechtsrock-Veranstaltungen wie etwa Rechtsrockfestivals statt, die gewissermaßen zu einer Routine und Normalität geworden sind. Dabei bilden die kleineren Konzerte mit einigen Dutzend Besucher:innen, die häufig klandestin organisiert werden, die große Mehrheit der Rechtsrock-Veranstaltungen. Insbesondere solche kleinen Konzerten dienen auch zur Vernetzung der extremen Rechten. Durch den Zuzug von prominenten Rechtsrock-Akteuren wurde Thüringen in den letzten Jahren zu einem zentralen Knotenpunkt im Netzwerk der extremen Rechten. Dabei ist auch eine Überschneidung von Rechtsrock-Strukturen mit rechtsterroristischen Strukturen in Thüringen zu beobachten, wodurch die Infrastruktur und finanziellen Ressourcen, die durch Rechtsrock ermöglich werden, auch für den Rechtsterrorismus zur Verfügung stehen.
Thema: Lagebild der politisch motivierten Gewaltkriminalität in Thüringen im Verhältnis zu anderen Bundesländern und zur Gesamtlage in der Bundesrepublik
Sachverständiger: Prof. Uwe Backes
In der 5. Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 am 1. November 2022 wurde die politisch motivierte Gewaltkriminalität in Thüringen im Verhältnis zu der Situation in anderen Bundesländern und zur Gesamtlage in der Bundesrepublik gesetzt. Dazu wurde als Sachverständiger Prof. Uwe Backes angehört. Der Sachverständige begann seine Ausführungen mit einer Gegenüberstellung der westlichen und östlichen Bundesländer, bei der Thüringen und die übrigen ostdeutschen Bundesländer beim Thema Rechtsextremismus über dem Niveau der westdeutschen Bundesländer liegen würden. Hingegen sei beim Thema Linksextremismus Thüringen nicht auffällig.
Die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland führte der Sachverständige auf eine „lange Diktaturprägung der östlichen Länder“ zurück, wodurch die Menschen in Ostdeutschland sehr lange unter „unfreiheitlichen politischen Bedingungen“ gelebt haben, was sich auf die politischen und gesellschaftlichen Haltungen auswirken würde. Als noch wichtiger wurde „die Zerstörung der zivilen Gesellschaft in der DDR-Zeit“ gewertet, wodurch gerade in den 1990er Jahren, als die rechtsextremistische Szene gewachsen ist, eine Zivilgesellschaft, die ein Gegengewicht hätte sein können, weitgehend fehlte. Als weitere Faktoren wurden die ökonomischen und sozialen Probleme in den 1990er Jahren aufgeführt.
Der Sachverständige wies auf zwei Phänomene, die in Bezug auf politisch motivierte Gewaltkriminalität in Thüringen besonders wichtig seien. Zum Ersten wurde auf die Bedeutung Thüringens für die Rechtsrockszene hingewiesen. In Thüringen existiere eine Infrastruktur, um Konzerte u.ä. zu organisieren, die wiederum für die Finanzierung der militanten rechtsextremen Gruppierungen in der gesamten Bundesrepublik eine bedeutende Rolle spielen würden. Jenseits der ökonomischen Aspekte seien die Rechtsrockkonzerte auch für die Ausstrahlungskraft und Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremen Szene sehr wichtig. Zum Zweiten wurde auf die „sehr große Zahl von schwerwiegenden Tötungsdelikte“ im Bereich der PMK Rechts hingewiesen, die entweder von „organisierten rechtsextremen Gruppen oder Einzeltätern“ ausgingen. Ein vergleichbares Phänomen existiere nicht bei PMK Links.
In der anschließenden Fragerunde, bei der insbesondere die AfD versuchte, die rechtsextreme Gewaltkriminalität zu relativieren und PMK Rechts und PMK Links als gleichgewichtet darzustellen, wurde deutlich, dass eine solche Gleichsetzung nicht überzeugt. Uneinigkeit gab es bei der Frage, ob und wieweit das bisherige System der Kategorisierung und Erfassung von politisch motivierter Kriminalität reformierbar ist oder ob es doch einen Paradigmenwechsel im Sinne eines neuen Systems benötigt. Es zeigte sich erneut, dass Erklärungsansätze, die sich auf die Extremismustheorie beziehen, die Phänomene der politisch motivierten Gewaltkriminalität nicht adäquat analysieren können. Es bedarf hier einer Analyse, die die tatsächlichen Dimensionen der verschiedenen Phänomene im Blick behält. Dass dennoch auch ein exponierter Vertreter der Extremismustheorie das Problem in Thüringen klar bei der extremen Rechten verortet, zeigt, dass die Gefahren, die von der extremen Rechten und Rechtsterrorismus ausgehen, im Fokus des Untersuchungsausschusses stehen müssen.
