Zur Lage der inneren Sicherheit in Thüringen, Stärkung der Sicherheitsbehörden im Freistaat

Zum Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 6/3298


Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Fiedler, ich habe – glaube ich – noch nie so oft meinen Name in einem Redebeitrag gehört, bevor ich geredet habe. Dafür möchte ich Ihnen danken. Sie haben an einer Stelle bedauert, dass ich nicht klatsche. Ich will Ihnen aber sagen: Ich habe an einer Stelle geklatscht, und das war während Ihrer einführenden Bemerkungen bei der Begründung Ihres Antrags hinsichtlich der Äußerungen des Fraktionsführers der AfD in der vergangenen Woche in Dresden. Dieser bezeichnete dort die Entnazifizierung als „Entwurzelung des deutschen Volkes“ und meint damit einen Prozess, den die Alliierten 1945 in Gang gesetzt haben, der als Gegenstück zur Gleichschaltung sämtlicher staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen mit der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus in Gang gesetzt wurde. Das war ein Prozess, der auf drei Säulen aufbaute: der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, der Entmilitarisierung der deutschen Gesellschaft und der Verfolgung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Und diesen Prozess bezeichnete Höcke als „Rodung der Wurzeln deutscher Identität“ und verlangt vor diesem Hintergrund eine Rückbesinnung auf die positiven Seiten deutscher Geschichte. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz deutlich: Höcke mag keine Gefahr für die innere Sicherheit unmittelbar sein, aber seine Ideologie, die er nun selbst in die Kontinuität zum Nationalsozialismus gestellt hat, ist eine Gefahr für die Demokratie, für die Freiheit und für die Humanität.


(Beifall DIE LINKE)


Herr Kollege Fiedler, das war auch der Grund, warum ich an dieser Stelle Ihren Ausführungen meinen Beifall gezollt habe und ich möchte das von dieser Stelle nochmals wiederholen. Genauso auch, wie ich den Kollegen der GdP, die ich ganz herzlich neben den anderen Gewerkschaften der Polizei hier begrüße, danken möchte für ihre Pressemitteilung, indem Sie deutlich gemacht haben, welche Verantwortung auch Gewerkschaften hinsichtlich einer gesellschaftspolitischen Diskussion jenseits auch von Auseinandersetzungen, in welche Richtung man vielleicht dieses Land im Einzelnen entwickeln möchte, welche Anschauungen man zu einzelnen konkreten Vorstellungen, die im politischen Raum diskutiert werden, haben, aber deutlich gemacht haben, dass wir eine Gesamtverantwortung auch für gesellschaftspolitische Prozesse tragen, die von eben diesen Grundsätzen, die ich gerade genannt habe – Demokratie, Freiheit und Humanität – getragen sind und dass Sie deutlich signalisiert hatten, dass die AfD mit Höcke eben mit diesen Werten nicht mehr in Übereinstimmung steht und das – denke ich – auch mit einer Vielzahl der Beschäftigten in der Thüringer Polizei.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, in den letzten Wochen ist viel über Artikel der Thüringer Verfassung diskutiert worden. Wir haben über den Artikel 82 diskutiert, wir haben über den Artikel 92 diskutiert, wir haben auch eine Diskussion im Innenausschuss zuletzt geführt, um den Artikel 59 und dessen Bedeutung. Ich glaube, es wäre gut gewesen, hätten in den letzten Tagen einige in diesem Hohen Haus auch mal den Artikel 57 der Thüringer Verfassung angeschaut und insbesondere auch den Verfassungskommentar zur Kenntnis genommen, der dazu ausführt, dass die Einberufung und Durchführung einer Sondersitzung des Landtags als Minderheitenrecht in besonderer Weise einem Missbrauchsverbot unterliegt.


Meine Damen und Herren, Herr Fiedler, ich komme nicht umhin auch deutlich zu sagen, dass ich es schon ein Stück weit für politisch unverfroren halte –


(Beifall Abg. Berninger, DIE LINKE)


und das ordnet sich dann eben auch in eine Bewertung ein, die ich nachfolgend Ihres Antrags vornehmen würde –, wenn man tatsächlich auf dieses Instrument zurückgreift, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, das Thema von sicherheitspolitischen Maßnahmen, auch von der veränderten aktuellen Situation, auf die reguläre Tagesordnung des Landtags zu setzen. Es beschleicht mich auch das Gefühl, dass es Ihnen gar nicht darum geht, hier eine sachgerechte Debatte um einzelne Maßnahmen mit uns gemeinsam zu führen, sondern wenn man die Beschlüsse Ihrer Fraktionsklausur, die Beschlüsse der Fraktionsvorsitzendenkonferenz von Brüssel neben Ihrem Antrag legt, wird wieder einmal deutlich, dass Sie das Parlament hier in Thüringen als politische Bühne missbrauchen wollen, die letztendlich zum Beschlussfassungsorgan für in Ihren Parteiorganisationen gefasste Beschlüsse umfunktioniert werden soll. Ich glaube, das entspricht eben nicht dem wichtigen Instrument der Sondersitzung, sondern es ist das, was als Missbrauch in der Kommentierung zu diesem Verfassungskommentar beinhaltet und ausgeführt ist.

