Thüringer Gesetz zu dem Vierzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/1385 - Erste und Zweite Beratung


Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wer ist schon gegen Jugendmedienschutz? Ich gehe davon aus, kaum jemand. Daher haben wir auch die damalige Ankündigung zur Neubeschreibung und Fortführung des Jugendmedienschutzes mit Aufmerksamkeit und Interesse aufgenommen. Damit verbunden ist den Schlagworten, wie sie Staatssekretär Zimmermann im Ausschuss bei der Vorabinformation, wie Minister Schöning in seinem Beitrag deutlich gemacht hat, nichts hinzuzufügen bzw. in ihrer Einsilbigkeit nicht zu widersprechen - Zielsetzung: Schutz und Qualitätsverbesserung. Dennoch - da muss ich Sie korrigieren - hat es reichlich Einwände in der Diskussion im Ausschuss gegeben zum Staatsvertrag, die es nicht nur seitens der Fraktion DIE LINKE, sondern meiner Erinnerung nach auch seitens der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegeben hat. Dennoch - und dies in aller Eindeutigkeit - will ich sagen: Dieser Jugendschutzstaatsvertrag geht weder auf die rasante technische Entwicklung und die damit verbundene Nutzung ein, noch zeigt er eine - ich brauche nur beim Kollegen Döring anzuknüpfen: es muss nach Konzepten gesucht werden, es müssen Vereinbarungen getroffen werden, es müssen Modelle entwickelt werden - festgeschriebene praktikable Form des Schutzes und somit ist letztendlich dieser Staatsvertrag der Zeit hinterher, seiner eigenen Aufgabenstellung hinterher. Daher werden wir diesem Staatsvertrag nicht zustimmen. Der in diesem Zusammenhang immer wieder aufkommenden Frage nach den Alternativen, auf die ich noch zu sprechen komme, darf nicht die Konsequenz folgen, ein schlechtes, unwirksames und seiner Zeit - ich wiederhole mich - hinterherhinkendes Gesetz, wie es jetzt auf dem Tisch liegt, zu verabschieden.


(Beifall DIE LINKE)


Zwei für mich typische medienpolitische Aussagen in dieser Zeit möchte ich zitieren: einmal Marlies Kohnle-Gros und einmal Tabea Rößner - beides Medienpolitiker auf Bundesebene, einmal CDU, einmal BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Präsidentin, die CDU-Politikerin in einem Brief, zwar im Mai, aber der Inhalt ist genauso interessant, an die Fraktionsvorsitzenden in den Ländern: „Wir sind gemeinsam der Auffassung, „dass der Jugendmedienschutz insbesondere für den Bereich des Internets einer Konkretisierung bedarf. Wie bei allen gesetzlichen Regelungen wird die Umsetzung und Durchsetzbarkeit neuer gesetzlicher Regelungen ganz besonders zu berücksichtigen sein. Wir müssen vermeiden, Erwartungen zu wecken, die sich schon heute erweislich nicht erfüllen lassen. Der aktuelle vorliegende Entwurf des Staatsvertrags hat genau hier seine größten Schwachstellen.“


(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Hört, hört, schon im Mai.)


Und Tabea Rößner: „Wir halten den Jugendmedienschutzstaatsvertrag bereits jetzt für überholt und für nicht zukunftsfähig. Der Staatsvertrag in seiner jetzigen Ausgestaltung wird weder dem Internet gerecht, noch bringt er den Jugendschutz voran.“ Dem ist wirklich nichts mehr hinzuzufügen.


