Öffentliche Debatte zum Entwurf des Thüringer Bildungsplans für Kinder bis 18 Jahre

Zum Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 6/1052


Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte! Herr Tischner, das Einzige, was uns hier eint in der Diskussion, ist offensichtlich die Höhe des Podiums. Das muss ich hier nicht verstellen. Ansonsten muss ich hier vieles, glaube ich, geraderücken.


(Beifall DIE LINKE)


Sie sprachen eben von einer Nacht-und-Nebel-Aktion des Ministeriums. Ich frage Sie einmal: Meinen Sie das denn wirklich ernst?


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Ja!)


In einem Prozess, der von namhaften Bildungswissenschaftlern, der von Praktikern, von der Landeselternvertretung, von der Landesschülervertretung seit mittlerweile mehr als vier Jahren intensiv beraten und getragen wird


(Zwischenruf Abg. Rothe-Beinlich, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wer hat da regiert?)


– genau: Wer hat da regiert? –, der nun seinen Abschluss findet in der Vorlage eines Entwurfs, aus dem Sie zitieren, was Sie aber erst einmal vorgestellt wissen wollen über Ihren Antrag, kann ich allen Ernstes keine Nacht- und Nebelaktion erkennen.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das ist aber so!)


Das ist die Kontinuität, die Sie ja hier auch eingefordert haben in der Bildungsentwicklung in Thüringen. Und es ist eine Schande, dass Sie Bildungswissenschaftler, dass Sie Praktiker, dass Sie die Eltern- und Schülervertreter hier so in Bausch und Bogen drücken und sagen: „Ihr könnt es nicht, ich weiß es besser.“ Herr Tischner, legen Sie Ihr Novizentum ab und kommen Sie endlich hier in der Realität an!


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sprechen, Herr Tischner, von einer Sexualisierung im Bildungsplan. Nun weiß ich ja, dass die CDU es mit meiner Gewerkschaft – mit der GEW – nicht so hat. Deswegen zitiere ich gern meinen Kollegen vom tlv, mit dem ich mich neulich unterhalten habe.


(Unruhe CDU)


Ich habe ihn darauf angesprochen, inwiefern der tlv tatsächlich eine grundlegende Bildung und eine neutrale Ausrichtung in der Bildung und Erziehung im Sexualbereich wünscht. Da hat er gesagt, das ist überhaupt nicht die Frage. Das war ein Grundschullehrer, ein Grundschulleiter. Das ist überhaupt nicht die Frage, sagt er, denn das ist mitten in unseren Schulen. Wenn wir das nicht aufgreifen, wozu wir im Übrigen auch verpflichtet sind, dann tun wir weder den Schulen und schon gar nicht den Schülern und Schülerinnen in ihrer Entwicklung einen Gefallen.


(Unruhe CDU)


Wenn wir nicht aufklären, wenn wir sie nicht begleiten auf ihrem Lebensweg, dann versündigen wir uns. Und dann können Sie Ihre ideologische Keule gern stecken lassen.


Liebe Kolleginnen und Kollegen, heute kommt also dieser Antrag der CDU in einer gewissen Ergänzung von einer Fraktion rechts von Ihnen zur Aussprache. Sie beantragen darin die Berichterstattung im Ausschuss und die Evaluation des Bildungsplans 0 bis 10. Wir haben uns – das hatten Sie ja schon gesagt – mittlerweile in zwei Ausschusssitzungen, im Juni und September 2015, mit diesem Thema beschäftigt. Nun kann die CDU diese Berichte …


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Sie wissen schon, was der Unterschied zwischen zehn und 18 ist?)


Sie können durchaus ans Mikro treten, Herr Tischner.


Nun kann die CDU diese Berichterstattung durchaus noch als ergänzungsfähig ansehen. Das könnte ich mir sogar vorstellen. Aber Sie wollen mehr, Sie wollen eine Evaluierung. Werte Kolleginnen und Kollegen, da erlauben Sie mir, dass ich Sie frage: Mit welcher Zielsetzung – das steht nämlich gar nicht drin – wollen Sie denn die Evaluierung? Was ist denn angebracht? Wollen Sie die Evaluierung über die Länder? Da sage ich: Was wollen Sie denn evaluieren? Der Bildungsplan gilt nur in Thüringen! Wollen Sie den in Thüringen anhand der Kompetenzen, die da drin stehen? Da sage ich Ihnen: Ja, das können Sie ja gern machen. Nur müssen Sie da auch die entsprechende Zeit lassen. Sie müssen natürlich auch den Bildungsplan erst mal wirken lassen über die entsprechende Schullaufbahn hinaus bzw. bis zum Ende der Schullaufbahn und dann können Sie vergleichen. Das greift also nicht.