Aber, meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, ich will Ihnen in einem Punkt durchaus recht geben. Es gibt in diesem Land natürlich ein sehr nachvollziehbares und berechtigtes Interesse, mit den Menschen über Sicherheit ins Gespräch zu kommen und auch in der Politik gemeinsam darüber zu diskutieren, was die richtigen Antworten auf die Fragen sind, die Menschen in diesem Land tatsächlich stellen. Nur sollte man sich in der Ausgangssituation auf eine begründete Darstellung der Faktenlage beschränken. Ich halte es eben, Herr Fiedler, nicht für angemessen – und ich werde das auch begründen –, hier vorn immer zum wiederholten Mal seit 2015 von gravierenden Veränderungen der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland zu reden oder in Europa und weltweit. Weil mich diese überzeichnende Darstellung der natürlich eintretenden Veränderung und vor allen Dingen auch die wirklich deutsche Zentriertheit dieser Darstellung ärgert, will ich Ihnen einfach mal ein paar Zahlen entgegenhalten, die tatsächlich verdeutlichen, dass wir in einem viel längerfristigen Kontext über Maßnahmen zur Stärkung der Sicherheit diskutieren müssen, als wir das hier vermeintlich nach jedem Anschlag, nach jedem Terroranschlag und nach natürlich jedem verurteilenswerten Übergriff an Ihrer Stelle tun sollten.


Seit 1970 gab es in der Welt 156.000  Terroranschläge. In den 70er- bis in die 90er-Jahre gab es in Westeuropa pro Jahr zwischen 100 und 400 Todesopfer. Im Jahr 2015 betrug der Anteil der Todesopfer von terroristischen Anschlägen in Westeuropa, gemessen an den weltweiten Opfern von Terroranschlägen, 0,3 Prozent. Aber Sie haben auch recht, der Terrorismus nimmt seit 2005 weltweit wieder zu: weltweit 14.806 Terroranschläge 2005, 80 Prozent der Opfer waren Muslime. Ich glaube, wenn wir diese Zahlen dann auch für Westeuropa weiter fortsetzen, noch mal einige Zahlen in Beziehung setzen:


500 terroristische Vorfälle 2006, 211 Vorfälle mit 151 Todesfällen 2015. Ich denke, es ist vor diesem Hintergrund schon anmaßend so zu tun, als ob dieses Problem ein neues Phänomen wäre oder als ob man sich dem in den letzten Jahren nicht gestellt hat und ob es gravierende Veränderungen gibt. Weltweit leben tatsächlich Menschen seit vielen Jahren unter der Angst vor dem Terrorismus, ohne dass wir uns ausreichend beispielsweise in Fragen der Entwicklungspolitik, beispielsweise in Fragen der internationalen Beziehungspolitik, in der Außenpolitik, aber eben auch in der Frage der Wirtschafts- und Migrationspolitik genau diesen Ängsten dieser Menschen gestellt haben. Ich finde es vor diesem Hintergrund – Frau Marx hat es schon deutlich gesagt – tatsächlich verheerend, wenn Sie diese Entwicklung auch noch in Zusammenhang mit der humanitären Verantwortungswahrnehmung im Jahr 2015 bringen, die zur Aufnahme von 890.000 Flüchtlingen in der Bundesrepublik führte.


Der Innenminister hat in seiner Rede darauf verwiesen, dass es hundertprozentige Sicherheit nicht geben wird und bei staatlichen Maßnahmen zur Schaffung von objektiv mehr Sicherheit man ein sehr ausgewogenes Verhältnis eben in Beziehung zu Grund- und Schutzrechten schaffen muss, die grundlegend für eine freie Gesellschaft sind. Diese Einschätzung teilen andere im politischen Raum. Sie haben die Äußerung von Angela Merkel angesprochen. Selbst im Beschluss der Fraktionsvorsitzendenkonferenz der CDU findet sich eine entsprechende Bemerkung. Man muss sich natürlich, wenn man das schon feststellt, auch die Frage stellen: Was folgt dem eigentlich an konkreter Politik, wenn man diese Einschätzung zugrunde legt? Das heißt, man muss in der Politik durchaus die Frage diskutieren: Wie begegnen wir eigentlich den alltäglichen Risiken, die das Leben ohne Angst tatsächlich mit beeinflussen? Welche Risiken sind kalkulier- oder beherrschbar? Welche Eingriffe und Korrektive zur Stärkung der Sicherheit sind nötig? Wie können diese in einer ausreichenden und angemessenen Balance zum Grundrechtsschutz gebracht werden? Dabei, meine Damen und Herren, und das wird in Redebeiträgen der verschiedenen Politiker hier in diesem Plenum deutlich, müssen wir eins beachten: Sicherheit ist in erster Linie ein individuelles Gefühl. Es ist kein messbarer Zustand, den wir mit Kennziffern beschreiben können. Natürlich können wir Statistiken zurate ziehen. Aber die Statistiken, die Thüringen als das sicherste Bundesland ausweisen, wir müssen gar nicht nach Bayern gucken, Herr Minister, und auch deutlich machen, dass die Thüringer Polizeibeamten, was die Aufklärung anbetrifft, hervorragende Arbeit leisten, wiegt eben ein Unsicherheitsgefühl, was entsteht und vorhanden ist, nicht auf. Sie kennen das Beispiel vielleicht von anderen Diskussionen: Die Angst vor Hunden wird nicht dadurch beseitigt, wenn der Hundebesitzer zuruft: Keine Angst, der will nur spielen. Statt dessen ist es tatsächlich ein individuelles Gefühl. Jeder von uns ordnet seinen Lebensalltag so, dass kaum ein Gefühl der Unsicherheit auftritt, jedenfalls so, dass es nicht Überhand nimmt und unser Handeln beeinflusst. Dazu gehören Organisation von Abläufen, Aneignung von Fähigkeiten und Erfahrungen und dennoch müssen wir konstatieren, dass unser Leben alltäglich mit Risiken und mehr oder weniger kleinen und großen Risiken verbunden sind, die wir nicht zwingend meiden, aber die doch kalkulierbar und beherrschbar scheinen. Dazu kommt natürlich auch unser Wissen, dass es für den Fall des Eintritts eines Schadens bestimmte Regularien, Korrektive gibt, die diesen Schaden mildern oder vollständig regulieren können. Das heißt dann eben auch zusammengefasst, Sicherheit ist dann, wenn die Möglichkeit besteht, Fähigkeiten zur Grundlage meiner Handlungsentscheidung zu machen, um unter den vorhandenen Bedingungen die Risiken des Lebens ohne Angst auf sich selbst nehmen zu können.


