Viertes Gesetz zur Änderung des Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetzes

Dr. Iris Martin-Gehl

Zum Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drucksache 7/9117

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, als ich den vorliegenden Gesetzentwurf zum ersten Mal las, hatte ich so etwas wie ein Dé­jà-vu. Denn ich erinnere mich sehr gut an die Rede, die der Präsident des Verfassungsgerichtshofs auf einer Festveranstaltung „30 Jahre Thüringer Verfassung“ auf der Wartburg gehalten hat – diese Rede ist ja jetzt schon mehrfach erwähnt worden. In dieser Rede mahnte Herr von der Weiden an, dass vor der nächsten Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten eine vorherige Klärung der kontrovers diskutierten Abstimmungsmodalitäten des dritten Wahlgangs erfolgen sollte, wenn nicht durch Änderung des Verfassungstextes, dann – und ich zitiere – „durch die einfachgesetzliche Einführung der Möglichkeit einer verbindlichen vorherigen Klärung durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof auf der Grundlage des bestehenden Verfassungstextes.“ Genau das ist wenige Wochen nach dieser Rede erstaunlicher Weise nun Gegenstand eines Gesetzentwurfs der CDU.

 

(Zwischenruf Abg. Schard, CDU: Gar nicht erstaunlich!)

 

Ich muss gestehen, dass mich die Vorgeschichte dieses Gesetzentwurfs befremdet. Es ist jedenfalls ein ungewöhnlicher Vorgang, dass der Präsident des Verfassungsgerichts für eine verfassungsrechtliche Regelung, die seit Verabschiedung der Thüringer Verfassung besteht, jetzt zeitnah vor der nächsten Landtagswahl und der damit verbundenen nächsten Ministerpräsidentenwahl dringenden Änderungsbedarf sieht und diesen auch immer wieder anspricht. Entsprechende öffentliche Äußerungen verbunden mit eindringlichen Appellen an die Landtagsabgeordneten gab es ja auch schon früher, etwa anlässlich eines Forums beim Tag der offenen Tür im Thüringer Landtag.

Ich muss sagen, dass ich mich als Abgeordnete von solchen wiederholten Aussagen in meiner Entscheidungsfreiheit bedrängt fühle,

 

(Beifall DIE LINKE)

 

vor allem auch deshalb, weil unterstellt wird, man ginge nicht verantwortungsvoll mit der Verfassung um, wenn Verfassungsänderungen abgelehnt würden, die manche, anders als ich, für notwendig und sinnvoll ansehen. Ein solch unbehagliches Empfinden, denke ich, haben auch andere Abgeordnete hier in diesem Haus.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Ich frage mich schon seit einiger Zeit, weshalb sich der Präsident des Verfassungsgerichtshofs derart intensiv um die Regelungen zur Ministerpräsidentenwahl sorgt und immer wieder entsprechende Diskussionen anstößt. Bei früheren Landtagswahlen hat die Regelung zur Ministerpräsidentenwahl nach Artikel 70 Abs. 3 dem Thüringer Verfassungsgerichtshof kein solches Kopfzerbrechen bereitet, wie das jetzt offensichtlich der Fall ist. Weshalb sich der Präsident des Verfassungsgerichtshofs anders als seine Vorgänger jetzt so schwer damit tut, eine „nachträgliche Kontrollentscheidung“ zu treffen, so sie denn überhaupt erforderlich werden sollte, dass erschließt sich keinesfalls.

 

Vizepräsidentin Henfling:

 

Frau Martin-Gehl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schard?

 

Abgeordnete Dr. Martin-Gehl, DIE LINKE:

 

Das würde ich bitte ans Ende schieben, wenn noch Zeit ist.

 

(Zwischenruf Abg. Reinhardt, DIE LINKE: Am Freitagabend!)

 

Der vorliegende Gesetzentwurf der CDU-Fraktion sieht die Einrichtung eines Vorabklärungsverfahrens vor, das dem Thüringer Verfassungsgerichtshof dem Wunsch seines Präsidenten entsprechend die Kompetenz einräumt, jenseits eines Streitfalles in einem eigenen Verfahren die Auslegung der Artikel 50 und 70 der Thüringer Verfassung vorzunehmen.

 

In der Begründung heißt es dazu, dass klargestellt werden müsse, welche Mehrheit ein einzelner Bewerber um das Amt des Ministerpräsidenten im dritten Wahlgang auf sich vereinen muss. Es ist bekannt, dass es dazu unterschiedliche Auffassungen gibt, die letztlich auch dazu geführt haben – das wurde auch schon erwähnt –, dass im Verfassungsausschuss keine Einigung für eine Verfassungsänderung erzielt werden konnte. Wie die Anhörung im Verfassungsausschuss gezeigt hat, gibt es eben auch gute Gründe dafür, die Regelung so zu belassen, wie sie ist, weil sie einen Letztentscheidungsmechanismus vorsieht, der die zügige Wahl eines Ministerpräsidenten sicherstellt, der seine Legitimation vom neu gewählten Parlament ableitet. Der neue Nomos-Kommentar zur Thüringer Verfassung wurde auch schon erwähnt, hierzu wurde ausführlich argumentiert.