Thema: Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Links: Rechtlicher Rahmen, Entwicklungen und zugrunde gelegte Konzepte, verwendete Definitions- und Erfassungssysteme, Speicherung und Verarbeitung von entsprechenden Informationen in polizeilichen Datenbanken, Wahrnehmungs- und Erfassungsdefizite und praktische Umsetzung im Zusammenspiel der Strafverfolgungsbehörden.
Sachverständige: Dr. Anna Luczak, Werner Jakstat, Frank-Michael Schwarz
In der 4. Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 am 13. September 2022 wurde die Definition und die Erfassung der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) Links thematisiert. Dazu wurde als erste Sachverständige die Rechtsanwältin und Kriminologin Dr. Anna Luczak eingeladen. Dr. Luzcak begann ihre Ausführung mit der Darstellung der Erfassung von PMK Links, einschließlich den verschiedenen Ebenen (so z.B. bundesweit oder auf der Länderebene) und den verschiedenen Datenbanken. Dabei wurde sichtbar, dass die Erfassung von einzelnen Taten als PMK Links häufig nach willkürlichen und eher subjektiven Entscheidungen der jeweiligen Sachbearbeiter:innen erfolgt und darüber hinaus die Praxis der Bundesländer nicht einheitlich ist.
Dieses Problem wird auch dadurch begünstigt, dass die Definitionen von PMK Links, die als Grundlage für die Erfassung von Taten dienen, nicht gesetzlich normiert und vereinheitlicht sind. So existieren weder Gesetze noch Richtlinien o.ä., die die Kriterien für die Erfassung als PMK Links festlegen und benennen, welche Straftatbestände berücksichtigt werden sollen. Die öffentlich verfügbaren Informationen über die PMK Links Definitionen der Strafverfolgungsbehörden sind keine tatsächlichen Definitionen, sondern beschreiben einzelne Tatbestandsmerkmale oder beschreiben allgemeine Aspekte im Kontext der politisch motivierten Taten. Aber eine Definition, die auch klare Grenzen zieht, was als PMK Links gilt und was nicht, lässt sich nicht erkennen.
Die Sachverständige beschrieb, dass in den Datenbanken im Kontext von PMK Links auch Datensätze zu finden sind, die keine Straftaten, sondern lediglich polizeiliche Maßnahmen zur Verhinderung von Straftaten beinhalten. Dies bedeutet, dass eine Gewahrsamsanordnung, die polizeilich angeordnet wird, um eine mögliche Straftat zur Verhinderung, einen Eintrag in die Datenbank „Gewalttäter links“ zur Folge haben kann, ohne dass die Person wegen einer tatsächlichen Straftat angeklagt und/oder verurteilt wird.
Neben der fragwürdigen und uneinheitlichen Erfassung ist auch die Kontrolle und Validierung der Datensätze problematisch. So existiert keine Stelle, an der sich Betroffene wenden können, um zu erfahren, was wo zu ihrer Person gespeichert ist. Die Speicherung von Informationen über eine Person kann in einer Datei sein oder auch kumulativ in mehreren Datenbanken. Es sind keine Bestimmungen bekannt, die festlegen, wo was gespeichert wird und wo nicht. Auch die Löschung von Datensätzen kann unvollständig verlaufen, d.h. die Löschung in einer Datenbank bedeutet nicht, dass der Datensatz in anderen Datenbanken auch gelöscht wird. Es existieren zwar Vorgaben dafür, wie lange Datensätze gespeichert werden (derzeit zehn Jahre), aber die Frist für die Höchstdauer verlängert sich üblicherweise mit jedem neuen Eintrag. So können Einträge, die eigentlich gelöscht werden müssten, durch neue Einträge immer weiter überdauern. Die Sachverständige verwies an dieser Stelle auf den Thüringer Landesdatenschutzbeauftragten, der diese Praxis in seinen 10. Tätigkeitsbericht als einen „Jungbrunnen“ benennt und kritisiert.