(Zwischenruf Abg. Kießling, AfD: Siehe Vorfall Suhl uvm.!)


Aber, meine Damen und Herren, diese Balance, die Freiheit der Entscheidung, wird durch gesellschaftliche Bedingungen beeinträchtigt. Sie wird auch durch veränderte Regelungen, die auf diese Bedingungen einwirken, permanent gestört. Ich sage, diese Balance und die Freiheit, sich entscheiden zu können, wird zunehmend auch durch die Manipulation des Sicherheitsempfindens angegriffen. Risiken werden vielfach in politischen Debatten überbetont, abstrakte Gefahren werden zu konkreten umgedeutet. Auch das Vertrauen in Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden wird erschüttert, und dann kommt in der Politik oftmals noch ein Sicherheitsversprechen dazu, das einlösbar werden würde, wenn Handlungs- und Informationsfreiheit geopfert werden. Das Versprechen für mehr Sicherheit wird somit also zum Trojanischen Pferd im Kampf gegen Bürgerrechte, aber schließlich auch im Kampf gegen die Möglichkeit, dass Menschen frei entscheiden können, wie sie ihr Leben gestalten. Genau an dieser Stelle, bei der Störung dieser Balance, sind wir wieder beim Reflex der CDU, der genau aus politischen – und aus parteipolitischen – Gründen diese Debatte weiter forciert.


Das wird, meine Damen und Herren, umso deutlicher, wenn man die vorgeschlagenen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit einer Überprüfung unterzieht in der Möglichkeit des Erreichens der behaupteten Ziele, die Sie in Ihrem Redebeitrag, Herr Fiedler, ja erwähnt haben. Aber wir müssen ja zunächst auch ein Stück weit konstatieren, dass – egal – Sie haben es ja dankenswerterweise ausgeführt, Sie haben ja Ihre Anträge aus den letzten anderthalb Jahren im Thüringer Landtag benannt. Nach jedem Anschlag, nach jedem Amoklauf haben Sie schnelle Maßnahmen gefordert, haben sofortige Lösungen angekündigt und Sie haben verzichtet, sich überhaupt einmal einer fundierten Analyse zu stellen, und Sie haben in der Regel Ihre Forderung oder Ankündigung damit bereichert, dass Sie immer wieder Gesetzesverschärfung gefordert haben. Das Ziel war, Handlungsfähigkeit zu suggerieren oder einen wehrhaften Staat tatsächlich darzustellen. Dabei kennzeichnet dieser Reflex – und Sie haben es sicherlich alle nachlesen können beim SPIEGEL-Kolumnisten Sascha Lobo – eine Sicherheitsesoterik, was nichts anderes bedeutet: Es werden Maßnahmen vorgeschlagen, von denen nicht beweisbar ist, dass sie überhaupt funktionieren. Für Sascha Lobo bedeutet Sicherheitsesoterik, dass diese auch mit der Emotionalisierung der Überwachung in der Öffentlichkeit arbeitet, weil Angst das Urteilsvermögen trübt, vor allem aber hilft Sicherheitsesoterik dabei, in der öffentlichen Diskussion Argumente zu verwenden, die in allen anderen Bereichen als völlig absurd entlarvt würden wie eben bei der klassischen Esoterik. Er führt das dann sehr anschaulich weiter am Beispiel der Vorratsdatenspeicherung und stellt hier eine Parallele zu Horoskopen her. Wenn Sie schon meine politischen Ansichten nicht teilen, so nehmen Sie doch zumindest auch so einen Wortbeitrag mal zur Kenntnis und werten Sie ihn mal und überprüfen Sie mal, ob nicht ein Stück weit auch dessen, was er hier kritisiert, auf Ihren Antrag zutrifft. Es wird, glaube ich, deutlich, dass es in solchen Debatten weniger um objektive Sicherheit geht oder um wirksame Maßnahmen. Ich glaube, es gibt hier noch nicht einmal das wirkliche Interesse, Maßnahmen, die sicherheitspolitischer Natur sind und in den letzten Jahren eingeführt worden sind, tatsächlich zu überprüfen.


Ich will auch mal ein ganz konkretes Beispiel nennen: Nach dem schrecklichen Anschlag in Berlin, den wir alle gemeinsam verurteilen und wo wir die Anteilnahme auch den Opfern und Hinterbliebenen zum Ausdruck gebracht haben, da waren genauso schnell im öffentlichen Raum Forderungen nach Gesetzesverschärfungen, nach mehr und besserer technischer Ausstattung, nach mehr und weiteren Befugnissen, und das, obwohl die Maßnahmen, die nach Würzburg und Ansbach politisch verabredet worden sind – zu denen ich meine eigene Auffassung habe –, beispielsweise das Gesetz zur Verbesserung der Videoüberwachung, das nach Würzburg und Ansbach auf den Weg gebracht worden ist, dieses Gesetz als Reaktion auf die Anschläge im letzten Jahr im Sommer, noch nicht einmal in Kraft getreten sind. Und da rufen Sie nach einem neuen Anschlag erneut nach neueren und weiteren Gesetzen und haben noch nicht einmal die vorherigen Verabredungen in die Tat umgesetzt, geschweige denn evaluieren können.


