Thüringer Lebensmittelproduktion in der Corana-Pandemie

Lena Saniye Güngör

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 7/967

 

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuhörende, mit der Aktuellen Stunde „Thüringer Lebensmittelproduktion in der Corona-Pandemie“ greifen wir ein Thema auf, das in Vergessenheit zu geraten drohte. Die Probleme, die vor einem Monat die Schlagzeilen beherrschten, sollten in unserem Blickfeld bleiben, denn wir sind es den Beschäftigten der Lebensmittelproduktion schuldig, dass sie nicht erst beim nächsten Skandal wieder auf die Tagesordnung von Plenardebatten gesetzt werden.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Zur Erinnerung: Vor einem Monat konnten wir jeden Tag Berichte lesen über massive Verstöße gegen Arbeitsrecht und Hygienemaßnahmen in Schlachtbetrieben, bis hin zu Zuständen, die sich nur als Menschrechtsverletzungen bezeichnen lassen. Betriebe wurden zu Corona-Hotspots. Und genau richtig, sie werden auch heute noch zu Corona-Hotspots. Gerade ist die Meldung der 400 von 500 positiv getesteten Mitarbeitenden eines Großbetriebs im Kreis Gütersloh hereingekommen. Die Schlagzeilen bleiben also.

Angeregt von den genannten Berichten und vom Druck der Gewerkschaften wurde am 13. Mai im Bundestag über die desaströsen Zustände in der deutschen Fleischindustrie debattiert. Alle Fraktionen waren sich hinsichtlich der Notwendigkeit einig, schnell gesetzliche Konsequenzen zu ziehen und die bestehenden Regelungen zu verschärfen. Die Corona-Pandemie offenbart allerdings nur, was kritische Beobachterinnen und Betroffene seit Jahren anmahnen.

 

Am 20. Mai zog das Bundeskabinett insofern Konsequenzen, als dass es das Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft beschloss. Dieses enthält viele wichtige Regelungen, die es nun zügig umzusetzen gilt. Zu begrüßen sind vor allem die Kontrollquoten für die Risikobranchen sowie das Verbot von Werkverträgen und Mitarbeiterüberlassungen, mit denen Arbeitskräfte seit Jahren um eine gerechte Entlohnung betrogen werden.

 

In Thüringen sind wir bisher von den sogenannten skandalösen Fällen verschont geblieben. In unseren Betrieben der Lebensmittelindustrie mit ihren Tausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden keine Verstöße bekannt. Auch in den Landwirtschaftsbetrieben scheinen die Vorgaben bisher umgesetzt worden zu sein. Das kann aber nicht heißen, dass wir die Hände in den Schoß legen können. Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die unsere Lebensmittel herstellen, heißt, jetzt an den Veränderungen zu arbeiten, die zu einer nachhaltigen und sozialgerechten Lebensmittelproduktion in Deutschland und in Thüringen notwendig sind. Gute Arbeitsverhältnisse sind ein wichtiger Bestandteil eines solchen Veränderungsprozesses. Diese müssen wir hier in den Mittelpunkt stellen.

 

Für uns in Thüringen können wir die Maßnahmen des Bundes auch als eine Bestätigung des Programms der rot-rot-grünen Landesregierung ansehen. Hier wurde in der letzten Legislaturperiode die Arbeitsschutzbehörde gestärkt und die unabhängige Beratungsstelle für migrantische Arbeiter/-innen faire Mobilität eingerichtet. Auch gibt es bereits die vom Bund anvisierten Kontrollen in größeren Betrieben der Fleischwirtschaft und der gesamten Landwirtschaft, vor allem mit Saisonarbeitskräften. Aber um effektive Kontrollen durchführen zu können, braucht es schnell die vom Bund geplante Meldepflicht der Arbeitergeber/-innen für Saisonarbeitskräfte und ihre Unterbringung sowie die Möglichkeit für die Behörden, Letztere auch dann zu überprüfen, wenn es sich um private Mietverhältnisse handelt.

