Neuausrichtung des Thüringer Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit: Ausgewogene Bekämpfung des Extremismus – öffentlich nachvollziehbare, rechtskonforme Mittelvergabe – keine Förderung von Extremisten

Zum Antrag der Fraktion der AfD - Drucksache 6/2441

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren, in meinem Redebeitrag will ich mich im Wesentlichen zu drei Komplexen äußern: erstens zur Einrichtung der wissenschaftlichen Dokumentations- und Forschungsstelle gegen Menschenfeindlichkeit, zweitens gegen die angebliche einseitige Ausrichtung des Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit und eben dieser Dokumentations- und Forschungsstelle und drittens selbstverständlich auch über die Frage der Geeignetheit der aus unserer Sicht – ich werde das auch begründend darstellen – etablierten Amadeu-Antonio-Stiftung. In diesen drei Komplexen werde ich auf den Antrag der CDU-Fraktion im Einzelnen eingehen.

Ausgangspunkt – das hört man schon an den ersten Reaktionen – sind aber nicht diese sachlichen Fragestellungen, denen wir bei der Beratung zum Landesprogramm und der Dokumentationsstelle nachgehen sollen, sondern Ausgangspunkt ist die politische Motivation der AfD, die in Kenntnis der Antragsbegründung, die auch heute hier mündlich vorgetragen worden ist, und auch in Kenntnis der Äußerung des Fraktionsvorsitzenden gegenüber den Medien am Montag wenig mit Sachlichkeit zu tun hat.


Der Vergleich einer wissenschaftlichen Einrichtung, meine Damen und Herren, mit der von Goebbels eingerichteten Reichskulturkammer, die der Gleichschaltung und Arisierung von Kulturschaffenden diente, ist ungeheuerlich, aber ist keine ungeheuerliche Entgleisung.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das Vorhaben ist ungeheuerlich!)


Es ist der Versuch, sich durch kalkulierte Provokation zum Opfer zu stilisieren. Es ist insofern auch deshalb unerträglich, weil dieser Vergleich nicht nur eine – was ihre demokratische und weltoffene Ausrichtung anbetrifft – vollkommen unstrittige Stiftung trifft, sondern weil sie von jemandem geäußert wird, der sich selbst der Sprachmittel Goebbels bedient


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Dass Sie das Wort „Demokrat“ noch in den Mund nehmen, ist ein Witz!)


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und sich in der Tradition der den Nationalsozialismus befördernden konservativen Revolution sieht und immer wieder stellt.

Die AfD sieht sich als Opfer eines linken Meinungsterrors – einer „Stasi 2.0“ – der Beschränkung ihrer Freiheitsrechte und Meinungsfreiheit, weil – ja warum eigentlich?


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Es geht um die Bürger! Nicht um uns!)


Nicht weil ihre Aussage und Meinungen, die ihrer Anhänger etwa verboten oder strafrechtlich verfolgt würden, sondern weil sie Gegenstand der politischen Auseinandersetzung werden. Christian Bommarius schreibt dazu in der Frankfurter Rundschau: „Seit Hassbotschaften, Schmähungen, Diffamierungen, Rufmord und Morddrohungen das Internet und soziale Netzwerke wie Facebook überschwemmen, seit rassistische Pöbeleien gegen Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer, gegen Politiker, Lehrer, Pfarrer, Journalisten […], die Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer vor den Pöbeleien in Schutz nehmen, inzwischen fast zum guten Ton gehören, seit also immer mehr Rassisten, AfD- und Pegida-Anhänger, Rechtsradikale und Rechtsextremisten das Netz in eine Fäkaliengrube verwandeln, ist die Meinungsfreiheit in Gefahr wie nie zuvor – bedroht allerdings nur von allen, die dem Hass öffentlich entgegentreten.“ Die Höckes rufen „Zensur!“, wenn Hass und Rufmord öffentlich zurückgewiesen werden.

Meine Damen und Herren, die Meinungsfreiheit ist durch Artikel 5 des Grundgesetzes besonders geschützt.


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das interessiert euch nicht!)