Dann will ich Ihnen einen zweiten Punkt auch noch mal sagen: Wir diskutieren hier in vielen Bereichen über die Kontrolle auch von Maßnahmen der Landesregierung und die Wirksamkeit von eingegangenen Programmen, von Fördermaßnahmen. Im Bereich des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus wollen Sie permanent wissen, wie denn eigentlich dieses Programm in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um menschenverachtende Ideologien und Einstellungen wirkt. Sie wollen bei Wirtschaftsförderprogrammen überprüfen, welche Auswirkungen es denn auf kleine und mittelständische Unternehmen hat. Aber wo Sie diese Überprüfung, Evaluierung der Wirksamkeit und der Auswirkungen keinesfalls vornehmen wollen und sich sogar jeder Diskussion entziehen wollen, das ist der Bereich der Sicherheitspolitik. Ich sage Ihnen, das ist verheerend, weil es in diesem Bereich tatsächlich um Grundrechtsschutz geht, und es geht auch um Sicherheit. Denn Sicherheit ist nicht dort, wo Menschen ein besseres Sicherheitsgefühl haben, weil wir Handlungsfähigkeit vortäuschen. Sicherheit ist tatsächlich mehr dort, wo eben die Balance zwischen objektiven und wirksamen Sicherheitsmaßnahmen einerseits und andererseits ein ausreichender freier Grundrechtsschutz tatsächlich gewährleistet sind.


Ich will Ihnen dieses Zitat von Christoph Lauer aus der TAZ auch einmal verdeutlichen, damit es Ihnen vielleicht auch noch mal klarer wird, wo die große Diskrepanz tatsächlich auch in Ihrer Politik liegt. Er schreibt am 22. Januar in der TAZ: „Medikamente müssen auf Ungefährlichkeit getestet werden, Autos auf die notwendige Verkehrstauglichkeit und selbst Kinderspielzeug wird Tests unterzogen, um sicherzustellen, dass von ihm keine Gefahr ausgeht. Sicher ist schließlich sicher. [...] Dieses Prinzip aus anerkannten Kriterien, Normen, Prüfverfahren, Richtwerten und Testreihen gilt für fast jeden Bereich des Gemeinwesens, nur nicht, und das ist traurig und bitter, für die öffentliche Sicherheit.“ So weit Zitat Christoph Lauer.


Jetzt zeige ich Ihnen am Beispiel – Sie haben kritisiert, ich hätte bei den V-Leuten nicht applaudiert. Herr Minister weiß, dass ich an der Stelle nie applaudiere. Ich denke, in großer Transparenz und Offenheit tragen wir da unsere unterschiedlichen Auffassungen aus. Aber, Herr Fiedler, ich will Ihnen auch eines mal deutlich sagen: Wenn es um die Überprüfung von Wirksamkeit und Evaluierung geht, dann bleiben wir mal beim Fall Anis Amri und da kommen wir auch gleich mal auf das Thema V-Leute zurück, aber dann fragen wir doch mal als Erstes, was denn tatsächlich dort gemacht worden ist und ist es denn tatsächlich das Beispiel, was uns dazu bringen sollte, mehr Befugnisse, mehr Eingriffe in Grundrechte zu fordern, ja, eine Überwachung einer Vielzahl von Bürgern, denen überhaupt nichts vorzuwerfen ist. Die Behörden hatten Anis Amri über Monate auf dem Radar. Sie wussten alles, seine Suche nach Waffen, Sprengstoffanleitungen, sie wussten sämtliche Aliasnamen, sämtliche Telefonnummern, sie wussten, an welchen Orten er sich aufhielt – vielleicht nicht lückenlos –, sie haben Chats mit IS-Vertretern mitgelesen und – jetzt kommt das Spannende – sogar V-Leute waren an ihm dran und V-Leute haben ihn nach Berlin gefahren. Mich würde nicht wundern, wenn wir auch noch lesen dürfen, dass V-Leute bei seiner Flucht behilflich waren. Anis Amri war siebenmal im bundesweiten Terrorismusabwehrzentrum Thema und es gab fünf Tage vor dem Anschlag ein 20-seitiges Dossier zu ihm. Dort waren alle Bundesbehörden und Ländernachrichtendienste angebunden und es gab darüber hinaus sogar die Mitteilung aus nordafrikanischen Ländern über die Gefährlichkeit dieses Attentäters. Bevor Sie überhaupt nur einen Gedanken darüber verschwenden sollten, welche neuen Befugnisse, welche neuen Kompetenzen, welche neuen Strukturen, welche neuen Eingriffe in Grundrechte eigentlich dieser Staat notwendig hat, sollten Sie als Erstes darüber nachdenken, warum das alles passieren konnte und was eigentlich in der Praxis der Sicherheitsbehörden in der Bundesrepublik schiefgelaufen ist, dass das passieren konnte, was ich Ihnen gerade geschildert habe.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube tatsächlich, hier wird sichtbar, dass es Ihnen nicht um eine Lösung von Problemen geht, dass es Ihnen nicht um mehr objektive Sicherheit geht, sondern dass es Ihnen um ein Sicherheitsplakat aus parteipolitischen Interessen geht.


