Gegen eine Politisierung gewachsener Gemeinschaftsstrukturen: Einrichtung eines Landesprogrammes "Meine Heimat - mein Thüringen"

Katja Mitteldorf

Zum Antrag der Fraktion der AfD - Drucksache 6/5390

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, es ist schon ein Stück weit rausgekommen, dass es der AfD mit ihrem Antrag eigentlich nur um eine Sache geht: uns heute noch mal mitzuteilen und uns aufzufordern, das Landesprogramm für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz zu beenden, weil sie es für nicht nötig erachtet. Und sie windet sich – das hat der große AfD-Führer Höcke heute auch noch mal bewiesen – an diesem Rednerpult mit großen theatralischen Gesten in der typischen Phrasenbildung hin und her,

 

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

um dann immer wieder zu sagen: Das Landesprogramm wäre natürlich ein reines und einziges Ideologieprojekt und die einzigen ideologiefreien Menschen auf dieser ganzen Welt und schon überhaupt in unserem Bundesland Thüringen ist natürlich die AfD-Fraktion, weil alles das, was sie vorhaben, hat überhaupt gar nichts mit Ideologie zu tun. Das hat der Kollege Höcke heute hier wieder versucht mitzuteilen,

 

(Beifall AfD)

 

was allerdings – wie er gleichzeitig auch bewiesen hat – nicht stimmt. Das Einzige, was Sie hier gemacht haben, Herr Höcke, ist ideologisch verbohrt,

 

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Jetzt wird es aber falsch!)

 

ideologisch engstirnig, eine große Marktrede zu halten. Sie verwechseln nach wie vor dieses Parlament mit Ihren Großveranstaltungen, wo Sie Ihre Jünger und Anhänger suchen. Hier in diesem Parlament geht es um Substanz, hier geht es um Inhalt

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

und hier geht es um die Frage: Wie entwickeln wir dieses Bundesland? Und wie machen wir das für alle Menschen in Thüringen – und zwar egal, ob die hier leben, ob die hier herkommen, ob die hier geboren sind oder nicht hier geboren sind? Darum geht es hier und darum geht es auch bei genau dieser Frage.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Nur Ihnen natürlich nicht. Das passt – weil Sie immer sagen, das ist ein Ideologieprojekt – natürlich auch deshalb zu Ihrer Sichtweise, weil Sie erst neulich großspurig verkündet haben, dass 16- und 17-Jährige so derart leicht zu manipulieren seien, dass sie lieber nicht wählen können sollen,

 

(Heiterkeit Abg. Gentele, fraktionslos)

 

und – das steckt ja hier drin – dass dieses Landesprogramm auch dazu beiträgt, dass diese „so manipulierbaren“ jungen Menschen – es geht um Sie und euch da oben – durch dieses Landesprogramm und überhaupt natürlich durch die Politik im Land Thüringen verdorben werden. Die Denkweise sagt im Übrigen mehr über die AfD aus, als über die 16- und 17-jährigen Menschen in diesem Land,

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

die ja – Gott sei Dank – am 15. April wählen dürfen. Lustigerweise kommen Sie dann aber – „verehrte AfD“ hätte ich beinahe gesagt – mit einem eigenen Landesprogramm um die Ecke, welches Sie selbst als ideologiefrei bewerten. Und siehe da, ein entscheidender Punkt – weil Sie ja, wie wir schon etabliert haben, abschreiben – Ihres Landesprogramms – was Sie im Übrigen nicht auferlegt haben, Herr Höcke, sondern was Sie irgendwie hier fordern – ist im schulischen Bereich. Ergo sind dort also auch all jene Menschen, die Sie als manipulierbar beschreiben, zugegen, denen Sie gleichzeitig mit Ihren Äußerungen eine Teilnahme an der Demokratie aberkennen. Da müssen Sie mir jetzt mal den Zusammenhang erklären, wenn Sie sagen, alles, was sozusagen auch an schulischen Programmen passiert, wäre ideologisch verbohrt, wie dann das, was Sie da vorhaben, nicht ideologisch verbohrt sein soll, aus Ihrer eigenen Argumentation. Das ist wenig zielführend und macht auch wenig Sinn. Dieser Umstand allein ist also wenig konsistent, was natürlich nicht überraschend ist, denn Ihnen geht es ja ganz offensichtlich um die Implementierung Ihrer eigenen engstirnigen Weltsicht.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Überhaupt musste ich mir beim Lesen Ihres Antrags außerdem die Frage stellen, ob Sie einen Heimatbegriff und eine Heimatverbundenheit nur dörflichen Strukturen zugrundelegen und den vielen kleinen und mittleren Städten in Thüringen eine solche Beziehung aberkennen. Das finde ich zumindest höchst spannend. Aber genau das ist wahrscheinlich auch Ihr eigenes, grundsätzliches Problem, das in Ihrem Antrag im Übrigen auch offenbar wird. Denn scheinbar wissen Sie nicht wirklich selber, was Sie mit Heimat und Tradition gerade im Bezug auf Thüringen meinen. Wahrscheinlich verlangen Sie deshalb Heimatforschung an den Thüringer Hochschulen, wobei Sie nicht mal benennen, was denn da erforscht werden soll, und natürlich auch nicht die Frage beantworten, ob das, was Thüringer Hochschulen erforschen, auch im geschichtlichen, im kulturellen Sinne, nicht genauso heimatfördernd und heimatforschend – wenn das Ihre Begrifflichkeiten sein sollen – ist, wie das, was längst passiert.

