Regierungserklärung der Ministerpräsidentin

Zur Regierungserklärung

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Edvard Grieg lässt seine Hauptfigur Peer Gynt den Satz sagen: "Ist es das Erhoffte oder das Erreichte, das uns verzweifeln lässt?"

(Beifall DIE LINKE)

Wenn Sie mich fragen, was die Wählerinnen und Wähler in Thüringen erhofft haben, kommt man schnell zu der Antwort: den politischen Wechsel. Ich glaube, dass der erhoffte politische Wechsel mehr ist als nur eine Koalitionsregierung unter der Beteiligung der SPD, mehr war als nur ein Koalitionsvertrag, der vorgeblich eine sozialdemokratische Handschrift tragen sollte. Wenn ich die Reaktion der Bürger nach der Entscheidung der SPD, mit der CDU zu koalieren, richtig deute, gibt es eine tiefe Enttäuschung von Wählerinnen und Wählern - sowohl der Linken als auch der Grünen, aber auch der SPD.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem sind diejenigen enttäuscht, die auf ihren Wahlplakaten um die Zweitstimme für ein rot-grünes Projekt geworben haben, lieber Peter Metz. Gehen wir also vom Erhofften aus und berücksichtigen auch die Wählerinnen und Wähler, die CDU und FDP gewählt haben. Auch diese hatten die Hoffnung auf ein schwarz-gelbes Bündnis, wobei die CDU-Führung - stoisch bis zum Schluss - für eine Alleinregierung ohne Koalitionszwänge gekämpft hat. Damit ist eine grundsätzliche Richtungsentscheidung zwischen sogenanntem bürgerlichen Lager versus reformorientiertem Lager durch die Entscheidung einer einzigen Partei mit ihrem 18,5 Prozent Wähleranteil ausschlaggebend dafür, dass ein politischer Wechsel in Thüringen schlicht ausgefallen ist.

(Beifall DIE LINKE)

Dabei war im Wahlkampf auch immer die Rede davon, dass das System Althaus beendet werden sollte. Es wurden Ansprüche formuliert, die nach meinem Dafürhalten nur so zu übersetzen sind, dass sich die CDU in der Opposition erholen sollte - das war die politische Hoffnung von sehr vielen Menschen in diesem Land. Ich glaube, der CDU hätte das auch gut getan.

(Beifall DIE LINKE)

Das scheint aber nur eine Illusion gewesen zu sein. Vielleicht kann man grundhafte Reformen unter den politischen Konstellationen derzeit in Thüringen einfach nicht erwarten. Vielleicht ist das Verteilen von Positionen und Posten die einzige Größe, die man berechnen kann, wenn man den Ertrag der Koalition messen will, die heute ihre Eröffnungsrede dem Parlament unterbreitet hat. Gemessen an der Ertragswertberechnung eines Hedgefonds ist es so, dass mit 18,5 Prozent Einsatz zu 50 Prozent Ertrag hinsichtlich der Posten durchaus der Ertrag respektabel ist. Dies ist allerdings nicht unser politischer Ansatz, nach dem wir Regierungsarbeit messen wollen und messen werden. Wir werden uns mit einer kritischen Begleitung als größte Oppositionsfraktion darauf einstellen, dass wir Maßstäbe an die jetzige Landesregierung formulieren, um immer wieder zu hinterfragen, ob das Erreichte eine Hoffnung rechtfertigt oder das Erreichte nur die Verzweiflung stärkt.

Ich beginne mit der Frage, wie die regierungstragende Fraktion mit den Oppositionsfraktionen generell umgehen wird. Hier lässt sich aus der Ankündigung unserer Ministerpräsidentin ableiten, dass in den Stilfragen ein paar Veränderungen schon jetzt erkennbar sind. Ob sie auch kraftvoll durchgehalten werden, müssen wir gemeinsam feststellen.

Liebe Frau Lieberknecht, in Ihrer Eigenschaft als Landtagspräsidentin haben Sie in der 3. Legislatur in der Drucksache 3/50 das Parlament angemahnt, dass in Zukunft landeseigene Gesellschaften und sämtliche Aufgabenträger, die hoheitliche Aufgaben des Landes vollziehen und aus den Landesstrukturen ausgegliedert werden, in Zukunft von der Opposition in den Aufsichtsgremien mit kritisch begleitet werden können. Was damals richtig war, Frau Lieberknecht, kann heute nicht falsch sein. Wir erwarten von der heutigen - die damalige Landesregierung hat es nicht umgesetzt, was die Landtagspräsidentin angemahnt hat - Landesregierung mit der Richtlinienkompetenz die Umsetzung der Drucksache 3/50 in der 5. Legislatur.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich lade Sie und uns deshalb ein, die Rolle der Opposition auch daran festzumachen, wie ernst Sie uns als parlamentarische Opposition nehmen.

Ein Weiteres sei angemerkt: Der heutige Justizminister Poppenhäger hat in seiner vormaligen Eigenschaft als zuständiger Referent des Landtags für den Wissenschaftlichen Dienst ein Rechtsgutachten erstellt über die Frage: Darf der Verfassungsschutz Parlamentarier registrieren, observieren bzw. in seine Akten aufnehmen? Und wie muss das Parlament eigenständig daran beteiligt werden bzw. in Kenntnis oder um die Zustimmung gebeten werden, falls so etwas geschieht? Folge des Rechtsgutachtens war lediglich die Änderung des Verfassungsschutzgesetzes. Das Parlamentsrecht ist bis heute nicht geändert worden. Ich glaube, hier können Sie als Justizminister Ihrem Rechtsgutachten aus der 3. Legislatur nun Taten folgen lassen.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Besetzung der Parlamentarischen Kontrollkommission gab es in der Vergangenheit immer eine Auseinandersetzung, wenn wir als Opposition Vorschläge unterbreitet haben. Hier gab es manchmal auch zweifelhafte Informationen, die offenbar aus seltsamen Quellen abgesendet, in der CDU-Fraktion angekommen sind, jedenfalls nie zu einer ehrlichen und schon gar nicht zu einer fairen Debatte geführt haben. DIE LINKE bzw. vormals die PDS ist schlicht und ergreifend nur ein einziges Mal in der parlamentarischen Kontrolle beteiligt gewesen und nun erwarten wir auch hier einen neuen politischen Stil und vor allem einen politischen Anstand, der hier im Hohen Haus auch durchgehalten werden muss. Wir werden deshalb auch wiederum ein neues Kapitel eröffnen und einen auf uns entfallenen Platz an die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgeben, was schon vollzogen worden ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ähnliches, meine Damen und Herren, gilt für das Thema "Rechnungshof". Es ist schon ein unglaublicher Skandal, dass Thüringen den traurigsten Rekord aller Bundesländer in der Bundesrepublik Deutschland erreicht hat mit dem längsten verwaisten Führungsgremium eines Rechnungshofs. Auf diesen Rekord hätten wir gern verzichten können.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat zu deutlichen Kontrollverlusten geführt, wie z.B. die fehlende schnelle Prüfung der Hubschrauberflüge des Ministerpräsidenten Dieter Althaus im Wahlkampf. Ich erinnere mich noch an die sogenannte Dienstwagenaffäre von Frau Schmidt im Bundestag, da hat der Bundesrechnungshof schnell geprüft und Klarheit geschafft. In Thüringen sah sich der Landesrechnungshof nicht einmal zur Prüfung in der Lage, weil nicht genügend Kollegiaten da waren, Prüfung ausgefallen mangels Präsenz. Ich halte das schlicht für einen Skandal.

