Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Schulgesetzes

Zum Gesetzentwurf der Fraktion der AfD – Drucksache 6/1762


Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, beginnen möchte ich mit einer Zeitungsmeldung von gestern, TLZ Jena: Die Montessori-Schüler gestalten Willkommensschild für Gemeinschaftsunterkunft. Gucken Sie sich das bitte an, Frau Muhsal, das ist die Realität an den Schulen. Sie wollen in Jena aufräumen.


(Beifall DIE LINKE)


Ich würde mal sagen, das ist die richtige Antwort auf Ihre hetzerische Politik, die Sie auch mit diesem Antrag verfolgen.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir unterstützen natürlich die Schulen, die Schulträger in ihrem wichtigen Anliegen, dort auch die Integration von Flüchtlingen sicherzustellen. Die AfD-Fraktion meint, mit dem Gesetzesvorschlag den großen bildungspolitischen Wurf gelandet zu haben, indem sie ihn hier eingebracht hat. Nachdem im Bildungsausschuss schon von Frau Muhsal bisher keinerlei bildungspolitische Schwerpunktsetzung zu sehen ist, schauen wir nun alle gespannt, was die selbst ernannte Alternative


(Unruhe AfD)


– Sie können jetzt gern mal ruhig sein oder melden Sie sich – als bildungspolitische Schwerpunktsetzung gern im Gesetz geändert haben möchte. Zu fragen wäre hier? Ist es eine Diskussion zum Thema „Qualität in der Bildung“ wie individuelle Förderung im Umgang mit Heterogenität und Inklusion, Ganztagsschule, Einbindung in kommunale Bildungslandschaften, Stärkung der Abschlussfähigkeit oder Ähnliches? Komplette Fehlanzeige. Ist es eine Diskussion zum Thema „Lehrerbildung“, der Frage der Stärkung der Fachlehrerausbildung, der Ausgestaltung der zweiten Phase der Lehrerbildung oder gar: Wie ist im Bereich der Lehrerbildung mit Heterogenität umzugehen? Alles wichtige Themen, die die Hochschulen, die Studienseminare und natürlich auch das ThILLM beschäftigen. Diejenigen, die letzte Woche beim Netzwerktreffen Lehrerbildung in Jena waren, konnten sich dort ein lebendiges Bild davon machen, wie weit dort die Schulen auch sind – völlige Fehlanzeige. Oder ist es ein Beitrag der Diskussion um Schularten der Möglichkeit der Öffnung verschiedenster Bildungsgänge an einer Schule und damit der Stärkung gerade des ländlichen Raums? Wieder völlige Fehlanzeige. Stattdessen macht die AfD-Fraktion mit ihrem Gesetzentwurf wieder einmal deutlich, wie viel sie von der derzeitigen und zukünftigen Herausforderung – darauf ist Kollege Tischner schon eingegangen – an und in den Schulen versteht,


(Unruhe AfD)


nämlich genau null – nichts. Stattdessen meint die AfD wieder einmal, ein Thema gefunden zu haben, welches besonders für Hetze und menschenfeindliche Parolen auf den Thüringer Marktplätzen taugt: Die zeitlich befristete Nutzung von kommunalen Immobilien – hier: Schulen und Schulsporthallen – zur Unterbringung von Menschen, die Schutz und Aufnahme in Deutschland suchen, die nach langer Flucht ankommen wollen und dabei menschenwürdige Aufnahme auch in unseren Kommunen finden; darunter natürlich viele Kinder und Jugendliche, die zu ihrem Pech leider nicht blond und blauäugig sind und daher offensichtlich für Frau Muhsal und die Fraktion rechts hier im Haus nicht die entsprechende Schutzbedürftigkeit haben, denn die Abgeordnete Muhsal meint sogar, eine Benachteiligung deutscher Kinder auszumachen, wie sie im Dezember in der TLZ kundtat. Damit macht die AfD-Fraktion – im Übrigen müssten Sie mal im Thüringer Schulgesetz nachlesen, aber das wird Ihnen vielleicht in den nächsten dreieinhalb Jahren auch noch gelingen;


