Strafprozessuale und präventiv-polizeiliche Telefonüberwachung in Thüringen - Praxis zum Schutz der Bürger

Aktuelle Stunde - Drucksache 5/323 -

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, wir können froh sein: Bürgerrechtler, DIE LINKE und viele andere Schützer des Grundgesetzes wären womöglich mit ihrem Protest gegen immer weitreichendere Eingriffsmöglichkeiten von Polizei und Behörden ungehört geblieben.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Das ist ja ganz neu, dass ihr das Grundgesetz schützt.)

Also, für mich ist das nicht neu. Ich habe schon das Grundgesetz geschützt, da sind einige von Ihnen hier noch im Pionierhalstuch rumgelaufen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich komme mal zurück. Ich habe nur fünf Minuten.

Zum Glück aber gab es kluge und beherzte Verfassungsrichter, die mit ihren Urteilen zum großen Lauschangriff, zur Vorratsdatenspeicherung und eben auch zur Telekommunikationsüberwachung die entlaufenen Sicherheitspolitiker wieder einfingen und in den Rahmen der Verfassung zurückholten. In Thüringen hat sich das Einfangen schwierig gestaltet. Die Vorschriften zum Schutz der Privatsphäre blieben auch nach der Novelle des Polizeiaufgabengesetzes in 2008 unzureichend und uneindeutig.

(Beifall DIE LINKE)

Sie werden sich erinnern, was wir Ihnen hier deutlich gemacht haben. Der Gesetzgeber bewegt sich weiterhin im Graubereich der Verfassungswidrigkeit, wenn er für Grenzen der Telekommunikationsüberwachung völlig unbestimmte und unbestimmbare Kriterien formuliert und nicht garantiert, dass es einen absolut sicheren Raum des Privaten gibt.

(Beifall DIE LINKE)

Um gleich einen Einwand vorwegzunehmen, ich rede hier nicht über die Positionsbestimmung vermisster Personen. Ich rede hier über die rein präventive Überwachung, die nur zwei Ziele verfolgen kann, das Abhören von Personen an sich oder die Vorbereitung von Ermittlungs- und Strafverfahren.

Damit will ich zum zweiten Bestandteil der zwischenzeitlich konkreter bezeichneten Aktuellen Stunde kommen. Von den 54 Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung in Thüringen im Jahr 2008 führten nur drei - ich wiederhole drei - in ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren. Daran wird deutlich, dass in 51 Fällen die Betroffenen folgenlos ausgeforscht wurden. Wenn im Bericht dargestellt wird, dass bei zwei Einheitsüberwachungen nach Thüringer PAG, die sich über einen Zeitraum von 1.461 Tagen erstrecken und möglicherweise auch heute noch andauern, noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, stellt sich doch die Frage, ob das wesentliche Eingriffskriterium überhaupt erfüllt ist - die Verhütung einer Straftat von besonderer erheblicher Bedeutung.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE)

Wie weit in der Zukunft liegt denn die zu verhütende Straftat, die durch eine eineinhalbtausend Tage dauernde Überwachung verhindert wird? Eine Frage, die, ich denke, endlich auch von den Zuständigen beantwortet werden muss.

Sehr geehrte Abgeordnete, angesichts der zugenommenen Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung nach der Strafprozessordnung, also im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, bundesweit um 10 Prozent und in Thüringen um 15 Prozent im Vergleich der Jahre 2007 und 2008 muss die Frage gestellt werden, inwieweit hat der Grundrechtseingriff die einfach polizeiliche Ermittlungsarbeit abgelöst. Gerade um dies beurteilen zu können, wäre es wichtig zu wissen, wie viele Personen durch die Maßnahmen betroffen sind. Durch die Änderung der statistischen Kriterien sind Aussagen immer schwieriger. Dies lässt uns unsere Forderung nach wirksamen Auskunfts- und Löschungsrechten für Betroffene erneuern und wir fordern eine strikte Anwendung des Richtervorbehalts.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE)

Eine veränderte Praxis durch die Behörden können wir hier nicht beschließen. Aber in unserem Verantwortungsbereich als Gesetzgeber, der die Eingriffsbefugnisse wie auch die Hürden zumindest für den polizeilich präventiven Bereich formuliert, liegt es, die Sicherheitsgesetzgebung des Landes endlich ohne Wenn und Aber auf einen eindeutig verfassungskonformen Boden zu stellen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE)

In diesem Sinne sehe ich noch ein Fragezeichen hinter dem Titel der Aktuellen Stunde. Es liegt am Thüringer Landtag, die noch offene Frage in dieser Legislatur mit einem deutlichen Votum im Sinne einer eindeutigen Stärkung von Grund- und Bürgerrechten zu beantworten. Warten wir nicht auf das nächste Urteil eines Verfassungsgerichts. Setzen wir jetzt in unserer Sicherheitsgesetzgebung Maßstäbe, die sich an den Grundrechten und den Belangen der Bürger orientieren.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE)

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