(Beifall DIE LINKE)

Hier bei der Besetzungsfrage ist eine Verfahrensänderung dringend notwendig. Ich habe die Hoffnung, dass entweder ein transparentes Verfahren zur Ermittlung einer geeigneten Person gewählt wird, an der die Fraktionen ausreichend beteiligt sind, oder dass wir als Parlament die Kraft haben, denn wenn es nicht eintritt, die Zuständigkeit schlicht als Vorschlagsrecht auf das Parlament zu übertragen. Zu einer parlamentarischen Demokratie und zu einem gegliederten Rechtsstaat gehört eine unabhängige Wahrnehmung der Aufgaben. Hier hat der Rechnungshof schon aus Gründen der politischen Hygiene eine zentrale Bedeutung. Ein Rechnungshof darf nie nach Kriterien der guten Laune versehen oder besetzt werden.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb gilt es ernsthaft, das Vorschlagsrecht der Opposition für den Rechnungshof im Blick zu haben.

Ein Letztes: Zu den Selbstverständlichkeiten zählt für mich auch die anstehende Besetzung des Landesverfassungsgerichts. Es sollte, so wäre dies mein Wunsch, eine ähnliche kulturvolle Diskussion und Vorschlagserörterung geben, wie wir es bei der letzten Besetzung, bei der es gelungen ist, ein hohes Maß an Akzeptanz für sämtliche Vorschläge im Hohen Haus zu bekommen, dass wir ein solches Klima auch bei der Besetzung der anstehenden Veränderung im Verfassungsgerichtshof bekommen. Rechnungshof und Verfassungsgericht müssen entsprechende Quoren hier im Parlament erreichen. Wir sollten das Ziel haben, diese Quoren sogar noch zu übertreffen, damit deutlich wird, Rechnungshof und Verfassungsgericht haben die Unterstützung und den Respekt des ganzen Parlaments. Deswegen verbieten sich kleingeistige Spielereien.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit sind wir wieder bei den Hoffnungen, die man hat und die man aufgeben muss. Da wir nicht an der Regierung beteiligt sind, werden wir die Rolle als Opposition annehmen und als Opposition gestaltend, kritisierend oder auch helfend den Prozess begleiten. Bei dem Gestalten muss man aber wollen, dass wir mitgestalten und das ist eine Frage des parlamentarischen Selbstverständnisses. Es gibt weitere Punkte, bei denen meine Partei bisher dauerhaft in Thüringen diskriminiert worden ist. Auch hier mahne ich Fairness an und endlich eine sachliche, diskriminierungsfreie Entscheidung bis hin zur Korrektur von Fehlentscheidungen. Es gab zum Beispiel den Umgang mit unserem Jugendverband und unserer Landesstiftung, bei denen man einfach aus dem Grund, weil wir es sind, andere Maßstäbe anlegt als bei den anderen Parteien. Dies wollen, können und werden wir nicht mehr akzeptieren und fordern ab sofort einen fairen, gleichberechtigten Umgang.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb verstehe ich den Anspruch der FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hier im Parlament nicht schlechter behandelt oder diskriminiert zu werden. Wir müssen darüber reden. Ich finde die Anregungen, die Notwendigkeit und die Hinweise sinnvoll und richtig. Da wir selber die Diskriminierung über fast 19 Jahre hier gespürt haben, wollen wir einen Strich ziehen und bieten an, gemeinsam mit allen, die wollen, nach vorn zu schauen.

Die vorgenannten Punkte und Positionen sind geeignet, hier ein gemeinsames Fundament parlamentarischer Arbeit aufzubauen. Für mich war es deshalb sehr positiv, dass wir uns mit unserer ersten parlamentarischen Deklaration gemeinsam gegen Faschismus, Rassismus und Antisemitismus positioniert haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich gebe auch denen recht, die mahnend sagen, eine Selbstlegitimation von Gewalt darf es unter gar keinen Umständen und keinen Vorzeichen geben. Unser gemeinsames Handeln sollte immer die Perspektive haben, rassistischen, faschistischen und antisemitischen Tendenzen gemeinsam entgegenzutreten. Dies sollten wir auch im parlamentarischen Raum immer bedenken, denn so sehr ich mich freue, dass sich weder NPD noch DVU hier mit platten Parolen haben einnisten können, so sehr muss man mahnend darauf hinweisen, dass die alltägliche Gefahr um uns herum keinesfalls gebannt ist. Die aktuellen Entwicklungen in Kirchheim, Pößneck oder Fretterode aber auch das ständige Auftauchen von Herrn Mahler in Mosbach oder das Verbreiten von Schulhof-CD's zeigt, dass hier eine Entwarnung überhaupt nicht angezeigt ist. Deshalb möchte ich uns bei aller Unterschiedlichkeit der politischen Bewertung ermuntern, dass wir uns weiterhin ein Maß an Zusammenarbeit gestatten, bei dem wir im Kampf gegen Rechtsextremismus ein höheres Maß an Gemeinsamkeit erreichen und durchhalten. Aus diesem Grund begrüße ich ausdrücklich, dass Frau Lieberknecht beim Schulterschluss der Demokraten in Pößneck persönlich, sehr deutlich und öffentlich wahrnehmbar Flagge gezeigt hat. Das war ein neues Signal in Thüringen und für Thüringen. Dafür meinen Dank und meine Anerkennung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im Jahr 20 nach dem Mauerfall, Grenzöffnung und der Deutschen Einheit möchte ich auch wiederholen, dass wir uns als Partei DIE LINKE nicht einer kritischen Debatte zum Thema Vergangenheit und Verantwortung für die SED als Staatsmachtspartei verweigern, weder verweigern wollen, noch verweigert haben, noch verweigern werden. Begangenes Unrecht in der DDR im Namen des Fortschritts oder des Sozialismus wollen und werden wir nicht verklären oder kleinreden. Das Prinzip "Macht vor Recht" hat der Idee eines demokratischen Sozialismus schwersten Schaden zugefügt. Aber, werte Kolleginnen und Kollegen, nur weil wir das Wort Sozialismus weiterhin in den Mund nehmen wollen und in den Mund nehmen werden, wollen wir deshalb nicht zurück in die staatsozialistische Zeit. Wir stehen deshalb zur Verantwortung und wir wollen und werden Aufarbeitung, Bewertung und Dokumentation auch der DDR-Zeit den notwendigen Respekt und die notwendige Unterstützung zollen. Pauschales Ausgrenzen oder pauschales Brandmarken hilft hier wirklich nicht weiter. Wir bieten deshalb unsere Bereitschaft zur Diskussion an und verweisen darauf, dass wir in den Sondierungsgesprächen zwischen SPD, GRÜNEN und uns das Thema intensiv beraten haben. Dies sollte kein Endpunkt sein, sondern auch der Beginn einer Debatte, bei der wir einbezogen und nicht länger stigmatisiert werden wollen. Wir bitten Sie, mit uns diesen Diskurs auch zu führen und nicht weiter eine Stigmatisierung oder Ausgrenzung zu betreiben, weil wir nur so im "Jahr 20" auch nach vorn blicken können, ohne das Vergangene zu vergessen oder zu leugnen.

Wir formulieren unsere Hoffnung an die neue Landesregierung, dass sie Zeichen setzt, wie wir nach 19 Jahren real existierender Opposition mit einem Diskurs in diesem Fall mit einbezogen werden, bei dem wir daran gemessen werden, was wir in der Demokratie und im Parlament bislang geleistet haben und was wir leisten wollen. Daran wollen wir gemessen werden, auch daran. Wir sind keine Fundamentalopposition. Wir sind keine Fraktion, die sich gegen alles oder gegen jedes ausspricht, nur weil es von der Regierung kommt. Wir wollen Sie an Ihren eigenen Ansprüchen messen, aber vor allen Dingen wollen wir Sie messen an den Aufgaben, die vor diesem Land stehen.

