Sechstes Gesetz zur Änderung des Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes – nachhaltige Stärkung der Schulsozialarbeit

Daniel Reinhardt

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/153

 

Der heute vorliegende Gesetzentwurf will, wird und soll die Schulsozialarbeit in Thüringen stärken. Werte Präsidentin, werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, liebe Schulsozialarbeiter/-innen im Freistaat Thüringen, die Schulsozialarbeit in Thüringen hat eine lange, wechselvolle Geschichte. Bereits Anfang der 90er-Jahre entschieden sich einzelne Landkreise, die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe zu fördern und erste Stellen für Schulsozialarbeiter/-innen zu schaffen. In der 2. Legislatur 1996 konnte auf Drängen des Landesjugendhilfeausschusses das Modellprojekt „Jugendarbeit an Thüringer Schulen“ mit einer gewissen zeitlich befristeten Mittelausstattung und einer wissenschaftlichen Begleitung durch Frau Prof. Seithe von der Uni Jena durchgeführt werden. Im Abschlussbericht 1998 zog die damals zuständige Ministerin ein äußerst positives Fazit und erklärte die Absicht – ich zitiere –: Die Erfahrung des Modellprojektes soll dazu beitragen, Impulse für die Entwicklung weiterer Ideen zu geben. Ziel soll es sein, die Ausnahme zur Regel und die Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe selbstverständlich Realität werden zu lassen. – Aber erst 2013/2014, also 15 Jahre später war der politische Wille da und wurde der Schulsozialarbeit in messbarer Anzahl der Weg in Thüringer Schulen eröffnet.

 

2013 wurde eine eigene Richtlinie für die Schulsozialarbeit geschaffen und erstmals in größerem Umfang Landesmittel bereitgestellt; 2013 2,4 Millionen und 2014 9,6 Millionen Euro. Es wurden im Landesprogramm ca. 200 Stellen geschaffen. Und – das finde ich sinnvoll und wichtig – das Institut ORBIT wurde beauftragt, die Entwicklung der Schulsozialarbeit in Thüringen zu begleiten und zu evaluieren.

Heute ist die Schulsozialarbeit in Thüringer Schulen nicht mehr wegzudenken, obwohl wir noch weit davon entfernt sind, dass jede Schule über eigene Schulsozialarbeiter/-innen verfügt. Aus dem Programm werden heute – also die Zahlen von 2019 – 305 Fachkräfte, also 229 Vollzeitstellen, finanziert. Ungefähr jede vierte Stelle ist hierbei bei den Jugendämtern zu verorten, alle anderen, also die Mehrheit, sind bei den Trägern angesiedelt.

 

Ende 2019 erreichte die Schulsozialarbeit insgesamt 296 Schulen in Thüringen. Das ist etwas mehr als ein Viertel aller Schulen – 53 Prozent an Regelschulen, 14 Prozent an Grundschulen und 9 Prozent an den berufsbildenden Schulen.

In der vergangenen Legislaturperiode befasste sich der Bildungsausschuss mehrfach mit der Entwicklung der Schulsozialarbeit in Thüringen, so zum Beispiel in den Sitzungen am 10. Februar 2015 und am 28.11.2017 sowie im Rahmen der Beratung und Novellierung des KJHAG im Herbst 2018 und zum neuen Schulgesetz mit Schwerpunkt im Frühjahr 2019. Im Februar 2019 richtete der Thüringer Landtag in einem seiner Beschlüsse über die Grundlage einer eigenständigen Jugendpolitik die Bitte an die Landesregierung, für einen weiteren Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule Sorge zu tragen.

