Thüringer Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Förderung des Mittelstandes

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 5/1500 - Erste Beratung


Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, der Minister hat vorhin ausgeführt, dass alle Gesetze ausgewertet worden sind, die es deutschlandweit gibt. Nachdem ich das Gesetz der Landesregierung gelesen habe, muss ich sagen, er muss auch unseren Entwurf, DER LINKEN, der vor einem Jahr eingereicht wurde, sehr gut ausgewertet haben, weil ein Großteil der Passagen, die da drin sind, Passagen sind, die aus unserem Gesetzentwurf sind und die mit unserem Gesetzentwurf durchaus übereinkommen. Das ist auch okay so. Da haben wir auch gar kein Problem damit. Die Auswertung ist doch erst einmal das Entscheidende.


(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: ... die Sozialdemokratie an unserer Seite.)


Und dabei hat der Gesetzentwurf DER LINKEN auch eine große Rolle gespielt.


(Zwischenruf Machnig, Minister für Arbeit, Wirtschaft und Technologie: Das Copyright liegt bei mir.)


(Unruhe CDU) Das ist okay. Wir können mit dem Copyright leben.


(Unruhe DIE LINKE)


Genau vor einem Jahr hat meine Fraktion einen Gesetzentwurf über die Vergabe öffentlicher Aufträge eingebracht. Seither parkt dieser Gesetzentwurf im Wirtschaftsausschuss unter der Prämisse, dass die Landesregierung einen eigenen Gesetzentwurf vorlegt und beide Gesetze sollen dann parallel im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss behandelt werden. Ich frage Sie, ist es Zufall oder Absicht, dass wir uns gerade heute mit dem Gesetzentwurf der Landesregierung zu einem Thüringer Vergabe- und Mittelstandsfördergesetz befassen? Nämlich genau, und wirklich genau auf den Tag, ein Jahr, nachdem meine Fraktion den Gesetzentwurf DER LINKEN eingebracht hat. Was ist eigentlich in dem zurückliegenden Jahr bezüglich des Vergabegesetzes in Thüringen passiert? Der Koalitionsvertrag von SPD und CDU enthält das Vorhaben, ein Vergabegesetz auf den Weg zu bringen, in welchem Spielräume für Tarifbindung, Transparenz und Mindestlohnregelung geprüft und genutzt werden sollten. In der Plenarberatung zu unserem Gesetzentwurf im November 2009 brachte der Abgeordnete Weber zum Ausdruck, dass seine Fraktion versuchen wird, eine feste Lohngrenze einzubringen. Herr Günther von der CDU-Fraktion hat im gleichen Plenum angekündigt, ein Thüringer Vergabegesetz in Einheit mit klaren Aussagen zur Mittelstandsförderung zu bringen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist schon interessant, wenn man verfolgt, welches Schicksal der Gesetzentwurf der Landesregierung, welcher dann letztendlich im Juni 2010 vorgestellt wurde, genommen hat. Zu diesem Zeitpunkt der Einreichung hatte dieser Gesetzentwurf noch den Titel „Thüringer Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufgaben“.


Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:


Herr Korschewsky, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weber?


Abgeordneter Korschewsky, DIE LINKE:


Am Ende gern. Thüringer Vergabegesetz. Diesen Gesetzentwurf bewerteten wir als einen Schritt in die richtige Richtung und meine Fraktion hätte diesen Gesetzentwurf unter Umständen in großen Teilen auch mittragen können. Kritikpunkt unsererseits an diesem Gesetz wäre gewesen, dass das eindeutige Bekenntnis zur Zahlung eines Mindestlohns bei der Vergabe öffentlicher Aufträge fehlt. Diese Kritik bleibt so oder so. Da wir jede Möglichkeit nutzen müssen, endlich vom Billiglohnland Thüringen wegzukommen, aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen. Nach acht Monaten der Beratung und Diskussion, unter anderem mit Verbänden und Interessenvereinigungen in Thüringen, so Minister Machnig in der Medieninformation zur Einbringung des Entwurfs für ein Thüringer Vergabe- und Mittelstandsfördergesetz, liegt nun plötzlich ein anderer Gesetzentwurf vor. Dieser nennt sich jetzt Thüringer Gesetz über die Vergabe öffentlicher Aufträge und zur Förderung des Mittelstandes, Thüringer Vergabe- und Mittelstandsförderungsgesetz.