Die Realität macht sich für Menschen in diesem Land fest an den Erfahrungen in den Familien, in den Freundschaften, in den Verwandtschaften, in den Nachbarschaften. Wenn im Oktober 2009 120.448 Menschen offiziell als arbeitslos registriert sind, sind das 1.624 Menschen mehr als im Vorjahr. Das ist ein Zuwachs von statistisch 4,5 Arbeitslosen pro Tag in Thüringen, die dazukommen. Rund 80.000 davon sind Bezieher von Arbeitslosengeld II, wobei 171.500 Menschen in Gänze Arbeitslosengeld II beziehen, und von denen zusätzlich über 90.000 nicht arbeitslos gemeldet sind, also Aufstocker sind zu ihren Niedriglöhnen. Wir in Thüringen sind trauriges Schlusslicht der Tariflöhne in Deutschland. Wir sind das Land mit dem höchsten Anteil an prekärer Beschäftigung.

Die Dynamik des demographischen Wandels und der Zu- und Abwanderung in Thüringen verschärft das Problem. Im Jahr 2008 sind 46.353 Menschen aus Thüringen fortgezogen, das sind durchschnittlich täglich 127 Menschen, die dem Land den Rücken gekehrt haben. Rechnet man die Zuzüge dagegen, verlassen täglich 35 Menschen das Land. Das ist eine Busladung Menschen, die wir täglich in Thüringen verlieren. Das ist unerträglich.

(Beifall DIE LINKE)

Es gehen vor allem die Jungen, die für sich keine Perspektive mehr sehen. Wir sind mittlerweile in der Situation, dass wir für Arbeits- und Ausbildungsstellen und Ausbildungsplätze, gerade im technischen Bereich, schon in osteuropäischen Ländern anfangen, Anwerbung zu organisieren. Diesen Prozess müssen wir deshalb stoppen, damit Perspektiven für junge Menschen hier geschaffen werden, damit Menschen hierbleiben.

Thüringen wird älter und wir müssen für die Regionen insgesamt neue Antworten finden. Zuwanderung ist die Herausforderung, die wir meistern müssen, damit die Abwanderung gestoppt wird. Das heißt aber, Zuwanderung erfordert auch einen Mentalitätswandel den Menschen gegenüber, die zuwandern. Das ist eben mehr als eine Bratwurst und mehr als der geographische Geburtsort, aus dem man kommt. Das heißt, Zuwanderung muss man wollen und Zuwanderung muss man leben. Eine Leitpositionierung der gleichen Arbeits- und Lebensbedingungen, die in der Föderalismusdebatte leider Gottes unter die Räder gekommen ist, also die grundgesetzlich verankerte Leitpositionierung gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen in ganz Deutschland durch das Grundgesetz zu garantieren, ist leider durch die stärkeren Länder in der Föderalismusdebatte zerstört worden. Das müssen wir wieder auf die Tagesordnung und als Gegenstand wieder in die politischen Gespräche bekommen, dass gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen ein Ziel sein muss in Nord und Süd, in Ost und West. Wir dürfen nicht zulassen, dass uns die westdeutschen Länder als der negative Ballast am Bein prosperierender Regionen betrachtet. Wenn 38 Prozent der Wirtschaftsentscheider in Westdeutschland mittlerweile sagen, der Nachteil für Deutschland seien die neuen Bundesländer, zeigt das, wie die Mauer in den Köpfen noch da ist, wenn solche Mentalitäten angetroffen werden, die mittlerweile statistisch gemessen werden können. Darauf müssen wir Antworten geben. Deshalb müssen wir neue Antworten geben auf Probleme, bei denen die Westdeutschen mit Spannung in unsere Richtung schauen würden, ob wir hier neue Lösungen für alte Probleme haben.

Nehmen wir den ländlichen Raum mit dem Thema Gesundheitspolitik, dann bleibt die Frage, wie lange lässt sich gesamtdeutsch die ideologisierte Trennung von ambulant und stationär wirklich noch vertreten. Wie müssen heute integrierte Gesundheitsversorgungseinrichtungen aussehen, wie müssten sie geschaffen werden und was wäre mit der Gemeindeschwester. Wird es wieder reduziert auf die Poliklinik à la DDR und damit gleich in Abseits gestellt oder begreifen wir im Jahr 20, dass wir auf spezielle Probleme der demographischen und der Abwanderungsentwicklung eigene Antworten mutig geben müssen.

Bei einer älter werdenden Gesellschaft müssen wir aber auch über Pflege reden. Da geht es um Pflegepersonal. In Westdeutschland wird Pflegepersonal gesucht und besser bezahlt. So lange unsere Pflegetarifverträge so schlecht sind und so lange wir im Pflegebereich ein Zweiklassensystem haben, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn unsere gut ausgebildeten Pflegekräfte das Weite suchen. Hier kann sich der demographische Wandel mit einer Zukunftschance verbinden, wenn wir sie mit Pflegeeinrichtungen dem ländlichen Raum und einer aktiven Krankenhausplanung kleiner und großer Einrichtungen verbinden. Die derzeitige Krankenhausplanung muss gesetzlich sowieso fortgeschrieben werden, also lassen Sie es uns als Herausforderung begreifen, diese Diskussion zu führen. Das setzt aber voraus, dass wir den Mut haben, über die Trennung oder die Überwindung von ambulant und stationär einmal trefflich die Klingel zu führen und eine integrierte Gesundheitsversorgung flächendeckend als Ziel auch hinbekommen, bei der die Frage des Landarztproblems durch neue, kreative Lösungen auch beantwortet wird. Das wäre ein mutiger Schritt, der den Begriff der Reformorientierung einer Landesregierung rechtfertigen würde. Hier haben wir Erwartungen an die Diskussion, wie Reformen angepackt und wohin sie entwickelt werden. Ich sehe da in der Koalitionsvereinbarung und in der Regierungserklärung heute allerdings zu wenig Mut, um das Ziel zu verfolgen, das modernste Verwaltungsland, das modernste Bildungsland, das modernste Energieland Deutschlands wirklich werden zu wollen.

(Beifall DIE LINKE)

Der Mut scheint hier nicht den Federhalter geführt zu haben. Mit diesen drei Leitbildern haben wir jedenfalls im Wahlkampf mit der Bevölkerung darüber geredet und wir haben Rede und Antwort gestanden. Diese drei Leitbilder fehlen uns als herausgearbeitete Punkte.

Ein weiterer Punkt, den ich feststellen muss, dass er nicht ausreichend erwähnt ist, ist die demokratische Teilhabe, also mehr Partizipation der Bürger, die mutige Handschrift, die sagt, mehr direkte Demokratie. Das wäre eine Antwort, die man hätte geben müssen. Ich komme darauf noch einmal zurück.

Beim Bürokratieabbau oder bei der Weiterführung der Verwaltungsreform im Koalitionsvertrag von Kontinuität zu sprechen, verheißt die Fortführung des Stillstandes.

