Thüringer Jugendarrestvollzugsgesetz (ThürJAVollzG)

Dr. Iris Martin-Gehl

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 6/5827

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Zuschauer auf der Tribüne und am Livestream, bislang wird der Vollzug des Jugendarrests in Thüringen noch ausschließlich von § 90 Jugendgerichtsgesetz und von der Jugendarrestvollzugsverordnung, also durch Bundesrecht geregelt. Mit der Föderalismusreform ist jedoch die Gesetzgebungskompetenz für diese Materie Ländersache geworden.

 

Aber nicht nur aus dieser Zuständigkeitsverschiebung, sondern auch aus den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus seiner Entscheidung vom 31.05.2006 zum Jugendstrafvollzug entstand die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung auch zum Jugendarrestvollzug. Mit diesem Urteil wird nämlich unter anderem klargestellt, dass jegliche Eingriffe in Grundrechte von Strafgefangenen im Jugendstrafvollzug, also auch solche Eingriffe, die über den Freiheitsentzug hinausgehen, unter dem Gesetzesvorbehalt stehen und deshalb einer eigenen gesetzlichen Grundlage bedürfen. Diese Rechtsgrundlage wurde für die Jugendlichen, die eine Jugendstrafe verbüßen, bereits im Jahre 2007 in eigener Länderzuständigkeit mit dem Thüringer Jugendstrafvollzugsgesetz geschaffen. Für den Jugendarrest, der ja keine Jugendstrafe, sondern – wie wir gehört haben – ein sogenanntes Zuchtmittel ist und dementsprechend Besonderheiten des Vollzugs aufweist, fehlt indes eine eigene gesetzliche Regelung des Landes Thüringen, die den auch hierfür geltenden Vorgaben des genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird.

 

Diese Lücke schließt der vorliegende Gesetzentwurf. Zugleich eröffnet sich damit die Möglichkeit, im Zuge dieser Neuregelung den Vollzug des Jugendarrests positiv gestaltend auf eine moderne wissenschaftlich fundierte gesetzliche Grundlage zu stellen.

Der Jugendarrest, der als Dauerarrest, Freizeitarrest, Kurzarrest, Nichtbefolgungsarrest oder begleitend zu einer Jugendstrafe als sogenannter Warnschussarrest bis zu einer maximalen Dauer von vier Wochen verhängt werden kann, unterscheidet sich wesentlich von der härtesten Sanktion des Jugendstrafrechts, der Jugendstrafe. Dazu hat Herr Staatssekretär von Ammon bereits ausgeführt. Diesen Unterschied deutlich zu machen, ist elementarer Anspruch, der an das im Entwurf vorliegende Gesetz zum Vollzug des Jugendarrests zu stellen ist.

 

Eingedenk dieser Prämissen durchzieht der Erziehungsgedanke den Gesetzentwurf wie ein roter Faden. Er ist dabei nicht nur in § 4 Abs. 1 ausdrücklich als allgemeines Gebot des Arrestvollzugs ausgestaltet, sondern schon die Bestimmung des Vollzugsziels in § 2 verdeutlicht diesen Ansatz. Hier heißt es, dass der Arrestvollzug darauf ausgerichtet ist, den Arrestierten das begangene Unrecht, dessen Folgen und ihre Verantwortung hierfür bewusst zu machen und einen Beitrag dazu zu leisten, sie zu befähigen, künftig ein eigenverantwortliches Leben ohne Begehung von Straftaten zu führen. Zu Recht ist an dieser Stelle nur vom „Leisten eines Beitrags“ die Rede, denn es liegt auf der Hand, dass Erziehung längerer Zeiträume bedarf und man im Rahmen des Arrestvollzugs eben nur Anstöße geben kann.

 

Ich will auch nicht verhehlen, dass die Frage, ob Vollzug des Jugendarrests überhaupt eine erzieherische Wirkung entfalten kann, in der Fachwelt kontrovers diskutiert wird. Auch ich habe da so meine Zweifel. Gleichwohl sieht nun mal das Jugendgerichtsgesetz diese Sanktion vor und der Thüringer Gesetzgeber muss für einen effektiven, jugendgemäßen Vollzug Sorge tragen, das heißt, versuchen, das Mögliche und Machbare zu leisten, um dem Anliegen gerecht zu werden, erneuten Straftaten von Jugendlichen entgegenzuwirken. Ich bin der Auffassung, dass dies mit dem Thüringer Jugendarrestvollzugsgesetz gelingen kann und gelingen wird.