Zunächst ist zu mutmaßen, dass der Referentenentwurf vom Juni 2010 Gegenstand der Befragungen, schriftlichen Anhörungen von Kammern und Verbänden sowie der Beratungen im Kabinett war. Scheinbar hat sich die CDU-Fraktion mit ihren Vorstellungen durchgesetzt, das Mittelstandsförderungsgesetz vom Jahr 1991 zu ändern.


Nun aber zum Gesetzentwurf der Landesregierung vom 22.09.2010, also dem jetzt vorliegenden. Am Gesetzentwurf der Landesregierung fällt auf, dass er nur bestimmte Vorschriften in den neuen Gesetzentwurf übernimmt, aber das alte Mittelstandsförderungsgesetz ansonsten weiter gelten lässt. Ob eine solche Überlappung von Gesetzesstrukturen systematisch sinnvoll ist, darüber kann man trefflich sicherlich streiten. Schon strukturell bzw. handwerklich besteht in Zukunft wegen der Ähnlichkeit der Gesetzestitel eine Gefahr der Irritation bzw. der Verwechslung. Man könnte auch sagen, doppelte Bürokratie und nicht Entbürokratisierung. Aber auch politisch spricht aus einem bestimmten Blickwinkel vieles für eine Rettung von Mittelstandsförderung und Vergaberegelungen. Für eine Vermischung sprechen natürlich neoliberal konservative Ansätze. Er geht davon aus, dass Vergaberegelungen vor allem der Wirtschaftsförderung dienen. Dabei kann man es aber, glaube ich, nicht stehen lassen. Unser Ansatz sieht vor allem auch den Arbeitnehmerschutz und die Qualitätssicherung zugunsten der öffentlichen Hand als Arbeitgeber als Schwerpunkt. Deshalb ist DIE LINKE für eine strukturelle Trennung von Vergabegesetz und Mittelstandsfördergesetz. Dass der neue Gesetzentwurf im Unterschied zu dem im Juni vorgestellten viel deutlicher von neoliberalen Zügen gekennzeichnet ist, zeigt sich auch in § 6, der einen Vorrang dahin gehend festschreibt, dass bei gleicher Eignung und Wirtschaftlichkeit die Erledigung durch den privaten Anbieter bzw. Unternehmer zu wählen ist und keine Durchführung durch die öffentliche Hand bzw. öffentliche Anbieter erfolgen darf. Dieses Dogma, privat vor öffentlich mag die FDP und die neoliberalen Vertreter der CDU sicherlich freuen. Für die SPD ist es eigentlich ein politischer Offenbarungseid. Es war ja auch die neoliberale FDP die vor einigen Jahren den geltenden Artikel 15 des Grundgesetzes, die Möglichkeit zur Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien und Rohstoffproduktion durch ein Privatisierungsgebot zum Ausverkauf der öffentlichen Infra- und Dienstleistungsstruktur ersetzen wollte. Zum Glück ist es gescheitert. Der Ausverkauf findet aber leider weiter im Konkreten statt. Eine Regelung wie die in § 6 vorgesehene leistet einer solchen Verdrängung und einem solchen Ausverkauf der öffentlichen Hand Vorschub. Auffällig ist auch, dass entgegen den sonstigen Gepflogenheiten der Landesregierung dieser Gesetzentwurf keine Befristung aufweist, wenn auch eine Evaluationsklausel in § 26 enthalten ist. Wir als LINKE befürworten durchaus die turnusmäßige Evaluation, sprich die Überprüfung der Gesetze auf ihre Wirksamkeit. Die Befristungsorgien, die in der Vergangenheit in Thüringen bei Gesetzen vorgenommen wurden, wie zum Beispiel beim Personalvertretungsgesetz, lehnen wir grundsätzlich ab,


(Beifall DIE LINKE)


vor allem wenn sie wie zum Beispiel ebenfalls beim Personalvertretungsgesetz zu einer hilflosen Pauschalverlängerung kurz vor Ablauf der Geltungsfrist führen. Das zeigt, dass aber die Landesregierung in der Vergangenheit auch bei Gesetzen mit sozialer Funktion vor einer Befristung nicht zurückschreckt. Wenn es um Wirtschaftsförderung geht, kommen dann plötzlich Skrupel auf. Oder ist die Nichtbefristung tatsächlich nur der Rechtssicherheit für Vergabeverfahren geschuldet? Dann wäre sie zu begrüßen. Oder ganz anders gewendet, entfristen Sie doch in Zukunft auch wieder die Gesetze aus den sozialen und anderen Reglungsbereichen. Wir hatten das letztlich erst beim Glücksspielgesetz.