(Beifall DIE LINKE)

Das würde unserem Land schwer schaden. Die Verwaltungsreform, die wir als Gesamtansatz sehen, ist eben mehr als nur eine kosmetische Korrektur an Gebietsgrenzen. Wir sagen, Verwaltungsumbau braucht einen Kompass, braucht Zielgrößen. Eine Zielvorgabe, die wir geprägt haben, war die Zweistufigkeit in der Verwaltung und die Einräumigkeit in der Verwaltung. Das Verwaltungswirrwarr in Thüringen muss aufhören und die nicht aufeinander abgestimmten Korrekturansätze müssen endlich unter einem gemeinsamen Maßstab oder Kompass entwickelt werden. Die Berufung von Herrn Carius in das Bauministerium und damit seine Zuständigkeit für den Demographiebericht lässt allerdings befürchten, dass dieselbe Stillstandsmentalität, die schon aus der Enquetekommission für den Verwaltungsumbau von Herrn Carius zu spüren war, weiterhin um sich greifen wird.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sind deshalb sehr gespannt, ob die Landesregierung den Mut und die Kraft hat, die Zielstellung einer zweistufigen Verwaltung mit den Prämissen der Bürger und einer wirtschaftsfreundlichen Ausprägung zu formulieren und dann auch in diese Richtung zu agieren. Die Regierungserklärung und der Koalitionsvertrag verheißen außer Floskeln allerdings dazu nichts. In den Sondierungsgesprächen hatte die SPD die klare Formulierung für ein Leitbild "Kulturland Thüringen" vorgeschlagen. Ein solches Leitbild ist sehr zu begrüßen. Denn immerhin ist Thüringen eines der großen wirklich traditionsreichen Kulturländer. Das setzt aber voraus, dass wir den Mut haben, eine Kulturfinanzierung zu bekommen, die endlich den Trägern der Thüringer Kultur ein höheres Maß an Planungssicherheit und Existenz ermöglicht. Die Kündigung aller Mitarbeiter bei dem Jugendtheater Schotte löst bei uns Alarmglocken aus und der lapidare Satz in der Regierungserklärung, es finde nun eine Förderung jugendkultureller Arbeit statt, ist für uns noch lange keine Entwarnung.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen gemeinsam über den Kulturbegriff reden. Wie soll nach den Vorstellungen der Landesregierung der Kulturraum Thüringen abgesichert werden? Wir schlagen Ihnen deshalb ein Kulturfördergesetz vor, wenn Ihnen unsere Initiative zum Kulturlastenausgleich in der letzten Legislatur nicht gefallen hat. Über "Kulturraum", "Kulturförder-" oder "Kulturlastenausgleichsgesetz" möchten wir als Wörter nicht streiten. Aber über die Finanzierung aller Glieder in der großen Kette unseres Kulturschaffens muss jetzt dringend geredet und dazu dringend gehandelt werden. Wir können im Koalitionsvertrag und in der Regierungserklärung leider nicht erkennen, ob da wirklich Handlungsbedarf gesehen und das lösungsorientiert angepackt wird.

Ich will einen Inhalt erwähnen, da geht es um das Bibliotheksrechtsgesetz. Hier ist im Kern die Frage zu beantworten, ob es sich hierbei um eine freiwillige oder um eine Pflichtaufgabe der öffentlichen Träger handelt. Die SPD hat in der letzten Legislatur gefordert, Bibliotheken zur Pflichtaufgabe zu machen. Nun, werter Herr Kulturminister Matschie, sind wir gespannt, wie Sie dieses Thema zügig anfassen. Erinnert sei hier an die Rede von Bundespräsident Horst Köhler, Frau Lieberknecht hat darauf hingewiesen, die bei der Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek vor uns allen die Ansprüche formuliert hat, dass Bibliotheken rechtlich geschützt sowie rechtlich und finanziell abgesichert werden müssen. Wir sind gespannt, ob wir die Pflichtaufgabe Bibliothek und Bibliotheksrechtsgesetz bekommen, lieber Herr Matschie.

Im Kontext zum Kulturland erwähnte ich bereits den Tourismus. Wir bedauern ausgesprochen, dass der Koalitionsvertrag keine aktive Antwort gibt, um die Kleinstaaterei bei den Tourismusanbietern und den Tourismusvermarktern zu überwinden. Das Gegeneinander zwischen Thüringer Wald, Hainich, unserem kulturellen Erbe und das kleinteilige ängstliche Belauern der Tourismusverbände scheint uns eines der Probleme zu sein, warum wir im Tourismusgewerbe zu wenig Innovation und zu wenig Wertschöpfung im Vergleich zu allen anderen Bundesländern haben.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie antworten in Ihrem Koalitionsvertrag lediglich mit einer Imagekampagne und wir fragen uns ängstlich, ob das wieder der Fisch in einer alten Zeitung ist oder ob zu den vielen Imagekampagnen, die wir schon haben, weitere dazukommen sollen. Dies wäre schlicht grundfalsch. Tourismus muss man in Gänze entwickeln und die Angebote für Touristen muss man aus einer Hand gestalten. Wandern und Kultur, Technik und Natur müssen zusammengedacht werden. Deshalb ist es zwar schön, dass Oberhof erwähnt ist -ich mache jetzt keine Bemerkungen über Thermen und Thermensanierungen -, weniger schön ist aber, dass das Wort "Weltkulturerbe" nicht einmal vorkommt. Wir sehen den Tourismus eben auch als Arbeitsmarktansatz. Wir sehen dort die Vielfalt von kleinen und Kleinstbetrieben, denen es helfen würde, wenn die Politik dazu beitragen würde, dass eine gemeinsame Tourismusvermarktung optimaler präsentiert wird. Beispiele wie die Bodensee-Card, die sogar drei Nationalstaaten umfasst, zeigen, dass man ein interessantes Angebot für ein ganzes Bundesland auf den Weg bringen muss und dass das Gegeneinander von Karten und Kartenanbietern in Thüringen schlicht in die Sackgasse führt.

(Beifall DIE LINKE)

Wir liegen nach den Maßstäben des Bruttoinlandprodukts in der Wertschöpfung des Tourismus deutlich zu niedrig. Schuld daran ist auch ein Denken in kleinststaatlichen Strukturen. Touristen suchen Thüringen als Ganzes und haben dann unterschiedliche Wünsche, die zusammen bedient werden müssen. Da spielt eine gezielte Werbung in unseren Nachbarregionen, in Ballungsregionen eine große Rolle und nicht irgendeine Imagekampagne irgendwo. Arbeitsplätze werden die entscheidende Frage der Zukunft unseres Landes sein, deshalb haben wir das Kulturthema und das Tourismusthema verbunden mit dem Wirtschaftsthema. Bei der Betrachtung Wirtschaft haben Sie sich in Ihrem Koalitionsvertrag allerdings auf die Industriepolitik konzentriert. Im Koalitionsvertrag heißt es, Sie wollen die Absatzerfolge an internationalen Märkten stärken und die Industriepolitik sei im Zentrum der Betrachtung. Das heißt, Sie ignorieren 75 Prozent der gesamten Wirtschaft im nichtindustriellen Bereich in Thüringen; denn unser Industriebesatz in Thüringen ist leider viel zu gering.

Die Entindustriealisierung der 90er-Jahre ist nicht mehr zu korrigieren. Selbstverständlich freuen wir uns über jeden Industriebetrieb, der nach Thüringen kommt und selbstverständlich muss man den Industriebetrieben die Chance ermöglichen, sich hier ansiedeln zu können. Dabei darf man aber den heimischen Bestand an nichtindustrieller Wirtschaft nicht ignorieren. Für uns gilt die Prämisse: regional vor global. Für uns steht die Wertschöpfungskette deutlich im Mittelpunkt und die ist in Thüringen schlicht zu gering.

(Beifall DIE LINKE)

Das heißt, mit den bestehenden Klein- und Kleinstbetrieben müssen wir eine viel höhere Verclusterung erreichen, damit die Klein- und mittelständische Wirtschaft sich wechselseitig unterstützen kann. Deshalb ist das, wie Sie schreiben, Prüfen von Spielräumen im Vergaberecht - wie Sie es im Koalitionsvertrag umschrieben haben - einfach schlicht zu wenig.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese reine Absichtserklärung erinnert uns an die Debatte um das bayerische Vergaberecht, welches die SPD hier in den Landtag eingebracht hatte. So viel bayerische Verhältnisse wollte die Thüringer CDU dann aber doch nicht und hat es abgelehnt. Natürlich müssen wir jetzt bei einem Vergabegesetz die europäischen Vorgaben bedenken. Aber das darf kein Alibi für die Fortsetzung von verallgemeinernden Floskeln sein. Deshalb fordern wir Sie auf, zügig ein Vergabegesetz auf den Tisch zu legen, über das wir parlamentarisch beraten können, denn unsere Betriebe in Thüringen brauchen dringend ein solches Vergabegesetz.

