Thüringer Gesetz zur direkten Demokratie auf kommunaler Ebene

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/1840


Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kollegen, sehr geehrte Mitglieder von „Mehr Demokratie Thüringen“ auf der Tribüne! 2003, 2009 und nun 2016 – diese Jahreszahlen symbolisieren wichtige Schritte im Ausbau der direkten Demokratie in Thüringen, 2016 aber mit einem entscheidenden Unterschied. Unter Rot-Rot-Grün war erstmalig kein Volksbegehren notwendig, um die Landtagsmehrheit zu einer Reform zu bewegen und Thüringen damit im Bundesvergleich in Sachen direkter Demokratie an die Spitze zu stellen.


(Beifall DIE LINKE)


Das wird die Chronologie auch noch einmal verdeutlichen. Im November 2003 war es die grundlegende Reform zum Ausbau der direkten Demokratie auf Landesebene. Diese Reform wurde entscheidend auf den Weg gebracht durch ein Volksbegehren vom Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“, in dem alle jetzigen Koalitionspartner bis heute auch noch Mitglied sind. Der Druck von damals – rund 389.000 Unterschriften – war so groß, dass sich am Ende auch die CDU bewegen und dem Volksbegehren in allen entscheidenden Punkten zustimmen musste, sowohl bei Änderungen in der Verfassung, wie der Senkung der Unterschriftenhürde, als auch bei der Ausgestaltung des Verfahrensgesetzes, zum Beispiel beim Beratungsrecht für Initiativen und bei der Einführung eines Abstimmungsbuchs an jeden Thüringer Haushalt vor einem Volksentscheid.


2001 hat dann die CDU eine Klage vor dem Verfassungsgerichtshof gegen dieses Volksbegehren angestrengt, die doch unserer Ansicht nach zu einem sehr konservativen Urteilsspruch führte. Dieses Urteil von 2001 hat leider bis heute problematische Auswirkungen auf den Umgang mit finanzwirksamen Volksbegehren, konnte aber die Reform von 2003 zum Glück nicht aufhalten.


So, nun die Reform im Jahr 2009, die die Weiterentwicklung der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene zum Inhalt hatte: Das war letztlich wieder das Ergebnis eines Volksbegehrens, erneut getragen vom Bündnis „Mehr Demokratie Thüringen“ und unterstützt von 250.000 Unterschriften aus Thüringen. Dieses Volksbegehren-Gesetz erreichte den Landtag. Auch damals versuchten Sie, werte Mitglieder der Thüringer CDU, mit allerlei parlamentarischen Tricks den Gesetzentwurf zu unterlaufen und das Reformvorhaben zu schwächen. Letztlich war aber auch hier der Druck von einer Viertelmillion Unterschriften so stark, dass die CDU den Kern der Reform mittragen musste.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das werdet Ihr bei der Gebietsreform erleben!)


Die CDU-Ablehnung der direkten Demokratie kam aber dann deutlich zum Ausdruck, da sie auf Einführung der Amtseintragung auf kommunaler Ebene bestand – wir haben es mehrfach betont: weltweit einmalig. Der Verhandlungsdruck konnte die Sache zum Wahlrecht zwischen Amtseintragung und Straßensammlung entschärfen. Nach der Reform vom April 2009 war dem Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“ und seinen rund 20 Mitgliedsorganisationen von Gewerkschaften und Parteien über kirchliche Verbände und Frauen- bzw. Umweltorganisationen bis hin zum Mieterbund und Steuerzahlerbund klar, so wichtig die beiden Reformschritte von 2003 und 2009 waren, es blieben noch mindestens zwei Reformbaustellen übrig. Dazu gehörte die Weiterentwicklung der Reform auf kommunaler Ebene.


Bestimmte Reformschritte, die eigentlich in Vorbereitung des Volksbegehrens mit auf der Agenda waren, konnten vor allem wegen der Verweigerungshaltung der CDU wieder einmal nicht umgesetzt werden. Hinzu kam, dass das Ringen mit den Bremsern von der jetzt größten Oppositionspartei seinen Preis hatte. Auf Wunsch von Ihnen kam die zusätzliche Einführung der Amtseintragung und wegen Ihrer Weigerung gab es kein eigenes Verfahrensgesetz, um die Regelungen der kommunalen direkten Demokratie klar geordnet und rechtssicher für alle Thüringer Kommunen festzuschreiben und so letztendlich auch die Kommunalordnung zu entlasten.