Meine sehr geehrten Damen und Herren, abgesehen von der Tatsache, dass wir die Vermischung eines Vergabegesetzes mit einem Mittelstandsförderungsgesetz als äußerst bedenklich bewerten, abgesehen davon, dass zahlreiche Passagen und Paragraphen mit unserem Gesetzentwurf vom 07.10.2009 identisch sind, warum hat es dann ein Jahr gebraucht, um einen eigenen Gesetzentwurf auf die Beine zu stellen?


(Zwischenruf Abg. Günther, CDU)


Das wäre eine wahrscheinliche Möglichkeit gewesen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, hätten Sie unserem Gesetzentwurf vor einem Jahr zugestimmt, der hier beraten wurde, hätten Sie sich den Koalitionspoker der vergangenen acht Monate ersparen können. Mit der Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf hätte auch die SPD-Fraktion unter Beweis stellen können, dass sie sich öffentlich zur Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns bekennt. Das haben Sie leider nicht getan. Stattdessen eiern Sie in Ihrem Gesetzentwurf herum, beschränken sich auf die Einhaltung der Mindestvorgaben von Tarifverträgen sowie für andere gesetzliche Bestimmungen über Mindestentgelte. Bei einer Tarifbindung der Unternehmen in Thüringen von knapp 25 Prozent ist das schon eine sehr abenteuerliche und ganz bestimmt nicht im Interesse der Arbeitnehmer liegende Regelung. Schade, dass Sie hier nicht auch von unserem Antrag, explizit von § 3, ausgegangen sind. Lediglich zur Übernahme des Absatzes 2 konnten Sie sich noch hinreißen lassen. Der letzte Ruck allerdings - hinsichtlich der Zahlung von 8 € Mindestlohn - ist sicherlich an der CDU gescheitert. Dadurch entsteht unseres Erachtens eine besonders auffällige soziale Lücke, nämlich eine ausdrückliche Mindestlohnvorschrift, und zwar eine solche, die sich landesweit auf alle Branchen bezieht. Eine solche gesetzliche Regelung wäre nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch möglich bzw. zulässig. Andere EU-Länder haben solche gesetzlichen Mindestlohnbestimmungen auch. Es gibt im Übrigen mehr EU-Länder mit Mindestlohn als solche ohne. Das muss man sich auch einmal durch den Kopf gehen lassen, und wir sagen immer, dieses ist gesetzlich nicht möglich.


CDU und FDP, oder neuerdings vielleicht auch die SPD, werden jetzt wieder behaupten: Ja, aber der Landesgesetzgeber darf nicht. Gegenfrage - wirklich nicht? Wieso konnte dann der Berliner Senat in seinem Gesetzentwurf eine Mindestlohnregelung festschreiben? Es sind 7,50 €, also die alte Forderung der Gewerkschaften. Wir als LINKE verlangen weiterhin mindestens 8 €, so wie es in unserem Gesetzentwurf steht. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für einen Mindestlohn ergibt sich aus folgenden Tatsachen: Das Wirtschaftsrecht und das Arbeitsrecht gehören nach Artikel 74 Abs. 1 Nr. 11 und 12 des Grundgesetzes zu den Bereichen der so genannten konkurrierenden Gesetzgebung. Die Landesgesetzgeber dürfen danach solange handeln, bis der Bundesgesetzgeber handelt. Das hat der Bundesgesetzgeber in Sachen eines allgemeinen, flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes für alle Branchen bisher noch nicht getan. Den Landesgesetzgebern steht daher frei, in diesem Bereich selbst zu handeln. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist im Übrigen auch kein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie. Der Thüringer Landesgesetzgeber sollte auch mit Blick auf das Staatsziel im Artikel 36 der Landesverfassung einen gesetzlichen Mindestlohn festschreiben.


(Beifall DIE LINKE)


Dort heißt es: „Es ist ständige Aufgabe des Freistaats, jedem die Möglichkeit zu schaffen, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte und dauerhafte Arbeit zu verdienen.“ Ich fordere Sie an dieser Stelle auf: Tragen Sie diesem Staatsziel endlich Rechnung und schaffen Sie einen flächendeckenden Mindestlohn ein!