(Beifall DIE LINKE)

Ich möchte in diesem Zusammenhang ein praktisches Beispiel als Vorschlag unterbreiten. Führen Sie als Prinzip den Investorenlotsen in der Verwaltung durchgängig ein. Damit ein Wirtschaftsbetrieb, egal ob groß oder klein, ob mittel sich nur noch an eine öffentliche Stelle wendet, an ein One-Stop-Center. Dieses Prinzip muss zum Gegenstand der Verwaltungsreform gemacht werden. Das wäre Verwaltungsmodernisierung und Wirtschaftsstärkung gleichermaßen. Dies darf aber nicht die Interessen von Arbeitnehmern ignorieren. Den im Wahlkampf geforderten einheitlichen, flächendeckenden, gesetzlichen Mindestlohn kann ein Appell zur Tariftreue nicht ersetzen, lieber Herr SPD-Vorsitzender Matschie.

(Beifall DIE LINKE)

Die Tariftreue, von der jetzt im Koalitionsvertrag die Rede ist, könnte sogar, wenn er da wäre, Herr Kemmerich unterschreiben. Aber der Tarifvertrag für das Friseurgewerbe mit 4,59 € Stundenlohn zementiert einen Armutslohn. Deswegen fordern wir bundesweit einen flächendeckenden, einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn von dem Menschen sich und auch ihre Familien ernähren können und müssen.

Ein Weitermachen mit Hartz-IV-Aufstockung und damit ein weiteres Abschieben von Niedriglöhnern in Hartz-IV-Systematik heißt, diese Menschen weiterhin zu Bittstellern zu degradieren, heißt eine Subventionierung der Wirtschaft auf dem Rücken der beteiligten Menschen vorzunehmen. Das ist die diskriminierendste Form, wie mit Menschen umgegangen wird. Deswegen lehnen wir Aufstockung als Prinzip ab und fordern einen gesetzlichen, flächendeckenden, existenzsichernden Mindestlohn.

(Beifall DIE LINKE)

Unsere Idee vom modernsten Energieland Thüringen ist aufgegriffen worden vom Wirtschaftsminister, Herrn Machnig, wie markante Ankündigungen dies auch beschreiben, GreenTech nun in die Thüringer Landespolitik einzubringen, erscheint uns sehr begrüßenswert. Allein die Ankündigung reicht aber noch nicht aus. Wenn wir die Modernisierung unserer Stromproduktion unter dem Aspekt der regenerativen Energie betrachten, brauchen wir ehrgeizige Ziele, um voranzukommen. Eine Reduzierung auf Windkraft- oder Solaranlagen reicht nicht aus. Es bedarf der gesamten Breite. Wir können allerdings endlich die Wertschöpfungskette bei der Produktion von Solarzellen deutlich erhöhen. Wir sind das Bundesland mit der höchsten Produktionsseite bei Solarzellen, aber der geringsten Modulfertigung. Hier heißt es, die Wertschöpfungskette zu erhöhen. Wir brauchen eine Vielzahl von Angebotsmöglichkeiten für Bürgerkraftwerke, eine Offensive von Tausenden Solardächern auf öffentlichen Gebäuden und wir brauchen eine Abkehr von der verlängerten Werkbank. Das heißt, wir brauchen eine Stärkung von Forschung, Wissenschaft und Entwicklung in Verbindung mit der Produktion aller regenerativen Energieträger. Es geht um eine konsequente Umorganisation der produzierenden und der verteilenden Seite im Energiesektor. Wir brauchen einen neuen Ansatz der Eigentumsformen der Stromnetze. Es reicht nicht, nur von der Rekommunalisierung der Stromnetze zu sprechen, wenn nicht klar ist, wie wir eine landesweite Netzgesellschaft mit kommunaler und öffentlicher Beteiligung erreichen. Warum sollte Thüringen nicht den Mut haben, gemeinsam mit allen Stadtwerken der kommunalen Gemeinde über die Thüringer Energieversorgungsgesellschaft, vormals TEAG, nachzudenken; eine gemeinsame Beteilung des Landes und der kommunalen Familie, um dann bei der Rekommunalisierung von Stromnetzen ein einheitliches Netzbewirtschaftungssystem in Thüringen zu erreichen. So könnten wir das modernste Stromnetz Europas bekommen. Hier heißt es, Forschung zu aktivieren, Geld in die Hand zu nehmen und mit E.ON in Verhandlungen zu treten, um aus der bisherigen 47-prozentigen Beteilung eine 51-prozentige Beteiligung in kommunaler Hand zu ermöglichen. Dabei müsste das Land moderieren und finanziell möglicherweise auch Unterstützung leisten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Debatte um Opel, wie wir sie in der Sondersitzung schon geführt haben. Hier schließe ich mich den scharfen kritischen Worten des Wirtschaftsministers gegenüber dem Bundeswirtschaftsminister Machnig - Entschuldigung -, Bundeswirtschaftsminister Brüderle …

(Zwischenruf Machnig, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Technologie: Das bin ich noch nicht, aber ich arbeite daran.)

Aber nicht, wenn Sie dann das Gleiche dort sagen, was er gesagt hat. Ich schließe mich ausdrücklich Ihrer Kritik an, denn von Berlin aus zu fordern, dass die Länder jetzt einspringen sollen, da der Bund nicht mehr mitspielt, finde ich empörend. Nachdem aber Herr Brüderle die Länder aufgefordert hat, verkündet die Thüringer FDP, das Land solle nicht handeln. Das zeigt mir, dass die FDP in Thüringen weder ein Konzept für den Automobilstandort Thüringen hat, noch ein Bild von der tatsächlichen wirtschaftlichen Vernetzung von Opel im Gesamtsystem der Automobilzulieferer. Hier geht es um viele Klein- und Kleinstbetriebe in Thüringen und wir werden deshalb weiterhin mit Opel für Opel kämpfen.

(Beifall DIE LINKE)

Die Verbindung von Opel zu GreenTech wäre die Verbindung zu Energiespeichertechnologie und Antrieb. Hier müssen wir deutschlandweitestes Leistungs- und Forschungszentrum werden. Wenn uns das gelingt, wird ein neues Kapitel der Industriegeschichte aufgeschlagen. So wenig, wie wir die Entindustrialisierung der 90er-Jahre heute abändern können, so sehr können wir jetzt die Weichen stellen für eine nachhaltige Zukunft. Dabei würden wir Sie gerne aktiv unterstützen, auch wenn wir finden, dass im Koalitionsvertrag dazu zu wenig formuliert ist. Hinsichtlich der Stärkung des Mindestlohns macht die SPD allerdings eine Kehrtwende. Aber auch bei einer weiteren Ankündigung steht die SPD im Wort, nämlich dem Ausbau des Personalvertretungsrechts. Beides sehe ich im Einklang mit einer gedeihlichen Wirtschaftsentwicklung, denn die Träger dieser Entwicklung müssen die Arbeitnehmer sein, die aber teilhaben müssen an dem, was sie an Werten schaffen, und an dem, was um sie herum entschieden wird. Vielleicht erwarten wir hier schlicht von der SPD zu viel - von der Thüringer. Auch am letzten Wochenende hat ja der ehemalige Staatssekretär in der Schröder-Regierung und heutige Parteivorsitzende Christoph Matschie die Hartz-Gesetze sowie Rente mit 67 als Tatbestände beschrieben, die man nicht einfach beiseite schieben sollte. Hier bleibt sich treu, was eine verfehlte Politik auf den Weg gebracht hat, und zumindest zwei Protagonisten der verfehlten Schröder-Politik sind ja nun Bestandteil unserer Landesregierung.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Eine Neiddebatte zur Schröder-Politik.)

Eine Neiddebatte zur Schröder-Politik - ich kann nur sagen, zur Schröder-Politik kann man nur pfui sagen, eine Basta-Politik, die beendet werden muss.

