Thüringer Gesetz über die Grundsätze von Funktional- und Verwaltungsreformen (ThürGFVG)

Zum Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 6/2275


Herr Präsident, meine Damen und Herren, sehr verehrte Gäste, auch der Titel des nachfolgend zu beratenden Gesetzes hört sich nicht wesentlich attraktiver an als die eher technischen Bezeichnungen der vorangegangenen Beratungsgegenstände. Aber ich gehe davon aus, dass die nachfolgende Beratung doch etwas mehr Dynamik verspricht.

Durch Beschluss des Landtags in seiner 54. Sitzung am 24. Juni 2016 wurde der Entwurf der Landesregierung für ein Gesetz über die Grundsätze von Funktional- und Verwaltungsreformen an den Innen- und Kommunalausschuss federführend sowie an den Haushalts- und Finanzausschuss und an den Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz zur Mitberatung überwiesen.


In der Begründung des Gesetzentwurfs verweist die Landesregierung auf die vielfältigen Herausforderungen, vor denen die öffentliche Verwaltung steht und die bereits im Rahmen des Vorschaltgesetzes zur Durchführung der Gebietsreform in Thüringen diskutiert worden sind. Beispielhaft wird auf die demografische Entwicklung, die Entwicklung der Einnahmen des Freistaats Thüringen sowie auf die daraus resultierenden Anpassungserfordernisse, insbesondere aus den veränderten Erwartungshaltungen an stärkere Transparenz und Öffentlichkeit der Verwaltungstätigkeit, aber auch an neue Kommunikationsformen verwiesen.


Mit dem Gesetzentwurf will die Landesregierung einzelne Grundsätze gesetzlich verankern, um weitere Gesetzgebungsverfahren, die die Funktions- und Verwaltungsreform betreffen, entsprechend vorzubereiten und Leitplanken dieser Reform festzusetzen. Der federführende Innen- und Kommunalausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner 31. Sitzung am 25. August, in seiner 32. Sitzung am 22. September, in seiner 33. Sitzung am 3. November und schließlich in seiner 34. Sitzung am 1. Dezember beraten. Am Online-Diskussionsforum beteiligten sich leider nur vier Stellungnehmende, darunter ein Personalrat. Die vier Stellungnehmenden bewerteten den Gesetzentwurf überwiegend positiv.


Der Innen- und Kommunalausschuss hat die Anhörung von insgesamt 14 Anzuhörenden – Institutionen wie Sachverständigen – beschlossen. Neun machten von der Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme Gebrauch. Von diesen nahmen wiederum vier sowie der Sachverständige Prof. Dr. Hesse an der mündlichen Anhörung in öffentlicher Sitzung am 3. November 2016 teil.


Zu Beginn der öffentlichen Anhörung am 3. November 2016 begründete für die Landesregierung nochmals Herr Minister Prof. Dr. Hoff den Gesetzentwurf und bezog sich insbesondere auf die Diskussion über mögliche Schrittfolgen des Reformprozesses. Er trug nochmals die Überzeugung der Landesregierung vor, dass der Prozess einer verbundenen Funktional-, Verwaltungs- und Gebietsreform in Thüringen seit Langem überfällig sei.


In Beantwortung einer im Diskussionsprozess immer wiederkehrenden Frage wurde durch die Landesregierung erörtert, dass die Diskussion über die Frage der Reihenfolge mit Blick auf die Prozesse in anderen Bundesländern insofern als akademisch zu erachten sei, als keine allgemeingültige Regel existiere, in welcher Reihenfolge Funktional- und Gebietsreformen durchzuführen seien. Es herrsche dahin gehend Übereinstimmung, dass ein solcher Prozess aber mit einer Aufgabenkritik zu verbinden sei.

Die Landesregierung habe im vergangenen Jahr ein Leitbild sowie in diesem Jahr bereits ein Vorschaltgesetz für die Gebietsreform, das einer politischen wie auch verfassungsrechtlichen Prüfung unterliege, vorgelegt. Darüber hinaus sei ebenso unstrittig, dass im Zuge einer verbundenen Verwaltungs-, Funktional- und Gebietsreform die Grundsätze von Funktional- und Verwaltungsreform zu klären seien. Diesem Sachverhalt widme sich eben dieser vorliegende Gesetzentwurf.

Der Minister verwies in seinem einführenden Beitrag für die Landesregierung auf die Tatsache, dass in Thüringen kein Erkenntnisdefizit vorläge. Es läge der Landesregierung aus vergangenen Legislaturperioden eine umfangreiche Zahl von Gutachten und Überlegungen, in denen Aufgabenkritiken dargestellt worden seien, vor. Auch die bisher vorliegenden Stellungnahmen des Rechnungshofs weisen eine Vielzahl von Anregungen für eine Aufgabenkritik auf.


(Beifall Abg. Kuschel, DIE LINKE)


Es liege nun vielmehr an der Landesregierung und auch an dem Parlament, die Umsetzung auf den Weg zu bringen.

