Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen – Aufnahme von Staatszielen und Stärkung von Gleichheitsrechten 1/2

Anja Müller

Zum Gesetzentwurf der Fraktion der CDU - Drucksache 7/1629

 

Werte Kollegen! Sorgfalt und Gründlichkeit, Herr Zippel, haben Sie eben genannt.

 

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Ja! Das ist Ihnen vielleicht fremd!)

 

Ich war wirklich gespannt, denn medial kam ja die große Ankündigung von diesem Wurf, den Sie uns auf den Tisch legen wollten. Da habe ich wirklich gebibbert den ganzen Sommer lang und dachte, was bringen sie denn. Unsere positive Werteordnung, diese Thüringer Verfassung, wo Sie eben noch mal dargelegt haben, wann wurde sie wo verabschiedet. Leider haben Sie nicht erwähnt, dass auch die Thüringer darüber abstimmen konnten. Sie haben sie auch dabei. Sie beginnen in Ihrem Vorschlag mit einem Verbot. Ein Verbot in eine Verfassung reinzuhauen – ich nenne es wirklich „hauen“ –, ist wirklich ein – das gibt es nirgends.

 

Da bin ich bei dem Verbot von Paritätsregelungen im Wahlrecht. Das ist Ihnen vielleicht auch aufgrund dessen eingefallen, dass der Verfassungsgerichtshof so entschieden hat. Aber Sie vergessen dabei, dass es auch bei der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Sondervoten gab. Zwei Sondervoten, die von drei Richterinnen – großes I, wir sind beim Gendern – aufgegriffen worden sind, die sich an der europäischen Rechtsprechung orientieren. Da gibt es ganz andere Regelungen und da muss man sagen: Nein, wir machen keine Verbote in eine Verfassung, weil die Verfassung soll eigentlich darstellen, wie wollen wir zukünftig oder miteinander in Thüringen leben. Das kann man nicht über Verbote regeln.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Nun können Sie vielleicht auch schon raushören, dass wir uns da zwar austauschen werden – nicht so intim, wie Sie es eben dargelegt haben –, aber keinesfalls zueinanderkommen. Da trennt uns doch sehr viel. Mehr will ich dazu in dem Moment noch nicht sagen.

 

Ich kann nur sagen, liebe Frauen, die das hören, bitte aufstehen, denn – das ist ein schöner Satz – wir sind nicht nur die Hälfte des Himmels, wir sind nicht nur die Hälfte der Gesellschaft, nein, wir sind auch die Hälfte der Demokratie.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Und von dem her werbe ich, dass wir eine große Mehrheit finden, dieses Verbot nicht in die Verfassung aufzunehmen.

Jetzt komme ich zu dem, was Sie auch vorgeschlagen haben in der Änderung des Artikels 83. Sie haben es so ein bisschen umschrieben, dahinter steckt aber eigentlich die Extremismusklausel. Und da sind wir bei der Hufeisentheorie, die funktioniert einfach nicht mehr. Da will ich Ihnen auch sagen: Sie haben vielleicht auch Vorbilder in Sachsen-Anhalt. Dort gab es eine große Parlamentsreform, wo sich CDU übergreifend mit Linken, Grünen, FDP war – glaube ich – auch dabei, entschieden haben, die Antifaschismus-, Antirassismusklausel in ihrer Verfassung festzuschreiben.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Das kann doch wohl nicht wahr sein. Sie verkennen eigentlich die wahren Feinde der Demokratie. Sie setzen wieder irgendwelche Menschen gleich und denken, man muss links und rechts – dieses Hufeisen – sofort wieder miteinander verbinden. Die wahren Feinde – ich sage es gern noch mal – sind wirklich die, die hier rechts außen sitzen.

 

(Unruhe AfD)

 

Es ist der parlamentarische Arm des Faschismus, des Rassismus und des Antisemitismus.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Und das muss Ihnen auch langsam bewusst werden. Große Vorbilder von Ihnen, vielleicht Rita Süssmuth oder auch die CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel, haben das deutlich erkannt.