Das heißt, dass auch missliebige Meinungen, auch die, die man absolut nicht teilt, von grundweg ablehnt, aus rechtlicher Perspektive hinzunehmen sind. Es sei denn, sie verstoßen selbst gegen das Recht. Eine Gesellschaft muss aber nicht jede von Hass und Hetze getragene Auffassung widerspruchslos stehen lassen,


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sondern kann dieser etwas entgegensetzen. In der Empfehlung der Amadeu Antonio Stiftung „Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet“, für die im Übrigen sowohl der Bundesjustizminister als auch der Bundesinnenminister aus gutem Grund öffentlich werben, geht es nicht darum, Meinungsäußerungen zu unterdrücken, sondern der Welle von Hass, Hetze, Niedertracht und Einschüchterung eine Haltung und Meinung entgegenzusetzen. Und die Begründung dafür liefert Heiko Maas in seinem Vorwort, wenn er schreibt: „Angriff auf die Würde eines Menschen beginnt im Kopf, beginnt mit Worten. Wer in seinen Reden oder Tweets, in Kommentaren oder Blogs andere Menschen attackiert, wer ganze Bevölkerungsgruppen pauschal abwertet, etwa wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe, ihres Glaubens oder ihrer sexuellen Identität, der greift ihre Würde und damit auch den Grundkonsens unserer Gesellschaft an.


(Unruhe AfD)


Häufig bleibt es nicht bei Hassreden, oft sind die Worte die Vorstufe von Taten.“

Meine Damen und Herren, zur Dokumentations- und Forschungsstelle, und ich will mich nicht zu rechtlichen Abläufen, Förderrichtlinien, Antrags- und Bewilligungsverfahren, Beteiligungen des Programmbeirates usw. bei der Einrichtung der Dokumentations- und Forschungsstelle hier umfangreich äußern. Ich gehe davon aus, dass Ministerin Dr. Klaubert hier ebenfalls so ausführlich Auskunft erteilen wird, wie sie das bereits am 30. Juni 2016 im zuständigen Ausschuss getan hat. Und, Herr Tischner, da will ich Ihnen aber auch deutlich sagen: Man kann sich natürlich hier vorne hinstellen und beklagen, dass die Antworten unzureichend waren. Nur sollte man nicht verwechseln, dass man erst nicht dann nur zufrieden sein sollte, wenn die Antworten der eigenen Auffassungen entsprechen und Ihnen die Ministerin Recht gibt.


(Beifall DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das heißt aber nicht, wenn Sie unterschiedlicher Auffassung sind, dass die Ministerin auf Ihre Fragen nicht geantwortet hat. Und wenn Ihnen die Ministerin in dieser Ausschusssitzung, an der wir beide ja teilgenomen haben, sehr ausführlich damals dargelegt hat, warum es sich ausgerechnet nicht um eine Vergabe handelt, dann ist es doch schon etwas unlauter, sich hier vorne hinzustellen, einfach das Gegenteil zu behaupten und in diesem Zusammenhang überhaupt nicht zu argumentieren. Und ich will Ihnen auch deutlich sagen, hier ist auch nichts im Geheimen geschehen. Denn selbst mit dem Einzelplan 04 hat dieses Haus bei der Beratung zum Landeshaushalt 2016/2017 diese Dokumentations- und Forschungsstelle schon zum Beratungsgegenstand gehabt. Der finanzielle Umfang war bekannt. Und ich glaube mich zu erinnern, dass Ihre Kritik damals in der Haushaltsberatung, wo die haushalterische Ermächtigung für die Landesregierung durch diesen Landtag gegeben ist, in dieser Schärfe, wie Sie sie heute vortragen nicht vorgetragen worden ist.


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Dann haben Sie nicht zugehört!)


Und ich glaube, das ist natürlich auch ein Stück weit Ihr Recht als Opposition, aber ich glaube, Sie fragen zu können, ob Sie sich politisch einen Gefallen tun, wenn Sie mit dieser Art und Weise die Argumentation der AfD hier sekundieren. Über ein Argument zeige ich mich aber wirklich besonders amüsiert: Wenn Sie glauben, dass eine Dokumentationsstelle für 250.000 Euro im Jahr das Landesamt für Verfassungsschutz ersetzen könnte – wenn Sie das glauben. Das Landesamt für Verfassungsschutz verfügt über 90 Mitarbeiter, verfügt über einen Etat von fast 7 Millionen Euro, verfügt über nachrichtendienstliche Befugnisse. Und wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie sehen die Gefahr, dass eine Dokumentationsstelle mit vier Mitarbeitern, 250.000 Euro, diesen Verfassungsschutz ersetzen könnte, dann setzen wir die Diskussion gerne fort, aber an anderer Stelle, nicht beim Landesprogramm,