Meine Damen und Herren, bevor ich auf die einzelnen Anhörungsbeiträge eingehen möchte, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung als die Anhörung leitenden Ausschussvorsitzenden machen. Das Ansinnen eines Abgeordneten, die Landesregierung bereits vor der Abgabe der Stellungnahmen der Anzuhörenden zu einer Bewertung zu diesen zwingen zu wollen, stellt meines Erachtens eine Missachtung


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


der durch den Ausschuss zum Sachvortrag vorgeladenen Anzuhörenden dar. Aber der mit dem Ansinnen verbundene quasiinquisitorische und drohende Stil


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


hat zudem dem Ansehen des Ausschussmitglieds erheblich geschadet.


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist aber langsam unerhört!)


Das ist mir als Vorsitzender mit Blick auf das Ansehen …


(Unruhe CDU)


Lassen Sie mich doch bitte den Bericht aus den Anhörungen geben!


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das gab es hier noch nicht!)


Jeder zieht sich den Schuh an, der ihm passt.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Präsident Carius:

Aber, Herr Abgeordneter Dittes, als Ausschussvorsitzender und als Berichterstatter können Sie gern


(Zwischenruf Abg. Kowalleck, CDU: Das ist eine Missachtung des Parlaments, was Sie hier machen!)


aus der Beratung des Ausschusses berichten. Aber es steht Ihnen, glaube ich, nicht zu, als Berichterstatter das Verhalten von einzelnen Abgeordneten zu bewerten.


(Beifall CDU, AfD)


Abgeordneter Dittes, DIE LINKE:


Das will ich auch nicht tun, Herr Präsident.


(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Es ist gar kein Name genannt worden!)


Herr Präsident, das will ich auch nicht tun. Aber es ist mir als Vorsitzender des Innenausschusses mit Blick auf das Ansehen des Ausschusses – und das sollte auch in Ihrem Interesse sein –


(Beifall Abg. Kuschel, DIE LINKE)


als Ganzes, gerade auch …


(Zwischenruf Abg. Dr. Voigt, CDU: Ziehen Sie sich erst mal besser an, um dem Ansehen des Ausschusses nicht zu schaden!)


Präsident Carius:


Herr Abgeordneter Dittes, Ihnen steht es zu, als Abgeordneter in der Aussprache alles zu sagen. Aber als Berichterstatter steht Ihnen das nicht zu.


(Unruhe CDU)


Abgeordneter Dittes, DIE LINKE:


Ich wollte zumindest meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, Herr Präsident – aber das ist offensichtlich nicht durch die Geschäftsordnung gedeckt –, dass sich ein solches Schauspiel wie am 3. November nicht nochmals wiederholt. Das habe ich hiermit getan. Herzlichen Dank.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Unruhe CDU)


Meine Damen und Herren, nachdem der Innen- und Kommunalausschuss in die Anhörung treten konnte, wurden zunächst die kommunalen Spitzenverbände gehört. Für den Gemeinde- und Städtebund Thüringen bezog sich Herr Rusch bei seinen Ausführungen im Wesentlichen auf die schriftlich vorliegende Stellungnahme. Darüber hinaus stellte er dar, das Gesetz sei aufgrund der fehlenden Bindungswirkung nicht wirklich vollziehbar und könne jederzeit durch den Gesetzgeber auch geändert werden. Die Begründung zur Notwendigkeit einer Funktionalreform sei nicht zwingend formuliert worden. Es wäre hilfreich, wenn die einzelnen kommunalen Aufgaben konkret benannt würden. Weiterhin werde die Idee eines flächendeckenden Netzes von Bürgerservicebüros mit der im Gesetzentwurf gewählten Kann-Formulierung nicht erreicht werden können. Es sei zudem zu hinterfragen, durch wen Mehrkosten getragen werden sollen, wenn ein derartiges Netz von Bürgerservicebüros benötigt bzw. politisch gewünscht werde. Dies sei der vorliegenden Regelung im Gesetzentwurf nicht zu entnehmen.


Für den Thüringischen Landkreistag konstatiert Herr Budde in Ergänzung zur vorliegenden schriftlichen Stellungnahme, der vorliegende Gesetzentwurf habe für die Landkreise keinen großen Regelungsgehalt. In anderen Bundesländern wie etwa in Brandenburg und Sachsen seien zunächst Aufgaben bestimmt worden. In Thüringen hingegen werde ein anderer Weg beschritten.


Im Nachgang zu den Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände trat der Ausschuss in eine ausführliche Erörterung angesprochener Fragestellungen und Kritikpunkte ein.


Der Sachverständige Prof. Dr. Hesse vom Internationalen Institut für Staats- und Europawissenschaften erläuterte, dass die von der Landesregierung geplanten Reformschritte plausibel seien, was in der Diskussion Berücksichtigung finden möge. Die in Rede stehenden Aufgabenbereiche würden sich rapide bewegen, woraus sich Argumente ableiten ließen, die geplanten Reformschritte gleichförmig zu betreiben, sodass man gerade nicht zwingend erst von einer Aufgabendiskussion ausgehen müsse und erst im Anschluss im funktionalen Rahmen eine Zuordnung im Kompetenzbereich schaffen und sodann nach den Konsequenzen für die Territorialstruktur fragen dürfe. In seinem ausführlichen Anhörungsbeitrag ging Prof. Hesse nochmals auf das verbundene Reformvorhaben ein, stellte dies in einen bundespolitischen Kontext und äußerte sich auch zu den in Thüringen laut Sachverständigenmeinung zu erwartenden Effizienzrenditen.