Ihre zweite Forderung richtet sich darauf, dass die Landesregierung den neuen Bildungsplan 0 bis 18 veröffentlicht, und zwar bis zum 31. Oktober.


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Haben Sie das eigentlich mal gelesen?)


Heute haben wir den 6. November, wenn ich das richtig sehe. Nun kann man ja Ihre Ungeduld, Ihre Vorfreude in der Vorweihnachtszeit auf den Bildungsplan verstehen und nachvollziehen. Sie haben ja schon zitiert, dass Sie sich durchaus mit ihm beschäftigt haben. Wozu also nach zwei Ausschussberatungen und nachdem Sie zur Kenntnis genommen haben, dass er im Netz veröffentlicht ist, dass die Grundlagen dort drinstehen, wozu also bitte schön die Vorstellung?


(Zwischenruf Abg. Bühl, CDU: Wir haben ihn noch nicht komplett bekommen!)


Ja, natürlich haben Sie ihn noch nicht komplett bekommen.


(Unruhe CDU)


Das ist auch richtig so, weil er im Moment nach der Abstimmung, nach der fachwissenschaftlichen Abstimmung erst mal im Ministerium bearbeitet wird. Die Ministerin hat zugesagt, dass er noch in diesem Herbst kommt, und zwar veröffentlicht wird.


Sie haben eben auch aufgemacht, Herr Tischner, die Frage, inwiefern wir eine Wertschätzung derer vornehmen, wenn wir hier einfordern, dass das, was vorliegt, doch bitte schön jetzt erst noch mal zur Diskussion gestellt werden soll, und zwar ergebnisoffen. Da frage ich Sie – Sie haben auch irgendwann einmal, wenn ich das richtig sehe, Politik studiert –, ob Sie schon mal etwas vom deutschen korporatistischen Modell gehört haben. Wir sind zwingend darauf angewiesen und es ist ein großer Schatz, dass uns die Gesellschaft, dass uns Wissenschaft, dass uns Verbände begleiten und beraten. Genau das ist hier passiert. Nun kommen Sie an und sagen, ja, gut, es ist alles schön und gut, was ihr uns da sagt, aber wir müssen es nicht unbedingt ernst nehmen, weil unser Weltbild ein anderes ist als das, was die Wissenschaft, was die Praktiker derzeit ausführen. Das kann man so machen, aber ich frage Sie, Herr Tischner: Wie oft wollen Sie denn dieses Spiel spielen? Was meinen Sie denn, wie oft Sie da noch Menschen, die das überwiegend auch ehrenamtlich machen, an den Tisch bekommen, damit sie Politik auch berät und Politik mit unterstützt?


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Die werden doch gut bezahlt!)


In Ihrem Modell ist das deutsche korporatistische Modell, was wir gut pflegen sollten, sehr schnell tot. Davor warne ich und ich sage auch, es bringt uns keinen Erkenntnisgewinn, wenn Sie uns noch mal Ihre Weltsicht erklären.


Nun noch einmal zum dritten Punkt, wo ich etwas prinzipieller werden will. Ich sprach davon, dass unsere Vorgängerregierung – an der Sie übrigens beteiligt waren – 2011 ein wissenschaftliches Konsortium zusammengerufen hat, um für Thüringen einen Bildungsplan 0 bis 18 als Weiterentwicklung des vorhergehenden Bildungsplans zu schreiben. Ich habe schon ausgeführt, wer daran alles beteiligt war. In dem Fachbeirat waren natürlich auch die Schüler und Eltern vertreten, Verbände und Gewerkschaften und auch Akteure der Kirchen – auch die schätzen Sie nicht wert –, der Jüdischen Landesgemeinde, der Umweltverbände ebenso wie der Landessportbund und der Landesjugendhilfeausschuss tätig. In der letzten Phase evaluierten zwölf Kitas, zehn Grundschulen, neun Förderzentren – Sie haben immer gesagt, wie wichtig Ihnen das gegliederte System ist –, 30 weiterführende Schulen, zwei freie Schulen, elf berufsbildende Schulen, 17 außerschulische Bildungseinrichtungen sowie Vertreter von Erwachsenenbildung, Stiftungen, Sportvereinen und Trägern der Kinder- und Jugendhilfe den Bildungsplan 0 bis 18. Die würden das zukünftig alle gar nicht mehr machen, weil sie sagen, ja, das ist schön, wenn wir das hier mal evaluiert haben, mal angewandt haben, aber die Politik interessiert es nicht. Eine Breite, die ihresgleichen sucht. Ich denke, wir alle zollen den beteiligten Wissenschaftlern und Praktikern sowie den Gruppenvertreterinnen und  vertretern Respekt und Dank für ihre erbrachte Arbeit.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was wir am Ende in der Hand halten, sind die Ergebnisse der Arbeit der Thüringer Fachöffentlichkeit, meine Damen und Herren, und nichts mehr und nichts weniger.


