Politische Bildungsarbeit an Thüringer Schulen konsequent am Beutelsbacher Konsens ausrichten

Zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 5/4357

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Besucher und Besucherinnen hier im Landtag, die Debatte, die wir gerade führen, dreht sich darum, dass in Erfurt an einem Gymnasium eine Ausstellung des Verfassungsschutzes gezeigt wurde, die sich mit Feinden der Demokratie befasste. Meine Kollegin Astrid Rothe-Beinlich hat gerade schon dargestellt, dass die Ausstellung inhaltlich Fehler enthielt, und hat auch dargestellt, dass es in der Schule von Schülern u.a. Proteste dagegen gab. Herr Barth hat vorhin gemeint, dass es nicht nur Proteste von Schülern gegeben hätte, sondern auch von weiteren Personen und hat da


(Zwischenruf Abg. Barth, FDP: Vorwiegend, überwiegend habe ich gesagt.)


- danke schön - unter Anderem auf Sandro Witt verwiesen. Es ist natürlich sehr einfach, zu versuchen, Herrn Witts Engagement zu diskreditieren. Ich möchte darauf hinweisen, dass Herr Witt für den Landesjugendring im Landesjugendhilfeausschuss sitzt und meines Wissens nach auch in dieser Funktion und Position versucht, gegen - ich nenne es einmal - gewisse Informationsbestrebungen des Verfassungsschutzes vorzugehen. Das hier so einseitig darzustellen, wie Sie das gemacht haben, halte ich für verfälschend, aber das ist ja auch nichts Neues.


Unser Alternativantrag bezieht sich darauf, dass wir sagen, der Verfassungsschutz, aber auch die Bundeswehr haben nichts an Schule zu suchen. Das hat mehrere Gründe. Die Bundeswehr führt seit mehreren Jahren mit sogenannten Jugendoffizieren - zurzeit sind das ca. 100 - Informationsveranstaltungen an der Schule durch. Um einmal darzustellen, was das in der Konsequenz dann auch an Kosten bedeutet, weil es der Bundeswehr natürlich darum geht, junge Menschen für den Beruf Soldatendasein zu rekrutieren, möchte mal die Zahlen ab 1998 zumindest ganz kurz darstellen. Und zwar wurden im Jahr 1998 für die Nachwuchswerbung, so heißt das offiziell bei der Bundeswehr, 9,2 Mio. € ausgegeben, nur für die Werbung. Im Jahr 2008 sind wir dann schon bei 10,3 Mio. €, jetzt, nachdem die Wehrpflicht ausgesetzt ist, sieht auch die Bundeswehr und natürlich auch die zuständigen Ministerien einen erhöhten Finanzbedarf. Für 2012 sind für die Nachwuchswerbung, nur für die Werbung 29 Mio. € veranschlagt worden. Die Bundeswehr begründet das, bzw. der Gesetzentwurf der Bundesregierung damals begründet das damit, dass ein Mehr an Intensivierung nötig ist von Werbemaßnahmen, da eben die Aussetzung der Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienste stattgefunden habe. Damit ist natürlich zumindest für mich logisch, worum es geht; wenn diese Jugendoffiziere in die Schule gehen, geht es eben nicht darum, eine kritische, eine diskursive, eine wie auch immer geartete Diskussion zum Thema Kriegseinsätze, zum Thema Bundwehr und Ähnlichem mehr zu führen, sondern es geht darum, junge Leute für den Dienst an der Waffe zu rekrutieren.


(Beifall Abg. Bärwolff, DIE LINKE)


Da möchte ich verweisen auf ein sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, also wieder ein Institut, was von denen, die ich gerade kritisiere, finanziert wird. Die haben nämlich eine Studie durchgeführt und haben versucht, zu ergründen, warum denn Personen zur Bundeswehr gehen. Dieses sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr, dass in Nina Leonhard und anderen veröffentlich wurde, kommt zu dem Schluss: „Wer berufliche Alternativen hat, geht nicht zur Bundeswehr. Wer über ausreichende berufliche Chancen verfügt, zieht die Möglichkeit, Soldat der Bundeswehr zu werden, gar nicht in Betracht.“ Ich glaube, das sollten wir im Hinterkopf haben, wenn wir darüber sprechen, dass mehr als 100 Jugendoffiziere, die übrigens mindestens den Auftrag haben, pro Person 80 solcher Informationsveranstaltungen im Jahr durchzuführen, hier auch in Thüringen an die Schulen gehen. Es geht eben nicht um eine kritische, um eine im weitesten Sinne demokratische Debatte, sondern es geht darum, junge Menschen für den Kriegsdienst zu rekrutieren. Und das kritisieren wir, da sagen wir ganz klar, dass wollen wir nicht mehr haben.


(Beifall DIE LINKE)


Übrigens habe ich mich mit Schülern u.a. aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt verständigt; wenn diese Jugendoffiziere in die Schule kommen, gibt es keine Diskussion. Wenn diese Jugendoffiziere in die Schule kommen, wird von diesen nicht kritisch dargestellt, was die Bundeswehr in Konsequenz bedeuten kann. Da frage ich mich schon, ob es nicht auch einen Auftrag gibt seitens des Kultusministeriums, da zumindest in der Form einzuwirken, dass der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zumindest in der Form erfüllt wird, dass jemand vor Ort ist, der das ganze kritisch begleitet.

