Stoppsignal gegen die Aufkündigung des Sozialstaats – für ein Umsteuern hin zu guter Arbeit und fairen Löhnen in Thüringen

Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1097 -


Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich habe jetzt etwas gezögert, weil ich geglaubt habe, dass ich vielleicht etwas später drankomme, weil ich gern noch ein bisschen verfolgt hätte, wie die Debatte auch von den anderen Fraktionen geht. Aber man kann ja dann noch mal sprechen. Herr Minister, herzlichen Dank für Ihren Bericht, für die Rede. Ich kann mir da vieles jetzt sparen, weil Sie das schon gesagt haben. Wiederholung ist zwar manchmal die Mutter der Weisheit, aber man muss es ja nicht auf die Spitze treiben. Wir haben uns ja auch gestern beschäftigt in der Aktuellen Stunde mit diesen Fragen und ich will hier vielleicht noch mal verweisen auf einen Kommentar in der Thüringer Allgemeine. Journalisten sagen, Dietmar Grosse hat das auf den Punkt gebracht, Zitat, wenn ich darf: "Es werden nicht nur Schulden auf morgen verlagert - was lange als indirekter Standortvorteil galt, dürfte bereits in wenigen Jahren zu einem scharfen sozialen Konflikt werden. Billiglöhne, Hungerlöhne, Dumpinglöhne, egal wie man sie nennt, werden bald zu Renten unter dem Existenzminimum führen. Es ist überhaupt nur eine Frage der Zeit, bis die Mehrheit der Wähler nicht mehr aus eigener Kraft leben kann und auf Hilfe des Staates angewiesen sein wird. Das sollte die Bundesregierung jetzt schon sehen und handeln." Wir haben es gehört und wissen es: Das Gegenteil ist der Fall.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an der Stelle noch mal auf ein aktuelles Beispiel verweisen, was gestern scheinbar irgendwie in der Öffentlichkeit untergegangen ist, denn es hat das Bundessozialgericht gestern entschieden, dass Hartz-IV-Regelsätze für Kinder nicht rückwirkend berechnet werden müssen. Da frage ich mich schon, wie lange will Bundespolitik jetzt noch warten, um diese Neuberechnung endlich voranzutreiben, denn das hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig festgelegt.


(Beifall DIE LINKE)


Ich sage das auch, ich kann die Äußerung der Thüringer Ministerpräsidentin nur bekräftigen und unterstützen, die sich ganz konsequent gegen die Streichung des Elterngeldes beispielsweise bei Hartz-IV-Empfängern gewandt hat und das eine unzulässige Stigmatisierung ist, wie sie es bezeichnet, dass wir das natürlich unterstützen. Obwohl Herr Mohring zwar insgesamt das Sparpaket schon verteidigt hat, kommt er zum Schluss - und das darf ich auch vielleicht noch mal zitieren - zu der Äußerung: "In diesem Zusammenhang müssen auch die berechtigten Fragen nach der sozialen Ausgewogenheit beantwortet werden. Wenn wir sie nicht beantworten, tun das andere für uns." Herr Mohring, das ist richtig, weil wir dafür unter anderem stehen. Wenn mehr Menschen stehen und nicht nur DIE LINKE oder die Opposition, dann kann das aus Sicht der Betroffenen nur gut sein, denn hier geht es nicht um Populismus, hier geht es wirklich um Politik an der Seite derer, die am meisten von den Auswirkungen dessen, was jetzt beschlossen ist, betroffen sind.

Lassen Sie mich auch noch mal gerade angesichts des Thüringer Sozialgipfels, der in der vergangenen Woche hier in diesem Raum stattgefunden hat, auf den Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes mit der Forderung "Land soll Sparpaket entschärfen" verweisen - Zitat aus der "Thüringischen Landeszeitung" vom 17. -, wo Herr Müller formuliert: "Die Situation ist nicht alternativlos. Es ist die Zeit, nicht mehr nach Parteiräson zu handeln." Herr Müller hat eindeutig die Länderkammer aufgefordert, hier gegen diese Regierungspläne zu stimmen und Änderungen zu erreichen. Das ist auch Sinn und Zweck unseres Antrags. Das wollen wir hier verstärken.

Frau Siegesmund, Sie haben gesagt, das ist ein sachlicher und konkreter Antrag, darüber freue ich mich. Ich würde ihn nicht unbedingt gegen unseren Friedensantrag stellen, weil ich denke, die Dinge stehen schon sehr im Zusammenhang.


(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Zum Thema Weltfrieden.)


Ich kann auch Weltfrieden sagen. Ich habe mir sagen lassen, heute ist Gurkensalat angesagt, man kann hier über alles reden.


(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: Kein Unterschied zwischen Sozialstaat und Weltfrieden.)