 

Ich nannte den Erziehungsgedanken in den Regelungen der §§ 2 und 4. Dieser Gedanke setzt sich fort in der Benennung konkreter Maßnahmen erzieherischer Gestaltung des Vollzugs in § 5, etwa die Heranführung der Arrestierten an einen geregelten Tagesablauf. Auch davon war schon die Rede. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch das Aufnahmeverfahren nach §§ 7 und 8. Es birgt aus meiner Sicht entscheidendes Potenzial für eine Weichenstellung, ob und wie es gelingt, die Arrestierten an die Angebote der Hilfestellung und Förderung heranzuführen. Die Ermittlung des konkreten Hilfebedarfs in jedem Einzelfall und die Aufstellung eines Erziehungs- und Förderplans unter breiter Einbeziehung aller Beteiligten nach § 8 lässt Parallelen zur Hilfeplanung aus dem Kinder- und Jugendhilferecht erkennen, die sich aus meiner Kenntnis in der Praxis recht gut bewährt hat und die sich entsprechend auch im Vollzug des Jugendarrestes bewähren wird. Wie effektiv diese Maßnahme sein wird, dürfte allerdings nicht zuletzt davon abhängen, wie das Entlassungsmanagement organisiert ist, also ob nach der Entlassung die im Jugendarrestvollzug geleistete Erziehungsarbeit ohne Unterbrechung fortgesetzt wird.

 

Die Regelungen der §§ 29 und 30, die sich insoweit nicht allein auf die Erstellung eines Schlussberichts beschränken, sondern eine Nachsorge vorsehen, also die Arrestierten nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, bieten dafür eine gute Grundlage. Ob allerdings die Vorgaben des Gesetzentwurfs hierfür ausreichend sind, um das angestrebte Erziehungsziel nach § 2 zu erreichen, wird zu diskutieren sein. Zur Diskussion dürfte auch die Frage stehen, ob es sinnvoll und im Sinne des beabsichtigten Erziehungsziels ist, den Arrestierten eine Mitwirkungspflicht aufzuerlegen, so wie das in § 3 Abs. 3 des Gesetzentwurfs vorgesehen ist.

 

Ich möchte insoweit das Augenmerk auf die von einer „Fachkommission Jugendarrest/Stationäres soziales Training“ im Jahr 2009 verabschiedeten Mindeststandards zum Jugendarrestvollzug lenken. Diese von Vertretern aus Wissenschaft, Justiz und Jugendarrestvollzug verfasste Studie spricht sich klar gegen eine Mitwirkungspflicht aus, vor allem weil sie zu unbestimmt, praktisch nicht umsetzbar und offen für Willkür sei, was verfassungsrechtlichen Bedenken begegne. Einige Bundesländer, so etwa Baden-Württemberg, Brandenburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, haben dieser Empfehlung folgend eine Mitwirkungspflicht in ihren Jugendarrestvollzugsgesetzen nicht festgelegt, sondern sie setzen stattdessen auf die gezielte Förderung der Bereitschaft zur Mitwirkung, also auf Freiwilligkeit.

 

Ich gehe davon aus, dass die genannte Studie auch in anderer Hinsicht Anstöße für die zu dem Gesetzentwurf im Ausschuss zu führende Debatte gibt, so etwa auch im Hinblick auf die verwendeten Bezeichnungen und Begriffe. Dass die Bezeichnung „Arrest“ historisch belastet ist, möchte ich hier nicht näher ausführen, das ist allenthalben bekannt. Die Fachkommission schlägt deshalb für den Vollzug des Jugendarrestes die Verwendung der Bezeichnung „Stationäres soziales Training“ vor, die eine positive spezialpräventive Ausrichtung signalisiert, wie es in der Studie heißt. Quasi Vorreiter für die Umsetzung dieser Idee ist das Jugendarrestvollzugsgesetz von Baden-Württemberg, das das soziale Training als tragendes Element und Schwerpunkt der pädagogischen Gestaltung des Arrestvollzugs definiert und aus meiner Sicht folgerichtig die Jugendarrestanstalten selbst als „Einrichtungen für soziales Training“ bezeichnet. Ich möchte diese ersten Überlegungen zu dem vorliegenden Gesetzentwurf hiermit beenden und die Überweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz beantragen. Ich erwarte dort eine interessante Debatte. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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