Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Schulgesetzes (Gesetz zur Verbesserung der Berufsschulnetzplanung)

Zum Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1096 - Erste Beratung


Sehr geehrte Frau Präsidentin, werte Abgeordnete, ich bin sehr positiv überrascht über die Debatte heute, möchte aber trotzdem noch einige grundsätzliche Worte loswerden zur Berufsschulnetzplanung und auch noch einige kritische Punkte benennen, auch wenn ich das Gefühl habe, dass nach vier Jahren Debatte im Thüringer Landtag tatsächlich der dringende politische Handlungsbedarf angekommen ist. Wir sprechen über nichts Geringeres als über die Ausbildungsmöglichkeiten von ca. 70 Prozent aller Schulabgängerinnen und Schulabgänger in Thüringen, das heißt 65.000 Schülerinnen und Schüler, die Ausgestaltung und Struktur der 117 berufsbildenden Schulen derzeit, davon 51 staatliche und 66 freie Schulen, über millionenschwere Investitionssummen als auch natürlich über den Einsatz von Tausenden Lehrern und Lehrerinnen.

In Vorbereitung auf meine heutige Rede war ich fast versucht, meine Rede von 2008 zu wiederholen, deren Tenor auch damals schon war, wir haben ein demographisches Problem und müssen endlich handeln. Ich habe es nicht getan und bin froh darüber, dass sich die Fraktionen des Thüringer Landtags heute entschieden haben, das Thema endlich auf die Tagesordnung zu setzen und in den Bildungsausschuss zu überweisen.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch da möchte ich schon meine Kritik ansetzen. In den vergangenen zwei Jahren seit 2008 haben wir schon insgesamt 7.000 Schülerinnen an berufsbildenden Schulen weniger und schlittern im Moment auf den Tiefpunkt der Schülerinnenzahlen 2012 zu, was bedeutet, dass wir etwa 40 bis 50 Prozent der Schülerzahlen von 2004 an den berufsbildenden Schulen zu erwarten haben. Noch immer ist nichts passiert und auch - zumindest ist das mein Stand aus dem letzten Ausschuss im April - der SPD-Kultusminister knickt vor der Aufgabe einer Landesmoderation in der Berufsschulnetzplanung bisher ein und wartet ab. Ich hoffe, wir kommen da zu einer anderen Situation.

Ich will noch etwas zu - sagen wir mal - dem Lebenslauf der Berufsschulnetzplanung sagen. 1995 stellt Prof. Zedler in einer Studie zur Entwicklung der Grundschulzahlen fest, dass man unbedingt die berufsbildenden Schulen im Blick haben müsse. 1999 bestätigte er dieses in einem Gutachten zur Entwicklung der Regelschulen und Gymnasialschülerinnen, gehandelt wurde nicht. DIE LINKE thematisierte die Schülerentwicklungszahlen an den berufsbildenden Schulen 2004 im Landtag, 2007 im Bildungsausschuss, 2008 zusammen mit der SPD im Landtag und 2009 letztendlich mit Anfragen. Auch da gab es einige Schritte der Landesregierung, die zumindest bei mir den hoffnungsvollen Eindruck erweckten, sie hätten ihre Verantwortung verstanden. Eine Stabsstelle Berufsschulnetzplanung wurde im Ministerium gebildet, ein Gutachten zur Verfügung gestellt, das sogenannte "Zedlergutachten", das zusammen mit dem Thüringer Landkreistag finanziert worden ist. Das Ministerium bestimmte Kriterien, die aus Sicht des Landes dem Planungsprozess zugrunde gelegt werden sollten, dann aber geschah nichts mehr. Die angekündigte Schiedsstelle zwischen den Landkreisen ist nicht zustande gekommen. Die 2007 eingerichtete Stabsstelle im Kultusministerium wurde 2008 aufgelöst und ein im Januar durch Minister Müller damals noch 2009 angekündigter Konzeptentwurf - ich zitiere: "zu einem ausgewogenen Berufsschulnetz unter Maßgabe einer wohnortnahen und betriebsortnahen Beschulung sowie einer fachlichen, auf höchstmöglichen Niveau stattfindenden berufsschulischen Kenntnisvermittlung" hat entweder das Licht der Welt in diesem Jahr nicht erblickt oder ist über das Ministerium nicht hinausgekommen.