Ich will es auch noch einmal an einem Zitat von Frau Leutheusser-Scharrenberger deutlich machen, die durchaus eine gewichtige Politikerin in diesem Land war und für mich sicherlich auch noch ist. Sie bezeichnete einen Staat, in dem genau dieses Prinzip zum Tragen kommt, was Sie mit Ihrem Antrag heute wieder propagieren, als einen gefräßigen Staat. Sie führt dazu weiter aus, dass dieser gefräßige Staat seit dem 11. September 2001 sukzessive dabei ist, seine Besinnung zu verlieren. Ich kann mich diesem Zitat nur anschließen, weil wir doch, auch wenn wir die Wirksamkeit von sicherheitspolitischen Maßnahmen im konkreten Fall Anis Amri überprüfen, doch auch mal ein Stück weit zurückblicken müssen, was sicherheitspolitisch seit 2001 in diesem Land passiert ist. Wir haben doch nach dem 11. September 2001 gemeinsam hier auch gestanden und haben gemeinsam diskutiert, was nun notwendig ist. SPD und Grüne waren in bundespolitischer Regierungsverantwortung und sie möchten sich wahrscheinlich ungern daran erinnern, aber es ist so, ich rufe es in Erinnerung, die Otto-Pakete oder Schily-Pakete, die Anti-Terrorpakete 1, 2 und 3 und nachfolgend eine Vielzahl von Gesetzen, die der Bundestag dann noch in Kraft setzte. Aber wir müssen doch gleichzeitig konstatieren, dass eine Vielzahl dieser Gesetze entweder in Gänze oder in Teilen in der Folge durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig gekennzeichnet worden ist, und zwar insgesamt neun an der Zahl, unter anderem das Datenmonster der sogenannten Vorratsdatenspeicherung von 2007, die fast unbeschränkte Datensammelei durch eine Anti-Terrordatei oder das viel zu weit gehende BKA-Gesetz, um nur mal drei aus dieser Reihe zu benennen. Es gibt die schöne Übersicht im Internet, welche Parteien wie vielen dieser verfassungswidrigen Gesetze zugestimmt haben. Ich möchte das nicht wiederholen, aber es trifft fast alle, die hier sitzen.


(Zwischenruf Abg. König, DIE LINKE: Außer?)


Nein, darum geht es mir nicht. Mir geht es nicht darum, dass man damals möglicherweise einen Fehler gemacht hat oder in dem Verlangen, etwas für die Sicherheit tun zu wollen und noch öffentlich zu demonstrieren, dass man etwas für die Sicherheit tut, dass man damals sehr weitgehende Regelungen geschaffen hat. Es gab damals eine politische Diskussion, da hat man sich anders positioniert und eine Entscheidung getroffen. Die wurde aber korrigiert. Wenn man diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die tatsächlichen Grundlagen, die das Bundesverfassungsgericht genau zu dieser Balance von Sicherheit und Freiheit gelegt hat, dann in den nachfolgenden Debatten nicht zur Kenntnis nimmt, dann ist das, Herr Fiedler, um in Ihrem Bild zu bleiben – was ich im Übrigen in Richtung Innenminister für unverschämt halte –, nicht mehr Fahrlässigkeit, was man für die Anti-Terrorpakete 1 bis 3 vielleicht noch sagen könnte, sondern dann ist das heute Vorsatz, weil diese Urteile zu genau diesen Regelungen, die Sie heute verlangen, auf dem Tisch liegen. Ich sage es noch einmal, wenn wir wirksam über eine Sicherheitspolitik diskutieren wollen, dann müssen wir zwei Sachen gemeinsam diskutieren und bejahen. Das Erste ist die Wirksamkeit, und zwar tatsächlich in Richtung öffentliche Sicherheit, und das Zweite ist natürlich die Grundgesetzkonformität, nicht, weil wir eine formale Konformität mit Regeln des Grundgesetzes brauchen, sondern weil die Grundrechte das Wertefundament einer demokratischen und freiheitlichen Gesellschaft sind. Wenn wir die Axt an diesen Grundrechten anlegen, legen wir die Axt an an den Grundlagen der freien und demokratischen Gesellschaft an.

Herr Fiedler und meine Damen und Herren der CDU-Fraktion, ich möchte auf einige konkrete Regelungen Ihres Antrags eingehen. Sie verlangen ein Sofortprogramm zur Stärkung der Polizei. Ich kann es Ihnen nicht ersparen und ich will es noch einmal wiederholen, weil Sie hier wieder Zahlen in den Antrag geschrieben haben, wie viel mehr Anwärter wir brauchen, ich komme gleich darauf zurück. Sie können natürlich auch immer sagen, dass Sie natürlich auch deutlich machen, dass auch frühere Landesregierung Verantwortung tragen. Aber ein Stück weit mehr Demut, tatsächlich Demut, Herr Fiedler, wäre schon angebracht.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Niemals!)


Ihr Stellenabbaukonzept, was Sie bis heute im Prinzip weiter verfolgen, würde für den Bereich des Innenministeriums beinhalten – und ich zähle es Ihnen gerne noch einmal auf –, dass wir das Innenministerium komplett abschaffen, dass wir das Landesamt für Statistik komplett abschaffen, das von Ihnen geliebte Amt für Verfassungsschutz komplett abschaffen, das Landesverwaltungsamt abschaffen, die Landesfeuerwehr- und Katastrophenschutzschule abschaffen. Und wenn wir all diese Beamten – nur in der Theorie – stellenbezogen abgeschafft haben, müssten Sie bei der Polizei immer noch 100 Stellen reduzieren. Das ist das Stellenabbaukonzept, was Sie für den Bereich des Innenministeriums auf den Weg gebracht haben. Deswegen finde ich es auch einfach unverschämt, dass Sie damit praktisch keine Grundlage finden, mit uns gemeinsam zu diskutieren, wie wir Polizeistrukturreform, Organisations- und Dienstpostenplan, Stellenplan so gemeinsam entwickeln können. Denn damit passt nichts zusammen, Herr Fiedler, was Sie hier im Innenministerium unterlassen haben.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wir müssen die Diskussion führen, wie wir Struktur, Stellenplan und Organisations- und Dienstpostenplan gemeinsam so entwickeln können, dass wir entsprechend den Aufgaben und Erfordernissen polizeilicher Arbeit eine nachhaltige Personalentwicklung einleiten. Da bin ich doch auch gerne beim Innenminister, wenn dafür 200 Anwärter pro Jahr notwendig sind im Zeitraum 2017, 2018, 2019 – ich weiß es nicht –, dann werden wir die entsprechenden Entscheidungen treffen. Aber wir brauchen diese gleichmäßige Entwicklung aller Bereiche. Was und nichts nützt, und das sage ich ganz deutlich, sind politisch motivierte Zahlenüberbietungswettbewerbe, die keine Nachhaltigkeit versprechen, denn wir müssen doch auch in der Öffentlichkeit deutlich sagen, wenn 200 zusätzliche Polizeianwärter kommen, wo die in der Struktur mit welchen Aufgaben wie eingesetzt werden, dass sie tatsächlich zu einer effektiven, auch Leistungssteigerung bei der Polizei führen und – und das ist natürlich unabdingbar – auch das belastbare Gefühl in der Öffentlichkeit hervorrufen, dass was für Sicherheit getan wird.