(Beifall DIE LINKE)


Meine Damen und Herren, wenn ein Gesetzentwurf dermaßen kritisch begleitet, mithin partei- und gesellschaftspolitisch übergreifend so infrage gestellt wird, wird er von uns keine Stimme erhalten. Was meinen wir konkret: Begriffliche Unklarheiten, ernst zu nehmende Befürchtungen von Zensur bzw. Selbstzensur, technische Umsetzbarkeit, zu erwartende Wirkungslosigkeit. Begriffliche Unklarheiten: Eine der offenen Fragen lautet, wer denn genau im Internet als Inhaltanbieter gilt. Wahrscheinlich müssen wir nicht nur große Anbieter wie Fernsehsender und Zeitungsverlage, sondern jedes Blog und überhaupt jede private Website kennzeichnen. Selbst wenn jeder sich die Mühe einmal machen würde, besteht das Problem, dass eine Internetseite kein unveränderliches Medium darstellt, beispielsweise wie der Film. Demzufolge muss jeder einzelne Beitrag - sei es ein Artikel, ein Foto, ein Video - durch den Betreiber geprüft werden. Hier besteht die Gefahr, dass große Anbieter bevorzugt werden, weil sie es sich leisten können, Personal zur Einstufung der Inhalte abzustellen. Dagegen werden kleinere Anbieter - von der kleinen Regionalzeitung bis zum Blogger - vor ernsthafte Probleme gestellt. Als Konsequenz werden sie ihren Inhalt pauschal über „Ü18“ deklarieren, um überhaupt weitere Inhalte veröffentlichen zu können. Das Prinzip der schon genannten regulierten Selbstregulierung lässt sich nicht einfach auf Internetangebote übertragen. Es birgt die Gefahr einer Einschränkung von Meinungsvielfalt, indem Anbieter sich vorsichtshalber lieber selbst zensieren als einer Rechtsverletzung Vorschub zu leisten. Gerade Betreiber von Blogs und Foren werden dazu animiert, ihre Dienste einzuschränken oder gegebenenfalls sogar abzuschalten.


Auf der anderen Seite haben wir es ohnehin mit einer Insellösung zu tun, die die Frage nach Internetangeboten aus dem Ausland überhaupt nicht klärt, egal, welche Filter wir gegebenenfalls anbieten. Ganz zu schweigen von der sogenannten Sendezeit. Das ist völlig egal. Das Internet ist global, ob wir um 01.00 Uhr nachts oder mittags um 12.00 Uhr in das Internet gehen, und die Angebote weltweit eingestellt werden. Da nützt es dann auch nichts, dass sich die restliche Welt dem deutschen Recht womöglich unterwirft, das ist kaum möglich. Hier bleibt doch nur wieder die Variante einer Sperrung über die Provider und das wäre dann de facto die chinesische Lösung und das ist deutlich Zensur, die wir nicht mittragen.

Meine Damen und Herren, wir können nicht Datenautobahnen, können nicht Informationen jeglicher Art in riesigen Datenmengen fordern und lassen den Nutzer ohne die entsprechenden Kompetenzen. Denn letztlich ist der Nutzer von Medienangeboten jeglicher Art auch und gerade des Internets der - lassen Sie es mich so formulieren - erste Filter bei der Bewertung dieser Angebote. Mit einer noch besseren Medienkompetenz können wir einerseits das individuelle Informationsrecht jedes Einzelnen erfüllen und gleichzeitig andererseits die Kompetenz von Jung und Alt erhöhen. Hier meine Damen und Herren, liegt die Alternative. dann ist nicht die gegenüber der umfassenden Kritik vermeintliche Alternative, es beim bisherigen Staatsvertrag zu belassen, so wie es der Kollege Döring gegenüber Vorwärts.de geäußert hat, mitnichten, sondern die Stärkung von Medienkompetenz ist auf der Tagesordnung.

Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder auch die Frage gestellt, wie können wir im Internetzeitalter auf die Angebote reagieren, kinder- und medienschutztechnisch realisieren. Früher gab es einen Schlüssel für den Fernsehschrank und mit dem Sandmännchen einen definierten Zeitpunkt zum Ausschalten der Geräte. Diese Zeiten sind vorbei. Und der Versuch …


(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Bei Schnitzler war es notwendig, auszuschalten, das stimmt.)


Das war dann die letztendliche Konsequenz. Aber dann hat man ja nicht ausgeschaltet, sondern hat umgeschaltet. Diese Zeiten sind vorbei und der Versuch, die Regelung der klassischen Medien auf das Internet


(Unruhe im Haus)


genauer auf die Frage der Dienste im Internet zu übertragen, ist ein Märchen von Hase und Igel. Ich glaube, der Staatsvertrag stellt hier in gewisser Weise, wenn wir bei dem Märchen und dem Bild bleiben, den Hasen dar, der zwar schnell ist, aber der Igel ist schon längst da.