Das Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft - jetzt durch die SPD mit Minister Matschie geführt - musste im April dieses Jahres im zuständigen Ausschuss erklären, dass nur zwei Bildungsregionen der vorgeschlagenen sechs sich halbwegs zusammengefunden haben, Herr Emde hat das schon erwähnt, das sind Ost- und Westthüringen, dass eine Vielzahl guter aber viel zu kurz greifender Ansätze vorhanden sind, die aber über die Bildungsregion hinaus Abstimmungsbedarf hätten. Von über 600 unterfrequentierten Klassen wurden ganze 80 nicht genehmigt.

2004 monierte in der Debatte zur Berufsschulnetzplanung der damalige Abgeordnete Andreas Bausewein mit Rückblick auf das Vorgehen im allgemeinbildenden Schulbereich, wo sie sich alle erinnern, dass wir 400 allgemeinbildende Schulen verloren haben. Die Situation "verlangt förmlich nach einem konzertierten Handeln im Interesse der weiteren Entwicklung des Bildungs- und Ausbildungsstandes Thüringens. Allerdings steht zu befürchten, dass die Schulträger erneut unkoordiniert vorgehen und insbesondere nach eigener Kassenlage über das Wohl und Wehe der Berufsschulstandorte entscheiden werden." Ich glaube, diesen Punkt haben wir. Frau Hitzing, genau an diesem Punkt gebe ich Ihnen nicht recht, aus meiner Sicht stehen wir am Punkt null. Wir haben zwar einzelne Abstimmungen, aber was eine landesweite Berufsschulnetzplanung angeht, stehen wir bei null und die Landkreise entscheiden selbst.

Sehr geehrte Damen und Herren, Berufsschulnetzplanung ist kein einfaches Thema, Herr Emde hat das auch schon erwähnt. Deswegen noch ein kleiner Diskurs, was sagte eigentlich das sogenannte Zedler-Gutachten 2007? Ich werde noch einmal einige Kernaussagen zurückholen, damit wir uns über die Bedeutung der Situation noch mal klar werden.


Punkt 1: Die Anzahl der 15- bis 25-Jährigen wird sich in Thüringen bis 2010 - das haben wir jetzt - halbiert haben und nach 2015 nicht wesentlich ansteigen.

Punkt 2: Der massive Rückgang der Schülerzahlen im berufsbildenden Bereich um 50 Prozent gefährdet insbesondere die beruflichen Ausbildungsgänge im dualen Bereich, aber auch vorzeitschulische Ausbildungsgänge.

Punkt 3: Die Schulraumbilanz im Land insgesamt ergibt einen möglichen Raumüberhang von 1.435 Räumen, was nichts anderes bedeutet, dass das Zedler-Gutachten sagt, auf ein Drittel der Thüringer Schulen könnte verzichtet werden.

Noch einen zweiten Schritt zurück in der Erinnerung, was empfahlen die Gutachten? Die Gutachter empfahlen mit Nachdruck die Einrichtung von sechs Bildungsregionen, innerhalb derer die Schulnetzplanung stattfinden soll. Vorgeschlagen wurde auch die Zusammenlegung von Fachklassen auf der Stufe der beruflichen Grundbildung, um ökonomisch vertretbare Klassengrößen zu erhalten. Zum Dritten wurde vorgeschlagen, eine Reduktion und Schwerpunktbildung von Ausbildungsgängen ausgewogen zu gestalten - jetzt möchte ich Sie um Aufmerksamkeit bitten - und grundlegende politische Entscheidung bis 2010 getroffen zu haben. Wir sind jetzt in der Mitte 2010; wir haben also noch ein halbes Jahr Zeit.

Gefordert wurde ebenso von Zedler eine Qualitätsoffensive für die berufliche Bildung, was schon 2007 bzw. 2008 mit der Verabschiedung des Lehrerbildungsgesetzes hervorragend kontakariert worden ist, um die Lehrerinnen und Lehrer in die Lage zu versetzen, die pädagogische Leistungsfähigkeit der Einrichtungen zu steigern. Mit Bildungsmarketing - und ich glaube, auch da hat tatsächlich Thüringen eine Chance - soll die zukünftige Nachfrage im Ausbildungsbereich beeinflusst werden, wobei es darum geht, auch junge Menschen aus den alten Bundesländern nach Thüringen zu einer Ausbildung zu holen.