 

Im letzten Landeshaushalt des Freistaats Thüringen wurde auf Vorschlag von Rot-Rot-Grün beschlossen, den bestehenden Stand der Schulsozialarbeit deutlich auszubauen. Mit zusätzlichen 10 Millionen Euro jährlich wurde die Schaffung von ca. 180 neuen Sozialarbeiterstellen in Thüringer Schulen ermöglicht. Das ist immerhin nahezu eine Verdopplung. Es war eine Kraftanstrengung und gleichzeitig war es eine Mut machende Investition in unser Bildungswesen, in junge Menschen, in unseren Freistaat Thüringen. Doch wir wollen noch mehr. Wie wir in unserem Koalitionsvertrag formuliert haben, ist das politische Ziel in dieser Legislatur, alle Thüringer Schulen mit Schulsozialarbeitern und Schulsozialarbeiterinnen auszustatten.

 

Warum ist diese Schulsozialarbeit eigentlich so wichtig? Wie in der bereits 2013 geschaffenen Richtlinie festgelegt wurde, unterstützt Schulsozialarbeit die soziale Integration junger Menschen, sie trägt zur Persönlichkeitsentwicklung bei, fördert den Erwerb von Sozial- und Selbstkompetenz, hilft Bildungsbenachteiligungen abzubauen, unterstützt Eltern, unterstützt Lehrer, unterstützt die Personen, die eben im Schulkontext tätig sind, und wirkt daran mit, ein lernförderliches Schulklima zu gestalten. Sie stärkt die Resilienz von Kindern und Jugendlichen gegenüber Gefahren in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Sie begegnet Tendenzen der gesellschaftlichen Spaltung und Vereinsamung. Sie wirkt folgend der Kinderarmut entgegen und unterstützt demokratische Prozesse an unseren Schulen. Immerhin – und da spreche ich als Sozialarbeiter von Kolleginnen und Kollegen – 78 Prozent der antwortgebenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter waren im Rahmen der Evaluierung in 2014 der Meinung, dass die Ziele, die Inhalte und die Aufgaben der Schulsozialarbeit treffend wiedergegeben wurden.

Tatsächlich ist dieser sozialpädagogische Einfluss auf eine gelingende Gestaltung von Schule und gesellschaftlichem Zusammenhang im Alltag ein ganz erheblicher. Pädagoginnen und Pädagogen sowie Schulleiterinnen und Schulleiter, die anfänglich dem Einsatz der Schulsozialarbeit an ihrer Schule ablehnend oder gar skeptisch gegenüberstanden, äußern sich heute positiv, ja fast euphorisch. Einen Schulsozialarbeiter zu haben, wird heute an unseren Schulen als ein Schatz empfunden, den man hegen und pflegen muss und für deren Verbleib man auch bereit ist zu kämpfen.

Die Arbeit der Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter ist außerordentlich vielfältig. Sie sind alles andere als die bloßen Erfüllungsgehilfen von Lehrerinnen und Lehrern. Sie initiieren und gestalten Projekte mit den Schülern, kümmern sich um die Problemlagen der Schülerinnen und Schüler, oft bis in die Familie hinein, und tragen erheblich dazu bei, ein offenes und demokratisches Schulklima zu gestalten. Unter anderem deswegen ist der Ausbau der Schulsozialarbeit so wichtig.

 

Bei der Evaluierung der Schulsozialarbeit durch den Verein ORBIT, der die ständige wissenschaftliche Begleitung im Jahr 2014 absicherte, zeigten sich bereits eine Reihe von Problemen und Verbesserungsmöglichkeit – so wie eben in allen Bereichen des Lebens. So ist zum Beispiel ein Problem die technische Ausstattung, aber auch die Einbeziehung in schulische Abstimmungsprozesse von Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeitern in Dienstberatungen, Gremien und Abläufen war ein Problem. Nicht selten gab es in der Praxis Reibungsverluste und Schulsozialarbeiter fühlten sich nicht integriert – ja, sie hätten sogar Probleme, sich als Teil des Teams anerkannt zu fühlen.

