Neugestaltung der Organisationsstrukturen im Bereich des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB II) - Organisationsstrukturen müssen sich am Bürger ausrichten

Zum Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drucksache 5/178 -

Frau Präsidentin, guten Morgen, meine Damen und Herren, nach der Rede von Herrn Baumann, in der er von "Desaster" und "Supergau" gesprochen hat, will ich noch mal ganz klar sagen, DIE LINKE meint, fünf Jahre nach Einführung von Hartz IV ist zu konstatieren, Hartz IV ist in dieser Form gescheitert.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Baumann, SPD: Auch für Sozialhilfeempfänger …)

Ja, das können wir später noch mal diskutieren.

Ich denke, es gibt ein paar Fakten: Langzeitarbeitslosigkeit hat sich verfestigt, mit Hartz IV wurde Armut und Ausgrenzung per Gesetz geschaffen, wir hören von einem riesigen bürokratischen Aufwand und Klagen - darüber ist hier heute noch zu reden -, es gibt für Hartz-IV-Empfänger relativ wenig Integration in gute Arbeit, aber dafür wurde für schlecht bezahlte Arbeit, für prekäre Beschäftigung Tür und Tor geöffnet.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen bleibt es bei unserer Forderung, Hartz IV in dieser Form muss überwunden werden, Herr Baumann, was nicht heißt, dass wir Sozialempfänger wieder rausnehmen wollen und dass die keine Vermittlungschancen haben. Wir sind auch für einen ganzheitlichen Ansatz, aber wir sind nicht dafür, Arbeitslose erster und zweiter Klasse zu haben.

(Beifall DIE LINKE)

(Zwischenruf Abg. Baumann, SPD: Wie denn? Das habt ihr nicht gesagt.)

Das Ganze könnte einhergehen mit einer Überwindung der beiden Rechtskreise SGB III und SGB II. Aber das ist heute nicht das Thema und diese Forderung ist auch derzeit nicht mehrheitsfähig. Deswegen will ich es an der Stelle bewenden lassen. Aber über Inhalte wäre zu reden im Sinne der Betroffenen statt über Organisation und Form; das ist ja schon schlimm genug. Aber angesichts der angekündigten Vorhaben der schwarz-gelben Koalition, dieses Modell der Leistung aus einer Hand zu zerschlagen, muss gehandelt werden. Deswegen ist der Antrag richtig. Die getrennte Trägerschaft ist kreuzgefährlich aus meiner Sicht und ich darf das hier sagen im Namen meiner Fraktion: Alles ist besser als getrennte Trägerschaft.

(Beifall DIE LINKE)

Warum? Wir befürchten, dass mit der getrennten Trägerschaft eine deutliche Verschlechterung der Hilfsangebote einhergeht und dass Maßnahmeplanungen sich dabei noch weniger an den betroffenen Menschen orientieren, sondern noch mehr an der Erfüllung von Statistiken. Es geht hier nicht um Verwaltung und Bürokratie, sondern es soll vor allen Dingen dazu beigetragen werden, dass Hilfesuchende Chancen und Perspektiven erhalten und diese nutzen können, um auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich eine Zukunft zu haben. Es wäre für alle Beteiligten sinnvoller, in die Betreuung der Leistungsbezieher zu investieren als in deren Verwaltung. Für die betroffenen Leistungsbezieher bedeutet eine getrennte Aufgabenwahrnehmung, dass sie künftig zwischen zwei Behörden stehen, mit zwei unterschiedlichen Bescheiden rechnen müssen und natürlich auch in beiden Behörden unterschiedliche Ansprechpartner haben. Dies widerspricht der Idee einer bürgerfreundlichen Verwaltung, die unnötige Doppelarbeit vermeidet. Da sollte abgebaut werden statt wieder neu geschaffen werden. Besonders in Zeiten leerer Kassen ist eine Optimierung von Verwaltungsabläufen unabdingbar. Wenn wir nachher noch mal über Sozialgerichte und rechtliche Konsequenzen aus dem schlecht gemachten SGB II diskutieren, unter anderem, dann kann ich Ihnen nur versichern, das, was hier die schwarz-gelbe Bundesregierung anvisiert, wird noch zu mehr Widersprüchen, zu mehr Verunsicherung und in der Folge auch zu mehr Klagen führen.

