Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen (Gesetz zum weiteren Ausbau der direkten Demokratie auf Landesebene)

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 6/4806


Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, der heute vorliegende Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung ist der zweite Reformbaustein, den wir als Koalitionsfraktionen umsetzen wollen. Die Reform der direkten Demokratie auf kommunaler Ebene im Jahr 2016 hat Thüringen auf Platz eins im Ranking der Bundesländer in Sachen direkter Demokratie in den Kommunen gebracht. Doch die Regierungskoalition ruht sich darauf nicht aus, sondern als Gründungsmitglieder des Bündnisses Mehr Demokratie in Thüringen machen wir nun den nächsten Schritt. Wie wichtig dieser nächste Schritt ist, haben nicht zuletzt die Ergebnisse der Bundestageswahl und des neusten Thüringen-Monitors offengelegt. Viele Menschen sind enttäuscht von der parlamentarischen Demokratie und haben den Eindruck, kein wirkliches Gehör mehr zu finden. Vor knapp 15 Jahren, im Jahr 2003 wurde der erste Baustein beschlossen, die erste Reform von Volksbegehren und Volksentscheiden. 2009 der nächste Schritt, diesmal auf kommunaler Ebene. Beide Male gab es erheblichen Widerstand aus der CDU. Dennoch konnten mit Druck von Hunderttausenden Unterschriften aus den beiden Volksbegehren diese Bausteine als Oppositionsprojekte umgesetzt werden. Das gelang zwar noch nicht optimal, aber das lag an Ihrem Widerstand, liebe Mitglieder der CDU-Fraktion. Deshalb hat Rot-Rot-Grün für die kommunale Ebene mit dem Gesetz von 2016 nachgelegt.


Vergleichbar ist die Situation nun für die direkte Demokratie auf Landesebene. Das gilt vor allem für den Punkt der weitestgehenden Abschaffung des Finanzvorbehalts, aber auch die notwendige Anzahl von Unterschriften unter einem Volksbegehren. Wir legen mit der hier zur Beratung stehenden Verfassungsänderung nun auch für die Landesebene in Sachen direkter Demokratie nach. Denn wie leidvolle Erfahrungen von Initiatoren von Volksbegehren zeigen, ist das jetzige Finanztabu in so strikter Ausformung ein echtes Verhinderungsinstrument. Dabei hat praktizierte direkte Demokratie eine so wichtige lebendige Funktion für die gesamte Demokratie auch für uns als Parlament.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen üben sich bei der direkten Demokratie selbst in deren praktischer Anwendung und erleben live, dass sie Themen und Inhalte auch wirksam mitgestalten können. Breite Sachdiskussionen im Rahmen von Volksbegehren sind auch ein gutes Gegenmittel gegen populistische Stimmungsmache.


(Beifall DIE LINKE)


Denn die Stimmungsmache muss sich im Rahmen von Volksbegehren dann mit harter Faktendiskussion auseinandersetzen. Die Pflicht zu einem Deckungsvorschlag ist das deutliche Signal, direkte Demokratie bedeutet selbstbestimmtes Bürgerhandeln. Aber dieses Handeln muss auch mit Verantwortungsbewusstsein und Vernunft gepaart sein. Daher sollen sich die Initiatoren auch über Finanzierungsfragen Gedanken machen. Allerdings sollen die Initiatoren als „normale Menschen aus der Bevölkerung“ beim Deckungsvorschlag nur so viel zu den Mehrkosten sagen müssen wie wir als parlamentarische Akteure. Es geht also um eine allgemeine Prognose, keine detaillierte Haushaltswissenschaft.


