Praxisintegrierte vergütete Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher sichern

Daniel Reinhardt

Zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/154

 

Thüringen zwischen Beitragsfreiheit und Qualität im Kindergarten – gebt PiA eine Stimme.

Sehr geehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, werte Kolleginnen Erzieherinnen und Erzieher, liebe Auszubildende, PiA ist nicht etwa der Name eines ungeliebten Kindes, sondern eine sinnvolle Maßnahme zur Sicherung von Fachkräften im Bereich der Erzieherausbildung

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

und hat den besonderen Charme, eine vergütete Ausbildung zu sein. Dass es PiA heute in Thüringen als Modellprojekt gibt, hat eine ganz klare Ursache. Wie an vielen Stellen in der Arbeitswelt gibt es auch in der Sozialwirtschaft und insbesondere in der institutionellen frühkindlichen Bildung einen deutlichen Fachkräftemangel. Dieser wird zunehmend als schwerwiegendes Problem wahrgenommen. Fachkräftemangel im Kindergarten erzeugt Stress und behindert gleichermaßen die Qualitätsentwicklung im Kindergarten und den Ausbau der Kapazitäten da, wo sie gebraucht werden. Einfach ausgedrückt: Thüringen fehlen Erzieher.

 

Wenn das Land Thüringen die begrüßenswerte hohe Nachfrage an Kindergartenplätzen auch zukünftig erfüllen will, wenn das Land Thüringen auch zukünftig Qualitätsentwicklung in Kindergärten erreichen möchte, dann müssen wir auch weiterhin aktiv sein. Zu wenige Fachkräfte bedeuten, dass wir eine weitere Verbesserung im Personalschlüssel nicht umsetzen können. Am Rande erwähnt: Im Krippenbereich haben wir da sowieso noch Aufholbedarf.

 

Zu wenige Fachkräfte im Kindergarten, im Hort oder im Heimbetrieb bedeuten nicht nur einen Qualitätsverlust, sondern eben auch, dass die Kolleginnen vor Ort durch Mehrbelastung eben durch nicht besetzte Stellen, Krankheitsausfälle oder Wechsel der Arbeitsstätten betroffen sind. Aus eigener Erfahrung als Leiter einer Kita kann ich Ihnen sagen: Die Erzieherinnen werden dem eigenen Anspruch an die Arbeit mit dem Kind nicht mehr gerecht und das macht höchst unzufrieden – ich kenne das persönlich aus meiner eigenen Arbeit auch – eben genau aus dem Grund, weil immer mehr Kinder bedeuten, dass sie immer weniger individuell arbeiten können oder eben Krankheitsausfälle genau das zur Folge haben. Im schlimmsten Fall führt das sogar dazu, dass wir in Thüringen die dringend benötigten Kindergartenplätze nicht mehr besetzen können.

Wir machen und werden uns also Gedanken machen, welche Folgen es hat, zu wenige Fachkräfte in diesem Bereich zu haben. Wir machen uns Gedanken, wie wir neue Fachkräfte ausbilden können und welche Gründe außer dem des demografischen Wandels es hat, dass der Beruf des Erziehers unattraktiv ist, dass sich eben zu wenig junge Menschen für einen solchen Beruf entscheiden. Wir im Freistaat Thüringen benötigen neue Wege, um qualifiziertes Personal zu gewinnen, und hier liegt die Betonung tatsächlich auf „neuem“ Personal.

 