(Beifall DIE LINKE)

Lassen Sie mich auch sagen, was es für die Kommunen bedeutet. Für die Kommunen bedeutet die getrennte Trägerschaft, dass sie nur noch zahlen dürfen, ohne Einfluss direkt auf Maßnahmen der Förderung und Entwicklung ihrer Bürgerinnen und Bürger nehmen zu können. Denn die Integrationsfrage läge ja bei der Bundesagentur für Arbeit. Es ist hier schon eine ganze Menge dazu gesagt worden, dass das Bundesverfassungsgericht ja bereits am 21.12.2007 - also es ist fast auf den Tag genau zwei Jahre her - festgestellt hat, dass Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44 b SGB II dem Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung widersprechen. Ich meine, es wäre - und es gab ja auch Bemühungen, das muss man ja auch sagen - dringend nötig gewesen, das schon viel früher zu diskutieren und ernsthaft auch in Entscheidungsvarianten zu bringen, sich zu entscheiden, um dann auch zügig die Grundgesetzänderung, die wir auch favorisieren, vorzunehmen. Wir haben im März dieses Jahres mit den Praktikern, mit der LAG der Argen hier in Thüringen gesprochen und haben sie befragt, wie sie das sehen. Fazit war, ich will das schlaglichtartig sagen, Argen dürfen nicht zerschlagen werden, sie sind nicht das Nonplusultra - wir wissen, dass es da auch eine ganze Menge Probleme gibt -, aber da ist etwas aufgebaut und etwas gewachsen.

Man braucht, so die Praktiker, eine einheitliche, übergreifende Organisation zur Umsetzung des SGB II, aber mit einer gewissen Flexibilität und Selbstständigkeit auch in der individuellen Aufgabenwahrnehmung. Man braucht mehr Handlungsfähigkeit und Stärkung des sozialen Charakters des SGB II. Es geht also nicht nur um Integration. Das haben vor allen Dingen auch die kommunalen Vertreter hier besonders in den Mittelpunkt gestellt. Ich glaube, das ist auch sehr wesentlich, Arbeitsagenturen und Kommunen müssen auf Augenhöhe miteinander arbeiten. Das ist auch in der derzeitigen Konstellation letztendlich nicht der Fall. Ein Ergebnis war - das haben die Praktiker auch gesagt, und haben also damit auch mit unserer Auffassung übereingestimmt -: Ohne eine generelle Gesetzesänderung, dass man auch in dem SGB II schaut und Schwachstellen noch mal ausmerzt und ausbessert, dass man die inhaltliche Debatte auch noch mal führt, wird es jetzt nicht gehen, aber das ist ja jetzt nicht gewollt.

Meine Damen und Herren, im Grunde genommen liegt das Dilemma also nicht darin begründet, woher die Betroffenen letztendlich Arbeitslosengeld II bekommen, sondern dass und wie arbeitslose SGB II-Empfänger mangels existenzsichernder Arbeit letztendlich auch behandelt werden, auch behandelt werden müssen, weil das Gesetz so ist.

Mit der geplanten Verfassungsänderung werden beide Rechtskreise zementiert. Das ist der Punkt, den wir kritisch sehen. Aber nichtsdestotrotz geht es heute hier um den Antrag. Ich kann Ihnen sagen, den Punkten 1 und 2 des vorgelegten Antrags von CDU und SPD können wir vor dem Hintergrund, dass bis Ende 2010 eine Lösung für die Neuorganisation der Organisationsstrukturen im SGB II entwickelt werden muss, um die Auswirkungen auf Betroffene so gering wie möglich zu halten, zustimmen. Das tun wir insbesondere auch deshalb, weil es schließlich um 6 Millionen Betroffene in diesem Land geht.