 

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Selbst CSU-Chef Söder weiß, dass das die Gefahr der Demokratie ist. Und Sie? Sie wischen das weg und setzen links und rechts gleich wieder gleich.

 

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Das ist bei uns notiert, Frau Kollegin!)

 

Wir lassen vielleicht im Ausschuss dann noch mal intensiver diskutieren, aber das ist wirklich unglaublich. Ich kann Sie jetzt hier wirklich nur auffordern: Stimmen Sie für die ausdrückliche, verfassungsrechtliche, verbindliche Feststellung, dass Faschismus und Neonazis, Antisemitismus und Rassismus kein Teil der Werteordnung der Thüringer Verfassung sind, diese Unwerte deshalb auch in Gesellschaft und Staat keinen Platz haben dürfen und dass alle Akteure, die sich in der Zivilgesellschaft gegen Faschismus und Neonazismus, gegen Antisemitismus und Rassismus engagieren, dafür auch Unterstützung erhalten sollen! Dazu fordere ich Sie hier wirklich auf.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Die Menschenwürdegarantie des Artikels 1 soll damit auch ergänzt werden, denn die Menschenwürdegarantie, zuerst verankert in Artikel 1 Grundgesetz, ist eine bewusst gewollte deutliche Absage an den Faschismus und seine Verbrechen, und die Menschenwürdegarantie ist ein deutlich und bewusst gewolltes inhaltliches Gegenprogramm zu Faschismus, Neonazismus, Antisemitismus und Rassismus.

 

(Zwischenruf Abg. Möller, AfD: Wie die DDR!)

 

(Zwischenruf Abg. Herold, AfD: Und Neostalinismus!)

 

(Zwischenruf Abg. König-Preuss, DIE LINKE: Das ist so krass; da sind Millionen ermordet worden und Sie setzen das gleich!)

 

Ich glaube, wir müssen darüber nicht diskutieren.

 

Ich komme jetzt mal zu dem Thema „Schuldenbremse“, die der CDU-Gesetzentwurf in Artikel 98 wieder mal aufwärmt. Wir haben es schon mehrfach gesagt, wir lehnen das ja auch ab. Die Schuldenbremse ist strukturell überflüssig, Sie haben es selber gesagt, es steht schon im Grundgesetz. Und da komme ich mal mit Blick darauf, wie kommt man immer wieder dazu, diese Schuldenbremse reinzubringen, zu der Mär der schwäbischen Hausfrau, die schwarze Null, Schuldenbremse. Ich kann Ihnen sagen, ich habe auch ein paar Jahre in Baden-Württemberg gelebt: Diesem Mythos von der schwäbischen Hausfrau den gibt es nicht; auch die geben Geld aus. Stellen Sie sich jetzt mal vor, wir würden diese Schuldbremse in der Thüringer Verfassung schon verankert haben oder wir hätten das 1,8 Milliarden Hilfsprogramm nicht auf den Weg bringen können, wo wir Kommunen, wo wir Soloselbstständige, Menschen, die in Not geraten sind, hätten unterstützen können? Was wäre das für ein Aufschrei?! Das allein zeigt, dass die Schuldenbremse eine reine Ideologie von den konservativen Parteien ist und keinen weiterbringt.

 

Ich kann Ihnen noch ein Beispiel bringen – wenn gerade überall darüber geredet wird, dass der Wald stirbt: Nun überlegen Sie sich mal, ein neuer Forstunternehmer der braucht eine große Rückemaschine, muss dafür ca. 500.000 Euro aufbringen und der würde sich das Geld erst einmal ansparen, bis er sich diese Maschine leisten kann. Dann ist der Wald ganz tot. Damit kommen Sie also gar nicht weiter. Von daher muss man ein bisschen die Einnahmen und Ausgaben miteinander verknüpfen und diese Schuldenbremse, die bringt uns da auf keinen Fall weiter. Insofern können wir jetzt schon mal sagen, da kommen wir nicht zueinander. Denn der Staat hat eine Verantwortung und dieses Nichtausgeben, wenn wir sparen würden bei den Ausgaben, gerade was die sozialen Ausgaben sind, dann wird die Schere zwischen arm und reich nämlich noch größer. Das lehnen wir als Rot-Rot-Grün zumindest ab.