 

Es ist schon gesagt worden, Heimat hat in gewisser Weise auch etwas mit einem Gefühl zu tun. Demnach ist Heimat sogar ein wichtiger und essenzieller Teil des kulturellen Selbstverständnisses einer Gesellschaft. Ob man das Heimat nennt oder nicht, aber dieses Gefühl ist Teil eines kulturellen Selbstverständnisses. Ich glaube – bei Ihnen in der Fraktion wahrscheinlich nicht, da gibt es die Order, das ist der Begriff „Heimat“ und das habt ihr alle so zu sehen –, wenn wir in allen anderen Fraktionen unsere Kollegen fragen, dass jeder Einzelne die Frage: Was ist für dich Heimat? völlig anders beantwortet. Ich behaupte, egal, welche Antwort von Ihnen aus Richtung der AfD kommt, dass sich das mit meinem Gefühl und meinem Verständnis, was Heimat ist, auf gar keinen Fall decken wird. Denn ich – ich glaube, viele andere Kollegen im Hohen Haus auch – betrachte diese Begriffe nicht starr und allgemeingültig. Sondern in einer sich naturgemäß verändernden Gesellschaft wird ganz selbstverständlich auch immer wieder die Sinnfrage neu gestellt und natürlich wird auch ganz selbstverständlich immer wieder das Verhältnis zu seiner Umgebung und auch zu den Fragen von Geschichte und – na klar – auch Tradition gestellt. Aber ein Heimatgefühl ist kein zu verordnendes Gefühl. Es ist auch nicht zu verordnen, wem oder was man sich verbunden fühlt, denn auch dies sind gesellschaftliche Prozesse, die immer auch einer Neubewertung unterliegen.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Das ist eigentlich ganz einfach. Ihre vermeintliche Sorge – das kommt in dem Antrag auch so ein bisschen halbherzig raus –, dass Tradition und Heimatpflege in Thüringen keine Rolle spielen würden, ist zudem übrigens mehr als unbegründet. Der Kollege Adams ist darauf auch schon ein Stück weit eingegangen. Ich will auch noch mal stichpunktartig auf Aspekte in Ihrem Antrag eingehen. Da die Mehrheit der AfD-Fraktion nicht aus Thüringen stammt, weiß sie vielleicht nicht – aber es ist ja schon angesprochen worden –, dass der Bezug zu Thüringen in den Jahren der Grundschule vor allem im Fach Heimat- und Sachkunde aber auch – und das ist jetzt das Spannende – fächerübergreifend schon immer und sehr traditionell einen großen Raum einnimmt, indem die Vermittlung geografischer, geschichtlicher, kultureller und heimatkundlicher Sachverhalte erfolgt, die einen Bezug zu Thüringen haben. Auch da noch mal der Hinweis: Der Lehrplan für das Fach Heimat- und Sachkunde ist über das Thüringer Schulportal im Internet einsehbar, also auch für Sie zu erreichen.

 

Das Lernen am anderen Ort, was Sie ansprechen und nicht sagen, wo das passieren soll – da will ich Ihnen nur mal eines sagen: Das Lernen am anderen Ort wird von der Thüringer Landesregierung bereits besonders und deutlich unterstützt. Die Mittel für diese Vorhaben an den Schulen wurden von knapp 700.000 Euro im Jahr 2017 auf über 2 Millionen Euro 2018 und 2019 erhöht. Das ist etwa das Dreifache – und im Übrigen genauso viel, wie Sie für Ihr angebliches tolles Landesprogramm insgesamt ausgeben wollen. Da sollten Sie sich mal fragen, ob das so viel Sinn macht, was Sie da aufgeschrieben haben.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Dann fordern Sie Fortbildungen für pädagogisches Personal. Da frage ich mich immer: Wo leben Sie denn? Haben Sie schon mal was vom ThILLM gehört? Haben Sie schon mal was davon gehört, dass natürlich unsere Lehrkräfte Weiter- und Fortbildung haben – und zwar immerwährend und zu jeder Zeit? Auch da frage ich mich: Was soll der Hype um diesen Punkt, denn es passiert?