(Beifall DIE LINKE)

Aber die Thüringer SPD zumindest hier im Hohen Haus kann sich ja nicht lösen von dieser Vergangenheitsaufarbeitung, die noch nicht vollzogen wurde. Darauf kann ich gerne verzichten. Die Menschen in diesem Land erwarten, dass bei den Gehaltsunterschieden zwischen Ost und West die Schere endlich kleiner und nicht größer wird, dass Sozialtransfers endlich so eingesetzt werden, dass daraus Förderketten entstehen. Sie erwarten statt Ein-Euro-Jobs endlich eine Offensive gemeinwohlorientierter Arbeit. Eine aktive Arbeitsmarktpolitik kann sich nicht darauf reduzieren, dass ein Landesarbeitsmarktprogramm auf den Weg gebracht wird. Dieses Programm ist zu begrüßen und mehr Kommunalkombi wäre zu wünschen. Wenn aber gleichzeitig in Berlin das Gegenteil gemacht wird, wenn dort im Kern die FDP die Auflösung und die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit betreibt, dann stellt sich die Frage, wie sich die Landesregierung im Bundesrat dazu verhalten will, um diese Fehlentwicklung von Schwarz- Gelb zu verhindern. Wir fragen, was wir jetzt gemeinsam tun, wie es weitergeht bei der Aufhebung oder der Weiterentwicklung von ARGEn und optierenden Gemeinden. Da bin ich gespannt, wie sich unsere Landesregierung im Bundesrat verhält. Was wir in jedem Fall brauchen, ist eine Arbeitsmarktoffensive, bei der wir statt Arbeitslosigkeit endlich Arbeit finanzieren.

(Beifall DIE LINKE)

Wir brauchen einen integrierten Arbeitsmarktansatz mit gesetzlichem Mindestlohn als Messlatte und der Finanzierung von Arbeit, die brachliegt und derzeit nicht gemacht wird. Wir könnten zum Beispiel den Erfurter Petersberg als Stiftung für Denkmalschutz und Denkmalpflege ausbauen. Warum sollten wir dort oben nicht ein Zentrum für Beschäftigung organisieren, bei dem langzeitarbeitslose Bauarbeiter endlich wieder zum Zug kommen und junge Leute in alten Gewerken ausgebildet werden. Dasselbe gilt für Gewässerpflege zweiter Ordnung. Arbeitsfelder die brachliegen, die nicht genutzt werden - warum investieren wir hier nicht in gemeinwohlorientierte Tätigkeit?

(Beifall DIE LINKE)

Wir werden immer wieder gefragt, wie Gelder eingespart oder umgeschichtet oder anders verwandt werden können. Hier möchte ich das Thema Straßenausbaubeiträge und Anschlussbeiträge ins Spiel bringen, die schon in unseren Sondierungsgesprächen strittig waren. Hier ist eine Veränderung trotz allem dringend notwendig. Wir sind weiterhin für die Überwindung der Erhebung von Beiträgen, um den Bürgern eine Entlastung zu ermöglichen

(Beifall DIE LINKE)

und gleichzeitig eine Steuerung über den Verbrauch zu erhöhen. Andererseits brauchen wir eine radikale Umplanung der Investitionsgelder, die im Moment im ländlichen Raum noch für den Abwasserbereich ausgegeben werden sollen. Hier halten wir einen Stopp der Ausgaben von wahrscheinlich deutlich über 3,5 Mrd. € für dringend geboten. Wir fordern gemeinsam mit den Bürgerinitiativen eine Änderung der Herangehensweise der Landesregierung. Es ist ein großer Fehler, ohne oder sogar gegen die Bürger das Prinzip der Beiträge weiterhin durchzusetzen und weiter auf eine verfehlte Investitionsplanung zu bauen. Bitte halten Sie ein und schauen Sie hin. Hier ist ein dringender Korrekturbedarf angesagt.

(Beifall DIE LINKE)

Zum Thema Soziales bleibt der Koalitionsvertrag vage. Man wolle die Ziele des Volksbegehrens für eine bessere Familienpolitik umsetzen, heißt es. Welche Ziele allerdings gemeint sind, wird hier nicht ausgeführt. Man hört mittlerweile vom neuen, zuständigen Staatssekretär, dass Aufgaben und Qualifikationen in den Kitas differenziert werden sollen. Für uns klingt das nach Abbau von Fachkräften; das wäre das Gegenteil von dem, was wir mit der Bürgerinitiative für eine bessere Familienpolitik erreichen wollten.

(Beifall DIE LINKE)

Wir sagen deshalb, dass deren Gesetzentwurf umgesetzt werden muss. Er ist immerhin einmal als Gesetzentwurf mithilfe der SPD entwickelt worden und steht dann in Gänze hier zur Abstimmung. Ich bitte da dann auch die SPD, den Mut zu haben, dass wir zum Schluss eine Mehrheitsentscheidung im Parlament zu diesem Gesetzentwurf bekommen. Immerhin in Ihrem Haus entschieden und vorbereitet; lassen Sie uns dann irgendwann mal mit Mut den Gesetzestext auch umsetzen. Bei der Kinderarmut, welche in Thüringen besonders ausgeprägt ist, besteht Handlungsbedarf. Wir stellen fest, dass Hartz-IV-Kinder mittlerweile in einzelnen Kitas eine besondere Problemlage auslösen, wenn wir nicht mit einem verstärkten Elternangebot und der Familienförderung einsteigen. Da sind Hinweise im Koalitionsvertrag gegeben. Hier verheißt der Koalitionsvertrag einiges; wir hoffen, dass hier zügig angepackt wird und dass das nicht zulasten der Kita-Betreuungsschlüssel gegengerechnet wird. Wir lassen uns von den Inhalten gerne überzeugen, sehen aber noch nicht, in welche Richtung es gehen soll. Für uns gehört das Soziale auch in die Familienpolitik und wir sagen, dass zur Familienpolitik ein modernes Familienbild gehört. Das ist nicht einfach die Reduktion auf die klassische Ehe mit Trauschein. Die Patchworkfamilie und unterschiedliche Familiensituationen erfordern neue Antworten. Warum deshalb das Fröbel-Institut für Familienforschung, welches einst offenkundig als konservatives Feigenblatt gedacht und von der CDU präferiert war, nun völlig abgesagt wird, bleibt das Geheimnis dieser Koalition, es sei denn, man will den faulen Kompromiss zwischen Elterngeld und Kita- Breuungsschlüssel weiter in der Schwebe halten.

Wir halten es für falsch, dass das sogenannte Elterngeld zur Betreuung zu Hause zulasten der institutionellen Förderung der Kitas geht. Diesen Zusammenhang, meine Damen und Herren von der CDU, haben Sie hergestellt. Damit tragen Sie auch die Verantwortung für die verfehlte Verfestigung dieser Förderungsinstrumente.

