Schlechterstellung von Kindern und Alleinerziehenden verhindern – Sparpaket ablehnen, finanziellen Mehrbelastungen für den Freistaat entgegentreten

Zum Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drucksache 5/1307 -


Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Artikel 1 Grundgesetz in Verbindung mit dem Solidarprinzip des Artikels 20 Abs. 1 Grundgesetz sichert jedem Hilfedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.

Frau Präsident, meine Damen und Herren, dieser Leitspruch des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes, welcher im Februar 2010 erging, hat in der kinderpolitischen Debatte in der Bundesrepublik Deutschland für einige Aufruhr gesorgt. Jeder war damit beschäftigt, sich um Kinderarmut zu drehen, jeder war damit beschäftigt, das Thema Kinderarmut zu befassen. Heute, sechs Monate später, reden wir vom Sparpaket, sechs Monate später reden wir von Kürzungen und Streichungen und das vor allem im Sozialbereich. Ursache des Ganzen ist die Finanzkrise - nur um die Kosten ein wenig gegenüberzustellen, 750 Mrd. € kostet die Krise. Und wer bezahlt die Zeche? Die Zeche bezahlen am Ende diejenigen, die am wenigsten dafür können.


Das lässt sich ganz einfach daran erkennen, wenn man sich mal die Struktur des Noch-Referentenentwurfs - die Befürchtung ist durchaus berechtigt, dass dieser Referentenentwurf zur Realität wird - ansieht. Die Bundesregierung plant, ungefähr 30 Mrd. € im Sozialbereich zu sparen. Hingegen sind zum Beispiel im Bankensektor nur 6 Mrd. € untergebracht. Das heißt, hier gibt es ein eindeutiges Ungleichgewicht. Diejenigen, die am wenigstens für das Entstehen der Krise können, diejenigen, die am wenigstens an der Krise verdient haben und diejenigen, die gar keine Rolle auf dem internationalen Finanzmarkt spielen, sind am Ende diejenigen, die dafür herangezogen werden, die Folgen dieser Krise zu begleichen. Die massiven Kürzungen, unter anderem des Bundeselterngeldes, betreffen nämlich die Kinder von Hartz-IV-Empfänger, betreffen die Kinder von Aufstockern des ALG II, betreffen Niedriglohnempfänger und diejenigen, die Kinderzuschlag kassieren. Diese Leistungen sind nicht einfach Almosen, sondern man hat sich schon etwas dabei überlegt, als man die Kindergelder oder den Kinderzuschlag eingeführt hat. Es ging darum, Einkommensleistung zu unterstützen, Erziehungsleistungen zu honorieren.


Schauen wir uns einmal an, was mit dem Erziehungsgeld oder mit dem Kindergeld oder mit dem Elterngeld passiert ist. Das Erziehungsgeld gab es beispielsweise 24 Monate lang á 300 €. Mit der Einführung des Bundeselterngeldes wurde die Bezugsdauer schon um 50 Prozent gekürzt auf 12 Monate bzw. 14 Monate, wenn der männliche Partner auch in die Elternzeit geht. Es war also eine Kürzung um 50 Prozent. Mit dem nun vorgelegten Sparpaket sieht die Bundesregierung vor, gerade denjenigen, die das Geld am dringendsten brauchen, das Geld um 100 Prozent zu kürzen. Das heißt, dass genau diejenigen, die darauf dringend angewiesen sind, die ein so geringes Familieneinkommen haben, dass sie mit dem Geld, das sie empfangen, haushalten müssen. Das Geld, was sie bekommen, ist kein Geld, mit dem sie prahlen können, sondern es ist eine Unterstützungsleistung, um erstens die Gesamtsituation des Haushalts zu unterstützen. Zweitens war die Zielstellung der Gesetzlichkeiten unter anderem des Bundeselterngeldes, gerade junge Familien mit kleinen Kindern in schwierigen finanziellen Verhältnissen zu unterstützen. Diesen jetzt das Geld als Einkommen anzurechnen, ist wirklich zynisch.