Das Fachkräfteproblem im Kindergartenbereich ist nicht nur ein Problem, das Thüringen hat, wir haben es in der gesamten Bundesrepublik. Gerade deshalb ist es wichtig und richtig, dass die Bundesregierung eben genau diesen Fachkräftemangel als ein gravierendes Problem erkannt hat und – man höre und staune – gehandelt hat. Die Bundesfamilienministerin Franziska Giffey hat am 18. Dezember 2018 das Bundesprogram „Fachkräfteoffensive Erzieherinnen/Erzieher“ vorgestellt. Ziel der Initiative ist es ausdrücklich, mehr Fachkräfte für den Beruf des Erziehers/der Erzieherin zu gewinnen und diese im Beruf zu halten. Geplant ist oder war es, von 2019 bis 2022 insgesamt 300 Millionen Euro als Impuls für die Länder und damit den Einrichtungen vor Ort zur Verfügung zu stellen – im Übrigen zusätzlich zu den 5,5 Milliarden Euro aus dem Gute-KiTa-Gesetz, die unter anderem dafür eingesetzt wurden, um den Fachkräfte-Kind-Schlüssel zu verbessern, bedarfsgerechte Öffnungszeiten einzuführen oder aber die sprachliche Bildung in Kitas zu verbessern. Das Land Thüringen hat, so wie auch andere Bundesländer, das Geld genutzt, um eben den Aufbau und Ausbau einer neuen praxisintegrierten Form der Erzieher/-innen-Ausbildung zu nutzen. Wir als die Fraktion Die Linke stehen zu 100 Prozent hinter dem Projekt PiA.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Wie bei fast allen Berufen, die von Frauen ausgeübt werden, wird auch hier der Job der Erzieher/ in schlecht bezahlt und auch die Ausbildung gleich gar nicht. PiA bedeutet aber in diesem Fall, dass die Ausbildung zur Erzieher/-in attraktiver werden kann. Wer nicht die Energie hat – so wie ich –, neben zwei Jahren Sozialassistenten, drei Jahren Erzieher, einem anschließenden Studium zum Sozialpädagogen, wer nicht auch wie ich noch zusätzlich die Energie hat, einen Nebenjob zu machen und ehrenamtlich arbeiten zu gehen und dann auch noch das Pech hat, kein BAföG beantragen zu können, so wie es mir passiert ist, weil eben die Eltern angeblich zu viel verdienen, der wird sich wahrscheinlich nicht für diesen Beruf engagieren und eintreten können, weil es ihm schlichtweg nicht möglich ist. Oder die Person wird einen anderen Ausbildungsweg gehen, weil sie nicht die Energie und die Kraft und die Zeit hat.

 

Zwei Jahre einschlägige Berufsausbildung, drei Jahre Erzieher/ innen-Ausbildung, das bedeutet fünf Jahre ohne eigenes Einkommen. Und das in einem Alter, in dem man gerade sehr gern unabhängig sein möchte, 16 und 18. Ich bin mit 18 ausgezogen, ich denke, viele andere Menschen machen das auch so und es wird eindeutig erschwert.

Die Ausbildung der Erzieher/ innen wird hier an ihrer Attraktivität sehr vermindert, schwächelt. Für Menschen, die insbesondere schon über ein eigenes Einkommen verfügt haben, die eine Familie haben, für die ist es besonders schwierig. Und gerade hier bietet PiA die Möglichkeit, in der Ausbildung – weil man eben sein kleines Einkommen erhalten kann – attraktiver zu werden. Genau das ist die Schnittstelle, wo wir erwarten, dass es neue Fachkräfte für den Erzieher/ innenberuf gibt.

 

PiA schafft es – und das zeigen die Erfahrungen nicht nur aus anderen Bundesländern –, Menschen in den Erzieherberuf zu holen, die sich sonst nicht dafür entscheiden würden oder die den traditionellen Weg nicht gehen können oder wollen. Die Ausbildungsform ist also nicht nur ein einfacher Ersatz oder eine Variante, sondern sie hat tatsächlich den Charme, sie hat tatsächlich die Möglichkeit, da steckt Potenzial drin, dass ein Zuwachs an Fachkräften gewonnen werden kann.

Zudem ist der Charakter von PiA, also die duale Ausbildung, ebenfalls interessant. Es bindet die Ausbildung im Erzieherberuf an einen Vertrag mit einer konkreten Ausbildungsstätte, garantiert ein Ausbildungsentgelt und gestaltet in der Zusammenarbeit mit der theoretischen Ausbildung der Berufsschule und einem freien Träger ein praxisnahes Curriculum.

Ich bin im Übrigen der Auffassung, dass grundsätzlich alle sozialen und pflegerischen Berufe in der Ausbildung vergütet werden sollten.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Nicht nur, um sie attraktiver zu machen, sondern auch, um die Wertschätzung der Berufsstände zu steigern. Wenn möglich, gern sachgerecht im Rahmen einer dualen oder praxisintegrierten Ausbildung.