 

Sie schlagen auch eine neues Verfahren hinsichtlich der Wahl des Ministerpräsidenten vor. Sie sagen: zwei Wochen Bedenkzeit. Da will ich mal sagen: Wer sich vorher nicht im Klaren ist, wenn er sich hier in das Parlament wählen lässt, wen er denn zum Ministerpräsidenten wählt, dann helfen zwei Wochen auch nicht mehr. Von daher kommen wir da in dem Moment nicht zusammen.

 

Jetzt komme ich mal zu dem, wo ich Sie direkt aufgefordert hatte und sagte: Bringen Sie doch nach diesen Anhörungen, die wir in der vergangenen Legislaturperiode hatten, das fakultative Referendum noch mal, bringen Sie es doch. Das hatte ich Ihnen gesagt, da standen wir da hinten. Nun haben Sie es wieder eingebracht.

 

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Das ist ja ein ganz starkes Argument!)

 

Nun haben Sie es wieder eingebracht. Sie sagen jetzt, es wäre der Volkseinwand. Das klingt erst mal total nett, weil das die Sachsen in ihrem Koalitionsvertrag auch so beschrieben haben. Nun haben Sie aber diesen Volkseinwand, diese Gesetzgebung, so gebaut: Sie haben gedacht, man kann das, was in der Schweiz funktioniert, einfach hier irgendwie überstülpen. Das funktioniert nicht. Da müssen wir wirklich mal diskutieren, wie man das verbessern kann, und natürlich müssen wir das in den Fraktionen auch noch mal diskutieren, ob es das ist, was wir wirklich wollen. Aber da freue ich mich wirklich auf diese Anhörung. Denn eines muss man auch sagen: Wir haben so viele direktdemokratische Elemente, wir haben das Volksbegehren, den Volksentscheid, das läuft ins Leere, weil wir immer noch den Finanzvorbehalt in der Verfassung stehen haben. Hier sagen Sie explizit, der Finanzvorbehalt soll da nicht gelten. Aber da, wo Menschen aktiv werden, etwas gestalten wollen, da soll er weiter drinbleiben, der Finanzvorbehalt; das geht nämlich auch nicht. Man kann nicht einfach Elemente, direktdemokratische Elemente irgendwie gegenüberstellen, den Dialog oder das Vetorecht, wie auch immer man es nennt, und dann unterschiedliche Regelungen daran haben. Das funktioniert einfach nicht. Wir sagen, der Finanzvorbehalt muss erst mal aus der Verfassung. Wir müssen das direktdemokratische Element, was es jetzt schon gibt, stärken, damit es nämlich nicht zum Leerlauf wird. Das ist unsere Ansicht in diesem Punkt.

 

Was uns sehr verwundert hat, ist, dass Sie erneut Nachhaltigkeit und Ehrenamt auch wieder einbringen, da haben wir ja schon zwei Gesetzentwürfe oder einen Gesetzentwurf dazu in den Anhörungen. Da haben wir gedacht, warum machen Sie jetzt schon wieder einen neuen, lassen Sie uns doch erst mal das auswerten, was wir da gehört haben, denn das war sehr spannend. Da können wir auch schon sagen, da können wir gegebenenfalls auch zusammenkommen, wenn es natürlich noch ein paar Veränderungen gibt. Aber warum Sie jetzt schon wieder erneut einen Gesetzentwurf dazu eingebracht haben, ist uns …

 

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Das nennt sich Gesamtpaket, Frau Kollegin! Sie haben sich doch so darauf gefreut!)

 

Ach na ja, das können Sie verkaufen, wie sie wollen, das glaubt Ihnen doch draußen kein Mensch.

 

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Das haben die Experten aber anders gesehen!)

 

Aber nicht, dass Sie schon wieder Ehrenamt und Nachhaltigkeit bringen.