Im Übrigen sei an dieser Stelle auch daran erinnert, dass es für die Initiativen – und so steht es jetzt schon im Verfahrensgesetz – die Beratungsmöglichkeiten hinsichtlich der Ausgestaltung des Volksbegehrens gibt. Wir als Linke sagen laut und deutlich, an der Abfassung eines Deckungsvorschlags darf bzw. soll die Zulässigkeit eines Volksbegehrens nicht scheitern.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gerade uns als Linke die weitestgehende Zurückdrängung des Finanzvorbehalts wichtig ist, haben wir auch in der letzten Lesung zum Gesetzentwurf der CDU über das fakultative Referendum deutlich gemacht. Es ist und bleibt eine Mogelpackung, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, den Leuten neue direktdemokratische Instrumente versprechen, aber diese dann mit einem sehr strengen und arg konservativen Finanzvorbehalt als Bremsklotz behängen. Die Enttäuschung der Menschen ist vorprogrammiert und unserer Ansicht nach fördert dieses leere Versprechen letztendlich nur die populistische Stimmungsmache in Sachen direkter Demokratie. Und seit 2001 gibt es ein Urteil des Thüringer Verfassungsgerichts, dass eine sehr strenge und konservative Auslegung des Finanzvorbehalts vertritt. Allerdings bezieht sich dieses Urteil auf die Formulierung zum Landeshaushalt, aus dem derzeit noch geltenden Artikel 82. Aber praktisch hat alles finanzielle Auswirkungen auf den Landeshaushalt, sodass mit dieser Auslegung ja praktisch alle Volksbegehren betroffen sind. Der hier vorliegende Gesetzentwurf benutzt jetzt den Begriff „Landeshaushaltsgesetz“. Nur sechs Buchstaben mehr, aber eine immens große Wirkung. Der Unterschied ist aber verfassungsrechtlich und praktisch sehr bedeutsam. In der Einbringung ist das mit dem Verweis auf Berlin und ein Grundsatzurteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs zum Thema „Finanzvorbehalt“ deutlich gemacht worden. Mit dem Begriff „zum Landeshaushaltsgesetz“ ist nur noch der laufende Jahreshaushalt vom Zugriff der direkten Demokratie ausgenommen. Zu Themen mit finanziellen Auswirkungen auf zukünftige Landeshaushalte können aus der Bevölkerung per Volksbegehren Gesetze auf den Weg gebracht werden. Allerdings nimmt die vorliegende Regelung wie das Berliner Vorbild bestimmte Themenbereiche aus. Das betrifft Personalentscheidungen, Abgaben und Versorgungsbezüge. Es ist dem Berliner Verfassungsgerichtshof zuzustimmen, wenn er in seinem Urteil vom 6. Oktober 2009 sagt, das Budgetrecht hat gegenüber Volksbegehren Schutz verdient, aber nur dann, wenn das Parlament sein Haushaltsrecht schon konkret ausgeübt hat, man also einen Eingriff in seine Budgetrechte auch wirklich feststellen kann.


Aber gleichzeitig hat die direkte Demokratie Schutz davor verdient, dass das auf dem Papier gemachte verfassungsrechtliche Versprechen in Form von Volksbegehren in der Praxis nicht leerläuft. Das passiert aber, wenn man das Budgetrecht als uferloses, in unbegrenzte Zukunft wirkendes Abwehrinstrument gegen Volksbegehren mit finanziellen Auswirkungen benutzt. Auch Volksbegehren müssen, wenn sie als Instrument in der Verfassung verankert sind, tatsächlich wirksam nutzbar sein. Das sagt eben auch das Berliner Verfassungsgericht in seinem eben erwähnten Urteil.


Dass Menschen bei der direkten Demokratie auch vernünftig mit öffentlichen Geldern umgehen, belegt jede Studie dazu. Hinzu kommt, Demokratie heißt auch, dass Menschen darüber mitbestimmen dürfen, welche Inhalte und Projekte vom Staat mit ihren Steuergeldern umgesetzt werden. Kritiker werden einwenden, die direkte Demokratie hat doch auch Problemseiten. Je leichter alles wird, desto größer werden die Risiken. Es geht um die Gefahr des Missbrauchs der direkten Demokratie zum Beispiel durch irrationale Stimmungsmache. Aber den Ausbau der Demokratie zu stoppen, weil bestimmte Akteure sie missbrauchen könnten bzw. wollen, ist unserer Ansicht nach der falsche Weg.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten und müssen den Ausbau wagen, um mehr Menschen in positiver Weise Demokratie einüben, aber auch praktizieren zu lassen. Dazu muss zukünftig die Demokratieerziehung und -bildung gestärkt werden. Das schützt am besten vor Missbrauch.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein weiterer wichtiger Missbrauchsschutz ist die Kontrolle von Volksbegehren durch den Thüringer Verfassungsgerichtshof. So werden Menschen und Bürgerrechte sowie gesellschaftliche Minderheiten und ihre Rechte geschützt. Die Linke-Fraktion befürwortet daher gerade in diesem Punkt das deutsche Model der direkten Demokratie auch in Thüringen. Diese verfassungsrechtliche Überprüfung muss Bestandteil neuer Formen der direkten Demokratie sein, wie auch beim Referendum. Das gilt vor allem mit Blick auf Missbrauchsversuche und Angriffe von rechtspopulistischer und rechtsextremer Seite. Und daher verwundert es nun nicht, dass wir als Linke das Schweizer Modell der direkten Demokratie kritisieren. Es kennt diesen verfassungsgerichtlichen Schutzmechanismus für Menschenrechte und Minderheiten nicht. Populistische Volksbegehren, wie das zur Wiedereinführung der Todesstrafe oder zum Schusswaffengebrauch gegen wehrlose Flüchtlinge an der Grenze, sind nach diesem deutschen verfassungsgerichtlich geprägten Modell nicht möglich. Die rechtspopulistische AfD vertritt das Schweizer Modell. Das konnten wir auf allen Plakaten zur Bundestagswahl lesen. Damit pfeift die AfD auf Minderheitenschutz und Schutz von Menschenrechten bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Volksbegehren.


