Thüringen gegen die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz – Kinderrechte gehören in Elternhände, nicht ins Grundgesetz!

Kati Engel

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der AfD - Drucksache 7/69

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, „Kinder werden nicht erst zu Menschen – sie sind bereits welche“, so sagt es der polnische Kinderarzt, Autor und Pädagoge Janusz Korczak. Auch wenn für uns diese Aussage heute selbstverständlich erscheint, so war es noch vor 100 Jahren ein revolutionärer Denkansatz. Denn bis in die Neuzeit hinein – und wie wir sehen, bei der AfD bis in die Gegenwart – galten Kinder als Besitz ihrer Eltern. Erst im Zeitalter der Aufklärung entstand der Gedanke, dass die Kindheit eine besondere Lebensphase darstellt und dass Kinder daher auch eigene Rechte brauchen. Die Grundlage für die heutigen Kinderrechte formulierte 1919 Janusz Korczak. Mit seinen Grundrechten des Kindes postulierte er, dass Kinder eine eigenständige Stellung haben und der Umgang mit ihnen im Dialog und auf Augenhöhe erfolgen soll. Korczaks Idee aufgreifend, entwickelte die Generalversammlung der Vereinten Nationen vor nunmehr 30 Jahren das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die sogenannte UN-Kinderrechtskonvention. In 54 Paragrafen werden darin die Rechte der Kinder beschrieben. Inzwischen haben alle Staaten der Welt dieses Übereinkommen unterzeichnet und auch alle, bis auf die USA, haben es ratifiziert. Durch die Kinderrechte hat sich unsere Sicht auf die Kinder verändert. Kinder werden heutzutage als eigenständige Subjekte mit spezifischen Bedürfnissen wahrgenommen. Sie sind nicht mehr das Anhängsel ihrer Eltern und somit Objekt, sondern sie sind Träger eigener Rechte. Aus diesem Perspektivwechsel folgt jedoch nicht, dass bestehende Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern aufgehoben sind. Kinder sind eben keine kleinen Erwachsenen. Aufgrund ihrer sich erst entwickelnden körperlichen und geistigen Fähigkeiten brauchen Kinder ein Recht auf Kindheit, auf Schon- und Spielraum, in dem ihre Verantwortlichkeit in Ruhe wachsen und eingeübt werden muss.

 

Deutschland hat sich als Vertragsstaat der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet – ich zitiere –, „alle geeigneten Gesetzgebungs[maßnahmen] […] zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte“ zu treffen. Hierzu gehört auch die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz. Der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes hat wiederholt angemahnt – ich zitiere weiterhin –:, nach wie vor beunruhigt zu sein, dass das Übereinkommen bislang noch nicht im Grundgesetz verankert ist.

 

In Deutschland ist das Grundgesetz von zentraler Bedeutung – nicht nur für Gerichte und die Politik, sondern auch für unsere Gesellschaft. Wenn in einer solchen grundlegenden Vereinbarung Kinder nicht vorkommen oder eben nur im Zusammenhang mit der Erziehung durch die Eltern, dann schließen wir damit einen großen Teil aus. Die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz ist Ausdruck einer Wertung von Kindern als Teil unserer Gesellschaft, als eigenständige Persönlichkeiten mit eigener Würde.

 

Die Rechte der Kinder stehen dabei nicht, wie von der AfD suggeriert, im Widerspruch zu den Rechten der Eltern und Erziehungsberechtigten. Das im Grundgesetz verbürgte Elternrecht ist das einzige Grundrecht, das als fremdnütziges Recht zugunsten eines Dritten, nämlich des Kindes, ausgeübt werden darf. Das Elternrecht ist ausschließlich als pflichtgebundenes, treuhänderisches Recht zu verstehen. Elternrecht heißt daher vor allem Elternverantwortung.

 

Selbst der Vater der Kinderrechte, Janusz Korczak, war sich als Leiter eines Waisenhauses dieser ihm obliegenden Pflicht und Verantwortung bewusst. Korczak leitete ein Waisenhaus im Warschauer Ghetto bis zum August 1942. Da wurden die 200 Kinder des Waisenhauses von der SS zum Abtransport in das Vernichtungslager Treblinka abgeholt. Obwohl Korczak wusste, was dies bedeutete, bestand er darauf, seine Kinder begleiten zu dürfen. Ein Augenzeuge berichtete: „Diese 200 Kinder schrien nicht, weinten nicht, keines von ihnen lief davon, keines verbarg sich. Sie schmiegten sich nur an ihren Lehrer und Erzieher, an Janusz Korczak, damit er sie behüte und beschütze. Er stand in der ersten Reihe. Er deckte die Kinder mit seinem ausgemergelten Körper. Die Hitlerbestien nahmen keine Rücksicht darauf.“

 

Das war vor über 75 Jahren. Was bleibt, ist Janusz Korczak Bild vom Kind als ein Mensch mit einer Würde. Und was bleibt, ist unter anderem ein Zitat von ihm, was eigentlich alles zu dieser Aktuellen Stunde beinhaltet, was es zu sagen gibt: „Je niedriger das geistige Niveau, je farbloser das moralische Antlitz, je größer die Sorge um die eigene Ruhe und Bequemlichkeit ist, desto mehr Weisungen und Verbote gibt es, die nur scheinbar von der Sorge um die Kinder diktiert werden.“ Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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