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sondern beim nächsten Einzelplan oder bei einer Debatte über die Sicherheitsarchitektur in diesem Land. Und wenn Sie sich hier hinstellen, Herr Tischner, und sagen, Koalitionsabgeordnete entdecken jetzt die Begründung für diese Dokumentationsstelle im Untersuchungsausschuss, dann will ich Ihnen aber auch eines deutlich mit auf den Weg geben. Die Abgeordneten Kellner, Meißner und auch Walsmann können mich da gerne unterstützend ergänzen. Denn eine Aufgabe des Untersuchungsausschusses 5/1 war es nicht nur aufzuklären, welche Verantwortung möglicherweise Behörden in Thüringen, aber auch darüber hinaus bei der Entstehung des NSU zu tragen haben, welches Fehlverhalten hat es dort gegeben und möglicherweise auch welches Versagen der Sicherheitsbehörden. Es war auch die Frage aufzuklären, in welchem politischen Klima in den 90er-Jahren der NSU entstehen konnte, auf den sich dann im Prinzip weitere Taten mit diesen abscheulichen Verbrechen entwickeln konnten und sich dann abzeichneten, über die wir seit 5 Jahren sehr intensiv auch auf der politischen Ebene reden müssen.

Eine Aufgabe für den Untersuchungsausschuss – und das haben wir fraktionsübergreifend hier im Landtag beschlossen – war es, sich auch darüber Gedanken zu machen, was denn an politischen Voraussetzungen notwendig ist, dass sich eine ähnliche Entwicklung wie in den 90er-Jahren mit der gesamten Folge, die ich eben versucht habe darzustellen, nicht wiederholt.


Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses findet sich dann in der ersten gemeinsamen Empfehlung, also auch in der Empfehlung, die Ihre Fraktionskollegen Kellner, Meißner und Walsmann mitgetragen haben, die Grundlage für die heute diskutierte Dokumentations- und Forschungsstelle gegen Menschenfeindlichkeit – denn dort heißt es in Punkt C. 1., dem ersten Punkt der gemeinsamen Empfehlungen des Untersuchungsausschusses: „Rassismus muss als drängendes Problem endlich ernstgenommen und gesellschaftsübergreifend thematisiert werden. […] Der Erkenntnis über in der Mitte der Gesellschaft verankertes rassistisches Gedankengut sollte ebenso wie dem zum Teil bestehenden institutionell verankerten Rassismus begegnet werden. Die wissenschaftliche Aufarbeitung und Forschung in den Themenfeldern Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus ist dabei elementarer Bestandteil, um wirksam agieren zu können.“


Warum kam der Untersuchungsausschuss genau zu dieser Überzeugung, das dem Landtag und der Öffentlichkeit als Empfehlung mitzugeben? Weil er auch in der Anhörung der Sachverständigen Kahane und Quent festgestellt hat, dass die Gefahrenanalyse in den 90er-Jahren auf politischer wie auch auf strafrechtlicher Ebene nicht die tatsächliche Situation wiedergegeben hat und das im Prinzip vielfach gerühmte Frühwarnsystem seitens der Sicherheitsbehörden überhaupt nicht funktioniert hat und auch die Zivilgesellschaft durch die Politik nicht in die Lage versetzt worden ist, den gefährlichen Entwicklungen im rechtsextremen Bereich wirksam zu begegnen.


Das war die Ursache dafür, dass wir uns im Untersuchungsausschuss fraktionsübergreifend darüber Kenntnisse verschafft haben, was eigentlich gesellschaftlich notwendig ist. Wir kamen zu der Überzeugung, dass das Landesamt für Verfassungsschutz – durchaus mit unterschiedlichen Positionen zur Institution selbst – jedenfalls nicht in der Lage ist, wesentliche gesellschaftliche Funktionen eines Frühwarnsystems der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung zu übernehmen, weil es aufgrund seiner Organisationsstruktur, seiner rechtlichen Befugnisse eben etwas anderes ist, als ein gesellschaftspolitischer Akteur, nämlich Teil einer Sicherheitsarchitektur mit Instrumenten, die dem staatlichen Gewaltmonopol entsprechen.


Das war Ausgangspunkt der Überlegungen. Ich halte es für unredlich von Ihnen, Herr Tischner, auch die Bemühungen Ihrer Fraktion im Untersuchungsausschuss derart zu diskreditieren.


