Tätigkeitsbericht 2009 der Landesbeauftragten des Freistaats Thüringen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR

Zum Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drucksache 5/1008 -


Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, dem hier von Ihnen vorgelegten Bericht und die Schlussfolgerung, die Sie namens der Landesregierung vorgetragen haben, kann ich - auch im Namen meiner Fraktion - weitestgehend zustimmen. Ich will das ein Stück weit auch begründen mit Positionen, die wir hier schon wiederholt, wenn es um diese wichtigen Fragen gegangen ist, als Fraktion DIE LINKE und auch in den Vorjahren als PDS-Fraktion deutlich gemacht haben. Jawohl, wir haben immer mit aller Klarheit gesagt, uns geht es nicht um einen wie auch immer gearteten Schlussstrich unter Geschichte, insgesamt nicht und auch nicht bezogen auf die Zeit von 1945 bis 1989.


Wir sind der Auffassung, mit all den Geschehnissen, die damit verbunden sind und insbesondere mit denjenigen Fragen, die Menschen in solche Situationen gebracht haben, wie sie Astrid Rothe-Beinlich hier vorhin beschrieben hat, muss man sich immer weiter auseinandersetzen, muss man auch Stellung nehmen zur politischen und gesellschaftlichen Verantwortung, wenn Freiheit und Demokratie in unserem Land weiterhin Bestand haben und nicht gefährdet werden sollen. Ich will in diesem Zusammenhang sagen, Herr Zeh, auch wenn wir gerade in der letzten Wahlperiode manche Debatte und vielleicht auch manches Wortgefecht miteinander hatten in diesen wichtigen Fragen, aber wir haben das immer getan und ich stimme heute noch mal ausdrücklich Ihrer Formulierung zu: Die Geschichte der DDR, das Unrecht, was Menschen in der DDR geschehen ist, kann man eben nicht auf das Ministerium für Staatssicherheit reduzieren. Sie lagen in diesem - ich nenne das mal, weil der Sprachgebrauch oft so ist - stalinistischen-politischen System. Auch aus diesem Grund, meine Damen und Herren - ich will das hier auch noch mal sagen -, hat der außerordentliche Parteitag der SED im Herbst 1989 die Debatte - ich will mal sagen - nicht aus freien Stücken, sondern weil es die Lage in der DDR so gab, wie sie war, aber er hat es immer getan, klar zu machen, ein Neuanfang, auch wie Astrid Rothe-Beinlich vorhin bemerkt hat, eine andere, eine basisdemokratisch orientierte DDR, die nicht zu erreichen war, wie sich dann später gezeigt hat. Aber der notwendige Ausgangspunkt war auch damals für uns der generelle Bruch mit dem Stalinismus als politisches System. Die DDR ist gescheitert an ihrem grundlegenden demokratischen Mangel an der Tatsache, dass es Demokratie, dass es Meinungsfreiheit, dass es Redefreiheit, dass es Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern im direkten, im umfassenden Sinne an den Entscheidungen nicht gegeben hat und in der Regel auch nicht wirklich der parlamentarischen Gremien, die es dafür gegeben hat. Daran ist diese DDR gescheitert. Das Tragische ist, dass viele Menschen in ihrem Leben und in ihrer Biographie damit auch geschädigt wurden. Diese politische Verantwortung in der Auseinandersetzung haben wir zumindest immer versucht, in den vergangenen zwanzig Jahren auch entsprechend zu verarbeiten, zu bearbeiten und damit auseinanderzusetzen, eigene Verantwortung dafür zu bekennen, meine Damen und Herren. Das tue ich hier auch erneut an dieser Stelle.


(Beifall DIE LINKE)


Ich will aber auch deutlich sagen, die Situation, die es 1945 gegeben hat, hat natürlich die Vorgeschichte bis zu diesem April und Mai 1945. Die ist Ihnen allen bekannt. Das ist der Zweite Weltkrieg, das ist das faschistische Terrorregime, das sind Millionen Tote in ganz Europa und ein zerstörter Kontinent. An diesem Punkt unterscheiden wir uns vielleicht nach wie vor. Deshalb sehen wir es schon als gerechtfertigt an, dass in einem Teil Deutschlands - und die Teilung, meine Damen und Herren, war keine deutsche Entscheidung, das dürfen wir doch wohl wissen, die Teilung war eine Entscheidung der Alliierten nach diesem furchtbaren Krieg. Man kann ihnen im Übrigen nicht vorwerfen, dass ihr Vertrauensverhältnis zu Deutschland damals natürlich auf ein Minimum herabgesetzt wurde. Aber diese deutsche Teilung, der folgende und schon vorausgegangene Kalte Krieg, die vielen Opfer vor 1945, das legitimierte schon auch Überlegungen zu einer alternativen Gesellschaft zu der vorherrschenden, auch vom Kapital dominierten und den Faschismus unterstützenden Politik bis 1945. Dass aus meiner Sicht dieser Versuch in Ostdeutschland aufgrund der politischen Verhältnisse von Anfang an eigentlich zum Scheitern verurteilt war, das hat nichts damit zu tun, dass es auch Millionen Menschen gab, die in ihrer Biographie versucht haben, zu leben, so eine neue Gesellschaft aufzubauen und die am Ende 1989 auch betrogen wurden für ihre Lebensleistung durch Verantwortung der SED-Führung. Insofern sage ich, ist für mich die ganze Aufarbeitungsfrage eine etwas komplexere, aber dennoch in jeder Hinsicht notwendige.