(Beifall DIE LINKE)


Das war 2007. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist das Jahr 2010. Bis jetzt haben wir keine politischen Entscheidungen treffen können. Ich habe Ihnen auch mehrmals deutlich gemacht, dass es Schritte bzw. Anlässe gegeben hätte, dies zu tun. Die aktuelle Rechtsauffassung der Thüringer Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur stellt infrage, dass das Ministerium die Fortschreibung der Schulnetzpläne und deren Veröffentlichung wahrnehmen darf, was de facto bedeutet, dass die praktizierte Federführung des Kultusministeriums infrage gestellt ist. Wenn Beschlüsse in Parlamenten der betroffenen Bildungsregionen, sprich in den Landkreisen und kreisfreien Städten, nicht getroffen worden sind oder angrenzende Schulträger nicht zustimmen, kann das Ministerium eben nichts tun, was im Ergebnis bedeutet, es bleibt alles beim Alten und das auch immer noch mit solchen Kleinigkeiten im Kopf, dass es einige Landräte gibt, die nicht einmal das Zedler-Gutachten kennen.

Was heißt das? Ein Großteil der Fördermittel des Thüringer Ministeriums für Bau, Landesentwicklung und Verkehr wird in den nächsten Jahren weiter für die Sanierung, Neubau oder auch Umbau von berufsbildenden Schulen ausgezahlt, egal ob diese Schulen zukünftig Bestand haben werden oder nicht. Ein Beispiel konnte man in der Lokalpresse von Weimar lesen, wo jetzt diskutiert wird, um von dem Land 4 Mio. Mittel zu bekommen und eine neue berufsbildende Schule zu bauen, ob die Stadt Weimar 2 Mio. zur Verfügung stellen kann oder nicht. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch entschieden wird, wenn man Fördermittel bekommt, dass man Schulen baut, ob sie Standortsicherheit haben oder nicht.

Regionale Befindlichkeiten und politische Verhältnisse werden über die zukünftigen Ausbildungsmöglichkeiten junger Menschen weiter entscheiden. Bundes- und Landesfachklassen werden sich weiter an der A 4 konzentrieren, das heißt also Erfurt, Weimar, Jena, Gera.

Zum Vierten: Die sozialen Möglichkeiten des oder der Einzelnen werden über die Aufnahme einer Ausbildung entscheiden. Je nachdem wie weit Ausbildungswege sein werden, wird auch ein zukünftiger Auszubildender oder eine Auszubildende entscheiden müssen, ob er diese Ausbildung aufnehmen kann oder nicht.

Ein unattraktives und mit den regionalen Bedürfnissen von Unternehmen und Auszubildenden unabgestimmtes Ausbildungsangebot wird weder Wirtschaft noch zukünftige Auszubildende nach Thüringen locken. Chancen, den Wanderungssaldo positiv zu beeinflussen, wie jetzt in der TA nachzulesen war, was die Thüringer Landesregierung ja durchaus im Blick hat, werden nicht genutzt. Der Personaleinsatz an den berufsbildenden Schulen wird nicht einfacher. Ein weiteres Problem: den Einbezug der freien Träger im berufsbildenden Bereich in die Berufsschulnetzplanung wird es nach wie vor und weiterhin nicht geben.


Wir müssen uns auch noch vor Augen halten, was ein weiteres Problem darstellt, dass im derzeitigen Zustand die Berufsschulnetzplanung nur einjährig stattfindet. Das bei den Rahmenbedingungen, die ich vorgestellt habe, kommt einer Katastrophe gleich, zumindest aus meiner Sicht.

Deswegen jetzt der Vorschlag, mit einer Gesetzesinitiative hier Abhilfe zu schaffen. Die Landesregierung hat immer wieder bestätigt, dass es keine gesetzliche Regelung für ihr Handeln gebe, deswegen jetzt von uns dieser Vorstoß, wie wir auch schon im Bildungsausschuss im April angekündigt hatten. Ich weiß Minister Matschie bzw. die SPD und die SPD-Fraktion auf unserer Seite. Ein Zitat aus der Drucksache 4/4075, dem Antrag der SPD-Fraktion zur Berufsschulnetzplanung im Jahr 2008: "Angesichts des dramatischen Rückgangs der Schülerzahlen binnen weniger Jahre und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für die staatlichen Berufsschulen erscheint eine aktive Moderatorenrolle des Freistaats bei der künftigen Ausgestaltung des Berufsschulnetzes unumgänglich." - Unterschrift Christoph Matschie.