(Unruhe AfD)


ich hoffe, dass der Thüringer Wähler bis dahin zur Vernunft gekommen ist und Ihnen eine zweite Legislatur hier nicht gönnt und uns das vor allen Dingen erspart – wieder einmal klar, sie ist eine Ein-Themen-Partei, die keine Konzepte und Lösungen für Herausforderungen hat,


(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Bildung war schon immer unser Thema!)


die zum Glück nirgendwo Verantwortung trägt. Da, wo Sie die Möglichkeit sehen, Kindern einem rassistischen und aufgehetzten Mob wie in Clausnitz vor die Tür zu stellen, dann tun Sie dies auch, wie das Ihre Vorsitzende Petry jetzt auch öffentlich machte.


(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Das stimmt überhaupt nicht!)


Doch worum geht es? In einer Zeit, die Ministerpräsident Ramelow völlig zu Recht als die größte Herausforderung nach der deutschen Wiedervereinigung bezeichnet, trafen einige Schulträger die Entscheidung, zwischenzeitlich in ihren Schulsporthallen und nicht benötigten Schulgebäuden Kindern, Frauen und Männern eine Unterkunft zu geben, die ansonsten bei Minustemperaturen und jedem Wetter in nicht befestigten Aufenthaltsorten hätten untergebracht werden müssen. Ebenso wie die Thüringer Landesregierung nehmen die Kommunen und Landkreise ihre Verantwortung damit wahr, Menschen eine sichere und feste Unterkunft zu geben in Abwägung anderer Möglichkeiten und in hoher Verantwortung gegenüber diesen Menschen und unserer Gesellschaft. Wie wir bereits im Bildungsausschuss besprochen haben, wurden von August bis Anfang Dezember 2015 ganze zehn Schulsporthallen und zwei Förderschulen zur Unterbringung von Flüchtlingen genutzt. Weiterhin wurde festgestellt, dass von August bis Anfang Dezember 1.116 Sportstunden ausgefallen sind. Mit diesen Zahlen läuft nun die Abgeordnete Muhsal und ihre Nichtalternative durchs Land und startet eine Kampagne, die polemisiert mit dem Ziel, daraus auch entsprechend politisch Kapital zu schlagen. Was Frau Muhsal nicht erklären kann oder will, ist,


(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Sagen Sie doch noch mal meinen Namen!)


wie groß der Anteil der betroffenen Sportstunden bzw. Sportstätten ist. Mit Blick in die Statistik stelle ich fest, dass gerade einmal 0,13 Prozent aller Sportstunden betroffen waren und dass dadurch gerade einmal 0,0125 Prozent aller Schulstandorte betroffen sind. Dies interessiert Frau Muhsal natürlich überhaupt nicht.


(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Ich habe sogar festgestellt, …)


Denn diese Zahlen machen gerade deutlich, wie verantwortungsvoll die Kommunen und Landkreise mit der Nutzung kommunaler Immobilien als Schulträger umgehen. Frau Muhsal würde wirklich reichlich dumm aussehen, wenn sie vor ihrem grölenden Mob verkünden müsste, dass nicht einmal 0,2 Prozent aller Sportstunden ausgefallen sind und dass jede Grippewelle deutlich mehr Sport- und andere Unterrichtsstunden ausfallen lässt.


(Unruhe AfD)


Würden dann wohl die AfD-Anhänger „Lügen-Muhsal“ brüllen? Unwahrscheinlich bei der AfD-Klientel, die jeder Halbwahrheit gern Glauben schenken mag. Lassen Sie mich, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, zu einer rechtlichen Würdigung kommen.


(Unruhe AfD)


Der Gesetzesvorschlag der AfD verstößt gegen internationales Recht, gegen die Thüringer Landesverfassung und letztlich den Geist und Inhalt des Thüringer Schulgesetzes. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich in Artikel 11 Abs. 1 des UN Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte verpflichtet und bekennt sich dazu, dass jeder Mensch ein Recht hat, Zitat: „[…] auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie […], einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten […].“ Nun kann man mutmaßen, dass auch dieses Recht für die AfD nur für Deutsche gilt. Rechtsgrundlage ist es allerdings nicht und auch die Kommunen und Landkreise sind natürlich verpflichtet, sich daran zu halten.


