Klimaproteste in Thüringen nicht kriminalisieren

Sascha Bilay

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/8076

 

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Schard, ich will schon mal von Ihnen wissen, wie Sie jungen Menschen, die sich für den Klimaschutz engagieren, von einem Rechtsstaat überzeugen wollen, wenn man mit einem vorgehaltenen Gewehr oder Pistole am Bett aufgeweckt wird, weil man denen eine kriminelle Vereinigung vorwirft. Also, das ist jetzt ein bisschen weit hergeholt.

 

(Unruhe CDU, Gruppe der FDP)

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle fest, die Klimaproteste sind legitim und ich stelle fest, Herr Schard ...

 

Vizepräsident Bergner:

 

Entschuldigung, bitte. Meine Damen und Herren, der Abgeordnete Bilay hat das Wort, und nur der Abgeordnete Bilay. Ich bitte um Ruhe im Saal! Jetzt kriegen Sie sich bitte ein. Herr Bilay, Sie haben das Wort.

 

Abgeordneter Bilay, DIE LINKE:

 

Ich versuche es noch mal. Herr Kemmerich, auch für Sie: Klimaproteste sind aus meiner Sicht legitim und sie sind aus meiner Sicht notwendig, weil nämlich das Vertrauen, weil das Vertrauen in politische Akteure,

 

(Zwischenruf Abg. Kemmerich, Gruppe der FDP: Gewaltfrei! Gewaltfreiheit!)

 

(Beifall DIE LINKE)

 

weil das Vertrauen in politische Akteure, so wie Sie hier eben geredet haben, so wie Ihre Partei ja auf Bundesebene gerade agiert, weil das Vertrauen in diese politischen Akteure nachhaltig gestört ist, weil nämlich diejenigen,

 

(Beifall DIE LINKE)

 

die derzeit politische Entscheidungen treffen – nicht alle, aber ein Großteil –, in einer Zeit groß geworden sind, in der der ökologische Raubbau dazu geführt hat, dass man überhaupt auf einem gehobenen Lebensstandard leben konnte. Deswegen haben diese politischen Akteure auch kein wirkliches Interesse daran, dem Klimawandel nachhaltig und konsequent zu begegnen.

 

(Beifall Gruppe der FDP)

 

Und deswegen ...

 

Vizepräsident Bergner:

 

Meine Damen und Herren, noch einmal, Herr Bilay hat jetzt das Wort, bei aller Unterschiedlichkeit der Meinungen, die Reden werden hier vorne am Pult gehalten. Ich möchte jetzt eigentlich nicht erst die Sitzung unterbrechen, sowohl Herr Kollege Kemmerich als auch Frau Kollegin Henfling und weitere. Ich bitte doch darum, den Kindergarten hier zu beenden und weiter zur parlamentarischen Rede zu kommen. Bitte, Herr Bilay.

 

Abgeordneter Bilay, DIE LINKE:

 

Aber wenn ich jetzt anderthalb Minuten überziehe, dann bitte nicht unterbrechen. Also bitte dann nicht noch mal. Deswegen ist es aus meiner Sicht auch höchst bedenklich – und diese Kritik müssen jetzt auch unsere Partner einfach kurz aushalten –, wenn man sich auf der einen Seite als Klimaschützer, als Klimakanzler bewirbt und um Stimmen buhlt, und auf der anderen Seite dieselben Akteure, um deren Stimmen man vorher geworben hat, als völlig bekloppt bezeichnet, passt das aus meiner Sicht nicht zusammen.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Deswegen ist es aber auch nachvollziehbar, wenn Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten, die über Jahre hinweg immer gesprächsbereit gewesen sind mit der Politik, am Ende aus Enttäuschung darüber, dass eben keine Konsequenzen daraus gezogen wurden, zum letzten Mittel – aus ihrer Sicht zum letzten Mittel – des zivilen Ungehorsams greifen, weil feststellbar ist, dass eben in dem Bereich die Realitätsverweigerung breiten Raum, sowohl in Politik als auch in Gesellschaft, eingenommen hat. Ich will es Ihnen deutlich sagen: Wer politische Veränderungen in diesem Land will, muss unbequem sein. Und es reicht eben nicht, wenn man auf einem bequemen Sofa sitzt und die schlechten Nachrichten über Unwetterereignisse zur Kenntnis nimmt, wenn das Fernsehen läuft, sondern man muss unbequem sein. Es mag für Autofahrer unbequem sein, wenn man ein paar Minuten auf der Straße steht und das Auto nicht rollt, aber es wäre noch viel verheerender, wenn ich nicht mehr Auto fahren kann, weil die Straße aufgrund eines Unwetterereignisses infolge des Klimawandels weggespült wurde.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Insofern, Herr Schard, haben Sie ja zum Teil mit Ihrer Rede tatsächlich mal recht gehabt.