(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch der Punkt „Einwohnerantrag“ macht deutlich: Rot-Rot-Grün überlässt die direkte Demokratie nicht den Populisten und Hetzern von rechtsaußen.


(Beifall DIE LINKE)


Was bedeutet denn eigentlich dieser Einwohnerantrag? Ein Einwohner sammelt 10.000 Unterschriften und bittet darum, dass der Landtag sich mit seinem Problem auseinandersetzt – kein Hexenwerk, einfach ein Debattenbeitrag. Um das einmal praktisch zu verdeutlichen, ein kleines Beispiel: Hier nebenan spielt Rot-Weiß Erfurt und jetzt können alle Fans des Vereins mal kurz die Augen schließen und träumen. Pep Guardiola, allen bekannter Erfolgstrainer, übernimmt ab morgen den Club, wohnt, lebt, zahlt Steuern in Thüringen. Nun hat er aber ein Problem und will das im Landtag diskutiert haben. Dazu sammelt der fleißige Pep 10.000 Unterschriften und reicht diese dann als Einwohnerantrag in den Landtag ein, denn in der Demokratie sollen die Menschen selbst Handelnde sein und nicht nur bloße passive Objekte staatlichen Handelns. Deshalb müssen auch Menschen ohne Wahlrecht zum Landtag wenigstens diese Möglichkeit haben, eine politische Debatte anzustoßen und auf Probleme aufmerksam zu machen. Irgendwann lauschen wir dann gespannt dem Erfolgstrainer Pep. Ob aber der Landtag seinem Thema folgt und sein Anliegen beschließt, darüber behalten die Abgeordneten das alleinige Entscheidungsrecht. Diese alleinige Entscheidungsbefugnis des Landtags ist verfassungsrechtlich absolut wichtig. Das unterscheidet den Einwohnerantrag von der Teilnahme an Wahlen. Daher dürfen dieses Instrument auch Menschen nutzen, die kein Wahlrecht haben. Damit ist der Einwohnerantrag für alle Menschen in Thüringen ab 14 Jahre und unabhängig von deren Staatsangehörigkeit nutzbar. Damit ist er ein wichtiges Inklusionsinstrument, das Diskussion und Austausch fördern soll. Liebe Skeptiker, bitte denken sie noch einmal darüber nach, ob Sie den Pep mit seinem Anliegen vor der Tür des Landtags stehen lassen wollen oder nicht.


Mit dem vorliegenden verfassungsändernden Gesetzentwurf zur Stärkung der direkten Demokratie wollen wir auch die Möglichkeit nutzen, das aktive Wahlalter auf Landesebene von 18 auf 16 Jahre zu senken. Die Altersgrenze wird mit den Regelungen der kommunalen Ebene synchronisiert und überträgt sich auch auf das Abstimmungsalter bei Volksbegehren. Je früher direkte Demokratie praktischer eingeübt wird, umso besser. Andere Bundesländer, die diesen Schritt schon vollzogen haben, sind uns da weit voraus. In einer Mündlichen Anhörung im Innenausschuss und mitberatend im Ausschuss für Migration, Justiz und Verbraucherschutz soll der Gesetzentwurf weiter intensiv diskutiert werden.


Und nun möchte ich meinen Redebeitrag mit einem Zitat abschließen: Aber Mittel zu finden, die besser sind als Populismus, Mittel zu finden, die die Erwartungen der Bürger erfüllen, sich mehr zu beteiligen, Mittel zu finden, die mehr sind, als nur alle fünf Jahre die Leute zur Wahl zu schicken, Mittel zu finden, die die Leute wieder begeistern lassen, an Demokratie teilzunehmen, das sollte uns zu allererst anstrengen und das sollten wir in einem offenen Aushandlungsprozess auch gern diskutieren, ausdrücklich offen und von mir aus auch über einen längeren Zeitraum. – Leider ist Herr Mohring jetzt nicht im Hause, aber an die übrigen Mitglieder der CDU-Fraktion: Die eigenen Worte aus dem Beitrag von Ihrem Fraktionsvorsitzenden zum Thüringen-Monitor nehmen wir sehr ernst und wir stehen für einen offenen, fairen Austausch auch bereit. Ich danke Ihnen.


(Beifall DIE LINKE, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

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