Nach der Frage, wie wir zu gut ausgebildeten Fachkräften kommen, erhebt sich die Frage nach der Bindung der so teuer ausgebildeten Fachkräfte. Und auch hier sehen wir PiA als einen guten Ansatz. Durch die frühzeitige Kooperation mit dem Träger, mit dem künftigen Arbeitsort steigt doch potenzial die Wahrscheinlichkeit, dass die ausgebildete Fachkraft bei der Kita, beim Kindergarten, beim Träger bleibt und die frisch ausgebildeten Fachkräfte nicht ins benachbarte Bundesland – nach Bayern zum Beispiel – abwandern, weil sie dort besser bezahlt werden.

 

Alles gut, werden Sie nun sagen, liebe Abgeordnete, wozu denn nun dann dieser Antrag? Ja, meine Damen und Herren, wie so oft ist es eine Frage des Geldes und ob es uns das wert ist, in diesen Bereich Geld zu investieren. Das Bundesprogramm „Fachkräfteoffensive“, das ich vorhin kurz dargestellt habe, stellt gemeinsam mit der Kofinanzierung des Landes eben den finanziellen Boden dar, auf dem bisher PiA-Ausbildung in Thüringen aufgebaut war und ist. Bei der Verabschiedung des Bundesprogramms sagte Frau Giffey: „Die Investitionen in qualitativ gute Kinderbetreuung sind Investitionen in die Fachkräfte selbst, in die Chancen der Kinder und in den Zusammenhalt in der Gesellschaft insgesamt. Gemeinsam müssen wir jetzt dafür sorgen, Verbesserungen zu erreichen.“

 

Gerade weil man der Bundesministerin voll zustimmen muss, kann und will, ist es umso fraglicher, umso unverständlicher, wie es geschehen konnte, dass die Finanzierung nur eines einzigen Jahrganges realisiert werden konnte: 2019/2020. Im Rahmen des Bundesprogramms jetzt im Dezember 2019 wurde mitgeteilt, dass der Bund im neuen Ausbildungsjahr 2020/2021 keine finanziellen Mittel wie vorher gesagt zur Verfügung stellt. Und für das Jahr darauf – also 2021 – wird es vielleicht in Aussicht gestellt. So dankbar, wie ich der Bundesregierung dafür bin, dass sie überhaupt auf dem Feld der Erzieher/-innen-Ausbildung aktiv geworden sind, meine Damen und Herren, muss ich schon sagen, das ist ein ganz schönes Theater, was die Bundesregierung hier abgibt.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

In dem einen Jahr gibt es Geld für die Fachkräfteoffensive, in dem anderen Jahr nicht und im dritten Jahr: vielleicht, mal sehen. Ich will es mal im politischen Sprech sagen: Es kann nicht die Auswirkung, in keinster Weise die Folge eines haushalterischen Engpasses der Bundesregierung sein. Der Bund hat zurzeit sehr viel Geld und kann sich nicht über Einnahmequellen beklagen.

 