(Beifall DIE LINKE)


Nun trägt die AfD vor, dass die zur Umsetzung zur Empfehlung des Untersuchungsausschusses geplante Dokumentations- und Forschungsstelle als Propagandainstrument und Geheimdienstersatz für die Bekämpfung und Verunglimpfung liberaler, patriotischer, konservativer Strömungen des bürgerlichen Lagers missbraucht werde und meint sich dabei wahrscheinlich selbst. Eine solche Selbsteinschätzung sagt wahrlich mehr über AfD aus als über die Dokumentations- und Forschungsstelle.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will in diesem Zusammenhang auch eines noch sagen, Herr Tischer: Ich weiß gar nicht, wie Sie auf die Idee kommen könnten, dass eine Dokumentations- und Forschungsstelle, die nach wissenschaftlichen Standards arbeitet,


(Unruhe CDU)


Personendatensätze anlegt. Das zeigt doch eine gewollte und tatsächlich mutmaßliche Ignoranz gegenüber den Äußerungen des Dr. Matthias Quent in der Öffentlichkeit, der sich der öffentlichen Debatte um die Arbeitsweise, um die Zielrichtung der Dokumentations- und Forschungsstelle stellt.


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Demnächst führen Sie noch Astrologie als Schulfach ein!)


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Ich habe es Ihnen doch gerade erklärt!)


Es diskreditiert auch die Äußerung der Amadeu-Antonio-Stiftung genau in diesem Bereich und es diskreditiert genau das, was auch Ihre Fraktion mitgetragen hat als Empfehlung aus dem Untersuchungsausschuss, nämlich tatsächlich wissenschaftlich zu forschen, zu analysieren und damit die Grundlage zu schaffen, tatsächlich gesellschaftspolitische Konzepte zu entwickeln.


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Rechtswissenschaften!)


Denn ich will es Ihnen in aller Deutlichkeit noch mal sagen: Die Dokumentations- und Forschungsstelle forscht und analysiert unter Anwendung sozial-wissenschaftlicher Standards – aufbauend auf einem Grundkonsens – nämlich den Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland „Die Würde des Menschen ist unantastbar“,


(Beifall DIE LINKE)


in den Bereichen, wo Gleichwertigkeit der Menschen infrage gestellt wird. Und sie forscht zu Diskriminierungsformen, die sich unter dem Begriff „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ nach dem Konzept des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung zusammenfassen lassen.

Wenn die AfD nun meint, mit dieser Beschreibung gemeint zu sein, dann werde ich nicht widersprechen,


(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)


auch dann nicht, wenn sie im Antrag die Doku- und Forschungsstelle weiter beschreibt und ausführt: „Schwerpunktmäßig soll diese Dokumentationsstelle ‚neonazistische und andere gegen die Grundsätze der Verfassung gerichtete Aktivitäten in Thüringen‘ dokumentieren und ‚Inhalt, Wirkungsweise und Verbreitung neonazistischer, rassistischer, antisemitischer, homophober und antiziganistischer Einstellungen‘ erforschen sowie geeignete Gegenkonzepte entwickeln.“ Dann stellt die AfD fest, dass schon an dieser Stelle deutlich werde, dass die geplante Dokumentationsstelle einseitig ausgerichtet sein soll. Dieser Kritik, Herr Tischner, schließt sich die CDU an. Aber dann frage ich doch mal in die Runde hier im Parlament, ist ja auch ein dialogisches Verfahren: Was ist denn die andere Seite von Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Antiziganismus und gegen die Grundsätze der Verfassung gerichteten Aktivitäten?


(Zwischenruf Abg. Tischner, CDU: Das habe ich Ihnen gerade erklärt!)


Was ist denn die andere Seite? Das frage ich auch die CDU. Was wollen Sie dann untersucht und erforscht wissen und dann sagen Sie: Sie haben es gesagt. Das ist richtig. Ich konnte mir das stichpunktartig schon notieren, weil Sie vorhersehbar und vorausberechenbar sind.


(Beifall DIE LINKE)


Sie meinen Linksextremismus und religiösen Fanatismus oder Islamismus. Das war zu erwarten, weil diese Antwort einem jahrzehntelang verfolgten Konzept folgt, nämlich der Extremismus- oder Hufeisentheorie ergänzt um den Extremismus der Religion, die vermeintlich nicht zu Deutschland passt.