Bei der anstehenden Organisationsreform der Verwaltungsstrukturen des SGB II muss sichergestellt werden, dass einheitliche Bescheide ergehen, bei denen für die Betroffenen die behördlich Verantwortlichen für die getroffenen Entscheidungen klar erkennbar bleiben.

(Beifall DIE LINKE)

Diese klare Erkennbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Verantwortlichkeit, die ist ja auch ein Hauptargument des Bundesverfassungsgerichts bei der Entscheidung gegen die Argen gewesen. Aber, und das muss man hier auch sagen, dieses Argument gilt für alle Formen der sogenannten Mischverwaltung. Deshalb ist die Mischverwaltung nach dem Grundgesetz prinzipiell eigentlich ausgeschlossen. Daher muss bei einem Erhalt der Leistungen aus einer Hand ein Modell gefunden werden, was diesem Prinzip genügt.

Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat in ihrem Beschluss vom Sommer des letzten Jahres einstimmig festgelegt, dass eine konsensfähige gemeinsame Lösung nur im Rahmen einer bisherigen ARGE-modellorientierten Lösung möglich sei. Damals hat noch das SPD geführte Bundesministerium die Forderung aufgenommen und eine Grundgesetzänderung vorgeschlagen, nämlich die Einführung eines zusätzlichen Artikel 86 a im Grundgesetz, die eine gemeinsame Verwaltung bei der Umsetzung des SGB II rechtlich ermöglicht. Das ist sozusagen die Geburt der Idee, dass als ARGE-Nachfolger ein rechtlich vorgeschriebenes Zentrum für Arbeit und Grundsicherung (ZAG) fungieren soll, gewesen. Diese Zentren wären rechtlich selbständige Verwaltungseinheiten mit eigenem Haushalt und eigenem Personal. Die Grundstruktur der ARGE würde weiter bestehen. Träger wären die Bundesanstalt für Arbeit im Auftrag des Bundes und die Kommunen. Beide Träger wären vor Ort auf der Grundlage von Vereinbarungen in einer gemeinsamen Struktur zusammen und gewährleisten damit eine einheitliche Verwaltung zur Umsetzung des SGB II. Das ist ja im Kern der Punkt 3 hier im Antrag von CDU und SPD. Ich denke aber, dass wir bei der Frage der Errichtung der Zentren für Arbeit und Grundsicherung tatsächlich noch weiter die Diskussion brauchen, weil - und das will ich Ihnen und uns jetzt hier allen ersparen - natürlich auch da noch eine ganze Reihe offene Fragen zu diskutieren wäre. Deswegen kann ich Ihnen sagen, wir würden dem ersten und zweiten Punkt zustimmen. Deswegen bitte ich auch um getrennte Abstimmung, würden den Punkt 3 gerne verweisen an den Ausschuss für Wirtschaft, Technologie und Arbeit, um dort die Diskussion weiterzuführen. Aber der Auftrag, dass die Landesregierung jetzt aktiv wird, sollte meines Erachtens heute hier erteilt werden. Ich bedanke mich.

(Beifall DIE LINKE)

Präsidentin Diezel:

Frau Abgeordnete Leukefeld, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Baumann?

Abgeordnete Leukefeld, DIE LINKE:

Ja.

Abgeordneter Baumann, SPD:

Frau Leukefeld, Ihr Beitrag, der hat mich jetzt ziemlich verwundert. Ich habe in den letzten Monaten immer gehört, immer auf Ihren Plakaten gesehen; "Weg mit Hartz IV!" Ich habe jetzt in Ihrem Beitrag keinen einzigen Satz dazu gehört, was anstelle von Hartz IV kommen soll, wie Ihre Vorstellungen sind. Stattdessen machen Sie Veränderungs- und Verbesserungsvorschläge am jetzigen SGB II. Das passt irgendwo nicht.

Präsidentin Diezel:

Die Frage, Herr Baumann.

Abgeordneter Baumann, SPD:

Sie sagen, weg mit Hartz IV, dann müssen Sie auch sagen, wie.