 

Es hat also rein sachliche Gründe, weshalb eine Einigung über die von der CDU gewünschte Verfassungsänderung nicht zustande gekommen ist. Dass nun aber vor diesem Hintergrund mit dem Gesetzentwurf versucht wird, quasi über die Hintertür zu demselben Ergebnis zu kommen wie mit der Verfassungsänderung beabsichtigt war, das halte ich für verfassungsrechtlich bedenklich.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Denn mit der angestrebten Regelung würde unter Umgehung der für eine Verfassungsänderung notwendigen Zweidrittelmehrheit im Parlament der Verfassungsgerichtshof mit der Auslegung dieses Artikels im Sinne der angestrebten Verfassungsänderung in diesem konkreten Fall quasi faktisch zum „Ersatzgesetzgeber“, und das berührt den Grundsatz der Gewaltenteilung. Aber auch in anderer Hinsicht wirft der Gesetzentwurf eine Reihe von Fragen auf. Mit dem Gesetz soll dem Verfassungsgerichtshof eine weitere Angelegenheit zur Entscheidung zugewiesen werden. Es bedarf einer Klärung, ob eine solche Zuweisung im vorliegenden Fall von den Voraussetzungen des Artikels 80 Abs. 2 Thüringer Verfassung gedeckt wird. Dies wäre dann nicht der Fall, wenn nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers nur Angelegenheiten „in der Sache“ zur Entscheidung zugewiesen werden könnten. Und um eine solche geht es laut Begründung des Gesetzentwurfs hier gerade nicht.

Unklar ist auch, wie es um die Verbindlichkeit der vom Verfassungsgerichtshof zu treffenden Auslegungsentscheidung bestellt sein soll. Das wurde auch von Vorrednern bereits erwähnt. Für wen sollen die Entscheidungen mit welchen Konsequenzen rechtsverbindlich sein? Soweit es in der Begründung des Gesetzentwurfs heißt, dass die zur Feststellung von konkreten Wahlergebnissen oder Mehrheiten zuständigen Gremien unter Berücksichtigung der Auslegungsentscheidung des Verfassungsgerichtshofs weiterhin eigene individuell überprüfbare Entscheidungen treffen, dann bedeutet das, dass wohl keine Verbindlichkeit eintreten soll. Das wiederum hat zur Folge, dass etwa die Landtagspräsidentin bei der Feststellung des Wahlergebnisses zur Ministerpräsidentenwahl von der Auslegungsentscheidung des Verfassungsgerichtshofs auch abweichen könnte. Welchen Sinn hat dann aber die Vorabauslegungsentscheidung des Verfassungsgerichtshofs,

 

(Beifall DIE LINKE)

 

wenn dann am Ende doch der übliche Kontrollmechanismus durch Organklage beim Verfassungsgerichtshof greift? Hinzu kommt, dass im Falle einer Klageerhebung nach der Ministerpräsidentenwahl die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs, die an der Auslegungsentscheidung beteiligt waren, in dem Klageverfahren wegen Vorbefassung doch wohl von ihrem Richteramt ausgeschlossen sein dürften. Das wiederum würde die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtshofs beeinträchtigen, was schon für sich genommen einer Zuweisung dieses Vorabklärungsverfahrens als weitere Angelegenheit nach Artikel 80 Abs. 2 entgegenstehen dürfte.

 

Wenn die Auslegungsentscheidung des Verfassungsgerichtshofs indes rechtsverbindlich wäre, dann gäbe es für eine eigene Entscheidung der Gremien und damit auch für ein nachträgliches Organstreitverfahren, das nach dem Gesetzentwurf nach wie vor möglich ist, keinen Raum mehr, denn dann würde das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

Offen ist zudem, ob die Entscheidung im Vorabklärungsverfahren nach den Vorgaben des § 20 des Verfassungsgerichtshofsgesetzes getroffen werden soll. Wenn dem aber so sein soll, dann kann doch eine Entscheidung „im Namen des Volkes“ nicht unverbindlich sein. Oder soll dem Verfassungsgerichtshof doch nur eine Art „Gutachterrolle“ zukommen? Die Frage stellt sich.

 

Bedenklich ist außerdem, dass mit dem Gesetz eine besondere Verfahrensart nur für zwei konkret vorgegebene Einzelfälle, also die Auslegung der Artikel 50 und 70 der Thüringer Verfassung eingeführt wird. Was sind die Gründe für diese Beschränkung? Was passiert mit der Regelung, wenn diese Auslegungsfragen einmal entschieden sind? Hat sich das Gesetz damit erledigt, weil kein objektives Klärungsinteresse, wie es im Gesetzentwurf heißt, mehr besteht? Was ist überhaupt dieses objektive Klärungsinteresse? Hier haben wir wieder einen unbestimmten Rechtsbegriff, der neue Fragen aufwirft – also Fragen über Fragen.

 

Ich mache an dieser Stelle aber erst mal einen Cut, weil ich sehe, meine Redezeit geht zu Ende. Nach alledem können Sie erkennen, dass ich diesem Gesetzentwurf sehr skeptisch gegenüberstehe. Gleichwohl beantrage ich die Überweisung in den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz, um die angesprochenen und noch eine ganze Reihe weiterer Fragen dort zu besprechen und insbesondere auch zu besprechen, inwieweit das sogenannte Interpretationsverfahren nach Artikel 140 Abs. 1 der Bremischen Verfassung, das angesprochen wurde, überhaupt als Vergleichsmaßstab für den vorliegenden Gesetzentwurf herangezogen werden kann. Auch da habe ich erhebliche Zweifel. Vielen Dank. Es tut mir leid, ich habe keine Zeit mehr.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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