Es ist daher alles andere als überraschend, wenn heute ein Gesetzentwurf der rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen zur abschließenden Entscheidung vorliegt, die diesen weiteren vom Bündnis „Mehr Demokratie“ schon 2009 anvisierten Reformschritt für die kommunale Ebene nun umsetzt. Mit einem eigenständigen Verfahrensgesetz für die kommunale Ebene mit Einführung des Ratsbegehrens, eingeschlossen die Möglichkeit zum Alternativvorschlag aus der Bevölkerung, mit Abschaffung der Amtseintragung, mit Stärkung der direkten Demokratie in Ortschaften und Ortsteilen, mit Rederecht der Initiatoren in den Kommunalgremien, mit der Pflicht zur Information an alle Abstimmenden bzw. Haushalte vor einem Bürgerentscheid und vielem mehr. An der endgültigen Fassung des Gesetzes wird auch deutlich, die rot-rot-grünen Koalitionsfraktionen nehmen Anhörungen und Stellungnahmen von Anzuhörenden ernst,


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn die Ausweitung des Alternativvorschlags der im Gesetzentwurf nur für das klassische Bürgerbegehren vorgesehen war, geht auf Vorschläge von zwei Anzuhörenden zurück. Daher auch unser Änderungsantrag. Ich wiederhole mich unglaublich gerne: Thüringen ist mit dieser Reform nun im bundesweiten Vergleich spitze bei der direkten Demokratie in den Kommunen.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


An dieser Stelle noch mal: Es war kein Volksbegehren notwendig, um die Landtagsmehrheit zur Reform zu bewegen. Es macht deutlich, mit Rot-Rot-Grün gibt es mehr direkte Demokratie in Thüringen.


(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das werden wir jetzt mit den Unterschriften sehen!)


(Unruhe CDU)


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Durch den Abbau weiterer Hürden wir die direkte Demokratie lebendiger werden. Das wurde 2009 mit der Zunahme der Anzahl von Bürgerbegehren deutlich. Auch die Zahl der Bürgerentscheide wird zunehmen, da nun die Kommunalgremien den Bürgern Themen zur Endentscheidung per Bürgerentscheid vorlegen können. Wir als Linke sind sehr optimistisch, dass in der Diskussion um ein Bürgerbegehren und Bürgerentscheid unter Einbeziehung von viel Fachverstand der Menschen vor Ort nach der besten Lösung gesucht und dann auch gefunden wird. Mit der Einführung des Alternativvorschlags auf kommunaler Ebene werden auch die Auswahlmöglichkeiten beim Bürgerentscheid noch erweitert. Es ist einfach richtig, den Bürgern die Letztentscheidung in den Sachfragen zu geben. Es erhöht die Akzeptanz und nicht selten spart es auch noch öffentliche Gelder.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wissen Sie, was mich in der Debatte zu diesem Gesetz doch sehr irritiert hat? Dass die Einführung des Ratsbegehrens, was eine Form des Referendums ist, bei der CDU auf eine so starke Ablehnung gestoßen ist. Begründung von Ihnen: Mit dem Ratsbegehren fliehen die Gremien vor der Entscheidung und die Gremien würden ihren Wert verlieren. Wir sagen, die Gremien können nicht vor einer Entscheidung fliehen, denn vor dem Beschluss über ein Ratsbegehren werden sich die Gemeinde- oder Stadträte besonders intensive Gedanken vor ihrer eigenen Entscheidung machen. Das wird auch der Qualität gut tun.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Macht nur!)


Sehen Sie, da lehnt die CDU das Ratsbegehren ab, fordert aber im Zusammenhang mit der von ihr vehement bekämpften Gebietsreform die Einführung des fakultativen Referendums auf Landesebene.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist widersprüchlich, zeigt aber ihre eigentliche Intension, einzig die Verhinderung der geplanten Strukturveränderung.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Linke, wie auch das Bündnis mehr Demokratie, befürworten die Einführung der fakultativen Referenden und sagen auch deutlich: Grundprinzipien, die für die direkte Demokratie auf Landesebene gelten, müssen sich auch auf kommunaler Ebene wiederfinden.