In der anschließenden Fragerunde wurden weitere problematische Aspekte benannt. So wurde kritisiert, dass die bisherige Praxis die Betroffenen, die in solchen Datenbanken eingetragen sind, sehr stark belastet. So wissen die Betroffenen nicht, in welcher Datenbank über sie Daten gespeichert sind und auch die Kriterien für die Speicherung von Daten nicht erkennbar sind. Es gibt also keine Möglichkeit, abzuschätzen, aufgrund von welchen Taten und welchen Vorwürfen Informationen gespeichert werden. Ebenso informieren die Strafverfolgungsbehörden die Betroffenen nicht über eine Speicherung. Dies könnte durch eine gesetzliche Bestimmung, wonach eine Auskunft gegenüber den Betroffenen vorgeschrieben wird, gelöst werden. Als weiteres Problem wurden die Statistiken über PMK Links benannt, die auf einer fragwürdigen Erfassung basieren und doch als Entscheidungsgrundlage für politische, juristische und polizeiliche Entscheidungen fungieren. Auch auf einer konkreten Ebene können Einträge in solche Datenbanken negativen Folgen für die Betroffenen haben, etwa im Rahmen von Zuverlässigkeitsprüfungen, Sicherheitsprüfungen und Ausreisen. Darüber hinaus führt die mangelnde Kontrolle und Begrenzung der Informationssammlungen dazu, dass hier faktisch eine Vorratsspeicherung von Daten vorliegt, wobei es fraglich ist, ob diese Vorgehensweise verfassungsgemäß ist.
Anschließend wurden Werner Jakstat, ehem. Präsident des Landeskriminalamts Thüringen (2010-2016) und Frank-Michael Schwarz, ehem. Präsident des Landeskriminalamts Thüringen (2016-2018) angehört, um Erkenntnisse über die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität (PMK) Links in Thüringen zu erlangen. Der Sachverständige Werner Jakstat konnte keine genauen Angaben machen und verwies auf seine schlechte gesundheitliche Lage. Der Sachverständige Frank-Michael Schwarz betonte, dass Straftaten mit einem linken politischen Hintergrund keinen relevanten Umfang besitzen und es zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte dafür gab, dass sich in Thüringen linksterroristische Zellen gebildet hätten.
Insgesamt zeigt die Debatte viele Probleme bei der Definition und Erfassung von PMK Links und machte deutlich, dass die Kontrolle über die Datensätze ebenso mangelhaft ist wie die Möglichkeiten von Betroffenen, sich über Einträge zu informieren und ggf. diese Einträge löschen zu lassen. Aus den Erörterungen wurde deutlich, dass es für die Definition und Erfassung in Polizeidatenbanken transparente und verfassungsgemäße Vorgaben braucht und die Rechte von Betroffenen gestärkt werden müssen. Die Nutzung von PMK Links Statistiken als Instrument der Analyse über politisch motivierte Kriminalität scheint nicht überzeugend zu sein angesichts der zahlreichen Probleme und Mängel bei der Erfassung.
Themen:
Politisch motivierte Kriminalität (PMK) als Kategorie, einschließlich des rechtlichen Rahmens, der Entstehungsgeschichte, seiner Entwicklungen und zugrunde gelegten Konzepten, der verwendeten Definitions- und Erfassungssysteme, der Wahrnehmungs- und Erfassungsdefizite, den einzelnen Phänomenbereichen, der praktischen Umsetzung in Zusammenspiel der Strafverfolgungsbehörden, des aktuellen Forschungsstands zu Dunkelfeldern und der Verankerung von sog. Hasskriminalität in dem Erfassungssystem der politisch motivierten Kriminalität. Sachverständige: Dr. Britta Schellenberg, Dr. Martin Thüne)
Erstellung und Funktionsweise der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) aus Bundes- und Landesperspektive und weitere Fragen um die PMK- und PKS-Statistiken. Sachverständige: Jana Knauß (BKA), Jens Kehr (LKA Thüringen)
In der 3. Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 am 5. Juli 2022 wurden zwei Themenbereiche behandelt. Zuerst würde die zentrale Kategorie der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) mit all den einzelnen Facetten besprochen. Die Sachverständigen Dr. Schellenberg und Dr. Thüne betonten am Beginn ihrer Präsentation die Schwächen in der Ermittlungsarbeit und in der Kategorisierug der Straftaten im Kontext des PMK-Systems. So werden Vorurteils- und Hasskriminalität (wie etwa Übergriffe auf LGBTI, Muslime und Jüd:innen) häufig nicht erkannt, nicht korrekt zugeordnet und können somit nicht adäquat bearbeitet werden. Die Gründe hierfür gehen auf viele