Die Industrie- und Handelskammer verwies darauf, dass sie den vorliegenden Gesetzentwurf nicht aus verwaltungsrechtlicher, sondern aus wirtschaftlicher Sicht beurteile. Die IHKs würden es ausdrücklich begrüßen, dass eine Funktional- und Verwaltungsreform auf den Weg gebracht werde. Man habe aus Sicht der Wirtschaft aber immer wieder geäußert und angemahnt, dass es zunächst eine Funktional- und Verwaltungsreform geben müsse, mit der definiert werde, welche Zielstellung man erreichen wolle.


Präsident Dr. Dette vom Thüringer Landesrechnungshof stellte heraus, grundsätzlich werde begrüßt, dass das Gesamtreformvorhaben als ein Gesamtkomplex begriffen werde. Es bedürfe eines ganzheitlichen Ansatzes, da man zum einen nicht erkennen könne, welche Strukturen benötigt würden, wenn man nicht wisse, welche Aufgaben zu erledigen seien. Zum anderen könne man auch nur dann feststellen, wenn man die Größe von Strukturen kenne, welche Funktionen auf der Basis der vorhandenen Strukturen übernommen werden könnten. Der Landesrechnungshof sehe den Gesetzentwurf der Landesregierung gleichwohl kritisch, da sich mit Blick auf diesen Gesetzentwurf die Frage stelle, was das genaue Regelungsziel des Gesetzes sei.


Der Thüringer Beamtenbund wie auch die Gewerkschaft ver.di bemängelten, dass keine Grundaussagen zu personalrechtlichen Maßnahmen erfolgen. Hierfür wurde ein Formulierungsvorschlag in der Anhörung unterbreitet.


Meine Damen und Herren, in seiner 34. Sitzung am 1. Dezember erfolgte im Innen- und Kommunalausschuss die Auswertung der Anhörung in einer sehr ausführlichen Diskussion. Die Koalitionsfraktionen stellten in Auswertung der Diskussion ihren Änderungsantrag vor, mit welchem im Ergebnis der Würdigung der Anhörungsbeiträge eine Präzisierung im Zusammenhang mit dem Ziel eines flächendeckenden Netzes kommunaler Bürgerservicebüros vorgenommen wurde. Darüber hinaus wurde der Grundsatz der frühzeitigen und umfassenden Beteiligung der Spitzenorganisationen der Gewerkschaften und Berufsverbände im Gesetz im neu geschaffenen § 16 verankert. Dies wurde insofern begründet, dass es sich bei einer Funktional- und Verwaltungsreform um einen umfassenden Veränderungsprozess handele, der nur erfolgreich sein könne, wenn er von engagierten, verantwortungsbereiten und qualifizierten Bediensteten sowie von den Interessenvertretungen und Gewerkschaften der Bediensteten aktiv und konstruktiv mitgetragen werden würde. Der gewählte Begriff der Beteiligung nach dieser Vorschrift sei nicht förmlich im Sinne des § 95 Thüringer Beamtengesetz zu verstehen, auch bleiben Beteiligungsrechte nach besonderen Vorschriften von dieser Bestimmung unberührt.

Mit der Änderung im § 5 werde insofern eine Kritik aus der Anhörung aufgegriffen, dass die Neuregelung in Absatz 1 Satz 2 ermöglichen soll, unabhängig vom späteren Erlass eines Funktionalreformgesetzes im Zuge der Kreisgebietsreform bereits einzelne Aufgaben vom Land auf die Kreise zu übertragen und somit die Reformschritte noch stärker verzahnt werden können, außer bei der Übertragung von besonders kleinteiligen Aufgaben, die vom bisherigen Aufgabenträger nur mit einem sehr geringen Personaleinsatz wahrgenommen werden, ein Personalwechsel nicht immer sachdienlich, praktisch und erforderlich ist, sodass in diesen Fällen die Notwendigkeit einer zusammenfassenden gesetzlichen funktionalreformerischen Regelung nicht bestehen würde.


Der Innen- und Kommunalausschuss beschloss mehrheitlich die Aufnahme der beantragten Änderungen, die Beschlussempfehlung und empfiehlt dem Landtag die Annahme des Gesetzes. Ein Änderungsantrag der Fraktion der AfD wurde hingegen abgelehnt.


Der Haushalts- und Finanzausschuss und der Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz haben den Gesetzentwurf jeweils in ihrer 33. Sitzung am 2. Dezember beraten. Beide Ausschüsse schlossen sich der Beschlussempfehlung des Innen- und Kommunalausschusses mehrheitlich an. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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