Thüringer Landesaufnahmeprogramm aktivieren – Hindernisse für die Aufnahme schutzbedürftiger Ortskräfte seitens des Bundesinnenministeriums beseitigen

Patrick Beier

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 7/4578

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Vertreterinnen der demokratischen Fraktionen, es ist circa sechs Monate her – es war der 30. Juni dieses Jahres –, da habe ich an dieser Stelle im Zusammenhang mit einem anderen Landesaufnahmeprogramm sowohl für die Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland in Thüringen als auch in diesem Zusammenhang für das Beschreiten des Klagewegs gegen den Bund gestritten, der derzeit eine weitere Landesaufnahmeanordnung blockiert – dieses Mal für schutzbedürftige Afghaninnen. Angesichts der Tatsache, dass wir seit Kurzem eine neue Bundesregierung haben und die Ressorts entsprechend neu besetzt sind, darf man aber leicht hoffnungsvoll Richtung Berlin blicken und die Frage stellen: Wie lange eigentlich noch? Nach unserem Dafürhalten hat die neue Bundesinnenministerin Frau Faeser die Chance, das gestörte Verhältnis des Bundes zu den Ländern zu heilen. Denn erinnern wir uns: Die Ablehnung der Landesaufnahmeprogramme durch den Amtsvorgänger Frau Faesers erfolgte im Alleingang ohne die Bundesregierung als Kollegialorgan und ist somit auch dadurch aus unserer Sicht rechtswidrig. Die neue Bundesinnenministerin könnte hier Initiative zeigen, statt Gerichtsurteile abzuwarten, und simultan der zu wahrenden Eigenständigkeit der Bundesländer im deutschen Föderalismus Rechnung tragen. Jene Länder, die wie Thüringen willens sind, Hilfe zu leisten, könnten dies dann endlich tun, würde die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Personen endlich ermöglicht werden.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

In einem zweiten Schritt sehen wir die Bundesregierung in der Pflicht, sowohl Anerkennungsverfahren als auch die Organisation der Evakuierung und Einreisen zu beschleunigen und deutlich zu vereinfachen, bevor noch mehr Menschen unnötig in Afghanistan ihr Leben lassen.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Denjenigen hier im Hohen Haus, die meinen, Deutschland und auch Thüringen hätten schon mehr als genug getan, dass jetzt endlich mal gut sei und jetzt andere erst mal ihre Hausaufgaben machen müssten, bevor man vom Bund das Einvernehmen für eine weitere Landesaufnahmeanordnung einfordere, denen sei Folgendes erwidert: Es wäre geradezu absurd, würden Staaten wie die Bundesrepublik, die bisher ihren Anteil geleistet haben, mit Verweis auf die Verweigerungshaltung anderer Staaten in Zukunft von der Hilfeleistung absehen. Stellen Sie sich einfach mal vor – wir versuchen das heute bildlich –, Sie stünden mit drei weiteren Personen an einem See, in dem vier Menschen zu ertrinken drohen. Der Umstand, dass die drei, die mit Ihnen am Ufer stehen, ihre Hilfeleistung verweigern, entbindet sie natürlich nicht von der Pflicht, Hilfe zu leisten, das wäre absurd. Vor diesem Hintergrund ergibt es auch keinen Sinn, würde man den Standpunkt vertreten, dass sich selbst dann nichts am Inhalt und Umfang der eigenen Pflichten ändert, wenn andere Akteurinnen und Akteure ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, aber man trotzdem keine Mehrleistung erbringt, über die eigenen gerechten Anteile hinausgeht.

 

Selbstverständlich widerfährt Ihnen eine gewisse Art Ungerechtigkeit, wenn Sie die Lasten der Rettungsaktion dann ganz alleine tragen müssten. Allerdings – und das wird so oft vergessen – wiegt diese Ungerechtigkeit deutlich weniger schwer als die besonders dringlichen Ansprüche ertrinkender Menschen. In solchen Notsituationen gilt daher, dass Akteurinnen auch dann zu zusätzlichen Leistungen verpflichtet sind, wenn sie ihren gerechten Anteil bereits geleistet haben. Selbst wenn Staaten bereits eine Anzahl von Geflüchteten aufgenommen haben, die ihrem Anteil entspricht, müssen sie weitere Schutzsuchende einlassen.

 

Viele Kommunen in Deutschland haben das bereits erkannt. Das Stichwort ist hier „Sicherer Hafen“.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Bezeichnenderweise – und auch das wird oftmals vergessen – funktioniert das sogenannte Non-Refoulement-Prinzip, also der Grundsatz der Nichtzurückweisung, genau auf diese Weise. Staaten dürfen in der Regel auch dann keine Geflüchteten zurückweisen, wenn sie bereits viele Geflüchtete aufgenommen haben. Dass andere Staaten deutlich weniger aufgenommen haben, ändert daran im Grunde nichts. Eine eigene Landesaufnahmeanordnung würde diesem Gedanken wieder zur nötigen Geltung verhelfen. Ich hoffe, Frau Faeser zieht einen ähnlichen Schluss und wird eigenständige Aufnahmen Geflüchteter durch die Länder ermöglichen.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Im Übrigen gilt es auch, hier lebende Geflüchtete mit Verweis auf andere Krisenherde der Welt in den Blick zu nehmen. Ein Beispiel sind junge Menschen aus Äthiopien, die durchaus auch hier in Thüringen von einer Abschiebung in das Bürgerkriegsland bedroht sind. Zur Erinnerung: Wir reden hier von jungen Menschen, die als unbegleitete Minderjährige vor einigen Jahren nach Thüringen gekommen sind. Sie mussten aus ihrem Heimatland vor Bürgerkrieg und Verfolgung fliehen. Was bedeutet eine Abschiebung für diese Menschen – zurück in dieses Land, das immer noch vom Bürgerkrieg zerrüttet ist? In Anbetracht der Situation, in der sich diese jungen Menschen befinden, werbe ich dafür, dass die Thüringer Landesregierung einen entsprechenden Abschiebestopp prüfen lässt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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