Thüringer Jugendarrestvollzugsgesetz (ThürJAVollzG)

Dr. Iris Martin-Gehl

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 6/5827

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, im Jahr 2017 waren in Thüringen 47 Prozent der nach Jugendstrafrecht rechtskräftig verurteilten Straftäter Wiederholungstäter. Mehr als die Hälfte von ihnen hatte sogar mehrere Vorstrafen aufzuweisen. So nachzulesen im Statistischen Monatsheft des Thüringer Landesamts für Statistik vom Oktober 2018. Diese Zahlen zur Jugendkriminalität verdeutlichen, wie wichtig es ist, rechtzeitig und nachhaltig erzieherisch auf junge Menschen einzuwirken, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, um erneuter Straffälligkeit entgegenzuwirken. Ein Mittel hierfür ist der Jugendarrest, ein kurzfristiger Freiheitsentzug mit erzieherischem Charakter, der sich von der schärferen Jugendstrafe unterscheidet. Diese Unterscheidung deutlich zu machen und mit gezielten erzieherischen Maßnahmen auf die Vermeidung erneuter Straffälligkeit von Jugendlichen und Heranwachsenden hinzuwirken, ist Anliegen des vorliegenden Gesetzentwurfs. Dazu hatte ich in meinem Beitrag zur ersten Lesung bereits näher ausgeführt.

 

Im Ergebnis der durchgeführten Anhörung hat der Gesetzentwurf einige Änderungen erfahren, die dem Erziehungsgedanken des Jugendarrests und seines Vollzugs noch stärker Geltung verschaffen. Dies verdeutlichen die Festlegungen in § 2 Abs. 2 und in § 6 Abs. 2, die die Zusammenarbeit der Jugendarrestanstalt mit Einrichtungen der Jugendgerichtshilfe, der Bewährungshilfe und insbesondere mit dem Jugendamt und mit freien Trägern der Jugendhilfe hervorheben. Eine solche Vernetzung ist unabdingbar, um die vielfältigen Hilfestellungen jenseits und unabhängig vom Jugendarrest zu koordinieren und die Fortführung der erzieherischen Arbeit durch entsprechende nachsorgende Maßnahmen sicherzustellen. Denn: Verhaltensänderungen lassen sich kaum allein während des maximal vier Wochen dauernden Jugendarrests bewirken. Verhaltensänderungen können nur über langfristige Prozesse in Gang gesetzt werden, weshalb eine rechtzeitig und gut geplante einzelfallbezogene Nachsorge letztlich für den Erfolg der im Jugendarrest geleisteten Erziehungsarbeit entscheidend ist. Mit dieser Neureglung wird zugleich eine Forderung der Fachkommission „Jugendarrest/Stationäres soziales Training“ aus den sogenannten Mindeststandards zum Jugendarrestvollzug umgesetzt.

 

Einer Anregung aus der Anhörung folgend wurden zudem die in § 8 Abs. 3 aufgeführten erzieherischen Maßnahmen konkretisiert und erweitert. Aufgenommen wurden insbesondere die Vermittlung von Konfliktlösungsstrategien zur einvernehmlichen Streitbeilegung und die Auseinandersetzung mit der jeweils begangenen Straftat mit Blick auf die Opfer bzw. die angerichteten Schäden. Dass diese Maßnahmen zur Förderung sozialer Kompetenz der Arrestierten sinnvoll sind, dürfte außer Frage stehen. Vor diesem Hintergrund wird nunmehr auf ein sogenanntes Opfer-Empathie-Training, dem auch ein Täter-Opfer-Ausgleich folgen kann, orientiert. Derartige Maßnahmen werden übrigens schon andernorts, etwa in Schleswig-Holstein, bereits erfolgreich praktiziert.

Weitere Änderungen betreffen die Einschränkung von Grundrechten, die auf das unbedingt nötige Mindestmaß begrenzt werden, wie etwa das Verbot des Rauchens und des Konsums von Alkohol nach § 16 Abs. 1 oder der Empfang und Versand von Paketen nach § 17 Abs. 3. Über all dem steht die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wonach in die jeweilige Abwägung die weitgehende Aufrechterhaltung alltäglicher Lebensverhältnisse in Freiheit einerseits und die Wahrung des sozialen Friedens in der Anstalt und die Sicherung reibungsloser Abläufe im Vollzug andererseits einzubeziehen sind. Auf eine vorübergehende Fesselung, wie ursprünglich in § 26 Abs. 3 vorgesehen war, wird ganz verzichtet, weil dies mit dem Konzept des Jugendarrests als Erziehungsmaßnahme nicht in Einklang steht. Das heißt, dass in schwerwiegenden Fällen einer Gefährdung nach § 26 Abs. 3 eine Jugendarrestvollzugsanstalt nicht mehr der passende Aufenthaltsort für den Betroffenen sein kann.