Die Aktionen, über die wir reden, machen deutlich, dass wir uns in einem Spannungsfeld zwischen dem Recht auf Versammlungsfreiheit und andererseits strafrechtlich relevanter Bestandteile, wie unter anderem Nötigung usw. usf. bewegen. Aber ich will auch deutlich sagen: Gerade in den letzten Wochen und Monaten sind die Blockaden auf Straßen immer im Vorfeld angekündigt worden, damit sich alle darauf einstellen konnten. Genau deshalb sind diese Veranstaltungen auch unter das Versammlungsrecht gefallen. Das ist nämlich der Unterschied zwischen den Klimaschutzaktivisten, die das im Vorfeld anzeigen, und Coronaschwurblern, die seit Jahren über 2.500 sogenannte Spaziergänge in Thüringen unangemeldet illegal durchführen und von der Polizei begleitet werden.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Deswegen ist es hanebüchen, wenn man jetzt versucht, über Gebührentatbestände diese Klimaschutzaktivisten mit irgendwelchen Forderungen zu überziehen, während man gleichzeitig über Jahre hinweg bei den Coronaschwurblern weggeschaut hat.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Diese Klimaschutzaktionen sind politische Aktionen und sie unterliegen aus guten Gründen dem Versammlungsrecht.

Ich mache jetzt weiter, weil vorhin mir auch Zeit geklaut wurde.

 

(Zwischenruf Abg. Montag, Gruppe der FDP: Haben Sie das zu bestimmen, oder was?)

 

Die Gerichte sind in dieser Frage im Übrigen auch uneinheitlich. Das Amtsgericht in Flensburg hat beispielsweise gesagt, dass der Notstand nach § 34 Strafgesetzbuch als begründet angesehen werden kann, weil – Zitat – es sich um eine nicht anders abwendbare Gefahr handelt, dass sich die Gefahren wegen unzureichender Klimaschutzmaßnahmen in zukünftigen Jahrzehnten aller Wahrscheinlichkeit nach in noch wesentlich größerem Umfang realisieren werden, ohne dass dann den irreversiblen Schäden durch entsprechende Maßnahmen des Klimaschutzes noch wirksam begegnet werden könnte. – Urteil des Amtsgerichts in Flensburg. Deswegen, sage ich, ist allein schon die Vermutung, dass es sich bei der Letzten Generation um eine kriminelle Vereinigung handeln könnte, schon starker Tobak. Es dient ja schon dazu, allein nur die Leute, die sich für den Klimaschutz so engagieren, einzuschüchtern und mundtot zu machen. Ich will auch deutlich machen: Wer sich über Jahre hinweg den Gesprächen der Klimaschutzaktivistinnen und Klimaschutzaktivisten verweigert hat, darf nicht mit dem § 129 Strafgesetzbuch kommen, der die gesamte Klaviatur ermöglicht, bis hin zu Abhörmaßnahmen, nicht nur Durchsuchungen. Wer vorher die Gespräche verweigert, darf im Nachgang nicht Justiz und Polizei bemühen, um die Leute abzuhören. Der einzig positive Effekt von dem, was in München und anderswo geschehen ist, ist, dass am Ende die Letzte Generation auf noch mehr breite Unterstützung in der Zivilgesellschaft vertrauen kann.

 

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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