Faktoren zurück, die u.a. im PMK-System selbst angelegt sind. So verhindern bundesweit uneinheitliche Modalitäten bei den Erfassungen, d.h. Unterschiede bei Zuständigkeiten, Vorgangsbearbeitungssystemen, Stand und Qualität der Aus- und Fortbildung, eine einheitliche und nachvollziehbare Vorgehensweise. Darüber hinaus sind die Richtlinien für die PMK-Erfassung für viele Polizeibeamt:innen schwer greifbar und Beamt:innen kommen bei gleichen Sachverhalten zu unterschiedlichen und z.T. gegensätzlichen Einschätzungen bzgl. der PMK-Erfassung. Solche Unsicherheiten und Zweifel führen dann zur Falsch- und Nichterfassungen von PMK-Taten. Dadurch, dass Erfahrungen und Kritik von Opfern der PMK-Taten und von zivilgesellschaftlichen Opferberatungsstellen weder durch die Innenministerien noch durch die staatlichen Ermittlungsbehörden wahrgenommen werden, können solche wichtigen Impulse nicht dazu genutzt werden, das PMK-System zu reformieren. Im Ergebnis werden im PMK-System verschiedene Ansätze und Konzepte, wie etwa die Extremismustheorie und der Hasskriminalitätsansatz, zusammengestrickt, die nicht logisch zusammenpassen. Dadurch ist das PMK-System in der Praxis kaum verständlich und verwirrend. Die Sachverständigen formulierten auf Basis dieser Einschätzungen Vorschläge sowohl für das PMK-System als auch für die Arbeit der staatlichen Ermittlungsbehörden insgesamt. Die strukturellen Probleme und Schwächen des PMK-Systems lassen sich demnach mit kleineren Reformen nicht überwinden. Nötig ist die Etablierung eines neuen polizeilichen Definitions- und Erfassungssystems mit einem Blick auf Vorurteilskriminalität. Dabei braucht es auch klare Definitionen und Erläuterungen für die Mitarbeitenden der staatlichen Ermittlungsbehörden für Ermittlungen im Themenfeld Vorurteilskriminalität, damit die Verbindungen der Taten zur Antisemitismus, Rassismus, LGBTQ-Feindlichkeit usw. für die Mitarbeitenden erkennbar werden. Die Sensibilisierung der Mitarbeitenden für Vorurteilskriminalität kann auch durch die Stärkung einer demokratischen und menschenrechtsorientierten Haltung innerhalb der staatlichen Ermittlungsbehörden durch die entsprechende Aus- und Fortbildung der Mitarbeitenden erreicht werden.
Nach der Debatte über die Politisch motivierte Kriminalität mit den Sachverständigen Dr. Schellenberg und Dr. Thüne stellten Vertreter der Bundes- und Landesbehörden ihre Perspektiven auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) und auf die Politisch motivierten Kriminalität (PMK) vor. Dazu präsentierte Jana Knauß, Referatsleiterin im Bundeskriminalamt (BKA) u.a. für die Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) zuständig, Grundzüge des PKS-Systems. Die PKS der BKA ist eine Zusammenstellung aller der Polizei bekannt gewordenen Straftaten, wobei die absolute Mehrheit der Daten aus den Länderdienststellen kommt und nur eine geringere Menge an Daten vom BKA selbst und vom Bundeszollbehörde. Die PKS als eine Ausgangsstatistik umfasst die Fälle, die durch die Polizeidienststellen endbearbeitet wurden. Anschließend werden die Fälle an die Staatsanwaltschaften und Gerichte übergeben. Nach der kurzen und skizzenhaften Darstellung folgten kritische Fragen seitens der UA-Mitglieder. So wurde zum einen auf die Kritik seitens der Zivilgesellschaft, dass politisch motivierte Straftaten mit rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Hintergrund, nicht adäquat erfasst werden und danach gefragt, ob im Bundeskriminalamt diese Aspekte untersucht und ggf. Schritte zur Eindämmung dieser Probleme unternommen werden. Diese Frage konnte durch die Ausführungen der Sachverständigen nicht geklärt werden. Bei der Nachfrage zum Vorgehen der BKA bei der Erstellung der PKS-Zahlen, nämlich auf eine Plausibilitätsprüfung der PKS-Zahlen aus den Bundesländern zu verzichten und aus diesen Zahlen eine Statistik für die Bundesebene zu aggregieren, reagierte die Sachverständige auf die PKS-Richtlinien und Nutzungshinweise („Manual“ für die PKS-Erfassung) und betonte, dass die PKS-Zahlen aus den Bundesländern seitens des BKA nicht angezweifelt werden. Anschließend beantwortete Jens Kehr in seiner Funktion als Präsident des Landeskriminalamts Thüringen einzelne Fragen im Kontext der PMK- und PKS-Fälle. So wurde von UA-Mitgliedern das Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen „Knockout 51" angesprochen und kritisch nachgefragt, warum das Bundeskriminalamt das Verfahren einleitete und nicht das Landeskriminalamt Thüringen und wie der faktische Ausschluss der Thüringer Polizei aus diesem Verfahren zu erklären sei. Auch bei einem weiteren Aspekt wurde seitens der UA-Mitglieder Klärungsbedarf festgestellt. So werden Fälle nach § 113 („Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“) als als Gewalttat erfasst und so mit anderen, tatsächlichen Gewalttaten gleichgesetzt. Allerdings kann bereits das Festhalten an einem Geländer o.