Ich würde schon ganz gern bei den Intentionen unseres Antrags bleiben. Wir haben ihn auch nicht überfrachtet, deswegen haben wir die ganze Debatte zu den Jobcentern hier nicht mit aufgenommen. Ich denke, das ist noch mal eine andere Sache, die wir auch im Wirtschaftsausschuss begleitet haben und wo wir immer entsprechende Antworten auch von der Landesregierung hier bekommen haben.

Wir haben unseren Antrag sehr bewusst mit zwei Dingen verbunden. Das ist einmal ganz klar die Aufforderung an die Landesregierung, ihre Zustimmung zu dieser Art Sparorgie auf Kosten der kleinen Leute zu verweigern, und zweitens, das, was im Koalitionsvertrag angedeutet ist in Richtung gute Arbeit und faire Löhne, in Thüringen mit mehr Konsequenz umzusetzen. So verstehe ich eigentlich auch nachhaltige Sozialpolitik, denn ordentliche Arbeit, existenzsichernde Löhne und keine prekäre Beschäftigung ist dafür, denke ich, die beste Voraussetzung, wie auch die Ministerpräsidentin heute in ihrer Regierungserklärung sehr deutlich gesagt hat.


Lassen Sie mich noch mal erinnern, was im Koalitionsvertrag von CDU und SPD geschrieben steht. Ich möchte das gern zitieren. "Gute Arbeit heißt für uns Erhöhung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, sichere und qualifizierte Arbeitsplätze, tarifgerechte Einkommen, ein hohes Qualifikationsniveau, Sicherheit und Gesundheit für Beschäftigte sowie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf." Weiter heißt es: "Faire Löhne sind ein wichtiges Nachfrageelement. Faire Löhne und gute Arbeit verbessern zudem die Rahmenbedingungen für die Attraktivität eines Wirtschafts- und Investitionsstandorts und sind Voraussetzung dafür, dass die Menschen in Thüringen bleiben, leben und arbeiten. Ich sage Ihnen im Namen meiner Fraktion als Opposition, bei diesen konkreten Formulierungen stehen wir an Ihrer Seite und unterstützen das mit allem Nachdruck. Deswegen auch dieser Antrag, denn gerade angesichts der aktuellen Studie - der Wirtschaftsminister hat schon darauf verwiesen - des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird deutlich, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, dass der Mittelstand schrumpft und dass eine Angstpsychose auch genährt wird genau bei den Menschen, die sich von dieser Art schwarz-gelben Regierungspolitik im Bund bedroht fühlen und große Sorge und Ängste haben, abzustürzen in den Bereich der Ausgegrenzten, der Betroffenen. Die Studie hat festgestellt, dass nur 60 Prozent der Menschen in Deutschland zur Mittelschicht gehören und dass die Zahl der Menschen mit niedrigem Einkommen von 18 Prozent im Jahr 2000 auf fast 22 Prozent im Jahr 2009 angestiegen ist. Die Zahl der Menschen mit Niedrigeinkommen ist auch gestiegen. Wir sind froh darüber, dass Thüringen ganz offensichtlich von der Niedriglohnstrategie wegkommt. Aber es ist zu konstatieren, dass in Thüringen noch immer fast jeder zweite Arbeitnehmer prekär beschäftigt ist. Das ist sozialpolitisch und auch wirtschaftspolitisch nicht mehr tragbar.


(Beifall DIE LINKE)


Wir wollen uns mit dafür einsetzen, dass in Thüringen Rahmenbedingungen weiter geschaffen werden, die das verhindern. Das gilt eben nicht nur für den Erhalt der Arbeitsplätze für Opel, das gilt genauso für kleine und mittelständische Unternehmen, für den Dienstleistungsbereich, in der Pflege und anderswo. Deshalb fordern wir erneut im vorliegenden Antrag, dass flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne eingeführt werden müssen.


(Beifall DIE LINKE)


Das ist schon fast wie Asche, weil wir das immer und immer wieder eingefordert haben. Ich sage Ihnen, das muss man mit Nachdruck auch immer wieder tun, gerade auch mit dem Blick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Ab 2011 ist das zwingend notwendig. Die Bundesregierung hat zwar jetzt eine weitere Aussetzung beantragt bei der EU, aber das wird nicht auf ewig funktionieren und es ist auch noch kein Entscheid darüber da. Interessant ist, wie die Bundesregierung die Beibehaltung der Übergangsregelung für zwei Jahre begründet hat. Sie hat es begründet mit einer "vorliegenden bzw. drohenden schwerwiegenden Störung des Arbeitsmarktes für Gesamtdeutschland als auch in Teilbereichen". Diese beträfen insbesondere die Personengruppen der Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten sowie den Osten Deutschlands. Umso schlimmer und widersprüchlicher ist das, was mit dem Sparpaket gerade hier gemacht wird.