(Beifall DIE LINKE)

Diejenigen, die ihre Kinder in die Einrichtung bringen, werden in einen Gegensatz gestellt zu denjenigen, die ihre Kinder zu Hause erziehen wollen. Freiheit und Verantwortung der Eltern für ihre Kinder stehen auch für uns im Vordergrund. Die übergroße Mehrheit der Eltern wird dieser Verantwortung auch gerecht. Das darf aber nicht dazu führen, wegzuschauen, wenn Kinder alleingelassen werden oder sie sogar verwahrlosen. Dieses Spannungsfeld muss mit einer integrierten Familienforschung und Familienförderung durchdrungen werden. Deshalb muss auch die aktive Förderung und Hilfe der Eltern - meistens häufig alleinerziehende Mütter - stärker ausgebaut werden. Hier ist die völlig verfehlte Familienstiftung ein beredtes Beispiel für Intransparenz. Sie ist ein Argument, warum wir diese Form der Privatisierung öffentlicher Aufgaben ablehnen. Leider ist hier im Koalitionsvertrag ein halbherziger Kompromiss gemacht worden. Wir befürchten, dass am Schluss das Gegenteil rauskommt von dem, was die Bürgerinitiative erreichen wollte. Deshalb bleibt es dabei: Wir fordern, dass das Gesetz in Gänze angenommen werden muss. Wir fordern, dass die Unterschriften nicht gesammelt werden müssen, weil es vorher vom Parlament entschieden wird. Sollte dies allerdings nicht zustande kommen, wird das Volksbegehren gestartet werden müssen. Wir sind gespannt, wer alles Unterschriften mit uns zusammen sammeln wird.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang darf ich mit Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass das Volksbegehren für mehr direkte Demokratie durch die Bürger im Koalitionsvertrag nicht einmal erwähnt ist. Ich verstehe nicht, wie langjährige Mitstreiter in der Allianz der Volksbegehrensbefürworter, die SPD, nicht einmal den Blick dafür hatten, dass haushaltsrelevante Volksbegehren auf Landesebene endlich nach bayerischem Vorbild gesetzlich geregelt werden müssen. Hier hätte ein kleines Wort sehr geholfen im Interesse der Bürger, die Nachsteuerung von dem zu erreichen, was Christoph Matschie, Ralf-Uwe Beck und ich damals mit Dieter Althaus verhandelt und vereinbart hatten und dann durch das Verfassungsgericht leider kassiert wurde. Hier ist die gesetzliche Neuregelung dringend auf den Weg zu bringen.

Zum Thema Soziales, Kinder, Familie gehört auch das Thema Bildung. Da sei erwähnt, dass die CDU am gegliederten Schulsystem festhält, dass die SPD zum gegliederten Schulsystem eine weitere Schulart dazustellt und dass in dem Stammland der Reformpädagogik bei dem Menschen wie Salzmann, Fröbel, Gutsmuths, Petersen, Lietz oder Reichmann Maßstäbe gesetzt haben, nun die Mutlosigkeit um sich greift. Allein auf sie zu verweisen reicht nicht, verehrte Frau Lieberknecht. Der Thüringen-Monitor von 2007 sagt, dass zwei Drittel der Thüringer Bürger der Meinung sind, dass der Schulerfolg von der sozialen Herkunft abhängt. Die PISA-Studie 2006 zeigt auf, dass Schüler aus den sogenannten bildungsfernen Elternhäusern in Thüringen dreimal schlechtere Chancen haben, ein Gymnasium zu besuchen, als vergleichbare Schüler aus besseren sozialen Herkünften. Die Schule in Thüringen reproduziert und verstärkt sogar soziale Unterscheide. 70 Prozent der Bürger wollten laut einer Wahlumfrage vom April dieses Jahres längeres gemeinsames Lernen, und zwar aller Schülerinnen und Schüler.

(Beifall DIE LINKE)

7,3 Prozent der Schüler in Thüringen haben im letzten Schuljahr die Schule ohne Schulabschluss verlassen. Allein in den letzten sechs Schuljahren waren das 12.000 Schüler ohne Schulabschluss, die Thüringer staatliche Schulen verlassen haben. Die Handwerkskammern beklagen in diesem Monat wieder mangelnde Ausbildungsfähigkeit vieler Schulabgänger und dass trotz eines zu erwartenden Überangebots an Ausbildungsplätzen zahlreiche Schulabgänger mit keinem Ausbildungsplatz wegen schulischer oder sozialer Defizite versorgt werden können. Mit fast 7 Prozent hat Thüringen immer noch eine überdurchschnittlich hohe Förderschulquote. 53 Prozent aller Regelschulen und 76 Prozent aller Gymnasien in Thüringen haben keinerlei zusätzliches Angebot über den Unterricht hinaus, also keinerlei Ganztagsangebot. Fehlende Unterstützungsangebote für Schulen heißt, ein Schulsozialpädagoge auf zehn Schulen, heißt, ein Schulpsychologe auf 68 Schulen. Die Zwei-Klassen-Gesellschaft in Lehrerzimmern durch Ungleichbehandlung der Lehrer und Differenzierung in Angestellte, Beamte, Teilzeit und Vollzeit usw. sei nur festgestellt und erwähnt. Aus allen diesen Gründen hätten wir einen Aufbruch für längeres gemeinsames Lernen auf den Weg bringen müssen. Statt also eine Gemeinschaftsschule anzustreben, hätten wir die Trennung nach der Grundschule Klasse vier aufgeben und bis zur Klasse acht den Lernprozess organisieren müssen,

(Beifall DIE LINKE)

hätten wir die Lehrerausbildung auf die Veränderung der pädagogischen Ansätze hin neu ausrichten müssen und eine moderne und zukunftsorientierte Lehrerausbildung etablieren müssen. Thüringen hätte Vorreiter und Modell für Lehrerausbildung für ganz Deutschland werden können. Auch die Erwähnung der Ganztagsschule ist zu begrüßen, doch wir müssen sie so weiterentwickeln, dass in ihr auch eine andere Form des gemeinsamen Lernens ermöglicht wird.

Und ein Letztes: Schulspeisung ist eben nicht Armenspeisung,

(Beifall DIE LINKE)

sondern es muss eine vom sozialen Status unabhängige Regelleistung für jeden sein. Hier hätten wir den Maßstab, um mit allen Bundesländern endlich einen nationalen Bildungspakt verabreden zu können und die Forderung aufstellen zu müssen, dass in Zukunft sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung auf der ganzen Breite aller Bildungseinrichtungen ausgegeben werden muss. Dazu gehört auch ein deutliches Aufstocken der bundesweiten Bildungsausgaben für Hochschulen und Universitäten. Ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt Deutschland für Hochschulen und Universitäten aus. Das ist viel zu wenig im Verhältnis zu allen europäischen Nachbarländern. Der Bildungsstreik ist ein Alarmzeichen, bei dem wir nicht einfach nur unsere Unterstützung verbal äußern dürfen. Wir müssen dafür sorgen, dass Master- und Bachelor-Studien wieder hin zu einer wissenschaftlichen Ausbildung entwickelt werden. Das heißt aber auch studienbegleitende Grundlagen ermöglichen,

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

das heißt ausreichendes Material, das heißt Bibliotheken, das heißt technische Voraussetzungen - und dann könnten wir mit dem Stichwort "Studienstandort Thüringen" in Gänze werben, um jungen Leuten den Weg nach Thüringen zu erleichtern. Mit einem ausfinanzierten und dauerhaft abgesicherten Studentenwerk müssen wir auch Angebote entwickeln, die uns deutschlandweit attraktiv machen. Eine integrierte Studentenkarte, ein Semesterticket, mit dem sämtliche Nahverkehrsmittel in Thüringen in Gänze benutzt werden können, wären zum Beispiel ein solches Angebot. Aber auch ein preiswertes Wohnen für junge Leute, Kinderbetreuung auf dem Campus und weitere solche Beispiele ermöglichen es uns, ein Spitzenland beim Thema Bildung zu werden. In Westdeutschland muss man den Kopf nach uns drehen und über unsere ungewöhnlichen Maßnahmen staunen. So würde es gelingen, die innerdeutsche Grenze, die zum Glück nicht mehr in der Landschaft steht, aber in den Köpfen immer noch vorhanden ist, zu überwinden. Zu viele junge Menschen in Westdeutschland denken nicht über Thüringen als Studienstandort nach. Deshalb brauchen wir eine andere Sicht auf unsere Universitäten und Fachhochschulen.