 

Das Vorhaben, das Bundesprojekt „Faire Mobilität“ auf Dauer zu stellen, kann nur begrüßt werden. Gerade angesichts der bundesweiten Proteste gegen Rassismus muss betont werden, dass der Kampf gegen Diskriminierung auch den Kampf gegen jede Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben beinhalten muss. Wenn migrantische Beschäftigte um ihren Lohn betrogen werden, ihnen Informationen vorenthalten werden, sie als Saisonarbeitskräfte menschenunwürdig untergebracht werden, dann ist das ein unhaltbarer Zustand für uns alle. Darum brauchen wir solche Projekte wie die „Faire Mobilität“ und auch eine unabhängige Antidiskriminierungsstelle in Thüringen. Es ist im Interesse aller beteiligten Akteurinnen, dass solche Zustände in Thüringen nicht auftreten oder frühzeitig entdeckt und beendet werden können.

Weiterhin sehen wir in diesem Bereich immer noch eine massive Lohnungleichheit zwischen ostdeutschen Betrieben und vergleichbaren Betrieben in sogenannten alten Bundesländern. Und ja, diese Lohnungleichheit ist nicht neu, aber sie ist weiterhin aktuell. Daher möchte ich an dieser Stelle den Kolleginnen und Kollegen, die in der Ernährungswirtschaft Sachsen aktuell für eine Lohnangleichung kämpfen, meine Solidarität aussprechen.

 

Wem die Thüringer Lebensmittelproduktion wichtig ist, muss für eine Angleichung der Löhne an Westniveau streiten, ebenso wie für den Erhalt der betrieblichen Altersvorsorge für Arbeitnehmer/-innen in der Landwirtschaft. Es muss dabei möglich sein, dass landwirtschaftliche Betriebe verschiedener Größen überleben können und damit auch die regionale Wirtschaft stärken. Dies erfordert neben fairen Produktpreisen aber auch eine Regulation der Pachtpreise, damit die Beschäftigten in allen Gliedern der Kette der Lebensmittelproduktion, das heißt konkret vom Acker bis hin zur Supermarktkasse angemessen entlohnt werden. Nicht zuletzt muss gewährleistet sein, dass regionale und nachhaltig produzierte Lebensmittel eben kein Luxusgut sind, ein Zustand, der wiederum nur erreicht werden kann, wenn mit den Preisen auch die Löhne und die Sozialleistungen steigen.

 

Wie ich hier kurz angerissen habe, steht hinter den Skandalen in der Lebensmittelindustrie weder eine Herde problematischer Schafe noch eine monolithische Branche. Es stehen dahinter Jahrzehnte verfehlter Landwirtschafts- und Arbeitspolitik verschiedener Bundesregierungen. Ein Umsteuern erfordert daher Maßnahmen auf allen politischen Ebenen. Wir können jetzt hier im Land im Arbeitsschutz vorangehen und Prioritäten setzen. Dafür braucht die Arbeitsschutzbehörde eine bessere Personalausstattung. Sehr geehrte Damen und Herren, ich fordere nachdrücklich alle Abgeordneten der demokratischen Fraktionen auf, sich dafür einzusetzen, dass die benötigten Mittel auch im kommenden Haushaltsplan ausreichend berücksichtigt werden. Dies sind wir zuallererst den Kolleginnen und Kollegen der Thüringer Lebensmittelproduktion schuldig, insbesondere denjenigen, die ihren Herkunftsort verlassen haben, um in Thüringer Betrieben zu arbeiten, aber auch den Verbraucherinnen und Verbrauchern und nicht zuletzt denjenigen Unternehmern und Unternehmerinnen gegenüber, die die Schutzvorschriften einhalten, die fair bezahlen und die unter dem Druck durch skrupellose Konkurrenzunternehmen leiden. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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