(Beifall DIE LINKE)


Werte Abgeordnete, unser Gesetzentwurf ermächtigt das Land ausdrücklich, in all den Fällen wo die Einzugsbereiche von Klassen über das Territorium des Schulträgers - sprich des Kreises - hinausgehen, im Benehmen mit dem Schulträger und unter Einbeziehung der örtlichen Akteure tätig werden. Er bietet die Grundlage, in dieser für die zukünftige Entwicklung der Bildungs- und Wirtschaftsstrukturen Thüringens wichtigen Frage endlich die Politik der Nichteinmischung in das örtliche Gerangel aufzugeben und die Priorität wichtiger inhaltlicher Kriterien wie etwa die Nähe zur regionalen Wirtschaftsstruktur, dem baulichen Zustand und der Wirtschaftlichkeit einer Berufsschule und deren Attraktivität für Auszubildende zur Geltung zu bringen. Wie das geschehen soll, beschreibt unser Entschließungsantrag. Unter Einbindung einer universitären Einrichtung soll die neu errichtete Stabsstelle im Kulturministerium die Kommunikation mit den Akteuren der Berufsbildung in den Regionen führen und bis 30. Januar 2011 - wir können uns auch auf den 31. Januar 2011 einigen - ein Landeskonzept zur Entwicklung der Berufsschulen vorlegen.

Meine Damen und Herren, Herr Minister Goebel behauptete in der Debatte 2004, es entspräche dem Subsidiaritätsprinzip, den einzelnen Schulträgern die Entscheidung für die Berufsschulnetzplanung zu überlassen. Das war damals bereits falsch und dies zeigt sich heute.


(Beifall DIE LINKE)


Subsidiarität bedeutet, Entscheidungen dort zu treffen, wo sie sachgerecht sind und am nähesten an dem Problem getroffen werden können. Damit ist aus meiner Sicht und aus Sicht der Fraktion der LINKEN der Schulträger allein völlig überfordert.


(Beifall DIE LINKE)


Die Vorgänge der letzten Jahre zeigen eindeutig, die vom Gesetz vorgegebenen Planungsziele, die Anwendung von Kriterien der Landesplanung, der Entwicklung wirtschaftspolitischer und bildungspolitischer Strukturen lassen sich so nicht umsetzen. Das haben in den Debatten der letzten Jahre neben uns auch die Abgeordneten der SPDFraktion Walter Pilger, Andreas Bausewein und Christoph Matschie mehrfach völlig richtig gesagt. Ein kleines Beispiel: Wenn Sie eine Berufsschule in Ihrem Kreis haben, bei der in vielen Klassen, oft in der Mehrheit der Klassen, Schüler aus benachbarten Landkreisen lernen, die selber über eine Berufsschule verfügt, deren Ausbildungsstruktur aber mit der ihren für die Perspektive nicht abgestimmt ist, was glauben Sie, wer da in der Lage ist, die Priorität übergreifender inhaltlicher Planungskriterien in die Debatte einzuführen und zu sichern? Dies kann nur auf das Land zurückfallen und auf das fachlich zuständige Ministerium. Dazu ermutigen wir Sie, rufen wir Sie auf und erinnern Sie an Ihre Verantwortung.


(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: So weit kommt es noch.)


Wir sind auch nicht dafür, die Schulträger quasi aus ihrer Verantwortung auszuklinken, etwa die notwendigen Entscheidungen vom Tisch des Kultusministeriums hier in Erfurt zu treffen. Wer uns so etwas unterstellt, liegt mit dieser Unterstellung nicht richtig.


(Beifall DIE LINKE)


Wie wir uns im Planungsprozess die jetzt dringlichen nächsten Schritte vorstellen, haben wir in unserem Erschließungsantrag klar dargestellt. Wir sind fest überzeugt, die Arbeit an diesem Prozess muss umgehend beginnen. Wir werden sicher den nächsten Bildungsausschuss dazu im August nutzen. Schon zu viel Zeit ist verloren gegangen, zu lange wartet man schon auf die klaren Planungsrahmen. Zu viele Investitionen sind schon jetzt ohne Abstimmung angeschoben worden. Ich bedanke mich bei den Fraktionen dieses Hauses, wenn wir gleich den Gesetzentwurf als auch den Entschließungsantrag in die genannten Ausschüsse überweisen, und freue mich auf eine angeregte und zielführende Debatte.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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