(Unruhe CDU)


Aber genau dieses Schema werden Sie eben nicht anwenden können, auch nicht in der kritischen Rezeption einer Dokumentations- und Forschungsstelle, die dieses Schema ganz bewusst nicht zur Grundlage ihrer Arbeit macht, sondern die Qualität und den Inhalt der Menschenfeindlichkeit zum Ausgangspunkt macht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sage ich hier in aller Deutlichkeit, ich denke, auch im Namen meiner Fraktion: Rassismus, Homophobie und Antisemitismus werden nicht deshalb besser, wenn sie nicht im Kopf eines ausgewiesenen Neonazis wachsen,


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


sie sind um ein Vielfaches gefährlicher, wenn sie in den Köpfen unserer Nachbarn oder auch in Mitgliedern dieses Thüringer Landtags wachsen.


(Raunen im Hause)


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn die Gefahr – und da komme ich auf Heiko Maas zurück – von Gedanken und Einstellungen ist, dass sie im ersten Schritt zu Worten werden und im weiteren Schritt dann diesen Worten Taten folgen.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: … Wirklich unerträglich. „Einstellungsverbrechen“, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!)


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Da spricht der Tschekist!)


Die Dokumentations- und Forschungsstelle nimmt sich genau dem an.


(Zwischenruf Abg. Kuschel, DIE LINKE: Betroffene Hunde bellen!)


(Unruhe AfD)



Präsident Carius:


Jetzt darf ich Sie bitten, sich wieder zu beruhigen, damit Herr Dittes in seiner Rede fortfahren kann. Herr Dittes, Sie haben das Wort.



Abgeordneter Dittes, DIE LINKE:


Ich war mir gerade nicht ganz so sicher. Die Dokumentations- und Forschungsstelle nimmt sich genau dem an und ist deshalb gerade nicht einseitig. Sie ist auch nicht zweiseitig oder dreiseitig, wie Sie das vielleicht gerne hätten, sondern sie macht das, was Wissenschaft eigentlich erst zur Wissenschaft macht. Sie untersucht bis an die Wurzeln gehende Erklärungsmodelle, weil erst aus diesen gesellschaftliche Konzepte abgeleitet werden können, die auf den Grundwerten des Grundgesetzes aufbauen.


Insofern, Herr Tischner, halten wir auch Ihren Alternativantrag nicht für zustimmungsfähig, weil er genau diese Arbeitsweise der Wissenschaftlichkeit und auch die Auseinandersetzung mit Auffassungen, Einstellungen und Äußerungen, die die Würde von Menschen beeinträchtigen, infrage stellt und versucht, diese zu diskreditieren. Aber ich will Ihnen, weil das ja auch ein Vorwurf ist, der immer in unsere Richtung formuliert wird, einiges zum Linksextremismus sagen, weil das Schöne daran ist, man kann sich dabei ja auch auf Ihre Partei stützen, denn es war Ihre Ministerin, Kristina Schröder, die vor einigen Jahren im Rahmen eines Bundesprogramms die Erforschung von Linksextremismus zum Gegenstand gemacht hat und die unter anderem auch hier in Thüringen bei der durchaus unangreifbaren EJBW in Weimar ein Projekt angesiedelt hat.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum hat sie das gemacht? Ich bin der Auffassung, sie hat im Prinzip denselben Gedankenschluss, den Herr Tischner heute wieder vorgetragen hat, zur Grundlage Ihrer Ausrichtung dieses Programms gemacht. Sie hat im Prinzip ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild aus wissenschaftlichen Analysen zu einer Auseinandersetzung zur Hand bekommen. Das ist auch Gegenstand des Bundesprogramms, und sie hat gedanklich – wie Sie das immer wieder tun – dem ein geschlossenes Weltbild des Linksextremismus entgegengesetzt. Das zwischen 2010 und 2012 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Projekt „Demokratische Kompetenzen im Diskurs entwickeln“ der EJBW beschäftigte sich dann auch ausgehend davon sehr intensiv mit dem Phänomen des Linksextremismus und als Ergebnis fassen die Projektmitarbeiter zusammen, dass „sich nach drei Jahren Projektdauer, intensiver Auseinandersetzung mit externen Partnerinnen und über 400 Teilnehmenden sagen lässt, dass sich ein Vorhandensein linksextremer Einstellungen und Haltungen im Sinne eines Rückgriffs auf geschlossene linksextreme Welt und Menschenbilder nicht konstatieren lässt. Die EJBW sieht dieses Projektergebnis als eines der zentralsten an.“ Das ist das Ergebnis eines Programms, das von Ihrer Ministerin initiiert worden ist mit Auseinandersetzung des Linksextremismus.