Abgeordnete Leukefeld, DIE LINKE:

Ja, Herr Baumann, es ist sehr schön, ich bedanke mich ausdrücklich für Ihre Frage, denn da kann ich es noch einmal ganz laut und deutlich sagen; es war in der Rede allerdings schon enthalten. Wir bleiben dabei, wir wollen Hartz IV überwinden,

(Beifall DIE LINKE)

das können wir postulieren, aber im Moment gibt es dafür keine Mehrheiten. Wie wir das machen wollen, das kann ich Ihnen auch sagen - das hatte ich auch in der Rede drin -, es gibt eine Vorstellung, die beiden Rechtskreise SGB III und SGB II zu einem zusammenzuführen, alle Instrumente der Arbeitsförderung, der Integration, der Qualifizierung allen Arbeitslosen zugänglich zu machen. Das bedeutet, wir haben dann auch keine Arbeitslosen erster, zweiter Klasse mehr und für die, die in einem bestimmten Zeitraum - da können wir dann gerne noch einmal diskutieren - keine Integration, keine Qualifizierung erhalten, für die wollen wir eine Mindestsicherung, die armutsfest ist.

(Beifall DIE LINKE)

Aber der Hauptanspruch besteht, Menschen in Arbeit zu bringen. Wir orientieren uns dabei nicht nur ausschließlich auf den ersten Arbeitsmarkt, wenngleich der natürlich auch Priorität hat durch Wirtschaftsförderung und viele Dinge, aber wir wollen auch in der öffentlich finanzierten Beschäftigung bessere, höhere Effekte erzielen. Das ist möglich, Arbeit ist da und Geld ist eben auch da. Das wollen wir tun.

Jetzt noch einmal zu der zweiten Frage, warum sagen wir dann hier trotzdem unsere Meinung und bringen uns in die inhaltliche Debatte dessen ein, was heute zu verhandeln ist: Natürlich, Herr Baumann, im Interesse der Betroffenen wollen und müssen wir das machen. Wir können doch nicht sehenden Auges zulassen, dass erstens schon das Gesetz, was wir kritisieren, noch weiter verschlechtert wird und damit die Bedingungen für die Menschen, für die Arbeitslosen auf ihrem Rücken, nämlich mit zwei getrennten Aufgabenträgern, noch weiter verschlechtert werden. Das ist der Grund, warum wir uns einbringen.

Präsidentin Diezel:

Frau Leukefeld, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Baumann?

Abgeordnete Leukefeld, DIE LINKE:

Ja.

Abgeordneter Baumann, SPD:

Frau Leukefeld, Sie geben mir bestimmt Recht, wenn ich sage, dass frühere Sozialhilfeempfänger jetzt den Zugang zu Qualifizierung haben, den sie früher nicht hatten und dass ehemalige Arbeitslosenhilfeempfänger jetzt auch den Zugang genauso noch haben zu Qualifizierungs- und Integrationsmaßnahmen, wie das früher gewesen ist. Also es ist nichts Neues, was Sie uns hier erzählen.

Abgeordnete Leukefeld, DIE LINKE:

Sie haben mich doch gefragt!

(Beifall DIE LINKE)

Wenn Sie wissen, was unsere Meinung ist, brauchen Sie doch hier nicht pausenlos zu fragen. Ich erkläre es Ihnen auch noch einmal. Das kann man in …zig Protokollen nachlesen, Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz.

(Beifall DIE LINKE)

Hartz IV hat zwei Vorteile: Das ist auf der einen Seite die Integration auch für Sozialhilfeempfänger, damit diese wieder einen Anspruch auf Vermittlung haben. Und das ist der ganzheitliche Ansatz. Das war es dann aber auch schon. Wenn sich Menschen nach einem Jahr bzw. ältere Menschen nach anderthalb Jahren im SGB II wiederfinden mit allen Konsequenzen, wenn viele trotz Arbeit im SGB II verbleiben mit allen Abhängigkeiten für sich selber und ihre Familien, das finden wir nicht in Ordnung.

(Beifall DIE LINKE)

Deswegen bleibt es dabei! Aber hier kriegen Sie die Zustimmung, damit wenigstens nicht weiter verschlechtert wird, was schon schlecht genug ist.

(Beifall DIE LINKE)

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