 

Nun zur personellen Ausstattung, speziell der Jugendarrestvollzugsanstalt Arnstadt. § 34 Abs. 1 des Gesetzentwurfs bestimmt hierzu, dass die „Anstalt ... mit dem für die Erreichung des Vollzugsziels und für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Personal ausgestattet [wird]“. Wie ist die Situation derzeit? In der Thüringer Jugendarrestanstalt in Arnstadt stehen für genau 39 Arrestplätze 14 Bedienstete zur Verfügung. Durchschnittlich befinden sich allerdings nur zehn Arrestierte in der Anstalt. Das bedeutet, dass bei Berücksichtigung von Ausfällen durch Krankheit, Urlaub etc. sowie unter Beachtung der Schichtdienste eine ausreichende Betreuung der Arrestierten auch an den Wochenenden sichergestellt ist. Wenn Sie, Frau Meißner, in Ihrer Berichterstattung das bezweifeln, geht Ihre Einschätzung vermutlich auf die Stellungnahme des Vertreters des BSBD, des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands, Landesverband Thüringen, zurück. Dort wird ausgeführt, dass ein Widerspruch zwischen den gesetzlichen Aufgaben und dem dafür zur Verfügung stehenden Personal bestünde bzw. dass sich mit der derzeitigen Personalausstattung die Anforderungen des Gesetzes an den Arrestvollzug nicht erfüllen ließen. Diese Bedenken decken sich allerdings nicht mit den Einschätzungen des Behördenleiters der Anstalt in Arnstadt und der dort beschäftigten Bediensteten selbst, die jedenfalls derzeit keine personellen Engpässe sehen. Man muss dabei auch im Blick haben, dass das Gesetz im Grunde festschreibt, was in der Vergangenheit im Jugendarrestvollzug ohnehin schon geleistet wurde. Es werden den Bediensteten also nicht in immensem Umfang neue Aufgaben übertragen, die ohne personellen Zuwachs nicht zu bewältigen wären, zumal auch die Tendenz zur Verhängung von Jugendarrest eher rückläufig ist. Derzeit jedenfalls ist die Thüringer Jugendarrestanstalt nach der Zahl der Bediensteten und der Anzahl der durchschnittlich zu betreuenden Arrestierten auskömmlich. In Kürze wird zudem noch eine Vertretung der momentan allein in der Anstalt eingesetzten Sozialarbeiterin geschaffen, sodass auch insoweit ein möglicher Ausfall kompensiert werden kann.

 

Selbstverständlich wird das zuständige Ministerium die künftige Entwicklung im Jugendarrestvollzug verfolgen und jährlich mit der Anstaltsleitung die personelle Situation erörtern, um gegebenenfalls personell nachzubessern. Dies ist eine zwingende Konsequenz aus der mit Bedacht in das Gesetz aufgenommenen Ausstattungsverpflichtung nach § 34 Abs. 1, ich erwähnte sie bereits.

Zudem bietet die neu eingeführte Evaluierungsklausel nach § 46 des Gesetzentwurfs ausreichende Gewähr dafür, dass auf Veränderungen beim Personalbedarf zeitnah reagiert wird. Nach alledem gibt es keinen Anlass für die mit dem vorliegenden Entschließungsantrag begehrte Personalbedarfsanalyse und  planung. Wir werden den Antrag daher ablehnen.

 

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Noch eine Bemerkung zu der bereits erwähnten Evaluierungsklausel: Auch wenn sie in erster Linie dazu dient, die gesetzlichen Vorgaben für den Jugendarrestvollzug insgesamt auf ihre Umsetzung und Wirksamkeit und damit auch die personelle Ausstattung zu überprüfen, so bietet sie zugleich auch eine gute Gelegenheit, Vorschläge und Anregungen, die noch nicht in den Gesetzentwurf Eingang finden konnten, zu gegebener Zeit neu zu diskutieren. Das betrifft beispielsweise die im Gesetzentwurf beschriebene Pflicht der Arrestierten zur Mitwirkung, die im Kontext des Erziehungskonzepts des Jugendarrests kritisch zu sehen ist und aus meiner Sicht durch Mittel der Motivierung und des Anreizes ersetzt werden sollte. Vielleicht ist dann auch die Zeit reif für ein terminologisches und konzeptionelles Umdenken weg vom „Jugendarrest“ und hin zu einem „stationären sozialen Training“, wofür es bereits andernorts Vorbilder gibt.

Die Bundesvereinigung der Anstaltsleiter und Anstaltsleiterinnen im Justizvollzug hat in ihrer Stellungnahme den Gesetzentwurf als umfassendes Regelwerk zum Vollzug des Jugendarrests beschrieben, das „einerseits der ermahnenden Funktion, zugleich aber auch der unterstützenden Zielrichtung dieses Zuchtmittels in einem ausgewogenen Verhältnis Rechnung trägt“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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