ä. bei einer Räumung durch Polizeibeamte als Verstoß gegen § 113 darstellen und die Erfassung eines solchen Falls als Gewaltdelikt wurde durch mehrere UA-Mitglieder als nicht angemessen bewertet. Zuletzt wurde danach gefragt, wie die Innenministerien und die Ermittlungsbehörden die Kritik an der PMK-Kategorie „nicht zuzuordnen“ aufgreifen. Laut dem Sachverständigen sind die internen Diskussionen dazu nicht abgeschlossen, aber es deute sich die Tendenz an, dass man keine neuen Kategorien schaffen wird und auch nicht die bisherige Kategorie grundsätzlich neu und anders definieren wird. Stattdessen sei eine Umbenennung der Kategorie ohne wesentliche inhaltliche Änderungen wahrscheinlich.
Themen:
Die begrifflichen Grundlagen, praktischen Auswirkungen, wissenschaftlichen Stichhaltigkeit und institutionellen Verankerung der sogenannten „Extremismustheorie“ und ihre Auswirkungen in rechtliche und quasi-rechtliche Bestimmungen insbesondere im Bereich der Vergabe von Fördermitteln, die Erstellung von behördlichen Statistiken und Berichten und in der öffentlichen Kommunikation von Behörden, die Arbeit und die Analysefähigkeiten der Sicherheits- und Justizbehörden, die Aus- und Weiterbildung der Sicherheits- und Justizbehörden und ihrer Anwendung und Bedeutung für die politische Bildung und die zivilgesellschaftliche Arbeit. Sachverständige: Prof.in Dr. Julika Bürgin, Prof. Dr. Matthias Quent
Überblick über die Entwicklung der politisch motivierten Gewaltkriminalität in Thüringen. Sachverständige: Jens Kehr (LKA Thüringen)
In der 2. Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 am 31. Mai 2022 wurden zwei Themenbereiche behandelt. Zuerst würde die sogenannte „Extremismustheorie“ mit ihren zahlreichen theoretischen und praxisbezogenen Aspekten besprochen. Die Sachverständige Prof.in Dr. Julika Bürgin verwies am Beginn ihrer Präsentation darauf, dass der Begriff des Extremismus sich als Amtsbegriff etabliert hat, obwohl es sich nicht um einen Rechtsbegriff handelt. Über die Kategorisierung als „extremistisch" entscheiden faktisch die Ämter für Verfassungsschutz, die die Sachverständige als Inlandsgeheimdienste, die parlamentarisch nur sehr eingeschränkt kontrollierbar sind, einordnet. Während andere Konzepte und Kategoriensysteme wie etwa Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit theoretisch gut ausgearbeitet und empirisch abgesichert sind, lässt sich eine solche wissenschaftliche Fundierung der „Extremismustheorie“ nicht feststellen. Aber nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht bleibt die „Extremismustheorie“ fragwürdig. Die Sachverständige verwies auf die Kritik seitens der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, dass deutsche Ermittlungs- und Justizbehörden rassistische und antisemitische Tatmotive nur unzureichend berücksichtigen würden. Dies hängt damit zusammen, dass in Deutschland die „Extremismustheorie“ für den staatlichen Umgang mit politisch motivierter Kriminalität maßgeblich ist. Dadurch, dass die „Extremismustheorie“ sich auf vermeintlich extreme Ränder, die im Rahmen dieser Theorie erst überhaupt konstruiert werden, konzentriert, wird der tatsächliche Ausmaß von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auch in der „Mitte“ der Gesellschaft und in staatlichen Institutionen übersehen und ausgeblendet. Aber auch demokratietheoretisch bleibt die „Extremismustheorie“ fragwürdig, weil mit dem Begriff des „Extremismus“ jenseits demokratischer Gesetze eine Grenze der Legitimität etabliert wird. Menschen oder Organisationen können also alle Gesetze beachten, aber dennoch als extremistisch kategorisiert werden, mit weitreichenden Folgen für individuelle Grundrechte und politische Beteiligungsrechte.