Herr Gumprecht hat hier gesagt - da hinten sitzt er -, es geht unter anderem darum, Arbeitsanreize zu schaffen. Sie haben wahrscheinlich auch die Begründung dieses Gesetzes gelesen. Das Schöne ist, wir reden von Arbeitsanreizen oder Anreizen zur Arbeitsaufnahme beispielsweise von Alleinerziehenden, wir reden von Arbeitsanreizen für Hartz-IV-Empfänger. Der Verband der alleinerziehenden Väter und Mütter, der VMV, hat eine sehr schöne Stellungnahme dazu abgegeben. Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich. Der VMV sagt in seiner Stellungnahme: „Laut Familienreport 2010 ist die Erwerbsmotivation bei Alleinerziehenden im SGB-II-Bezug überdurchschnittlich hoch. Anreize zur Erwerbsaufnahme sind nicht vonnöten. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit scheitert meistens an strukturellen Mängeln der Kinderbetreuungsangebote und flexible Arbeitszeitmodelle fehlen.“ Das sagt der Verband alleinerziehender Väter und Mütter.


Darüber hinaus ist ja die Frage, wenn wir von Erwerbsanreizen und von Arbeitsanreizen sprechen, warum sprechen wir da eigentlich immer nur von Kürzungen? Warum gehen Sie her und sagen, sie, die das Elterngeld beziehen, wir möchten einen Arbeitsanreiz sozusagen an sie weitergeben und deshalb kürzen wir ihnen die Kohle. Wenn die Familien 300 € weniger im Monat haben, ist es doch kein Arbeitsanreiz. Dann haben Sie viel größere Probleme mit dem Haushaltseinkommen zurechtzukommen. Die Kürzungen des Elterngeldes treffen genau auf diese Familien zu, die auf jeden Euro Unterstützung angewiesen sind. Hier davon zu sprechen, dass man die Erwerbsanreize erhöhen möchte, das ist in der Tat ein wenig zynisch.

Es ist ja so, dass selbst die Begründung dieses Referentenentwurfs und die Begründung der Bundesregierung, wie man diese Erwerbsanreize untersetzen möchte, noch nicht einmal in der Gesetzeslogik miteinander konform sind. Man muss sich überlegen, im SGB III ist geregelt, dass Eltern, die Kinder haben, die jünger als drei Jahre sind, von der Erwerbspflicht ausgenommen sind, mit der Begründung, dass man ein schädliches Verhalten für die Entwicklung der Kinder vermeiden möchte.

Wenn man nun das Bundeselterngeld streicht, dann betrifft das ja Kinder, die im Alter von bis zu 14 Monaten sind; diese sind ja nach SGB II von der Erwerbspflicht ausgenommen. Wieso möchte ich denjenigen, die von der Erwerbspflicht ausgenommen sind, erhöhte Arbeitsanreize geben? Das ist doch gesetzesstrukturell völlig diffus, was man dort gemacht hat, was Ihre Bundesministerin dort macht. Das ist in der Tat eine ganz große Schwierigkeit, wo ich denke, dieses Sparpaket ist von hinten bis vorn wirklich sehr unausgewogen und total ungerecht, weil wirklich diejenigen, die Hilfe am nötigsten haben, davon betroffen sind.


Wir alle haben uns über Kinderarmut verständigt, wir haben hier viele Thematiken verhandelt, Frau Lieberknecht in ihrer Funktion damals noch als Sozialministerin hat viele Dinge aufgeschrieben und postuliert, da steht beispielsweise das Familieneinkommen immer an höchster Stelle. Es ging immer darum, das Familieneinkommen von Kindern in Armut zu erhöhen, und das, was jetzt auf Bundesebene passiert, ist genau das Gegenteil. Deshalb wollen wir als LINKE uns ganz vehement gegen das Sparpaket wenden und wir haben uns deshalb auch in diesen Landtag eingebracht, weil natürlich auch der Bundesrat mit diesem Thema zu befassen ist. Natürlich ist es bislang nur ein Referentenentwurf, aber wehret den Anfängen und ich denke schon, dass die Kosten, die am Ende für den Freistaat Thüringen hier entstehen könnten, auch ein Argument dafür sind, im Bundesrat gegen das Sparpaket zu stimmen.