(Beifall DIE LINKE)


Daher finden sich viele sinnvolle Regelungspunkte, die es schon für die direkte Demokratie auf Landesebene gibt, zum Beispiel der Alternativvorschlag im Volksentscheid, nun auch im neuen Verfahrensgesetz zu Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Diese Idee der Spiegelung von sinnvollen Vorschriften der Landesebene auf die kommunale Ebene ist schon eine Idee, die beim Start der Reformdebatte zur direkten Demokratie auf kommunaler Ebene im Jahr 2005 vorgestellt wurde. Sie betrifft auch solche Punkte wie das Beratungsrecht für Initiativen, das Rederecht von Vertrauenspersonen in Gremien, die Verschickung von Infomaterialien an alle Haushalte vor dem Volksentscheid bzw. Bürgerentscheid. Das sind im Übrigen alles Punkte, die durch die Debatte um die Reform der direkten Demokratie auf Landesebene in den Jahren 2000 bis 2003 erst Eingang in das Verfahrensgesetz zu Volksbegehren gefunden hatte. Nun können diese Regelungen mit dem neuen Gesetz auch auf kommunaler Ebene endlich ihre Wirkung entfalten. Damit ist deutlich geworden, Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen arbeiten auch als Mitglieder im Bündnis „Mehr Demokratie in Thüringen“ schon rund 20 Jahre für den Ausbau der direkten Demokratie in Thüringen,


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


während die CDU bisher immer die Bremserin war. Bei diesem jetzigen dritten wichtigen Reformschritt, dem Gesetz zur direkten Demokratie auf kommunaler Ebene, freut es uns als Linke, als sozusagen parlamentarischer Arm des Bündnisses „Mehr Demokratie in Thüringen“ aktiv sein zu können. Wir stehen auch bereit für die Umsetzung des vierten Reformbausteins, der jetzt noch aussteht und im Koalitionsvertrag auch verankert ist, nämlich die weitestgehende Abschaffung des Finanz- und Abgabenvorbehalts bei Volksbegehren und Volksentscheiden. Wir stehen bereit, auch diese Demokratiebaustelle anzugehen. Am weiteren Umgang mit Ihrem eigenen Gesetzentwurf zum fakultativen Referendum kann die CDU nun beweisen, ob sie endlich tatsächlich beginnen will, die direkte Demokratie zu stärken oder ob es ihr nur um eine verlogene Demokratieshow geht.


(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Das ist ja unerhöhrt!)


Dennoch beinhaltet dieser Gesetzentwurf den Finanz- und Abgabenvorbehalt. Sollten Sie sich weiterhin an den Finanz- und Abgabenvorbehalt klammern, dann hat die CDU, was schade ist, nichts gelernt.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen in Thüringen sollten dann dieser heuchlerischen Show nicht auf den Leim gehen, mit der die CDU Rot-Rot-Grün verleumden will,


(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Ach ja?!)


die seit rund 20 Jahren gegen den Widerstand eben dieser CDU erfolgreich am Ausbau der direkten Demokratie in Thüringen arbeiten.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Verleumden? Ist ja lächerlich!)


Sollten Sie allerdings in einer Verfassungsänderung mit der rot-rot-grünen Landtagsmehrheit für eine weitreichende Abschaffung des Finanz- und Abgabenvorbehalts bei Volksbegehren und Volksentscheiden stimmen, dann wären Sie tatsächlich keine Demokratiebremse mehr wie all die Jahrzehnte zuvor.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir stehen bereit.


Und zum Abschluss, weil es einfach so gut ist: Kein Volksbegehren war notwendig, um Thüringen mit dieser Reform nun im bundesweiten Vergleich an die Spitze in Sachen direkter Demokratie zu stellen. Man darf es ruhig noch einmal zitieren: „Wir wollen nicht alles anders, aber vieles besser machen.“ Das zeigen wir mit diesem Gesetzentwurf.


(Zwischenruf Abg. Tasch, CDU: Genau, das sieht man bei der Gebietsreform!)


Ich danke Ihnen.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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