In der anschließenden Diskussion wurden weitere Probleme und Schwachstellen der „Extremismustheorie“ und das damit zusammenhängende staatliche Handeln erörtert. Ein zentrales Problem bildet die Problemwahrnehmung bei rassistischem und antisemitischem Handeln. So wurde etwa bei der NSU-Mordserie seitens der staatlichen Ermittlungsbehörden nicht wahrgenommen, dass es sich um eine rassistische Mordserie handelt, weil der Blick der Ermittlungsbehörden durch die „Extremismustheorie“ und damit zusammenhängenden Annahmen über Rechtsextremismus getrübt war. Aber auch im Bereich der Demokratieförderung und politischer Bildung wird die „Extremismustheorie“ den zivilgesellschaftlichen Trägern aufgezwungen, wie etwa durch die sogenannte Extremismusklausel, obwohl insbesondere die kritische Zivilgesellschaft sich deutlich dagegen ausgesprochen hat. Aber dadurch, dass staatliche Fördermittel mangels anderer Finanzmittel für zivilgesellschaftliche Träger entscheidend sind, bleibt oft die Alternative diese problematische Vorgabe zu akzeptieren oder die Arbeit einzustellen.
Auch der Sachverständige Prof. Dr. Matthias Quent begann seine Ausführungen damit, dass das Extremismuskonzept kein originär wissenschaftliches sei, sondern vor allem ein politisches bzw. auch sicherheitspolitisches Konzept, das in der Phase des Kalten Krieges entwickelt wurde. Für die Einschätzung, ob die „Extremismustheorie“ überhaupt als wissenschaftliche Theorie taugt, müsste man prüfen, ob zentrale Definitionskriterien darüber was als extremistisch einsortiert wird, tatsächlich in allen als extremistisch bezeichneten Phänomenen wiederzufinden sind und ob sie nicht auch in der vermeintlichen politischen Mitte der Gesellschaft zu beobachten sind. Dadurch bleibt der allumfassende Erklärungsansatz einer „Extremismustheorie“ als solche fragwürdig: die Annahme, wenn man den Kern von Extremismus erkannt habe, dann erkennt man automatisch alle anderen möglichen Spielarten von Extremismus. Und ebenso ist es problematisch, wenn man von einer Ähnlichkeit zwischen Rechtsextremismus und Linksextremismus ausgeht, weil ganz offenbar zentrale Unterschiede zwischen der rechten Ungleichwertigkeitsideologien und linken Vorstellungen über umfassende Gleichheit und Gleichberechtigung für alle Menschen bestehen. Aber das Extremismuskonzept führt auch zu ganz konkreten Problemen im staatlichen Handeln. Als sich 2011 der NSU selbst enttarnte, hieß es aus den Sicherheitsbehörden, man habe diesen Terrorismus nicht erkennen können, weil diese Rechtsextremen keine Bekennerschreiben vorgelegt hätten. Man hat hier das Bild des Linksterrorismus abstrahiert und angenommen, dass entsprechend der Roten Armee Fraktion Terroristen aufwändige Bekennerschreiben veröffentlichen würden. Allerdings benötigen Rechtsextremisten keine schriftliche Begründung für ihre Taten, weil sie ohnehin in ihrer Ideologie der Meinung sind, dass manche Menschengruppen weniger wert sind und getötet werden dürfen. Wenn also staatliche Ermittlungsbehörden entsprechend den Vorstellungen der „Extremismustheorie“ von einer Ähnlichkeit von Rechtsextremismus und Linksextremismus ausgehen, werden dadurch zentrale Unterschiede nicht erkannt und Taten können entsprechend nicht adäquat erkannt werden.