Herr Gumprecht, Sie haben ja gefragt, wie wir darauf kommen, dass die Wohngeldempfänger zunehmen. Das ist ganz einfach zu erklären: Diejenigen, die Aufstocker sind, und diejenigen, die den Kinderzuschlag in Anspruch nehmen, das sind natürlich Leistungen des SGB II, und wenn denjenigen, die den Kinderzuschlag nun in Anspruch nehmen, das Elterngeld als Einkommen angerechnet wird, dann fallen sie natürlich aus dem SGB-II-Bezug raus und sind automatisch wohngeldberechtigt. Das Wohngeld, das wissen Sie auch, wer das bezahlt, das brauche ich Ihnen nicht zu erläutern. Deshalb - und das ist ganz witzig - selbst in der Begründung der Bundesregierung, wo sie sich um die Folgen ihres Gesetzes müht, da ist selbst darauf abgestellt, da wird gesagt, es sind Folgen auch für die Länder im Rahmen von Wohngeld zu beziffern, aber die Bundesregierung hat dort ein großes schwarzes X hingemacht, weil sie noch nicht wusste, wie hoch die Kosten genau sind. Aber dass solche Kosten auf uns zukommen, das hat selbst die Bundesregierung schon in ihrem Gesetzesvorhaben mit bedacht. Sie werden mir sicherlich zustimmen, dass das durchaus ein Grund ist, sich auch mit dem Thema im Bundesrat zu beschäftigen.


Der Aspekt Kinderarmut ist natürlich eine der wichtigsten bei diesem ganzen Sparpaket, denn wenn wir das Bundeselterngeld kürzen, dann trifft es natürlich am härtesten diejenigen, denen wir am meisten mit verschiedenen Programmen, mit solchen Maßnahmen wie TIZIAN und anderen Maßnahmen, die auch Frau Taubert angeführt hat, helfen wollen. Damit wird natürlich diese ganze Bemühung, Kinderarmut zu bekämpfen, konterkariert. Man hat so ein bisschen den Eindruck, dass die Bundesregierung nicht unbedingt unter Realitätsverlust leidet, sondern man hat eher den Eindruck, dass sie den Realitätsverlust auch genießt. Nicht anders ist es zu erklären, dass man jetzt eine Chipkarte für Zusatzleistungen für Kinder in Armut sich ausgedacht hat. Man muss sich überlegen, auf der einen Seite kürzt man das Bundeselterngeld, bringt man die Familien in Armut und diejenigen, die davon betroffen sind, und auf der anderen Seite entwickelt man nun eine Idee, wie man mit einer Chipkarte Sachleistungen diesen Kindern und diesen Familien zukommen lässt und lässt dabei völlig außer Acht, dass erstens die angekündigten 240 € im Jahr wirklich nicht viel sind. Wenn Sie sich das mal anrechnen, was das auf den Monat gerechnet ist, das ist nicht sonderlich viel. Man hat darüber hinaus das Problem, dass genau diese Art von Sachleistungen sehr, sehr stigmatisierend ist. Wahrscheinlich hat man dann in den Freibädern zwei Kassen, einmal eine Kasse für diejenigen mit diesen besonderen Chipkarten und einmal eine Kasse für die normalen Gäste. Dann müssen Sie auch bedenken, dass es ja nicht nur reicht, Familien durch so eine Chipkarte diese Sachleistungen zukommen zu lassen, sondern sie müssen auch irgendwie dafür sorgen, dass gerade diejenigen auch diese Angebote wahrnehmen können. Das heißt, dass sie begleitet werden dahin. Was machen Sie denn mit Familien, die schon seit Jahren im Sozialbezug sind, die völlig andere Lebensrealitäten haben, wo für die Eltern der Mathehausaufgaben der kleinen Kinder in der 6. Klasse schon eine zu hohe Anforderung sind. Wie wollen Sie denn das realisieren? Das heißt, wir müssen ganz anders herangehen. Wir müssen den Ausbau der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen ermöglichen, wir müssen Kindertagesstätten zu Eltern-Kind-Zentren ausbauen, so dass wir auch Elternarbeit leisten können. Wenn wir das geschafft haben, dann können wir natürlich auch gerne noch einmal über Sachleistungen für Kinder reden. Aber prinzipiell muss doch unser Ansatz derjenige sein, dass wir allen Kindern gleichberechtigt Zugang ermöglichen.