Zweitens: Der Regelungsvorschlag verstößt gegen die Thüringer Verfassung. Im konkreten Fall der Unterbringung von Flüchtlingen in Schulräumen wird das besonders deutlich.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Sind Sie jetzt Verfassungsrechtler?)


Denn die ankommenden Flüchtlinge befinden sich ohne eine Lösung für ihre Unterbringung durch öffentliche Stellen in einer Situation der Obdachlosigkeit. Das kann besonders für Kinder, ältere Menschen und kranke Menschen zu einer lebensbedrohlichen Situation werden. Davon unabhängig ist das Recht auf angemessenen, menschenwürdigen Wohnraum ein Menschenrecht und Grundrecht. Es gilt also unabhängig der Staatsbürgerschaft der Betroffenen. Entsprechend dieser Vorgaben sieht die Thüringer Landesverfassung in Artikel 15 als ein Staatsziel die Schaffung von angemessenem Wohnraum für alle Menschen, für alle Menschen in Thüringen vor.


(Unruhe AfD)


Ein Staatsziel bindet alle öffentlichen Stellen. Bei jeglichem Handeln müssen sie darauf hinwirken, dieses Staatsziel umzusetzen.


Ich möchte – ich habe da auch geschaut und mich in meinem Wahlkreis mit dem Schulträger unterhalten –, wenn Frau Präsidentin das erlaubt, kurz auf eine Stellungnahme, die mir die Stadt Jena zu Ihrem Gesetzesvorschlag hat zukommen lassen, eingehen. Die Stadt Jena, also der Schulträger sagt:


1. Der Inhalt der Gesetzesänderung stellt einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung dar und beschneidet bzw. beschränkt das Grundrecht der Thüringer Schulträger im freien und öffentlichen Sektor auf Eigenverantwortung und Gestaltungsfreiheit im Schulbereich. Ebenfalls greift der Änderungsantrag oder der Antrag der AfD in das Nutzungsrecht der Schulträger von eigenen Flächen und Gebäuden ein.


2. Im Gesetz über die Finanzierung der staatlichen Schulen, § 3, beschreibt der Gesetzgeber den vom Schulträger zu verantwortenden Schulaufwand. Hierbei spricht er bewusst von Schulanlagen und Sportstätten, ohne diese weiter zu benennen. Damit überlässt der Freistaat Thüringen den örtlichen Verantwortungsträgern, den am Inhalt orientierten Schulbedarf mit geeigneter Infrastruktur zu bedienen.


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, die Anfrage der Abgeordneten Muhsal und auch die Diskussion im Bildungsausschuss hat ergeben, dass von den zehn Schulsporthallen 60 Prozent nämlich drei im Landkreis Gotha und drei in Jena lagen. Nun kann man zu jeder einzelnen Schulsporthalle – und da bin ich natürlich auch beim Kollegen Tischner – sagen, und die Schulträger sorgen dort auch dafür und gucken dort auch in ihrer Verantwortung, dass das eine zeitlich begrenzte Nutzung ist und dass mit allen Verantwortlichen vor Ort auch gesprochen wird. Aber nun kann man natürlich zu einzelnen Schulsporthallen viel sagen. Ich sage mal etwas dazu, was Jena angeht. Jena ist, wie Ihnen ja sicher bekannt ist, eine prosperierende Stadt und hat eine Leerstandsquote an Wohnungen von 1 bis 2 Prozent. Das ist mit fast nichts anderem vergleichbar. Jena nennt sich auch gern das München des Ostens, was sich manchmal auch oder meistens auch in den Mieten niederschlägt. Aber warum ist Jena eine so attraktive Stadt, die im Übrigen nach wie vor wächst, und zwar wächst an jungen Familien und vor allen Dingen an Fachkräften? Jena ist ein Hochschulstandort, ein sehr erfolgreicher Hochschulstandort. Jena ist ein Standort für Institute der angewandten Forschung. Jena besitzt ein großes Universitätsklinikum. Jena hat – und das ist auch eine Stärke von Thüringen – sehr attraktive Arbeitgeber, mit dem höchsten Akademikeranteil in Deutschland. Und nicht zuletzt ist Jena


(Unruhe AfD)


eine weltoffene – hören Sie doch mal zu, Herr Brandner, da können Sie noch was lernen oder kommen Sie mal vorbei.


