Fünftes Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Thüringen – Aufnahme von Staatszielen 1/2

Anja Müller

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen DIE LINKE, der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 7/897

 

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Gegen Rassismus, Antisemitismus und die Wiederbelebung faschistischer Ideologie, für die Stärkung der Kinderrechte, für eine umfassende und wirksame Umsetzung der beiden UN-Abkommen über die Rechte der Kinder und über die Rechte behinderter Menschen, für die Stärkung des Ehrenamts und die Stärkung des Umweltschutzes und die Verwirklichung eines umfassenden Nachhaltigkeitsprinzips – um all diese Themen geht es in dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung und zum Ausbau der Staatsziele, den die Fraktionen Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen nun in der Drucksache 7/897 in den Landtag einbringen.

 

Liebe Zuschauerinnen am Livestream, wer jetzt denkt, die Verfassung, Staatsziele – das ist ja alles ziemlich abstrakt, dem möchten wir sagen: Es geht um Veränderung vor Ort und im Alltagsleben. Diese Inhalte der Staatsziele müssen bei jeder konkreten Entscheidung der staatlichen Akteure vor Ort umfassend und wirksam umgesetzt werden. Sie sind rechtlich verbindliche Handlungsverpflichtungen. Die Verfassung als positive Werteordnung, so sagt das Bundesverfassungsgericht, ist dazu da, den Alltag aller Menschen in Thüringen zu gestalten. Es geht bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Verfassung um die Beantwortung der Frage: Wie wollen und wie sollen wir als Gesellschaft zusammenleben? Das sind die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, die der Gesetzentwurf aufgreift. Der Schutz der unbeschadeten Entwicklung von Kindern unter optimaler Förderung ihrer individuellen Persönlichkeit ist ein Menschenrecht. Das betont auch das UN-Abkommen über die Kinderrechte. Kinder und Jugendliche müssen als eigenständige Person mit eigenen Bedürfnissen ernst genommen werden. Sie brauchen eine eigene Stimme, also Mitsprache.

 

Die UNO hat Deutschland schon mehrfach kritisiert für die mangelnde Umsetzung der Kinderrechtskonvention. Das gilt auch für die UN-Behindertenrechtskonvention. Und mit Blick auf diese UN-Kritik wird verständlich, warum die beiden UN-Konventionen mit ihren detaillierten inhaltlichen Festlegungen in Thüringen zukünftig Verfassungsrang bekommen sollen. So fordern behinderte Menschen zum Beispiel zu Recht noch mehr Fortschritte bei der Inklusion im Alltag. Gleiche Teilhabe aller in der Gesellschaft ist ein Menschenrecht.

 

Der Gesetzentwurf enthält eine Ergänzung des Artikels 1 um das Staatsziel des umfassenden Engagements aller staatlichen und gesellschaftlichen Akteure gegen Rassismus, Antisemitismus und die Wiederbelebung faschistischer Ideologie. Es ist kein Zufall, dass dieses Staatsziel in Artikel 1 zusammen mit der Menschenwürdegarantie verankert ist, denn die Menschenwürdegarantie im Grundgesetz und in der Thüringer Verfassung ist weitreichende Schlussfolgerung und inhaltliche Antwort auf den Nationalsozialismus und von ihm verursachtes unermessliches Leid, darunter vor allem der industriell organisierte Massenmord an über 6 Millionen Juden. Denn gerade angesichts hochproblematischer und beunruhigender aktueller Entwicklungen in der Gesellschaft muss man klar feststellen: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

 

(Beifall DIE LINKE)

 

Deshalb müssen alle Erscheinungsformen des Antisemitismus, des Rassismus und der Wiederverbreitung faschistischer Ideologie im Alltag und vor Ort wirksam und umfassend bekämpft werden, damit sich die Morde des NSU und Anschläge auf Synagogen nicht wiederholen. Der Tod von George Floyd und Rayshard Brooks haben die notwendige Diskussion um Alltagsrassismus in Deutschland, auch in Thüringen wieder verstärkt. Auch bei uns haben Menschen mit nicht teutonischem Aussehen oder Namen Schwierigkeiten zum Beispiel bei der Suche von Wohnungen und Ausbildungsplätzen.

 

Das Engagement für eine humane Gesellschaft wird vor allem auch von ehrenamtlich engagierten Menschen getragen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig ehrenamtliches Engagement ist. Deshalb gehört das Staatsziel Stärkung des Ehrenamts in die Verfassung. Es muss dann durch weitere Aktivitäten mit Leben gefüllt werden.

 

Der Gesetzentwurf nimmt der Erweiterung des Staatsziels Umwelt und mit dem neuen Staatsziel Nachhaltigkeit auch die gesellschaftlichen Herausforderungen des Klimawandels auf. Und für die weitere Entwicklung der Gesellschaft und Alltag jedes Menschen in Thüringen ist der Umgang mit diesem Zukunftsthema absolut entscheidend. Wir wünschen uns im Anschluss an diese Debatte heute eine intensive Diskussion und Anhörung im Verfassungsausschuss. Vielen Dank.

 

(Beifall DIE LINKE)

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