Das heißt, über diesen Weg kommen wir in der Auseinandersetzung nicht weiter. Aber was heißt es nicht, dass sich die Forschungs- und Dokumentationsstelle mit menschenfeindlichen Positionen nicht auseinandersetzen sollte, wenn die Menschen vorgeben, Linke zu sein, weil unabhängig davon – das habe ich gesagt – die Bewertung von Rassismus und Antisemitismus keine Bewertung ist, die ich davon abhängig mache, wer sie äußert oder was er vorgibt zu sein, sondern die in ihrem Wesensgehalt abzulehnen ist, mit der sich diese Gesellschaft auseinandersetzen muss.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Zitat: „Wer aufmerksam unsere Gesellschaft beobachtet, der merkt, dass rechtsextreme, ausländerfeindliche und antisemitische Gewalttaten nur die Spitze von Eisbergen sind. Heftige, erschütternde Warnzeichen für die Ausbreitung und Wirksamkeit rechtsextremer Einstellungen von Vorurteilen und Hass gegen alles, was fremd ist und gegen jeden, der fremd erscheint.“ Der, der das sagt, beschreibt nicht nur die gegenwärtig größte Gefahr für die Gesellschaft, er ist auch zeitgleich der Schirmherr der Amadeu-Antonio-Stiftung. Es ist der ehemalige Bundestagspräsident und Vizepräsident Wolfgang Thierse. Im Stiftungsrat der Amadeu-Antonio-Stiftung sitzt neben dem Präsidenten des Thüringer Amts für Verfassungsschutz, Stefan Kramer, einem Professor der Universität Bielefeld, einer Journalistin der ZEIT und anderen, auch die Leiterin der Außenstelle Halle der Bundesbeauftragten für Stasiunterlagen und ehemalige Polizeipräsidentin in Eberswalde, Uta Leichsenring. Meine Damen und Herren, allein diese Aufzählung sollte Ihnen schon deutlich machen, dass auch die von der AfD vorgenommene Gleichsetzung mit der Stasi vollkommen inakzeptabel ist.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Tischner, ich danke Ihnen in diesem Zusammenhang auch für Ihr Wort in Richtung Verunglimpfung der Opfer des MfS. Aber ich hätte von Ihnen auch noch eine zweite Seite erwartet, nämlich die Zurückweisung, die Verunglimpfung der Amadeu Antonio Stiftung an dieser Stelle. Andere Politiker Ihrer Partei in diesem Land haben sehr glaubwürdig und sehr offen Position bezogen.


(Unruhe AfD)


Ich will unter anderem an den CDU-Politiker Wilfried Klenk aus Baden-Württemberg erinnern, der im September des vergangenen Jahres sagte, die Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung sei „eine beherzte Kämpferin gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“. Auch ihre langjährige und sehr erfahrene, sehr integere Politikerin Rita Süssmuth unterstützt die Amadeu-Antonio-Stiftung und sagt: „Ich unterstütze die Stiftung, weil sie Initiativen und Engagierten hilft, eine lebendige demokratische Kultur anzustoßen, dort, wo sich Menschen für die Belange vor Ort einsetzen und ihre Stimme gehört wird, haben Rechtsextreme und ihre Parolen keine Chance, Rechtsextremismus und Rassismus entgegenzutreten. Das heißt, Demokratie zu leben.“


Herr Tischner, genau eine ähnliche Position auch gegen die Verunglimpfung der Amadeu-Antonio-Stiftung hätte ich von Ihnen hier im Haus erwartet.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die AfD beklagt in ihrem Antrag eine äußerst vulgäre, verrohte, mit Beleidigungen durchsetzte Sprache – ich dachte erst, Sie meinen Ihren eigenen Abgeordneten Brandner, aber Sie meinen da eine Mitarbeiterin der Stiftung –


(Heiterkeit und Beifall DIE LINKE)


und liefert gleichzeitig allein schon im Titel ihres Antrags ein weiteres Beispiel dafür, wie sie sich der Mittel der Beleidigung, Verleumdung, Herabwürdigung, Diffamierung und Beschimpfung nach Belieben bedient.