In der Frage- und Diskussionsrunde wurde die „Extremismustheorie“ weiter problematisiert. So verwies der Sachverständige darauf, dass dadurch, dass der Rechtsextremismus in der Regel nicht den Staat angreift mit dem stark staatsschutzzentrierten Modell der Extremismustheorie rechtsextreme Taten nicht adäquat erfasst und tendenziell verharmlost werden. Auch führt das parallelisierende Sprechen über Rechts- und Linksextremismus dazu, dass rechtsextremen Bedrohungslagen wie etwa in Thüringen der 1990er Jahren nicht rechtzeitig erkannt wurden und durch staatliche Maßnahmen wie etwa akzeptierende Jugendarbeit rechtsextreme Strukturen und Netzwerke sich festigen und ausbauen konnten.
Nach der Debatte über die „Extremismustheorie“ mit den Sachverständigen Prof.in Dr. Bürgin und Prof. Dr. Quent gab Jens Kehr in seiner Funktion als Präsident des Landeskriminalamts Thüringen einen Überblick über die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität (PMK) in Thüringen. Dabei wurde ein stetiger Anstieg der PMK-Gesamtzahlen von 1400 Fällen im Jahr 2012 auf 2770 im Jahr 2021 sichtbar. Dabei liegen die Fallzahlen im Bereich PMK-rechts kontinuierlich deutlich über den Fallzahlen im Bereich PMK-Links. Im Bereich PMK „nicht zuzuordnen“ ist eine achtfache Steigerung zwischen 2012 und 2021 zu beobachten; während 2012 120 Fälle registriert wurden, werden 2021 1017 Fälle gezählt. Aus den Ausführungen wurde sichtbar, dass der Anstieg der PMK-Gesamtzahlen zwischen 2012 und 2021 hauptsächlich auf die achtfache Steigerung der PMK „nicht zuzuordnen“ Fallzahlen zurückgeht. Dabei stammt laut Einschätzung des Sachverständigen der Großteil der PMK „nicht zuzuordnen“ Delikte aus dem Reichsbürger-Szene. Diese Feststellung des LKA-Präsidenten führte in der Diskussionsrunde zu der Frage, ob die Einschätzung von Taten von Reichsbürgern als PMK „nicht zuzuordnen“ adäquat ist. Die Ideologie der Reichsbürger beinhaltet über die grundsätzliche Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung auch die Leugnung des Holocausts, Geschichtsrevisionismus und expliziten Antisemitismus und weitere rechte Ideologieelemente. Danach wäre eine Einordnung als PMK Rechts nachvollziehbarer als die bisherige Einordnung als PMK „nicht zuzuordnen“. Der LKA-Präsident verwies in seiner Antwort darauf, dass das PMK-System insgesamt und auch die einzelnen Kategorien und Konzepte durch die Innenministerkonferenz festgelegt werden und damit eine Vorgabe für die Arbeit etwa des LKA Thüringen bilden. Dementsprechend könne er nicht kommentieren, ob die Einstufung als PMK „nicht zuzuordnen“ richtig sei oder nicht.