Ich will hier noch einmal ganz deutlich sagen: Dieser Kalte Krieg rechtfertigt letztlich nicht die Toten an der Mauer und der Staatsgrenze. Dieser Kalte Krieg rechtfertigt letztlich nicht die von mir vorhin schon benannten Defizite der fehlenden freien Möglichkeit zu wählen, der fehlenden Rede- und Pressefreiheit in der DDR und all das, was auch den Opfern dieser Politik angetan wurde. Das tut er wohlweislich nicht. Aber er muss natürlich betrachtet werden bei der Einordnung dieser Fragen insgesamt.


Ich will - auch wenn das in dieser Debatte hier noch nicht gefallen ist, wir das aber im vorhergehenden Punkt hatten - noch einmal auf die Frage mit dem Unrechtsstaat eingehen, meine Damen und Herren. Ich habe Ihnen gerade - und das habe ich in diesem Haus schon wiederholt getan - noch einmal deutlich gemacht, wie ich die Geschichte der DDR von ihren Defiziten her, die letztlich auch zu ihrem Scheitern führen mussten, bewerte: Grenzregime, fehlende Freiheiten. Ich muss aber auf der anderen Seite auch sagen, da braucht es eigentlich nicht das Verdikt Unrechtsstaat, darin unterscheiden wir uns vielleicht auch weiterhin. Ich will aber an der Stelle ganz deutlich in diesem Zusammenhang noch einmal sagen: Natürlich war die DDR niemals ein Rechtsstaat im Sinne der Bundesrepublik Deutschland. Das war auch letztlich ein Grund für ihren Niedergang. Aber ich will Ihnen sagen, diskutieren Sie doch auch mit uns ganz kritisch über diese Defizite, über diese Fragen, wie gehen wir mit der Opfersituation um, und erkennen Sie doch an, dass wir nicht unbedingt sagen müssen, es war der Unrechtsstaat, wenn wir inhaltlich über diese Fragen debattieren. Es sei denn, Sie wollen das nur immer als Pflichtabfrage: Bist du der Meinung, es war der Unrechtsstaat und danach ist völlig zu beurteilen, wie deine sonstige weitere Bewertung von uns aus ist. Ich glaube, das sollten wir uns 20 Jahre nach der Wende doch anders überlegen können und anders miteinander diskutieren können, meine Damen und Herren.


(Beifall DIE LINKE)


Dann möchte ich noch die Frage behandeln: Wie gehen wir weiter mit der Entschädigung der Opfer um? Ich stimme Frau Pelke völlig zu, wenn sie hier sagt, finanzielle Entschädigungen, Ausgleichsleistungen können niemals das rückgängig machen, was diese Menschen erleiden mussten. Da bin ich völlig bei Ihnen, das sehe ich ganz genauso. Deshalb stimme ich auch den von Frau Taubert hier gemachten Vorschlägen zu, dass wir in diesen Fragen keine Bedürftigkeitsprüfung brauchen. Wir haben wiederholt auch hier schon Vorschläge gemacht, die eigentlich dazu führen würden, dass wir sowieso von diesen ganzen Einzelfragen, Nachfragemöglichkeiten, konkreten Situationen von Menschen, die Unrecht erlitten haben in der DDR, an und für sich wegkommen müssen - hin zu einer ziemlich grundsätzlichen Bewertung, die eben auch wenigstens teilweise die Frage einschließen kann, die dann berücksichtigt, wie ganze Biografien beschädigt wurden, weil nicht der Beruf ergriffen werden konnte, den man sich gewünscht hatte, weil nicht das Studium aufgenommen werden konnte, das man sich gewünscht hatte aus politischen Gründen. Wir haben seinerzeit hier schon mal vorgeschlagen, dass man sich ein Stück weit orientiert an Einkünften, die mit der Zusatzrente in der DDR zusammenhängen. Wir kämen dann bei solchen Berechnungen einfach zu höheren Zahlen, wir würden sie dann auch loslösen von diesen ganzen Einzelprüfungsfragen und wir hätten auch die Möglichkeit, von diesen Sätzen ausgehend, viel individueller und trotzdem für jeden Einzelnen besser diese Entschädigungsfragen zu lösen, meine Damen und Herren.


Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein Stück weit deutlich machen, dass wir uns bis auf den heutigen Tag und auch für die weitere Zeit sehr intensiv mit der Geschichte in der DDR bei aller Einordnung in die gesamteuropäische Geschichte des 20. Jahrhunderts befassen und befassen werden, dass wir deutlich der Auffassung sind, dass die Opfer, soweit das mit Entschädigung möglich ist, finanziell für die Zukunft bessergestellt werden können, dass wir keinen Schlussstrich wünschen unter diese Geschichtsdebatte, dass wir aber auf der anderen Seite auch dafür eintreten müssen, dass wir die DDR in all ihren Facetten und vor allen Dingen die Biografien in der DDR berücksichtigen müssen und darüber weiterhin den gesellschaftlichen Dialog brauchen, wenn wir gerade auch den Jüngeren, die diese Zeit nicht erlebt haben, vermitteln wollen, worin die Probleme lagen und was sie uns für das Heute sagen, meine Damen und Herren. Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall DIE LINKE)

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