Darauf hat Rot-Rot-Grün natürlich reagiert, indem wir im vergangenen Jahr mit einer Novellierung das Schulgesetz verändert haben und erstmals Schulsozialarbeit im Schulgesetz erwähnt wird. Die Rolle wird definiert und die Teilnahme der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an schulischen Gremien im Abstimmungsprozess wurde geregelt. Mit § 35a hat die Schulsozialarbeit jetzt eine gesetzliche Basis im Schulgesetz.

 

Schließlich ist noch ein besonderes Problem zu lösen, das sich aus den verschiedenen gesetzlichen Zuständigkeiten von Land und Kommunen ergab. Einerseits ist die Schulsozialarbeit oder – wie sie fachlich ganz korrekt heißt – die schulbezogene Jugendsozialarbeit als Teilaufgabe der Kinder- und Jugendhilfe, also SGB VIII, eine kommunale Aufgabe, die vom Land lediglich unterstützt wird. Andererseits bestimmt das Land über seine Richtlinien und Förderungen maßgeblich die Rahmenbedingungen – eben die Rahmenbedingungen für die Aufgabendefinition und das Tempo des Ausbaus der Strukturen von Schulsozialarbeit an unseren Schulen.

 

Genau deshalb soll die Vorlage, die Ihnen jetzt hier vorliegt als Entwurf, dafür Sorge tragen, für die umsetzenden Gebietskörperschaften weitergehend für Rechtssicherheit zu sorgen bzw. diese zu erhalten, damit sie letztlich in der Lage sind, auf der Basis einer gesicherten Landesförderung Arbeitsverträge zu entfristen und stabile durchdachte Strukturen zu treffen. Es ist im Übrigen total unangenehm für Schulsozialarbeiter/-innen immer nur befristet eingestellt werden zu können. Nun haben die Schulsozialarbeiter/-innen eben das Problem, dass sie noch keine große Lobby haben, außer vielleicht eine Gewerkschaft.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

So stehen wir derzeit nicht nur an einer quantitativen, sondern auch an einer qualitativen Schwelle der höheren Wirksamkeit der Schulsozialarbeit in Thüringen, ganz so, wie es das Modellprojekt in der Jugendarbeit an Schulen 1996 bis 1998 vorausschauend den Bedarf erkennend gewollt hat.

Was wir hier im Zusammenspiel mit den haushalterischen Maßnahmen der vergangenen Jahre tun, ist ein Riesenschritt auf dem Weg zum multiprofessionellen Teams an Schulen, zu mehr Ressourcen für den Kampf gegen Verlassen der Schulen ohne Abschluss, gegen Mobbing, gegen Vereinsamung und gegen Problemlagen, ja, für die Demokratisierung an unseren Schulen, die jeden mitnimmt und alle einbeziehen soll.

 

Manche Fragen gibt es aus unserer Sicht in den nächsten Wochen natürlich noch zu besprechen, zum Beispiel, ob es nicht sinnvoll wäre, eine pauschale Finanzierung der Schulsozialarbeiter/-innen durchzunehmen. Es hätte den Charme, dass man sowohl auf Landesebene weniger Mitarbeiter/-innen für die Bearbeitung einstellen müsste, als auch, dass auf kommunaler Ebene weniger Mitarbeiter/-innen sich über diese Richtlinien und Ausfinanzierung Gedanken machen müssten. Vielleicht können wir darüber, über die Vor- und Nachteile, über die Aufwände, im Ausschuss sprechen.

Es ist Aufgabe der Jugendhilfeausschüsse

 

Vizepräsidentin Rothe-Beinlich:

 

Herr Reinhardt, Ihre Redezeit ist zu Ende.

 

Abgeordneter Reinhardt, DIE LINKE:

 

der Landkreise, kreisfreien Städte gemeinsam mit den Schulträgern Prioritäten zu bestimmen. Ich bitte Sie im Namen der Schulsozialarbeiter/ innen, im Namen der Schüler/-innen unserer Schulen, diesem Antrag hier positiv entgegenzugehen. Auf eine tolle Debatte im Ausschuss! Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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