 

(Zwischenruf Abg. Mitteldorf, DIE LINKE: Das war ein Rohrkrepierer!)

 

Ja, ich glaube, der erste war ein Rohrkrepierer, das kann man so nennen, Kollegin Mitteldorf.

 

(Unruhe CDU)

 

Was gut ist, ich sage mal so, die Herstellung gleicher Lebensverhältnisse sollten wirklich Platz finden, das hat die Anhörung Nachhaltigkeit explizit noch mal benannt und man sollte die Nachhaltigkeit nicht nur auf Umwelt, Ökologie, Ökonomie – ich gehe da mal in Ihre Richtung – nehmen, sondern wirklich breit gefächert und da spielt auch das Thema „Bildung“ mit hinein. Lassen Sie uns da einfach weiter diskutieren, wie wir da vorwärtskommen, darauf freue ich mich. Unstrittige Zustimmung gibt es zum Vorschlag, den Schutz vor Altersdiskriminierung – jetzt hören Sie zu – in den Artikel 2 aufzunehmen. Hier erhoffen wir uns als Linke von der Anhörung im Verfassungsausschuss noch mehr Anhaltspunkte für die praktische Konkretisierung dieses Staatsziels. Wir sind ja gar nicht abgeneigt bei bestimmten Punkten, wir wollen ja mit Ihnen diskutieren.

 

Größere Probleme haben wir als Linke-Fraktion mit den von der CDU vorgeschlagenen Regelungen zur Integration bzw. Inklusion von Migrantinnen bzw. Menschen mit Migrationshintergrund. Wir fänden es im Grundsatz sehr gut, ein solches Staatsziel aufzunehmen, allerdings nicht in der von der CDU gewählten Formulierung. Ihre faktische Beschränkung nur auf die EU-Bürgerinnen und die Betonung des legalen Aufenthalts sind diskussionswürdig, denn für uns als Linke gilt: Kein Mensch ist illegal.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Das sind Gesetze, Frau Kollegin!)

 

Alle Menschen in Thüringen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit sollen gleiche politische Teilhabe erhalten, denn wer von den Gesetzen betroffen ist, soll auch darüber mitentscheiden können, das ist zumindest unsere Wahrnehmung.

Weitere Formulierungen bzw. zumindest Regelungsansätze aus dem Integrationsstaatsziel scheinen aus dem CDU-Gesetzentwurf für ein Thüringer Integrationsgesetz zu stammen, das die CDU in der 6. Wahlperiode in den Landtag eingebracht hatte. Schon damals haben wir als Fraktion die sehr ungute Ausrichtung dieses Integrationsgesetzes am Konstrukt der deutschen bzw. abendländischen Leitkultur deutlich kritisiert. Die Linke – und das sage ich Ihnen auch noch mal deutlich – ist für eine Inklusion von Menschen mit Migrationshintergrund bzw. Migrantinnen in der Gesellschaft und das mit all ihrer bereichernden und belebenden Vielfalt und mit der notwendigen Unterstützung. Wir Linken lehnen aber jegliche germanisierende Zwangsassimilation ab.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

(Unruhe CDU)

 

Eine juristische Einschätzung der Landtagsverwaltung zum Integrationsgesetz zeigte zudem zahlreiche verfassungsrechtliche Probleme des CDU-Gesetzentwurfs auf. Auch die neue Reglung im Artikel 96 zum Zugang zu öffentlichen Ämtern dürfte verfassungsrechtlich problematisch sein.

 

(Zwischenruf Abg. Zippel, CDU: Das ist rechtlich fragwürdig!)

 

Einer ersten Einschätzung nach bleiben Sie hinter dem geltenden EU-Recht zurück. Also Sie verschlimmern die Situation, als dass Sie sie verbessern. Von daher lassen Sie uns diskutieren, wie wir zukünftig in Thüringen miteinander leben wollen. Lassen Sie uns eine positive Werteordnung festschreiben. Ich freue mich auf die Anhörungen und wir werden sehen, was wir am Ende für die Thüringerinnen und Thüringer, für die Menschen verbessern können. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE, SPD)

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