Jetzt zum Verfassungsschutz: Wir möchten ja auch den Verfassungsschutz nicht mehr an den Schulen haben. Auch das hat mehrere Gründe. Zum einen ist es für mich ein Stück weit unlogisch, dass sowohl Herr Fiedler als auch Herr Gentzel


(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich bin da.)


- danke, Herr Fiedler ist da, Herr Gentzel hört mich vielleicht draußen - gestern in der Debatte erklärten, dass sie der Spitze des Verfassungsschutzes ihr Vertrauen entziehen und dass das Gründe hat, die nicht erst in den letzten Monaten liegen, sondern die eigentlich seit Jahren offensichtlich sind, allerdings jetzt erst öffentlich wurden. Wenn ich auf der einen Seite der Spitze des Verfassungsschutzes meine Zustimmung, mein Vertrauen entziehe, frage ich mich, wie ich auf der anderen Seite diese mir nicht mehr vertrauten Institutionen in Schulen schicken kann und wie ich das verantwortungsvoll machen kann. Das zumindest bezweifele ich. Für mich ist das auch ein Stück weit unlogisch, auf der einen Seite so zu argumentieren und auf der anderen Seite heute das abzulehnen.


Frau Astrid Rothe-Beinlich hat schon darauf hingewiesen und genauso Kollege Metz - der sitzt hinter mir -, dass der Verfassungsschutz eine sehr einseitige Definition von Extremismus mit sich bringt und natürlich auch versucht, diese Definition - sei es in seinen Informationsveranstaltungen oder auch in der Ausstellung - an die Schülerinnen/Schüler rüberzugeben. Jede und jeder, der sich mit Rechtsextremismus ausführlicher und fundierter beschäftigt, weiß, dass man das eigentlich auch mit der sogenannten - ich nenne es jetzt mal - extremistischen Mitte machen muss, dass man dort beginnen muss. Um es auf den Punkt zu bringen, es gibt in Thüringen eine Studie, den sogenannten Thüringen-Monitor, der jährlich im Auftrag der Landesregierung erhebt, wie sind denn die Einstellungen der Thüringer Bevölkerung. Der kommt zu dem Ergebnis, dass 11 Prozent der Thüringer antisemitisch sind, 19 Prozent verharmlosen das NS-Regime und immerhin 56 Prozent haben fremdenfeindliche Einstellungen. Der Verfassungsschutz thematisiert solche Einstellungen in und aus der Mitte der Gesellschaft überhaupt nicht, insofern ist er schon allein von seiner sachlich fachlichen Ausrichtung her überhaupt nicht in der Lage, im Sinne einer Bildung - diesen Auftrag hat ja er zum Glück nicht - Informationen insbesondere an Jugendliche und junge Erwachsene zu geben. Übrigens stimmt dieser Aussage auch der Geschäftsführer des Vereins „Schule ohne Rassismus - Schule für Courage“ zu, der ebenso die Ausstellung des Verfassungsschutzes kritisiert.


Zuletzt: Sie sprachen davon - ich glaube, Herr Emde war es, nein, Herr Barth war es -, dass der Verfassungsschutz demokratisch kontrolliert wäre - oder vielleicht sogar Minister Matschie, ich weiß nicht mehr genau, von wem die Aussage war - und von daher er eine Berechtigung hätte, an Schulen oder auch woanders Informationsveranstaltungen durchzuführen. Wissen Sie, wenn es eine solche demokratische Kontrolle geben würde, dann frage ich mich, was wir gestern hier debattiert haben, dann frage ich mich, warum die Koalitionsfraktionen einen Änderungsantrag zum Verfassungsschutzgesetz vorgelegt haben, in dem sie genau diese demokratische Kontrolle versuchen wenigstens ansatzweise wiederherzustellen oder auch zu verbessern.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für mich ist das alles ein Stück weit unglaubwürdig. Ich habe jetzt gehört, dass Sie den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur überweisen wollen. Ich beantrage, unseren auch dorthin zu überweisen, weiß allerdings schon, dass es eine Koalitionsvorabstimmung gibt, dass unser Antrag direkt abgelehnt wird, hoffe, dass Sie vielleicht noch nach der Debatte jetzt das Ganze etwas anders beurteilen. Vielleicht versuchen Sie auch ein Stück weit Meinungsumfragen mit einzubeziehen. Circa 70 Prozent der Deutschen sind derzeit - das ist eine Umfrage der ARD - gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr. Ich unterstelle, dass eine Mehrheit dieser 70 Prozent auch ein Problem damit hat, dass Jugendoffiziere an Thüringer Schulen oder überhaupt an Schulen Werbung für eben diese Kriegseinsätze machen.


In Thüringen mehrt sich die Kritik am Verfassungsschutz. Übrigens sind wir nicht die einzigen, die den Verfassungsschutz abschaffen wollen. Der SPD-Kreisverband Erfurt hatte das einstimmig auch beschlossen. Vielleicht ist das für Sie ein Argument, zu überlegen, ob Sie nicht zumindest im Ausschuss auch über unseren Antrag diskutieren wollen. Danke schön.


(Beifall DIE LINKE)


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