(Beifall DIE LINKE)


Ich glaube, mit den Vorschlägen, die die Bundesministerin dort vorgelegt hat, ist das nicht möglich.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Regelsätzen führt ja sehr explizit auf, worum es geht. Es geht nämlich darum, menschenwürdiges Existenzminimum, was auch soziokulturelle Mindeststandards erfüllt. Wir haben in unseren Antrag extra reingeschrieben, dass wir auch eine Erhöhung der Regelsätze haben wollen. Da kann natürlich argumentiert werden, dass die Bundesministerin dort eine Kommission eingesetzt hat, die sich über die Höhe der Regelsätze austauscht. Man könnte es auch ein bisschen kürzer machen, der Paritätische Wohlfahrtsverband hat mit seiner Forschungsstelle einen Eckregelsatz für Kinder ermittelt. Dieser liegt bei ungefähr 360 €. Frau von der Leyen hat ja die Chipkarte explizit auch im Zusammenhang mit der Erhöhung der Regelsätze erwähnt und das als Ausweg aus dieser Misere bezeichnet, aber es ist ja eben keiner. Wenn man wirklich an dem Thema interessiert ist, dann müsste man eigentlich für die Erhöhung auf mindestens 360 € plädieren, so kann man den Betroffenen wirklich helfen. Dann können auch Familien selbstbestimmt darüber entscheiden, wie sie mit dem Geld umgehen und wie nicht. Ich glaube, das ist auch eine Frage von Würde. Ich denke, dass man die Betroffenen an dieser Stelle nicht vergessen sollte und auch nicht ihre Würde.


(Beifall DIE LINKE)


Ja, wie gesagt, mich hat das sehr erstaunt, dass die Koalition einen Alternativantrag vorgelegt hat. Frau Siegesmund ist darauf ja schon eingegangen, wobei ich mich erst gefragt habe, als ich ihn gelesen habe, wo ist da der substanzielle Unterschied. Nach dem zweiten Lesen ist mir aufgefallen, es ist ja ein in der Tat zahnloser Tiger. Es ist ja schön, dass man sich zu solchen Lippenbekenntnissen bekannt hat. Ich bin auch Frau Taubert dankbar, dass sie einen Sofortbericht abgegeben hat, aber man muss natürlich sagen, die Vorschläge des Sparpakets, die Vorschläge der Bundesregierung sind doch recht konkret. Also muss man doch auch versuchen, gegen diese konkreten Maßnahmen vorzugehen. Wenn man etwas verändern will, muss man es im Konkreten tun. Der alte Marx hat ja nicht umsonst gesagt: „Die Wahrheit ist konkret“ und deshalb haben wir als LINKE eben ganz konkret aufgeschrieben, was wir wollen, wir wollen nämlich konkret die Erhöhung der Regelsätze, um das Problem Kinderarmut in den Griff zu bekommen, wir wollen konkret auch die Verhinderung der Kürzung des Elterngeldes. Das sind ganz konkrete Schritte, da muss ich sagen, ist ihr Alternativantrag


(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)


in der Tat wirklich ein zahnloser Tiger. Er schadet nichts, aber er nützt vor allem auch nichts. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir wirklich eine Mehrheit für unseren Antrag hier im Landtag bekommen. Die LINKE, wie gesagt, lehnt dieses Sparpaket in Gänze ab. Es ist unsozial und es beteiligt die Verursacher der Krise nicht verhältnismäßig.


(Beifall DIE LINKE)


Diejenigen, die unter der Krise zu leiden haben, und diejenigen, die jetzt hier herangezogen werden, um die Staatsfinanzen zu sanieren, sind diejenigen, die mit der Krise eigentlich nichts zu tun haben. Für uns als LINKE ist der Maßstab für Gerechtigkeit immer noch die Situation der Schwächsten. Wenn ich mir das Sparpaket der Bundesregierung anschaue, dann sind wir von Gerechtigkeit noch weit entfernt. Vielen Dank.


(Beifall DIE LINKE)

Dateien