Thüringer Gesetz zur Beseitigung von Wahlrechtsausschlüssen

Anja Müller

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/6495

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, der hier in der Drucksache vorliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Beseitigung von Wahlrechtsausschlüssen ist ein wichtiger Gewinn an Demokratie für Thüringen und ein wichtiger Gewinn an Selbstbestimmtheit für Menschen mit Behinderungen in Thüringen. Mit diesem Gesetzentwurf wird sowohl im Kommunalwahlgesetz als auch im Landeswahlgesetz der Ausschluss von Menschen in vollständiger gesetzlicher Betreuung und auch von Menschen, die sich in angeordneter Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung befinden, abgeschafft.

 

In Artikel 46 Abs. 1 der Thüringer Verfassung heißt es: „Wahlen nach Artikel 49 Abs. 1 und Abstimmungen nach Artikel 82 Abs. 6 dieser Verfassung sind allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim.“ Das Kriterium „allgemein“ bezieht sich auf den demokratischen Grundsatz, dass alle Menschen, die von staatlichem Handeln betroffen sind – das heißt auch von parlamentarischen Entscheidungen –,dieses Parlament mitwählen dürfen sollen. „Gleich“ bedeutet: Alle Wählerinnen und Wähler müssen in gleicher Weise ihr Wahlrecht ausüben können. Vor allem muss jede Stimme bei der Wahl den gleichen Wert, das gleiche Stimmgewicht haben.

 

Von diesen für einen demokratischen Rechtsstaat ganz zentralen und unverzichtbaren Grundsätzen darf es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts und anderer Verfassungsgerichte nur in ganz begrenzten und sehr gut begründeten Ausnahmefällen Abweichungen geben. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2010 entschieden, dass pauschalierte Wahlrechtsausschlüsse unzulässig sind. Bei den beiden nun gestrichenen Wahlrechtsausschlüssen handelt es sich um solche vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte monierte pauschalierte Wahlrechtsausschlüsse.

 

Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird daher konsequenterweise nicht der Wahlrechtsausschluss im Einzelfall abgeschafft, der durch einen konkreten Richterspruch erfolgt. Entstanden ist der Wahlrechtsausschluss gegen Personen, die für alle ihre Angelegenheiten unter Betreuung stehen, durch die Einschätzung, diesen Personen fehle es generell an Einsichtsfähigkeit. Sie könnten daher auch keinen politischen Willen formulieren und keine Wahlentscheidung treffen. Bei genauerem Hinsehen erweist sich dieses Pauschalurteil zu dieser Personengruppe als grundsätzlich falsch. Auch wer mit vielem in seinem Leben nicht zurecht kommt, kann trotzdem eine politische Meinung haben.

 

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Und provokant gesagt: Auch bei vielen Leuten, auch solchen, die als nicht behindert gelten, kann man streng genommen an der Einsichtsfähigkeit bezüglich ihrer Wahlentscheidung zweifeln, aber niemand würde ihr Wahlrecht infrage stellen. Wenn dem so ist, dann gibt es auch keinen Grund, Menschen in sogenannter Vollbetreuung das Wahlrecht zu versagen.

Ebenso deutlich stellt sich die Problematik für die zweite betroffene Gruppe dar, die nun in das Wahlrecht einbezogen wird: Menschen, die auf Anordnung in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht sind. Auch bei dieser Personengruppe verbietet sich das oben genannte Pauschalurteil zum Ausschluss aus dem Wahlrecht. Auch diese Personen können grundsätzlich ihre politische Meinung kundtun.

 

Darüber hinaus gesteht auch die UN-Behindertenrechtskonvention mit ihren Regelungen – hier vor allem Artikel 29 – behinderten Menschen das gleiche Wahlrecht zu, wie es nicht behinderte Personen ausüben können. Nicht zuletzt und vor allem ergibt sich die Notwendigkeit der Abschaffung der beiden Wahlrechtsausschlüsse in § 2 Thüringer Kommunalwahlgesetz und § 14 Thüringer Landeswahlgesetz aus dem in Artikel 2 Abs. 4 der Thüringer Verfassung verankerten Nachteilsausgleichsgebot zugunsten von behinderten Menschen.

 

Mit der weiteren Öffnung des Wahlrechts bekommen die betroffenen Personen aber nicht nur das aktive Wahlrecht zum Parlament, weil das aktive Wahlrecht in Thüringen auch Anknüpfungspunkt für das Stimmrecht bei der direkten Demokratie ist. Auch bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie Volksbegehren und Volksentscheiden können sich die Betroffenen nun bei der direkten Demokratie aktiv beteiligen.

Wir beantragen als rot-rot-grüne Koalition, diesen Gesetzentwurf an den Innenausschuss – federführend – sowie an den Gleichstellungsausschuss und an den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz – jeweils mitberatend – zu überweisen. Im Innenausschuss soll es zum Gesetzentwurf eine mündliche Anhörung geben. Dort werden dann auch Verbände zu Wort kommen, die schon seit Jahrzehnten die Abschaffung dieser Wahlrechtsausschlüsse fordern. Ich danke Ihnen.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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