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD, der CDU, ich bitte Sie herzlich, setzen Sie sich bei Ihren Abgeordneten dafür ein, dass zumindest 2021 das Geld wieder fließen wird. Setzen Sie sich dafür ein, dass, wenn einmal begonnene Fachkräfteoffensiven/Ausbildungen begonnen werden, diese auch zu Ende durchfinanziert werden. Setzen Sie sich dafür ein, dass, wenn der Sinn dieser Offensive erfüllt worden ist, erst dann die Finanzierung ausläuft.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe im letzten Jahr im Dezember eine unserer PiA-Klassen in Thüringen besucht und hatte dabei interessante Gespräche. Es ist für mich sehr deutlich gewesen in der Praxis, dass tatsächlich zusätzliche Fachkräfte in dem Beruf der Erzieher/ innen kommen. Quereinsteiger/ innen von der Abiturientin von einem anderen Bundesland bis hin zu einem studierten Migranten, eine Friseurin oder ein Zivildienstleistender saßen in der Klasse. Für uns als Linke ist es keine Frage, ob das Programm fortgesetzt werden muss – wir brauchen es. Wir müssen aber gleichzeitig darüber sprechen, welche Bedingungen wir verändern müssen, dass diese Ausbildung besser wird, dass die Ergebnisse, die erreicht werden und bei der Auswertung gegebenenfalls zu einer Regelfinanzierung führen können, genau evaluiert werden. Bisher gibt es lange vor Beginn des zweiten Ausbildungsganges über 400 Interessenten, die sich auf nur 60 Plätze bewerben können. Das zeigt für unsere Begriffe, dass wir in Thüringen mit dem Modell „PiA“ auf dem richtigen Weg sind.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Wie überall gibt es Vorzüge bei der PiA-Ausbildung im Vergleich zur traditionellen Erzieher/ innen-Ausbildung, aber auch Nachteile. Beispielsweise ist für die Auszubildenden ein großer Nachteil, dass sie keine Ferien haben, also sechs Wochen Sommerferien, Winterferien usw., sondern eben nur 30 Tage Urlaub; und nicht mal das ist bei allen Trägern dann gleich. Es gibt im Übrigen nur – wir reden hier von Entgelt, das klingt immer so toll – 1.100 Euro brutto, und das für Menschen, die eine doppelte Belastung haben. Sie haben nicht nur die Belastung, sich theoretisch Wissen anzueignen, sondern sie müssen auch in der Praxis arbeiten, müssen mit dem Stress, der auch vor Ort ist, klarkommen. Und sie haben, weil die Berufsschulen eben jetzt nicht alle das anbieten, die Mobilitätsfrage. Sie müssen also nicht nur in ihre Berufsschule kommen, sondern sie müssen auch zum Einsatzort kommen – und da liegen einige Kilometer dazwischen. Die Mobilitätsfrage in Thüringen – das wissen Sie – ist auch eine Geldfrage. Ich sage es noch mal: Die Auszubildenden haben 1.100 Euro brutto dafür. Aktuell fehlt zudem die Möglichkeit, wenn man diese PiA-Ausbildung machen möchte, das Meister-BAföG zu beantragen. In anderen normal dual ausgebildeten Berufen ist es möglich, aber aufgrund bundesgesetzlicher Regelungen eben hier nicht. Es fehlen Praxisanleiterinnen, Mentorinnen, die mit den PiA-Auszubildenden sprechen können und aus der Praxis. Es fehlt ganz einfach die Zeit für gemeinsame Reflexionsgespräche. Genau diese Reflexionsgespräche sind für die Qualität der neuen Fachkräfte wichtig.

 

Ein weiteres Problem sind die späten Zusagen, sowohl an Träger als auch an die Auszubildenden, nämlich erst im Juni. Die anderen werden schon im März darüber informiert, ob sie die Ausbildungsstelle bekommen. Oder auch die Hürde der Zulassung – wir brauchen also 480 Stunden aus der Praxis, um die PiA-Ausbildung zu machen. Wir brauchen einen geeigneten Träger. Für Thüringen wäre es auch noch charmant, wenn die Ausbildungsstellen PiA auf alle Träger in Thüringen gleich aufgeteilt wären.

Wenn wir heute der Verweisung – so habe ich es vernommen – an den Bildungs-, Jugend- und Sportausschuss zustimmen, meine Damen und Herren, sichern wir den eben gerade begonnenen und noch etwas wackligen Weg, in Thüringen im Rahmen eines Noch-Modellprojekts praxisintegriert auszubilden. Etliche Fragen sind natürlich noch zu lösen, zu verbessern und umzusetzen. Aber das geht eben nur, wenn wir als Land Thüringen Verantwortung übernehmen. Das geht nur, wenn wir diesen Ausbildungsweg finanzieren wollen.

 

Werte Kolleginnen und Kollegen der CDU – zumindest die, die noch da sind –, in Ihrem Forderungskatalog, den Sie vor Kurzem an die Landesregierung oder auch an die Koalition gestellt haben, heißt es, Sie wollen eine verantwortliche Politik für eine gute Zukunft machen. In Ihrem zweiten Punkt sprechen Sie davon und sprechen sich dafür aus, dass Sie die Qualität in Kindergärten ausbauen wollen, unter anderem durch Kooperation. PiA ermöglicht genau das – Kooperation. PiA ermöglicht genau das – Fachkräfte auszubilden durch Kooperation. Kooperation mit der Berufsschule, Kooperation mit dem Träger.

 

In Punkt 12 fordern Sie sogar den Abbau des Fachkräftemangels – und auch das schafft PiA – eben dadurch, dass wir neue Erzieherinnen gewinnen. Ich bitte also darum, dass Sie der Ausschussüberweisung zustimmen. Es ist im Sinne Thüringens, im Sinne der Qualität in unseren Kindergärten, auch im Sinne der Fachkräftegewinnung, wenn wir heute zustimmen. Vielen Dank.

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