Wie wenig analytisch Ihr Antrag ist, wird auch beim Punkt 2 deutlich. Wir reden die ganze Zeit über islamistisch motivierten Terrorismus, am Beispiel des 19. Dezember in Berlin. Und jetzt kommen Sie hier und führen etwas zusammen, was überhaupt nicht zusammenpasst, sondern da geht es Ihnen um politische Schlagwörter, da geht es Ihnen um politische Plakate und da wird schon deutlich, dass Sie überhaupt nicht gewillt sind, sich einer tatsächlichen analytischen Betrachtung der Gefahrensituation zuzuwenden. Sie formulieren hier, die technische Ausstattung bei der Polizei muss verbessert werden, um der gestiegenen Gefährdungslage durch islamistische aber auch linke und rechte Extremisten auf Augenhöhe begegnen zu können. Ich habe zu allen drei Bereichen eine persönliche Auffassung, die können wir diskutieren. Da akzeptiere ich auch, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt. Aber überhaupt nicht akzeptabel und verhandelbar ist, dass es im Prinzip unter einem Stichwort subsumiert wird und damit gleichgesetzt wird, weil im Prinzip das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun hat. Das mag für Sie tatsächlich wirklich elementar belastbar sein, dass Widerstandshandlungen bei Demonstrationen durch sich selbst als links verortete Jugendliche oder junge Menschen eine Gefährdung auch natürlich für die individuelle Sicherheit, für die individuelle Unversehrtheit von Polizeibeamten mit sich führen und damit natürlich auch eine Straftat darstellen, die abzulehnen ist. Aber das Ganze ist doch nicht gleichzusetzen mit einem islamistisch motivierten Terroranschlag.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dasselbe trifft auch bei Anschlägen oder bei Übergriffen im Zusammenhang mit Fußballspielen von Hooligans zu, die es als Teil ihrer Erlebniskultur verstehen, Polizeibeamte anzugreifen. Das ist doch auch nicht dasselbe, das kann man doch für sich qualitativ bewerten und entsprechend beurteilen und in der öffentlichen Debatte bewerten und überlegen, wie kann man damit auch präventiv, aber möglicherweise auch repressiv umgehen. Wenn Sie dann aber auch noch in dieser Aufzählung die rechtsextrem motivierte Gewalt einsetzen – wo wir im letzten Jahr über 900 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte haben, wo wir in der Bundesrepublik über 170 offiziell diesem Deliktbereich zuzuordnende Tötungsverbrechen haben, dann wird tatsächlich offenbar, dass es Ihnen hier um politische Plakate geht,


(Beifall DIE LINKE)


aber nicht um eine wirkliche Betrachtung von Gefährdung, die für diese Demokratie, für einzelne Rechtsstaatsprinzipien oder für individuelle Schutzgüter ausgeht. Deswegen, aber eben auch wegen der anderen Punkte, werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Ich will noch mal auf zwei oder drei Punkte eingehen, weil sie das konkret benannt haben. Sie fordern eine stärkere Aufenthaltsüberwachung für Gefährder. Nun ist es so, wir haben, glaube ich, 542 Gefährder in der Bundesrepublik, etwa 60 Prozent sind Deutsche, 62 Gefährder sind ausweisbar, fast 90 Prozent haben demnach einen gefestigten Aufenthaltsstatus. Was macht denn diese elektronische Aufenthaltsüberwachung von Gefährdern? Sie gibt uns, wenn der Gefährder mitspielt und seine Fußfessel jeden Tag elektronisch auflädt, die Möglichkeit zu wissen, wo er sich aufhält. Wir wissen nicht, was er tut, und wir können im Zweifelsfall auch nicht verhindern, was er tut. Wenn Sie aber hier diese Aufenthaltsüberwachung für Gefährder fordern, dann müssten Sie noch sagen: Wer ist denn für Sie ein Gefährder? Wie kann man sich rechtlich dagegen wehren? Wird man darüber spätestens mit der sogenannten Fußfessel in Kenntnis gesetzt? Es gibt noch nicht mal diese klaren Kriterien. Wir reden in der öffentlichen Debatte über eine politische Kategorie des Gefährders und wir reden über Kategorien, die in den einzelnen Landesbehörden praktisch, natürlich auch in wechselseitiger Kommunikation geschaffen werden, aber die nicht rechtsstaatlich belastbar sind. Wenn wir als Erstes tatsächlich eine Diskussion in diese Richtung führen wollen, müssen wir als Erstes natürlich die Frage dieser Kategorisierung aufgreifen. Ist diese Kategorisierung überhaupt belastbar mit rechtsstaatlichen Prinzipien? Oder wollen Sie praktisch Gefährdung allein aufgrund des Verdachts zur Grundlage machen, die zur Aufenthaltsüberwachung führt? Nach den Kriterien, die beispielsweise beim BKA abrufbar sind – ich habe sie jetzt nicht hier vorn liegen –, würde es zum Beispiel ausreichen, wenn man Mitglied einer Führungsebene einer extremistischen Organisation ist. Meine Damen und Herren, wir haben durchaus unterschiedliche Auffassungen zum Verfassungsschutzbericht, aber schauen Sie mal in den Verfassungsschutzbericht des Bundes hinein – es wäre eine abenteuerliche Umsetzung dessen, was dort steht. Deswegen ist dieser Schluss auch ein falscher. Wenn, müssten Sie die Diskussion an einer anderen Stelle führen. Das war jetzt so ein Stück weit die grundrechtliche oder rechtsstaatliche Betrachtung.