Lassen Sie mich noch mal erinnern, auch das schiebt man eben vor sich hin, denn der deutsche Vizepräsident der Europäischen Kommission, Günter Verheugen, hat bereits im Mai 2007 in einem Interview gesagt: "Jeder muss wissen, im Jahr 2011 gilt auch in Deutschland die volle Dienstleistungsfreizügigkeit für die neuen Mitgliedsländer. Gleichzeitig tritt die Arbeitnehmerfreizügigkeit ein. Wenn das Problem des Mindestlohns bis dahin nicht geregelt ist, wird dem Lohndumping die Tür geöffnet. Deutschland muss handeln, weil sonst ein Problem für den sozialen Frieden entstehen wird."

Außerdem besagen Studien, gut zwei Drittel der Bevölkerung wollen einen gesetzlichen Mindestlohn.


(Zwischenruf Abg. Ramelow, DIE LINKE: 3,81 €.)


Bei 3,81 € ist Ende der Debatte. Das muss ich jetzt mal sagen. Genau.


(Unruhe FDP)


Vizepräsident Gentzel:


Meine Damen und Herren, das geht ein Stückchen zu weit. Ein bisschen Diskurs zwischen den Fraktionen, das ist hier im Haus normal. Aber die Lautstärke bitte eindämpfen, damit die Rednerin, Herr Ramelow, die eigene Rednerin nicht in ihrem Wortfluss gestört wird. Fahren Sie bitte fort.


Abgeordnete Leukefeld, DIE LINKE:


Gut. Das Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur hat dazu eine Befragung unter 5.000 Bundesbürgern durchgeführt. Das Ergebnis war verblüffend. Es ist verblüffend, Herr Kemmerich, 61 Prozent der Selbstständigen sind für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe von 10,03 € - nachzulesen im "Böckler Impuls" Januar 2010. 76 der Befragten zwischen 35 und 59 Jahren stimmten für einen Mindestlohn in Höhe von 9,93 €. Da sage ich doch mal, wenn das so eindeutig ist, muss Politik doch endlich handeln. Die Forscher haben zusammengefasst: Mindestlöhne sind in der Wahrnehmung der Bevölkerung eng mit dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit verbunden.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Selbst eher skeptische Gruppen wie Besserverdienende und Selbständige halten den Mindestlohn für eine sozial gerechte Maßnahme.


(Beifall DIE LINKE)


Dem ist nichts hinzuzufügen. Daran ändert auch die Einführung von branchenspezifischen Mindestlöhnen nichts, die wie im Falle der Pflegekräfte noch immer den Unterschied zwischen Ost und West zementieren. Das halte ich - gelinde gesagt - 20 Jahre nach der deutschen Einheit auch für total verfehlt. Nur ein gesetzlicher Mindestlohn und die Einhaltung von Tariflöhnen sind der Eckpfeiler dafür, dass Menschen mehr Geld in der Tasche haben und - richtig - damit auch Kaufkraft und Binnennachfrage gestärkt werden. Auch das muss man gebetsmühlenartig wiederholen, weil das der beste Ausweg aus einer Krise ist.

Weiterhin fordern wir mit Nachdruck ein, dass Wirtschaftsförderung stets gerichtet sein muss auf den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Das steht auch im Antrag. Es kann doch nicht sein, dass in hohem Maße - auch in Thüringen - Fördermittel in Unternehmen fließen, die einerseits durch Rationalisierung und neue Technik immer mehr Personal, lebendige Arbeit freisetzen und damit Menschen auf die Straße setzen und andererseits aber den Menschen so wenig bezahlen, obwohl Fördermittel fließen, dass Staat immer noch mit Hartz IV, was eh diskriminierend ist, sozusagen die Standards, über die wir uns streiten können, die aus meiner Sicht nicht existenzsichernd sind, subventioniert werden müssen. Deswegen, denke ich, ist es auch notwendig, eine stärkere Orientierung der Thüringer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik auf den Binnenmarkt und eine Evaluierung der gesamten Förderpolitik des Freistaats zu lenken, denn das ist die Voraussetzung, das sind erste Schritte, um den notwendigen sozialökonomischen Umbau des Landes auch weiter voranzutreiben und dafür auch notwendige finanzielle Mittel einzusetzen.


Ich denke, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt, das Sparpaket der Bundesregierung, der Abbau von Arbeitnehmerrechten, gelockerter Kündigungsschutz und der hierdurch drohende Sozialabbau zwingend ein Umdenken in der Gestaltung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik des Landes und natürlich auch des Bundes einfordern und dass damit einfach notwendig ist, dass wir uns weiter zu diesen Fragen verständigen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Antrag hier eine Mehrheit finden würde, deswegen würde ich vorsorglich beantragen, diesen Antrag an den Wirtschaftsausschuss zu verweisen. Wir können darüber noch diskutieren, ob eventuell der Punkt 1, das wären die Bundesratsinitiativen, Herr Wirtschaftsminister, heute schon abgestimmt wird, um auch der Landesregierung ein ganz klares Signal von diesem Thüringer Landtag aus zu geben, sich im Bundesrat dem Sparpaket zu verweigern und dagegen aufzutreten, um Veränderungen zu erreichen. Ich danke Ihnen.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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