Am morgigen Donnerstag, 28. September 2023, findet die nächste Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 („Politisch motivierte Gewaltkriminalität“) statt. In der öffentlichen Anhörung wird es um Antisemitismus in Thüringen gehen. Im Vorfeld erklärt Katharina König-Preuss, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag für den… Weiterlesen
Zur heutigen Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 zu „Politisch motivierter Gewaltkriminalität“ erklärt Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus und Antirassismus der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag und Obfrau der Fraktion im Untersuchungsausschuss: „In der heutigen Sitzung wurde festgelegt, dass in der kommenden Sitzung am… Weiterlesen
Zur Sitzung des Untersuchungsausschusses zu „politisch motivierter Gewaltkriminalität“ am Donnerstag, 23. März, erklärt Christian Schaft, stellvertretender Vorsitzender im Untersuchungsausschuss für die Fraktion DIE LINKE im Landtag: „Die nachgelieferten Zahlen als Antwort vom Innenministerium auf meine mündliche Anfrage zeigen das enorme Ausmaß an… Weiterlesen
Morgen findet die nächste Sitzung des Untersuchungsausschuss 7/3 zu "politisch motivierter Gewaltkriminalität" statt - ab 10:30 Uhr im Landtag in Erfurt. Weiterlesen
In der heutigen Sitzung des Untersuchungsausschusses "Politisch motivierte Gewaltkriminalität" wurden mehrere von der AfD benannte Sachverständige vom Ausschuss mehrheitlich abgelehnt. Dazu erklärt Katharina König-Preuss, Obfrau der Fraktion DIE LINKE im Untersuchungsausschuss 7/3: „Bereits in der vergangenen Sitzung hatten wir sehr deutlich… Weiterlesen
Ideologisch motivierte Angriffe der CDU auf die Zivilgesellschaft müssen abgewehrt werden. Zur am Dienstag stattfindenden konstituierenden Sitzung des Untersuchungsausschusses 7/3 erklärt Katharina König-Preuss, Sprecherin für Antifaschismus und Obfrau im Untersuchungsausschuss für die Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag: „Wir werden im… Weiterlesen
Anträge aus den bisherigen Sitzungen des Untersuchungsausschusses 7/3
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Vergangene Veranstaltungen
Rechte Gewalt & Radikalisierter Konservatismus – Podiumsdiskussion
Seit einem Jahr beschäftigt sich der Untersuchungsausschuss „Politisch motivierte Gewaltkriminalität“ im Thüringer Landtag mit verschiedenen Phänomenen, die in dieser Kategorie einsortiert werden. Nach einem Jahr Arbeit konnte festgestellt werden, dass rechte Gewalt und rechte Strukturen in Thüringen ein massives Problem darstellen. Parlamentarische und außerparlamentarische Kräfte der extremen Rechten legitimieren und befeuern dieses Problem noch weiter. Die Veranstaltung soll in einer Bilanz des Untersuchungsausschusses das Ausmaß und die Relevanz der rechten Strukturen und Netzwerke in Thüringen beleuchten. Politikwissenschaftlerin und Autorin Natascha Strobl wird die politischen Entwicklungen im rechtskonservativen bis extrem rechten Lager analysieren.
Seit einem Jahr beschäftigt sich der Untersuchungsausschuss „Politisch motivierte Gewaltkriminalität“ im Thüringer Landtag mit verschiedenen Phänomenen, die in dieser Kategorie einsortiert werden. Nach einem Jahr Arbeit konnte festgestellt werden, dass rechte Gewalt und rechte Strukturen in Thüringen ein massives Problem darstellen. Parlamentarische und außerparlamentarische Kräfte der extremen Rechten legitimieren und befeuern dieses Problem noch weiter.
Die Behauptungen der CDU über „linksextreme Gewalt“ oder sogar „Linksterrorismus“ in Thüringen konnten dagegen nicht belegt werden. Solche falschen Fokussierungen und die Behauptungen einer „Gefahr von Links“ schaffen die Grundlage für breitere rechte Bündnisse von Konservativen und Rechtskonservativen bis hin zur extremen Rechten. Dies ist Teil einer globalen Entwicklung, die von der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl als „radikalisierter Konservativismus“ beschrieben wird. Mit den diskursiven Methoden der extremen Rechten wird damit letztlich ein rechter Kulturkampf gegen demokratische und pluralistische Werte und Normen betrieben.
Die Veranstaltung soll in einer Bilanz des Untersuchungsausschusses das Ausmaß und die Relevanz der rechten Strukturen und Netzwerke in Thüringen beleuchten. Natascha Strobl wird die politischen Entwicklungen im rechtskonservativen bis extrem rechten Lager analysieren.
Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin mit Wohnsitz Wien. Sie schreibt u.a. für Zeit online, die taz und den Standard. Zuletzt erschien von ihr der Bestseller „Radikalisierter Konservatismus“, für den sie den Anerkennungspreis des Bruno-Kreisky-Preises für das Politische Buch 2021 erhielt.
Moderiert wird die Veranstaltung von Sarah Ulrich. Sie ist freie Journalistin und Arbeitet hauptsächlich zu den Themen Machtmissbrauch, (Arbeits)Ausbeutung, rechte Gewalt und feministische Kämpfe. 2021 wurde sie vom Medium Magazin als eine der Top 30 Journalist:innen unter 30 gewählt.
Donnerstag, 11.05.23 – Café Nerly Erfurt
Einlass: 17:30, Beginn: 18:00, Ende: 21:00 Uhr
Café Nerly, Marktstraße 6, Erfurt. Der Eintritt ist frei.
Mehr Infomationen: www.die-linke-thl.de/ua-pmk
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