Anetta Kahane hat – für alle nachlesbar – bis 1982 für das MfS informell gearbeitet. Sie hat diese Zuarbeit begutachten lassen, das Gutachten veröffentlichen lassen und sie hat sich der öffentlichen Diskussion gestellt.


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Gefälligkeitsgutachten, was?)


Allein das unterscheidet sie von vielen. Sie hat sich aber auch in den 80er-Jahren der demokratischen Opposition in der DDR angeschlossen, zu einer Zeit also, als andere in diesem Haus noch für die Volkskammer kandidierten.


(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anders als mit dem Antrag der AfD beabsichtigt, steht es dem Freistaat Thüringen gut zu Gesicht, die Zusammenarbeit mit einer derartig renommierten und in vielen gesellschaftlichen Bereichen anerkannten Institution vertiefen zu können.


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Stasi-Spitzel! Alles gar kein Problem!)


„Das aktuell in Thüringen bestehende Landesprogramm ist zu überarbeiten und als klares Landesprogramm gegen Neonazismus, Rassismus, Antisemitismus und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu gestalten.“ Auch das ist ein Zitat, Herr Tischner, aus den gemeinsamen Empfehlungen einschließlich der Empfehlung Ihrer Fraktion aus dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses 5/1. Die Landesregierung hat diese Empfehlungen aufgegriffen und die Überarbeitung ist gegenwärtig im Prozess. Anfang des Jahres wurde die dem Landesprogramm zugrunde liegende Gefährdungsanalyse öffentlich vorgestellt und diskutiert. In weiteren Arbeitsgruppen mit einer breiten Einbeziehung von Vertretern verschiedenster Institutionen werden derzeit in einem offenen Diskussionsprozess die weiteren Kapitel aufbauend auf eben dieser Gefährdungsanalyse erarbeitet.


Wenn ich Ihren Antrag in den Punkten I und II lese, muss ich Ihnen sagen, Herr Tischner, Sie kommen einfach zu spät, Sie verpassen eine bereits seit sechs Monaten oder länger laufende Debatte, der Sie sich bislang aber entzogen haben. Ich denke, aus diesem Prozess wird deutlich, dass neueste Erkenntnisse einbezogen werden, auch in der Gefährdung neuer Phänomenbereiche, die als Gefahr für Demokratie und Freiheit zu gelten haben.


Aber ich will Ihnen eines auch deutlich sagen: Wenn es darum geht, qualitativ zu beschreiben, heißt das auch, zu beschreiben, worin auch strukturell die größte Gefahr für eine freie und demokratische Gesellschaft liegt. Und das zeigen wir. Sie mögen es nicht glauben, aber das zeigt sich doch tatsächlich in dem von diesem Land Thüringen seit vielen Jahren unter der CDU-Regierung begonnenen und in Auftrag gegebenen Thüringen-Monitor. Wenn wir konstatieren müssen, dass im Jahr 2015 die rechtsextremen Einstellungen – also diejenigen, die über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen, nicht mal hier und da eine Position aus dem Bereich rechtsextremer Ideologie teilen, sondern die über ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild verfügen – nach den Ergebnissen der Untersuchungen von Prof. Dr. Best der FSU Jena um sieben Prozentpunkte zugenommen haben und nunmehr 25 Prozent der Thüringer Bevölkerung ausmachen, dann heißt das doch, dass wir als Politik einen Auftrag haben, uns mit diesen Einstellungen, mit diesen Entwicklungen auseinanderzusetzen, nicht weil es um Meinungsterror geht, sondern weil es darum geht, dass ein geschlossen rechtsextremes Weltbild diametral dem Grundkonsens der Bundesrepublik Deutschland „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ entgegensteht.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, meine Damen und Herren, diesen Thüringen-Monitor möchte Höcke gern im Ofen brennen sehen.


(Zwischenruf Abg. Höcke, AfD: Das habe ich nie gesagt! Soll ich Ihnen das noch mal erklären?)


Ich sage Ihnen ganz deutlich:


(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Das braucht er nicht, er ist doch Wissenschaftler!)


Beides, die Ergebnisse des Thüringen-Monitors aber auch die Einstellungen und Positionen der AfD-Fraktion, bringt uns dazu, dass wir beide Anträge der AfD ablehnen und auch den Antrag der CDU-Fraktion. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


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