Die Förderung von Feuerwehrsportvereinen, Aquarianern, Kultur- und sonstigen Vereinen und Gruppen entsprechend der jeweils örtlichen Interessenstruktur – „der jeweils örtlichen Interessenstruktur“ könnte man auch übersetzen: je nach dem, was die jeweilige Region für sich als wichtig erachtet oder als heimatrelevant, wenn Sie das so nennen wollen – findet kommunal und über die Landesverbände oder durch entsprechende Projektförderungen seitens des Landes statt und muss nicht durch Sie angeregt werden, denn da sind die zumeist ehrenamtlichen Menschen natürlich sehr engagiert dabei.

Im Übrigen, weil Sie vorhin wieder behauptet haben, die Förderung dieser Vereine passiert nur über das Landesprogramm, was Sie ja abschaffen wollen: Das ist natürlich größter Humbug. Doch, das haben Sie gesagt, dann müssen Sie es mal im Protokoll nachlesen.

Dann wollen Sie eine Förderung von Festen. Da weiß ich nicht – na doch, ich weiß, wo Sie wohnen –, aber örtliche Feste gehören überall dazu und die werden im Übrigen auch überall unterstützt, auch durch ganz viel Engagement. Ich hätte Ihnen jetzt beinahe eine Einladung zu einem Fest ausgesprochen, aber eigentlich hätte ich Sie nicht so gerne dabei, das muss ich auch sagen.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Im Rahmen der Förderung von Kunst und Kultur – auch das ist schon gesagt worden – wird die Arbeit des Heimatbundes Thüringen vom Land unter anderem durch die Finanzierung einer Geschäftsstelle und einer Projektmanagerstelle gefördert. Als Dachverband ist der Heimatbund ein wichtiger Bildungsträger, der für eine Vielzahl von Themen in der Heimat- und Kulturpflege, aber auch der Natur- und Denkmalpflege aktiv wird. Auf Initiative des Heimatsbundes haben sich die amtlich bestellten Kreisheimatpfleger – denn die gibt es in Thüringen übrigens auch schon ohne Landesprogramm der AfD – zur „Ständigen Konferenz Heimatpflege“ in Thüringen zusammengeschlossen, um so die Akteure, Vereine und Institutionen der Heimatpflege noch besser einbeziehen zu können. Darüber hinaus – auch das ist bereits erwähnt worden – leistet die volkskundliche Beratungs- und Dokumentationsstelle in Erfurt für Laien und Wissenschaftlerinnen, Einzelpersonen und Institutionen eine hervorragende und vernetzende Arbeit.

 

Jetzt noch ein kleiner Lesetipp: Wenn man sich das Kulturkonzept des Freistaats Thüringen anschaut, das in der letzten Legislatur 2012 erschienen ist und bis heute quasi als Grundlage für kulturpolitische Diskussionen und Entwicklungen gilt, dann empfehle ich Ihnen, sich da auch mal die Seite 118 anzuschauen – weil Sie immer befürchten, dass hier in Thüringen nichts passiert. Sie sind fehlgeleitet und da werden Sie sehen, dass natürlich – und das habe ich auch schon gesagt – die Heimat- und Brauchtumspflege – auch wenn ich den Begriff für mich persönlich ein bisschen schwierig finde – natürlich in Thüringen eine große Rolle spielen, auch in der Frage der Zivilgesellschaft und des zivilgesellschaftlichen Zusammenlebens. Aber aus den Traditionen, auf die man sich beruft, erwachsen Innovationen und Veränderungen. Das macht im Übrigen eine Gesellschaft auch lebens- und liebenswert. Das führt auch dazu, dass Menschen zueinanderfinden und miteinander Prozesse gestalten, bei denen nicht vorgegeben werden muss, in welchem Rahmen sie sich zu bewegen haben.

 

Alles, was ich Ihnen in Bezug auf Ihren Antrag mitgeteilt habe, könnten Sie natürlich wissen, wenn es Sie wirklich und ernsthaft interessieren würde, denn das ist alles nachles- und nachweisbar. Aber Ihnen geht es – wie eingangs erwähnt – lediglich um die Abschaffung des Landesprogramms für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz. Diesen Gefallen werden wir Ihnen – das dürfte Sie nicht überraschen – natürlich nicht tun. Denn Teil meines Heimatgefühls im Übrigen ist eine tolerante, weltoffene und demokratisch verfasste Gesellschaft, die sich gegen Ausgrenzung einsetzt und willens und fähig ist, über ihren eigenen Tellerrand zu schauen – also das, was Sie nicht können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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