Es stellt sich die Frage, wie effizient werden Eltern Filter auf Computer und Handys ihrer Kinder installieren können, ohne dass diese von den Jugendlichen umgangen werden. Die Antwort lautet leider, wahrscheinlich gar nicht, sondern im Gegenteil. Eher werden die Kinder den Eltern eine Installation bieten und nicht umgekehrt.

Zweitens werden viele Anbieter ihre Seiten pauschal als Erwachsenenseiten deklarieren, so dass ein Kindernet übrig bleibt, das mit wenig Seiten derart eingeschränkt ist, dass selbst Eltern, die in der Lage sind, Filter zu installieren, es nicht mehr für sinnvoll oder für brauchbar halten.

Die Kompetenz im Umgang mit den sogenannten neuen Medien ist zu schulen. Kinder und Jugendlichen aber auch Eltern und Pädagogen benötigen weitere Bildungsangebote. Nur so kann Kinder- und Jugendmedienschutz effektiv werden. Deshalb haben wir auch den Entschließungsantrag formuliert bzw. - der Formulierung kann ich mich anschließen -, abgeschrieben und weiterentwickelt. Wir nehmen durchaus zur Kenntnis,


(Beifall DIE LINKE)


dass wir genügend Angebote, reichliche Angebote auch hier in Thüringen haben.


(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Wenn das Weiterentwicklung ist …)


Aber wenn wir uns Kindermedienland weiter beschreiben und auch dies in der Bundesrepublik deutlich darstellen wollen, dann heißt es auch, an dieser Stelle weiterarbeiten. Unter diesen Angeboten will ich ausdrücklich natürlich auch als Mitglied der TLM die TLM benennen. Deshalb bitte ich Sie, gegebenenfalls auch eine Qualifizierung des Antrags im Ausschuss vorzunehmen, denn eine Nur-Ablehnung aufgrund scheinbar schon vorhandener Aktivitäten wäre nicht zeitgemäß und wäre auch nicht angebracht. Einen letzten Gedanken, meine Damen und Herren: Die Thüringer Landesregierung sollte sich der Protokollerklärung der Länder bzw. der Stadtstaaten Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Hessen, Saarland, Sachsen und Schleswig-Holstein anschließen, in der festgehalten wird, dass „die technische Umsetzung von Jugendschutzmaßnahmen nicht dazu führen darf, dass anderweitige Schutzvorkehrungen verpflichtend vorgeschrieben werden.“ Bedenken, dass mit diesem veränderten Staatsvertrag Blogs und Microblogging-Dienste, die beispielsweise Twitter-zensiert werden könnten oder müssen, in aller Deutlichkeit ausgeräumt werden. Dazu sollte das Land Thüringen sich bekennen und deutlich auch eine Aussage treffen. Thüringen kann und sollte dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag ggf. eine eigene Protokollerklärung hinzufügen und bei den anderen Ländern um Unterstützung werben, dass der eigentliche Jugendmedienschutz weniger an technischen Details als an einer Stärkung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen festgemacht werden sollte. Das wäre dann auch sinnhaft aus unserer Sicht.


(Beifall DIE LINKE)


Meine Damen und Herren, dieser Staatsvertrag - ich wiederhole mich - hinkt der Zeit gewaltig hinterher und ist wenig geeignet, die Fragen des Jugendmedienschutz zu bewältigen, daher stimmen wir ihm nicht zu. Aber wir als Gesetzgeber sind nicht handlungsunfähig, sondern können mit der Stärkung der Medienkompetenz im Allgemeinen und im Konkreten wesentlich mehr bewerkstelligen. Deshalb, ich wiederhole meine Einladung, bitte ich Sie um Unterstützung und Zustimmung unseres Entschließungsantrags. Danke.


(Beifall DIE LINKE)

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