(Beifall DIE LINKE)


Sehr geehrte Damen und Herren, dafür hat es bei der ILO-Kernarbeitsnorm und beim Nachunternehmereinsatz wieder geklappt, warum in § 18 - Wertung unangemessen niedriger Angebote - ein weitere Absatz 1 eingefügt wurde. Mit den Regelungen in Absatz 2 wird diese Aussage überflüssig. Sozusagen auf unserer Linie sind sie dann aber wieder in § 21 - Kontrollen. Hier stimmen unsere Gesetzentwürfe wieder überein. Trotzdem, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen wir zusammenfassend feststellen: Soziale Standards, Mindestgebot und Festschreibung eines Mindestlohns fehlen im Gesetzentwurf der Landesregierung. Die ökologischen Standards werden immerhin zu Vergabekriterien gemacht, aber es fehlen die sozialen Standards. Zwar sind die Kriterien der Ausbildungssicherung und der Chancengleichheit von Frauen scheinbar erfasst - aber nur scheinbar. Denn in § 17 heißt es: „Die beiden Gesichtspunkte können in der Ausschreibung Berücksichtigung finden, müssen es aber nicht.“ Gerade aber die Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern darf nicht in ein solch beliebiges Ermessen gestellt werden. Denn in Artikel 2 Abs. 2 der Thüringer Verfassung steht ein ausdrückliches Verwirklichungsgebot, dass die öffentliche Hand - also auch den Gesetzgeber - verpflichtet, alle wirksamen Maßnahmen zu ergreifen, um die Gleichstellung auch tatsächlich im Lebensalltag durchzusetzen. Daher ist dieses „Kann“ in § 17 zu wenig. Der Gesetzentwurf der linken Fraktion schreibt im Falle des Ausbildungskriteriums - wie auch in Sachen Gleichstellung - als Vergabevoraussetzung jeweils eine Muss-Vorschrift vor. Ich denke, diese sollte auch hier hinein. Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzentwurf in § 18 eine Schutzvorschrift vor Dumpingangeboten enthält. Allerdings ist nicht klar, wie die Vorschrift in der Praxis funktionieren soll. Absatz 2 schreibt die 10-Prozent-Grenze als Stoppschild und als Grenze vor, die Prüfpflichten beim Auftraggeber auslöst. So weit stimmt diese Vorschrift sehr deutlich auch mit Regelungen im Gesetzentwurf der LINKEN überein. Welche Funktion aller- dings Absatz 1 in § 18 des Regierungsentwurfs haben soll, bleibt uns zumindest verborgen. Dort wird auch die in Absatz 2 klar definierte 10-Prozent-Grenze wieder verbessert. Wo soll denn im konkreten Einzelfall in der Praxis die Grenze zum ungewöhnlich niedrigen Angebot, wie es wörtlich in Absatz 1 heißt, verlaufen? Der Schutz vor Dumpingangeboten ist aber vor allem auch aus der Sicht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern dringend geboten.


Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen in einigen und vielen Punkten können wir dem Gesetzentwurf der Landesregierung zustimmen, schon allein deshalb, weil er in diesen Punkten fast identisch ist mit unserem Entwurf. Im Wirtschaftsausschuss wird unter anderem zu klären sein, ob es nicht sinnvoller wäre, ein Thüringer Vergabegesetz und ein neues Mittelstandsfördergesetz zu verabschieden, und zwar statt zweier Parallelgesetze - eines von 1991 und eines von 2010.

Wir denken, sehr geehrte Damen und Herren, dass Ihr Geburtstagsgeschenk zu unserer Einreichung vor genau einem Jahr am 07.09., diese Diskussion heute zu führen, für unseren Gesetzentwurf zum Thüringer Vergabegesetz eine gute Grundlage für eine Anhörung im Ausschuss bietet, und auch ich sage: Wir würden uns freuen, wenn wir im Ausschuss auch die eine oder andere Sache diskutieren könnten, um dieses Gesetz noch weiter verbessern zu können. Danke schön.


(Beifall DIE LINKE)


Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:


Herr Korschewsky, gestatten Sie jetzt die Frage des Abgeordneten Weber?


Abgeordneter Korschewsky, DIE LINKE:


Aber sicher doch.


Abgeordneter Weber, SPD:


Herr Kollege, würden Sie diesem Hohen Hause das Schicksal erklären, das die bisherigen landesweiten Mindestlohnregelungen gegangen sind nach der europäischen Rechtsprechung?


Abgeordneter Korschewsky, DIE LINKE:


Sehr geehrter Kollege Weber, Sie wissen, dass es in vielen europäischen Ländern Mindestlohngesetze gibt und dass diese Geschichten auch von der Gesetzgebung her gedeckt sind, auch nach dem EuGH.


(Beifall DIE LINKE)