(Beifall DIE LINKE)

Gemeinsam mit den Berufsakademien, den Fachhochschulen und Universitäten sollten wir den Begriff "Campus Thüringen" wieder in den Vordergrund stellen. Unsere Antwort auf die Studentenproteste muss das ehrgeizige Leitbild sein, modernstes Bildungsland sein zu wollen. Das meint Kitas, das meint Schulen, das meint Fachhochschulen, Universitäten, Berufsakademien, das meint aber auch eine Landesregierung, die sich im Bund dafür stark macht, dass im Grundgesetz nicht nur eine Schuldengrenze eingebaut und verteidigt wird, sondern dass im Grundgesetz endlich eine Bildungsindexierung von sieben Prozent festgeschrieben und aufgenommen wird. Dies würde uns im Übrigen davor schützen, dass andere Bundesländer bei der Verhandlung des Länderfinanzausgleichs das Geld wieder gegen uns anrechnen, die bei sich weniger für Kinder, Jugend und Schule ausgeben. Es muss einen nationalen Bildungspakt geben, bei dem alle zusammen neue Wege gehen. Wir müssen als Thüringer in der Tradition der großen Reformpädagogik des vergangenen Jahrhunderts Motor dieses innovativen Ansatzes sein. Um neue Ansätze umzusetzen, bedarf es nicht mehr Geld, sondern einfach nur einiges politischen Mutes, auch mit westdeutschen Denkblockaden endlich zu brechen. Ambulant und stationär habe ich erwähnt. Integriertes Lernen und längeres gemeinsames Lernen meint es ebenso wie ein einheitliches Dienstrecht im öffentlichen Dienst und einen systematischen Ausbau der Mitbestimmungsrechte für Bedienstete und alle Bürgerinnen und Bürger. Worauf Thüringen aus eigener Kraft gar keinen Einfluss hat, was aber alles beeinflusst, ist die Frage der Steuereinnahmen. Hier im Koalitionsvertrag einfach zu sagen, dass Steuersenkungen der schwarz-gelben Koalition im Bundesrat mit Nein beantwortet werden, wenn sie den Landeshaushalt Thüringen betreffen, ist viel zu wenig. Dann kommen Mehrheiten ohne uns zustande und der Wettbewerbsföderalismus schlägt zu. Schon die Schuldenbremse ist in ihrer Systematik ein Instrument der starken Südstaaten Bayern, Baden-Württemberg und Hessen gegen die armen Nordstaaten. Hier haben die ostdeutschen Länder leider nicht mit einer Stimme gesprochen. Jetzt kommt der Bumerang, denn die Schuldenbremse sieht für die Bundeshaushalte eine großzügigere Regelung vor als für die Landeshaushalte. Das Ergebnis ist, dass die wirtschaftlich Stärkeren besser mit Steuersenkungen klarkommen und die wirtschaftlich Schwächeren systematisch damit in die Verarmung getrieben werden. Deshalb fordern wir auch von der Landesregierung, dass gegen die Steuersenkung mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht erzwungen wird, dass der Bundeshaushalt das ausgleicht, was er an Steuergeschenken, an Einnahmeverlusten produziert. Die Steuergeschenke der einen bedeuten die Verarmung der öffentlichen Haushalte bei den anderen. Dagegen müssen wir uns aktiv zur Wehr setzen und daran werden Sie sich messen lassen müssen.

(Beifall DIE LINKE)

Diese Form der Steuergeschenke ist die Umverteilung mithilfe des Staates von unten nach oben und es ist Abbau an Standards, der das Zusammenleben in einem sozialen Rechtsstaat weiter zerstört. Dazu sagen wir deutlich Nein. Ihre Antwort ist uns dazu zu halbherzig.

(Beifall DIE LINKE)

Verwundert sind wir allerdings, dass im Bund jahrelang von CDU und FDP verkündet wurde, Steuersenkungen auf Pump seien unverantwortlich. Das sei ein Vergehen an der nächsten Generation. Jetzt gibt es Steuersenkungen auf Pump, dazu kann ein Nein im Bundesrat nicht die adäquate Antwort sein. Hier heißt es, mit einer Klage in Karlsruhe gegenzusteuern, und dann müssen die Verfassungsrichter entscheiden, wie der Eingriff in die Haushaltsrechte der Länder endlich wirksam gestoppt wird. Am Schluss wären wir nur noch nachgeordnete Dienststelle und da, liebe Frau Lieberknecht, haben Sie sich schon mit Ihrem Engagement am Lübecker Konvent gegen die Entmachtung der Länderparlamente aktiv zur Wehr gesetzt. Wir nehmen Sie jetzt ernst und fordern den Mut für unser Land, gemeinsam in Karlsruhe dazu Maßstäbe zu erzwingen.

Ausdrücklich schließen will ich mit dem Verweis, dass Geld ausgeben kein Selbstzweck ist und deshalb jede Verwaltungsmaßnahme und jeder Haushaltsposten auf den Prüfstand gehört. Dies werden wir gern aktiv begleiten, aber dies macht nur Sinn, wenn die Haushaltskonsolidierung über die Einnahmenseite ebenso gestärkt wird. Hier vermissen wir eindeutige und klare Antworten. Ich finde es erstaunlich, dass nun selbst Frau Merkel von der Börsenumsatzsteuer geredet hat.

(Zwischenruf Matschie, Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur: Das finde ich auch erstaunlich.)

Jetzt käme es darauf an, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Börsenumsatzsteuer, Kapitalertragsteuer direkt unter die Lupe zu nehmen und einen Ausbau der Steuerquote über Steuergerechtigkeit herzustellen. Warum sollten die am Finanzmarkt Beteiligten nicht mit einer entsprechenden Abgabe belegt werden? Hier hat die SPD interessante Festlegungen in der Bundesprogrammatik getroffen. Dann lassen Sie uns nicht nur über einen verzögerten Haushalt und die Haushaltslöcher durch die Wirtschaftskrise reden, sondern lassen Sie uns aktiv für mehr Steuereinnahmen werben, damit diejenigen, die bislang in der Krise und an der Krise verdient haben, auch an der Finanzierung des Sozialstaats endlich nachdrücklich beteiligt werden.

(Beifall DIE LINKE)

Aus all diesen Gründen, meine Damen und Herren, sagen wir unsere Zusammenarbeit in dieser Richtung ausdrücklich zu. Wir stellen aber fest, dass die Koalition geprägt ist durch ein gewisses Maß an Mutlosigkeit, wenn es um große Reformansätze für die nächsten Jahre und Jahrzehnte geht. Wir stellen fest, dass der Koalitionsvertrag bei den Themen Kultur, Bildung, Verwaltungsmodernisierung und Energie nicht den großen Wurf darstellt. Er enthält kleine Ansätze, viele Vorbehaltsprüfungen und noch mehr Floskeln. Er atmet auch den Stillstand einer Partei, die 19 Jahre mit ihrem Personal konservativ und teilweise rückwärts gewandt ideologisch verbrämt den Stillstand in Thüringen zu verantworten hat.

(Beifall DIE LINKE)

Deshalb können wir nicht begeistert auf die Bänke klopfen und Ihnen zurufen, dass dies ein großer Wurf sei.

Wir stellen fest, dass im 40. Jahr der Rede von Willy Brandt im Deutschen Bundestag, bei der er den zentralen Satz formuliert hat: "Wir wollen mehr Demokratie wagen.", die Thüringer Landesregierung diesen Weg wohl nicht gehen will. Wir hätten uns einen Aufbruch in mehr Demokratie und in mehr Politik gewünscht. Das wäre der Ansatz, für den wir standen und stehen. Er dient uns als Kompass, mit dem wir Sie begleiten und wenn es sein muss, unterstützen, aber auch da, wo es nötig ist, deutlich kritisieren werden. Auf den neuen Stil im Landtag würden wir uns freuen, ob daraus ein neuer Inhalt entsteht bleibt abzuwarten. Erkennen können wir den neuen Stil und Inhalt jedenfalls im Nebel der allgemeinen Worte zurzeit noch nicht; wir warten auf die Taten. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE)

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