Als Zweites will ich Ihren Blickpunkt auf die zweite Ebene notwendiger Betrachtungen richten: Die Frage der Wirksamkeit. Beim Anschlag im letzten Jahr bei der Ermordung des Pfarrers in Frankreich war der Täter einer, der mit einer Fußfessel aufenthaltsüberwacht worden ist. Da wird wohl deutlich, wenn wir über die Wirksamkeit von Sicherheitsmaßnahmen reden, müssen wir tatsächlich mehr über Mehr reden, als über das, was Sie hier plakativ in den Raum stellen.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Über weitere Dinge kann man keine Fragen stellen…!)


Wenn wir in diesem Antrag weitere, schon durch das Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig geurteilte Maßnahmen wiederfinden, dann wird es halt abenteuerlich. Wir können doch nicht immer weiter fordern in der Frage der Onlineuntersuchung, der Quellen-TKÜ ohne konkreten rechtsstaatlich belastbaren Anlass durch den Verfassungsschutz. Das Bundesverfassungsgericht war doch eindeutig: Eine Quellentelekommunikationsüberwachung, die das System korrumpiert und damit geeignet ist, Entwürfe elektronischer Natur, zu Papier gebrachte Gedanken, Skizzen zu überwachen und zum Gegenstand der staatlichen Beobachtung zu machen, ist grundrechtswidrig.


(Beifall DIE LINKE)


Sie werden gegenwärtig zu keiner anderen Auffassung kommen, weil es eben technisch nicht anders funktioniert. Dann können wir ja gemeinsam die Frage beantworten: Will man das oder will man das nicht? Will man dieses Stück Freiheit des Menschen vor dem staatlichen Zugriff erhalten oder aufgeben? Da sind wir tatsächlich bei der Grundfrage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Dasselbe trifft auf die Videoüberwachung zu, die Sie hier wieder fordern. Im Beschluss der Klausur Ihrer Landtagsfraktion haben Sie ja sogar die Gesichtserkennung bei der Videoüberwachung gefordert. Sie müssten in diesem Zusammenhang doch mal mehrere Diskussionsstränge zur Kenntnis nehmen: In Großbritannien haben wir eine fast flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Und die Briten stellen jetzt fest nach jahrelangen Ergebnissen, die sie ermitteln konnten, dass sie Gewaltstraftaten eben nicht minimiert haben im öffentlichen Raum, dass sie die Menschen durch Videoüberwachung eben nicht vor solchen Straftaten schützen. Ganz im Gegenteil haben sie aber auf der anderen Seite handlungsverändernde Prozesse bei den Menschen, und zwar erstens, dass Menschen, denen ihre Freiheit und die Unbeobachtetheit noch wichtig ist, videoüberwachte Bereiche meiden oder versuchen zu meiden, und zweitens, dass Menschen, die im öffentlichen Raum auch aufeinander achtgeben, im Wissen, dass es einen großen Bruder, der alle beobachtet, genau dieses Aufeinander-Achtgeben in der Gesellschaft lassen und weniger aufmerksam sind, weil sie glauben, dass der Staat hier guckt und mit beobachtet und da mit eingreifen kann. Und das ist ein weiterer Trugschluss: Die Videoüberwachung ist eben kein Mittel, um Straftaten zu verhindern, sie ist für den Fall des Begehens einer Straftat ein Strafverfolgungsmittel und das heißt nichts anderes, als dass wir es hier mit Vorschlägen zu tun haben für eine riesige Vorratsdatenspeicherung von Menschen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, und das auch vor dem Hintergrund – jetzt sage ich –, gerade auch der Wirksamkeit dieser Maßnahme bei der Verhinderung von terroristischen Straftaten ist ein Wahnsinn. Wir wissen aus Berlin, dass Anis Amri und andere Terroristen auch in der Vergangenheit gerade die Videobeobachtung für ihre politischen Zwecke als Motiv noch gebraucht und auch missbraucht haben und eben nicht dazu beigetragen wurde durch diese Videoüberwachung, dass mehr Sicherheit tatsächlich auch geschaffen wird.


Meine Damen und Herren, abschließend: Ich habe an einigen Stellen, denke ich, deutlich gemacht, wo die Position der Linken auch ist. Wir sind nicht in dem Bereich, dass wir über Placebos diskutieren sollten. Wir brauchen in der Tat natürlich eine moderne und eine handlungsfähige Polizei. Dazu gehört natürlich auch die technische Ausstattung bei der Polizei. Das sind aber nicht nur Waffen und Schutzausrüstung, das sind beispielsweise auch Kommunikationsmittel. Wir mussten aus dem Bericht der Expertenkommission entnehmen, dass Thüringen hier tatsächlich sehr weit zurückliegt, was die Arbeit von Polizeibeamten erleichtert, beispielsweise auch die digitale Übersendung von Daten bei der Straftataufklärung oder bei der Aufnahme von Zeugenaussagen vor Ort, weil natürlich eine zeitliche Entlastung von Polizeibeamten auch zu einer Effektivierung auch von polizeilicher Arbeit führt und eben auch vielen Belastungen, die vorgetragen worden sind, damit begegnet werden können.