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Praxis wäre besser!)


Wichtig ist, dass die komplette Erarbeitung seitens der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kompetenz unter Beteiligung der Praxispartner ohne die Vorgaben und Einflüsse der politischen Ebene realisiert worden ist. Dies macht den Bildungsplan nach meiner Ansicht besonders stark und wird die Thüringer Bildungslandschaft bereichern und Thüringen bundesweit weiter nach vorn treiben.


Dann, meine Damen und Herren der CDU, soll nach Ihrem Vorschlag der Landtag nachdem der Entwurf vorliegt, daherkommen, sich kurz bedanken und das Ganze in drei Regionalkonferenzen oder wie viele auch immer ergebnisoffen zur Debatte stellen. Was heißt denn das? Heißt das, dass per Akklamation bei jeweiliger Stimmungslage und  mache nach aktuellem Meinungsbild entschieden werden soll, ob das, woran Wissenschaft, woran gesellschaftliche Akteure und Praktiker jahrelang gearbeitet haben, tragfähig ist?


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Gilt das auch für die Gebietsreform?)


Wie wollen Sie dann mit den Lehrplänen verfahren, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU? Machen Sie das dann zukünftig auch auf den Marktplätzen aus? Ich zitiere den Thüringer Kultusminister Herrn Prof. Goebel, CDU, in seiner Antwort auf eine Anfrage des Abgeordneten Bärwolff vom 1. März 2007 in Bezug auf den Bildungsplan 0 bis 10: „Der Bildungsplan für Kinder bis zehn Jahre liegt zurzeit in einer Erprobungsphase vor und wird mit 111 Praxispartnern auf seine Praxistauglichkeit geprüft.“ Genau dasselbe machen wir jetzt auch oder ist gemacht worden. „Dabei soll festgestellt werden, ob der Plan handhabbar, das heißt sprachlich verständlich und ausreichend praktikabel ist. Parallel dazu werden von Wissenschaftlern Expertisen zum vorgelegten Text eingeholt, die sicherstellen, dass die erziehungswissenschaftlichen Grundlagen, die aktuellen entwicklungs- und lernpsychologischen Wissensbestände, aber auch die Ansprüche der Fachwissenschaften für eine förderliche Gesamtentwicklung der Kinder in altersgerechter und entwicklungsspezifischer Form adäquate Berücksichtigung finden.“ Was – bitte schön – machen wir anders als der CDU-Bildungsminister seinerzeit? Was – bitte schön – machen wir anders, was – bitte schön – kritisieren Sie?


Wenn wir so vorgehen würden, wie Sie vorschlagen, wäre das inhaltlich meiner Meinung nach völlig unangemessen und würde einen erheblichen Vertrauensverlust der Politik bei allen, die sich in der breiten, fachöffentlichen Diskussion der letzten Jahre an der Erarbeitung des Bildungsplans beteiligt haben, bedeuten. Ich hoffe, und appelliere an Sie, Sie erkennen selbst, dass das so nicht geht.


Lassen Sie mich abschließend sagen: Berechtigt ist der Anspruch der Fraktion, umfassend und zeitnah nach der Endabstimmung informiert und über einen Diskussionsprozess beteiligt zu werden. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, es kann genau hier im Bildungsausschuss beraten werden, nicht in offener Feldschlacht und nicht auf den Marktplätzen, wie Sie es gern hätten, sondern im konstruktiven Austausch über Ziele, Inhalte und erste Erfahrungen mit dem Bildungsplan 0 bis 18 Jahre. Dies zu tun, steht uns frei. Gern, Herr Tischner, diskutieren wir mit Ihnen alle Einzelheiten. Natürlich wird es auch weiter eine fachöffentliche Debatte zu den Inhalten des Bildungsplans 0 bis 10 und 0 bis 18 Jahre geben, die ihre Foren haben wird. Dem Antrag 6/1052 können wir aus den eben dargestellten Gründen nicht zustimmen. Vielen Dank.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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