(Unruhe AfD)


Vielleicht trauen Sie sich sogar durch die Jenaer Innenstadt zu laufen. Jena ist eine weltoffene und tolerante Stadt, die sich klar, Herr Brandner, gegen Fremdenfeindlichkeit bekennt, wie unter anderem zur Hass-Demo der Rechtspopulisten der AfD am 20.01. und zu dem am 20.04. von den Rechtsradikalen geplanten Fackelmarsch. Es ist eine lebendige, eine wachsende und menschenfreundliche Stadt, in der die Abgeordnete Muhsal nach eigenem Bekunden ja unbedingt aufräumen will. Die Jenaer freuen sich schon drauf.


(Zwischenruf Abg. Muhsal, AfD: Ja!)


Das Problem, dass wir einen begrenzten Wohnungsmarkt haben, ist in Jena nicht neu und meine Fraktion im Stadtrat hat erst gestern einen eigenen Antrag zum sozialen Wohnungsbau eingebracht. Wenn in solch einer Stadt in kurzen Zeitabständen Hunderte Menschen, die als Neubürger, und in Jena gilt das auch als Willkommenskultur, seitens der Stadt und ihrer Bürger herzlich willkommen geheißen werden, ankommen, so macht dieser Umstand eine planvolle Unterbringung fast unmöglich. Obwohl alle vorhandenen Ressourcen seitens der Stadt eingesetzt wurden und werden, ließ sich eine Nutzung von Schulsporthallen nicht vermeiden.


Lassen Sie mich hier auch noch mal anschließend aus der Stellungnahme der Stadt Jena einen weiteren Punkt, Frau Vorsitzende, zitieren. Die Stadt Jena sagt: „Deshalb werden zentralistische Nutzungseinschränkungen der Ausgestaltung von Schule sowohl in der inneren als auch in der äußeren Schulverwaltung als Schulträger in Thüringen abgelehnt.“ Der Schulträger verweist hierbei insbesondere auf das uneingeschränkte Nutzungs- und Hausrecht seiner Schulanlagen und unterstützt eine Unterrichtsgestaltung, die epochal in Inhalt und Ausgestaltung alle regionalen zeitlichen Möglichkeiten in und außerhalb der Schule einschließt. Ebenfalls zeichnen sich moderne Ganztagsschulen – jetzt hören Sie mal zu, Herr Höcke, Sie waren früher mal verantwortlich dafür bei sich; alles vergessen? – durch Wechselseitigkeit und Interaktion mit dem Schulumfeld, das heißt Dorf, Stadt, Stadtteil, Gesellschaft, aus. Dieser Austausch beinhaltet auch die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur innerhalb und außerhalb von Schule. Regionale Aushandlungsprozesse in Untersetzung freiheitlicher Werte sind stets zentral verordneten Erlässen vorzuziehen. Das, was Sie hier vorhaben, ist genau solch ein zentral vorgegebener Verordnungserlass bzw. Gesetz in dem Fall.


Lassen Sie mich zusammenfassen, sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen: Für den Vorschlag der AfD zur Änderung des Schulgesetzes besteht erstens – das habe ich ausgeführt – keine Regelungsnotwendigkeit, zweitens ist es grob rechtswidrig. Drittens, es ist ohne pädagogischen Hintergrund und viertens, auch schon aufgrund der xenophobischen Grundausrichtung des Gesetzesvorschlags ist der hier abzulehnen. Das werden wir auch tun. Vielen Dank.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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