Ich will aber natürlich auch sagen, dass neben diesen ganzen technischen Bereichen die Frage der Motivation von Polizeibeamten eine besondere Rolle spielt. Da müssen wir uns Gedanken machen, welche Maßnahmen wir tatsächlich auch gemeinsam weiterentwickeln müssen, um genau diese Motivation durch verbesserte Arbeitsbedingungen zu steigern, nicht um der Motivation wegen, weil wir dann vielleicht mehr Sicherheit haben oder zumindest nicht nur allein deshalb, sondern weil auch als Dienstherr das Innenministerium eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Beamten hat. Und ich denke, wir müssen eben in dem Fall darüber reden, ob das Zulagensystem, dass wir da angesprochen haben, der Bereich der Erschwerniszulage, korrigiert werden muss. Wir müssen darüber reden, ob die Anerkennung von Arbeitszeiten bei der Bereitschaftspolizei anders geregelt werden muss.


(Beifall DIE LINKE)


Wir müssen auch darüber reden, dass die Beurteilungs- und Beförderungspraxis korrigiert werden muss. Und wir müssen auch Klarheit für die Beamten schaffen – ich habe es angesprochen –, was die Perspektiventwicklung anbetrifft. Wenn Stellenplan, Struktur- und Organisations- und Dienstpostenplan im Einklang stehen, dann entstehen auch keine falschen Erwartungshaltungen und mit falschen Erwartungshaltungen entstehen auch keine Enttäuschungen. Das ist ein gemeinsamer Prozess, den wir auch gemeinsam mit den Berufsverbänden gehen müssen.


Ich sage aber auch eines deutlich in Bezug auf mehr Sicherheit: Neben diesen ganzen Sicherheitsbelangen, sicherheitspolitischen Maßnahmen, die wir auf ihre Wirksamkeit und ihre Grundrechtskompatibilität prüfen müssen, dürfen wir natürlich auch einen anderen Bereich nicht vergessen: Zur Sicherheit gehört in erster Linie auch eine Präventivverantwortung, wozu die politischen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Und Prävention heißt natürlich in erster Linie nicht nur Schutz vor Terroranschlägen, heißt nicht nur Schutz vor Kriminalität, Sicherheit bedeutet natürlich auch für die Menschen, die hier leben, Chancengleichheit herzustellen. Und das heißt eben auch, sich als Politik den Fragen der Armut, sozialer Ausgrenzung zuzuwenden. Das heißt eben auch, den Fragen, die mit Perspektivangst verbunden sind, wie befristete Arbeitsverhältnisse oder Leiharbeit, zu überwinden. Und das heißt eben auch, wenn man schon von einem starken Staat reden möchte, diesen starken Staat auch im Sinne von seiner sozialen Verantwortung und seiner demokratischen Verantwortung sichtbar zu machen. Und das heißt, wir brauchen gute Bildung, Teilhabe und soziale Sicherheit, damit Menschen in der Bundesrepublik eine Zukunftsperspektive haben. Ich will ihnen das ganz deutlich sagen: Wenn wir über Sicherheit reden, macht es doch überhaupt keinen Sinn, die Diskussion so zu führen, dass wir Menschen aus dieser Gesellschaft herausdrängen, weil sie Flüchtlinge sind, weil sie Muslime sind. Sondern das Ziel unseres Bemühens muss doch sein, Menschen in diese Gesellschaft hineinzuholen. Und das heißt eben auch, darüber zu diskutieren, wie man religiösen Hasspredigern,


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


rassistischen Hetzern gleichermaßen den Nährboden entzieht – die Übergänge sind ohnehin fließend –, auch mit dem Ausbau von Präventions- und Deradikalisierungsangeboten. Da brauchen wir Muslime, da brauchen wir muslimische Gemeinden auch als Partner und nicht als Gegner in dieser Präventionsarbeit,


(Beifall DIE LINKE)


weil genau das der Weg ist, Menschen in diese Gesellschaft hineinzuführen und eben nicht hinaus. Und die Angstmaschinerie, die wir auch in Gang setzen, führt eben dazu, und da empfehle ich eine vor einiger Zeit veröffentlichte Studie der Friedrich-Schiller-Universität Jena zur Radikalisierung von Muslimen, weil sie sich ausgestoßen fühlen, weil sie sich kriminalisiert fühlen, weil sie sich nicht aufgenommen fühlen und das führt eben dazu, dass man sich zurückzieht.


Vizepräsident Höhn:


Herr Kollege Dittes, wagen Sie mal bitte einen Blick auf die Uhr.


Abgeordneter Dittes, DIE LINKE:


Meine Damen und Herren, Herr Höhn, mir ist das rote Blinken in letzter Sekunde nicht entgangen. Ich will mit einem Satz des Ex-Ministerpräsidenten von Norwegen Jens Stoltenberg enden, der nach dem Anschlag von Anders Breivik mit 77 Todesopfern sagte: „Wir dürfen unser Werte, die am 22. Juli angegriffen wurden, nie aufgeben: Humanität, Vielfalt, Solidarität und eine offene Gemeinschaft. Sie sind unsere stärkste Waffe und unsere stärkste Verteidigung gegen Gewalt und Terror. […] Unsere Antwort auf Terror lautet: Mehr Offenheit, mehr Demokratie, aber nicht Naivität.“ Vielen Dank.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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